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14. Mai 2022: Sehmann an Mephisto
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Wenn man nicht schon Kummer gewöhnt wäre, hätte einem in den vergangenen Tagen schlecht werden können in Deutschland.
Weil: Deutschland ist ein rassistisches Land!
Ja!
Ohne Wenn und Mutmaßlich!
Das hat man monitoringt.
Ich kriegte erst einen Schreck, aber dann erfuhr ich: Also man hat Menschen befragt und auch angedroht, das in Zukunft wieder zu tun.
Mir fiel ein Stein vom Herzen! Also nur eine Umfrage. Umfragen zu Meinungen sind ja seit längerem ein inflationär gängiges Mittel öffentlich-rechtlicher Medien, Faktenmeldungen über die wirklich wahre Realität zu umgehen.
Insbesondere wenn diese, wie gewöhnlich, sich unkorrekt gebärdet.
Die Realität.
Nur heißt diese Meinungsumfrage hier „dauerhaftes Monitoring“.
Oder auch: Der „neue Rassismusmonitor“.
Tatsächlich!
Aufgeregt wurde nun direkt kolportiert, Deutschland sei ein rassistisches Land!
Mitunter gleich als einleitender Satz der nachrichtlichen Meldung.
Und das habe ein „Monitoring“ festgestellt.
Erst wenn man sich die Zeit nahm und genauer hinhörte, konnte man, wenn auch nicht in allen Sendeanstalten in der nötigen Ausführlichkeit, eventuell entnehmen, daß die Hälfte der Befragten einer „Aussage“ (demnach einer vorgelegten These) „Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft“ zustimme.
Also dann muß es ja stimmen!
Gewählt ist gewählt!
Zum Glück fanden sich des dem „Rassismusmonitoring“ folgenden Tages doch noch etwas nachdenklichere Stimmen!
So zum Beispiel die MÄRKISCHE ODERZEITUNG:
Was genau wird unter Rassismus verstanden – waren es Gewalttaten, Beschimpfungen, oder wurden zum Beispiel ungeschickte Fragen gestellt? In der Studie wird unter Rassismus aufgelistet, was eigentlich in unterschiedliche Kategorien fällt. Dabei wäre es wichtig, die Befragten genau zwischen eher harmlos und beleidigend beziehungsweise gewalttätig unterscheiden zu lassen.
Jedenfalls haben die Begriffe Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus hierzulande zur Zeit Hochkonjunktur um anzuklagen, zu welcher Verworfenheit Deutschland inzwischen verkommen ist. Und in dem Chore der Ankläger mitzusingen verleiht natürlich auch das schöne Gefühl der Zugehörigkeit zur Gruppe der Anständigen, wie Gerhard Schröder sich und die üblichen Bescheidwisser und Richtigdenker zu benennen beliebte.
Die Anständigen!
Ich gehöre nicht dazu. Denn es widerspricht meiner Erfahrung und meiner Wahrnehmung, daß wir in einer rassistischen Gesellschaft leben.
Allerdings leben wir in einer Gesellschaft, in der leider auch, wie in anderen Gesellschaften unserer Hemisphäre, zum Beispiel Idioten, Rassisten, Antisemiten, Rechtsextremisten und Nazis herumlaufen.
Aber zum Glück gibt es in Deutschland wenigstens keine Linksextremisten!
Wenn in Hamburg während regelrechter Straßenschlachten ganze Straßenzüge verwüstet und in Berlin, Rigaer Straße, über 60 Polizisten bei einer Brandschutzkontrolle zusammengeschlagen und zum Teil schwer verletzt werden, dann heißen die Täter in den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien „Autonome“.
Im schlimmsten Fall „Linksradikale“.
Und die Staatsanwaltschaft wird nicht tätig.
Und die Journalisten auch nicht.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Schuster, rät jüdischen Bürgern, in bestimmten Gegenden keine Kippa zu tragen. Er sagte im RBB Hörfunk, sie sollten sich zwar nicht aus Angst verstecken. Die Frage sei aber, ob es angesichts zunehmender antisemitischer Straftaten sinnvoll sei, sich in Wohnvierteln mit einem hohen muslimischen Anteil als Jude zu erkennen zu geben.
Das war eine Nachricht am Donnerstag, dem 26. Februar 2015.
Kurz zuvor noch hatten deutsche Politiker und Medienvertreter vereint mutig im Chore getönt: „Wir sind alle Charlie!“
Nach dem entsetzlichen Attentat in Paris, bei dem mehrere Journalisten der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ grausam ermordet worden waren von mohammedanischen Attentätern.
Doch nun?
Hörte man gar nichts!
Angesichts einer plötzlichen Zunahme…
Welche Journalisten hatten denn vor oder nach dem Ratschlag des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland in welchen Print- und Onlinemedien oder auf welchen Sendern über welche der „bestimmten“ Wohnviertel „mit einem hohen muslimischen Anteil“ von antisemitischen Straftaten berichtet?
Welche Zahlen wurden genannt, damit man sich ein realistisches Bild hätte machen können über die Zunahme jener Straftaten und über ihre Dynamik?
Und über das Umfeld der Täter!
Um was für Straftaten handelte es sich denn eigentlich?
Wo befinden sich die „bestimmten“ Wohnviertel, in denen es gefährlich ist für jüdische Mitbürger? Ist es nicht die Pflicht, sie beim Namen zu nennen?
Sollten Kippaträger erst irgendwo anrufen müssen, um sich zu erkundigen?
Wie wurden und werden die Täter von den Medien eingeordnet?
Zählen sie diese zum sogenannten friedlichen Islam oder zum sogenannten radikal islamischen Islam oder zum so genannten islamistischen Islam?
Gelten sie gar als „integrierte Muslime“?
Ein neues Problem, urplötzlich aus heiterstem integriertem deutschem Himmel?
Kann es sein, dass das Problem in Wahrheit gar nicht neu war?
Wenn ja, welchen Grund hatte es, dass man davon erst aus dem Munde eines Betroffenen hörte?
Ist das nicht beschämend?
Wurde nicht schon im Jahr zuvor auf dem generell, also vorhersehbar antisemitischen al-Quds-Marsch von einem mohammedanischen Mob „Juden ins Gas gebrüllt“?
Auf deutschen Straßen?
Wie haben denn unsere, auf ihren Pressekodex stolzen Medien in der Folge sich nun darum gekümmert?
Und was haben sie über den „Lifestyle“, also die Lebensart jenes antisemitischen Pöbels, in Erfahrung gebracht?
Wäre das nicht mindestens eine abendfüllende Sendung wert gewesen im Lande der besonderen Verantwortung?
Es gibt doch nicht etwa eine Tabuisierung des mohammedanischen Antisemitismus in deutschen Medien?
Und all die üblichen tapferen Kerlchen und KerlInnenchen: wo waren und sind die permanent Empörten?
Wo sind sie denn plötzlich geblieben?
All die Anständigen!
Die Vögelein schwiegen und schweigen.
In den öffentlich-rechtlichen Medien…
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Seit der Asylwelle in den Jahren 2015 und 2016 hat die Zahl der judenfeindlichen Demonstrationen mit muslimischen Teilnehmern sicher nicht abgenommen. In Deutschland lebende Juden fühlen sich laut eigener Aussage von radikalen Muslimen bedroht. Die Zahl der antisemitischen Straftaten liegt so hoch wie schon lange nicht mehr.
Muslimischer Antisemitismus ist in Deutschland verbreitet. Das belegt eine repräsentative Umfrage, die das American Jewish Committee Berlin (AJC) beim Allensbach-Institut in Auftrag gegeben hat. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass antisemitische Einstellungen bei in Deutschland lebenden Muslimen viel häufiger vorkommen als in der übrigen Bevölkerung.
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Interessant sind nicht nur die Ergebnisse der Befragung, sondern auch die Tatsache, dass es in Deutschland bisher kaum empirische Untersuchungen zu diesem Thema gab. Nach der antisemitischen Demonstration im Winter 2017 vor dem Brandenburger Tor hätte vieles dafürgesprochen, das Phänomen von staatlicher Seite aus mit einer solchen Befragung untersuchen zu lassen.
Möglicherweise wollte man es aber gar nicht genau wissen. Wenn die Rede auf Antisemitismus kommt, dauert es nicht lange, bis deutsche Politiker dafür den Rechtsextremismus verantwortlich machen.
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In vielen Staaten mit hohem islamischem Bevölkerungsanteil dominiert ein problematisches Judenbild. Der Antisemitismus korreliert nicht zwangsläufig mit dem Islam als Religion, ist aber gerade in einigen Ländern des Nahen Ostens so ausgeprägt wie fast nirgendwo sonst auf der Welt. Das passt allerdings nicht in das Bild, das deutsche Politiker gerne von Muslimen zeichnen.
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Auch weil es immer mehr muslimische Wähler gibt, versuchen sie, den Islam zu umarmen. Vertreter von CDU und SPD überbieten sich zum Beispiel mit öffentlichen guten Wünschen zu Beginn des Fastenmonats Ramadan. Auf die Spitze trieb es aber im Jahr 2015 der damalige deutsche Justizminister Heiko Maas: Nach dem Terroranschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ besuchte er umgehend eine Moschee. Man hätte meinen können, Muslime wären Opfer und nicht die Täter gewesen.
In anderen europäischen Staaten, wie zum Beispiel Dänemark, hat ein Umdenken eingesetzt. Hier wird von der Regierung die Frage gestellt, wie viel muslimische Zuwanderung einer liberalen Demokratie guttut. Neben judenfeindlichen Einstellungen bringen Migranten aus islamisch geprägten Regionen oft auch weitere problematische Überzeugungen mit – zum Beispiel ein groteskes Frauenbild oder die Ansicht, gleichgeschlechtliche Liebe sei verdammenswert.
Solche Einstellungen können sich mit der Zeit genauso ändern wie ein gesellschaftlich tradierter Antisemitismus. Es wäre aber naiv, hier auf den kollektiven Gesinnungswandel bei in Deutschland lebenden Muslimen zu hoffen. Stattdessen müssten die verantwortlichen Politiker das Problem endlich beim Namen nennen und sich ein Beispiel an Staaten wie Dänemark nehmen.
11. Mai 2022, Neue Zürcher Zeitung
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