Beine krumm, doch deutsch von Rasse, ungebildet, aber stolz, sahn wir wie vor unsrer Masse jede Geistigkeit zerschmolz – diese Verse des bedauerlicherweise vergessenen Horst Lommer kamen mir wieder in den Sinn beim Lesen Deiner Zeilen. Aber statt mit dem Wesen der Probleme beschäftigt man sich mit Kokolores. Das macht den Deutschen keiner nach – rechtwinklig an Leib und Seele, würde Nietzsche sagen. Man versucht zum Beispiel, politisch korrekt, das Wort „Zigeuner“ (italienisch „zingaro“, ungarisch „cigány“, rumänisch „tigan“, bulgarisch „ciianin“, griechisch „tsiganos“) im Deutschen auszulöschen, und beschäftigt sich tatsächlich mit dem aktualisierenden Übersetzen, zum Beispiel älterer Bücher, ins korrekte Deutsch.
Nun, mit diesem schwachsinnigen Unterfangen wird man zu tun haben. Gerade auch, was allein die Musik angeht, neben den anderen Kulturgütern. All die Stücke und Weisen und Lieder! Ich weiß auch nicht, was ich mehr fürchten soll, die erste Aufführung von Straußens Sohn „Sinti- und Roma-Baron“ oder das gehorsame Ausbleiben weiterer Aufführungen. Und welchen korrekten Namen wird man dem Sinti- und Roma-Schnitzel genehmigen?
Mir fallen leif die Negerküsse ein. Die ich nicht mehr anschaffe, seit sie in merklich verkrampfter Originalität umbenannt wurden in Köhlerküsse. Nein wie lustig! Richtig ordentlich lustig! „Neger“, lateinisch „niger“ (für „schwarz“), spanisch und portugiesisch „negro“, ins Deutsche entlehnt aus dem Französischen „nègre“, wird gelöscht. Auch da wird man zu tun haben, selbst in wissenschaftlichen Werken, bis alle Neger umbenannt sind in den alten Bundespräsidenten.
Immerhin gibt mir jene deutsche Bereinigungsaktion die Gelegenheit, Dir vor deren Abschluß unbedingt noch zum schnellen ehrlichen Erwerb einiger Bücher zu raten. Beispielsweise zu einer rechtzeitig gedruckten Werkausgabe eines der Götter aus dem Parnaß meiner sieben Lieblingspoeten, Joachim Ringelnatz geheißen:
Abendgebet einer erkälteten Negerin
Ich suche Sternengefunkel
All mein Karbunkel
Brennt Sonne dunkel.
Sonne drohet mit Stich.
Warum brennt mich die Sonne im Zorn?
Warum brennt sie gerade mich?
Warum nicht Korn?
Ich folge weißen Mannes Spur.
Der Mann war weiß und roch so gut.
Mir ist in meiner Muschelschnur
So négligé zu Mut.
Kam in mein Wigwam
Weit übers Meer,
Seit er zurückschwamm,
Das Wigwam
Blieb leer.
Drüben am Walde
Kängt ein Guruh – –
Warte nur balde
Kängurst auch Du.
Im übrigen aber bin ich der Meinung, der deutsche Außenminister wird in seinem Streben nach dem Friedensnobelpreis und seiner permanenten Fehleinschätzung der russischen Seite zum Sicherheitsrisiko Europas.
Rußland darf nicht das entfernteste Mitspracherecht eingeräumt werden über ukrainische und jedwede nachbarstaatlichen Angelegenheiten! Auch nicht über Hintertüren, beispielweise in Form runder Tische oder etwa russischer „Friedenstruppen“ in der Ostukraine!
An denen der Kreml sich auffällig interessiert zeigt.
Sonst Sieg der Banditen, und der Außenminister hätte sich, nach einem Ausdruck Lenins, von Rußlands nützlichen Idioten erwiesen als Rußlands nützlichster. Was schon etwas heißen will, vornehmlich in Deutschland. Die Journalistin Ola Cichowias in der britischen Zeitung The Independent:
In Deutschland, einem Land, in dem Putins Propaganda besonders erfolgreich wirkt, mindern sogar Intellektuelle Putins Verbrechen – oft getrieben durch Schuldgefühle wegen der Leiden der Russen während des Zweiten Weltkriegs. Alle werden geleitet von einer vagen Vorstellung russischer Romantik.
Zwischenzeitlich wagte ich fast schon zu hoffen, er hätte, zum Beispiel unter dem Einfluß der realistisch denkenden Polen, der erneuten Vorführung russischer Vertragstreue nach dem Genfer Vierergipfel und angesichts der russischen Anmaßung, nun doch seine Lektion dazugelernt. Aber mittlerweile spielt der Außenminister den russischen Chauvinisten wieder in die Hände und bewegt sich hin zur Quasi-Anerkennung einer Abspaltung ukrainischen Territoriums. Womöglich werden dann russische „Friedens“-Truppen, mindestens jedoch OSZE-Truppen die russische Annexion verewigen.
Der sich augenblicklich hektisch beteiligende französische Außenminister hat übrigens ein starkes Interesse an der Vermittlung auch des wurmstichigsten Waffenstillstandes in der Ostukraine, weil Frankreich Sanktionen gegen Rußland unbedingt vermeiden will. Um Kriegsschiffe nach dort zu verkaufen. Für Montag dieser Woche waren aus guten Gründen endlich schärfere Sanktionen gegen Rußland angekündigt worden. Von denen plötzlich überhaupt nicht mehr die Rede war (ohne jede journalistisch-kritische Erörterung in den Medien).
Montag waren die ersten russischen Militärkräfte in Frankreich angelandet, um sich für die Übernahme der Schiffe unterweisen zu lassen (keine Meldung darüber in den Nachrichten).
„Hast du alles vergessen, was einmal war?“
Gebietsvergrößerung Rußlands mittels Mord- und Totschlag hat Tradition seit Iwan dem Schrecklichen und seiner Opritschnina (russisch: „ausgesondertes Land“). Welcher Begriff stand für methodischen Massenmord an Landbesitzern zum Zweck der Einverleibung ihrer Ländereien. Günstigstenfalls wurden die Besitzer zwangsdeportiert. Ausführende waren die brutalen Opritschniki, die eigens dafür geschaffenen schwarzhemdigen Truppen des Zaren.
Nein, diese Reminiszenz ist so abwegig nicht, wie Du im ersten Moment vielleicht glauben magst. Und mit nicht unbeträchtlicher Wahrscheinlichkeit wird mich die Chronik der laufenden Ereignisse vielleicht zwingen, noch einmal darauf zurückzukommen.
Wie war das aber in Moldawien und Georgien? Gerade erst gestern ist Rußland vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der massenweisen Zwangsvertreibung von Georgiern für schuldig befunden worden.
Nach meiner Erinnerung beginnen 1992 in Moldawien plötzlich „Separatisten“ um sich zu schießen. Lauter vertrauenerweckende Visagen wie jüngst auf der Krim und in der Ostukraine. Na, wie auf Kommando, da eilen aber russische Truppen hinzu und greifen den „Separatisten“ mal hilfreich unter ihre Arme. Und setzen sich, zum Schutz „legitimer“ russischer Interessen, fest. Um des Friedens willen überwacht seit 1999 auch eine OSZE-Friedenstruppe eine Sicherheitszone zwischen der selbsternannten Republik Transnistrien, die zufälligerweise ihren Anschluß an Rußland erstrebt, und Moldawien. Womit das russische Militär zum Abzug verpflichtet wurde und laut eines von Rußland unterzeichneten OSZE-Abkommens auch ist. Im Dezember 2001 endlich wird damit begonnen und symbolisch ein Kontingent abgezogen. Während der folgenden dreizehn Jahre verzögert sich der Abzug der Okkupationstruppen aber bis heute.
Derweil herrscht russischer Friede.
Wenn ein Preis für die derzeit scheinintelligenteste Frage zu vergeben wäre in Deutschland, sollte man ihn der amüsanten Grübelei widmen, was Putin denn wolle mit all seinen Machinationen. Die Frage abendländischer Logiker. (Das sind auch die, die sich wundern, warum sie sich plötzlich wieder ins neunzehnte Jahrhundert versetzt sehen, und warum es nun nicht länger mit rechten Dingen zugeht: „Seid doch wieder vernünftig, setzt euch zusammen und vertragt euch wieder!“)
Zweiter Preis: Ob er noch die Kontrolle habe über die „Separatisten“. Wobei das Adverb jenes Fragesatzes als besonderes Juwel ins Auge sticht. Und zur Beruhigung: Er hat sie. Selbst wenn die manchmal so tun, als schössen sie von alleine weiter.
Tja, was mag er wohl wollen, der Wladimir?
Wenn man es nicht aus der russischen Geschichte herauszulesen weiß, den Wert russischer Bekundungen und Beteuerungen und russischer Zusagen sollte man doch zwischenzeitlich etwas besser einzuschätzen gelernt haben. Wenigstens das Kurzzeitgedächtnis anknipsen, bitte, bitte! Sonst hören wir bald aus dem Kreml die Korken des Krimsekts knallen.