A N A B A S I S

Thalatta ! Thalatta !

Monatsarchive: Juni 2015

Serapion an Mephisto

Also wenn Du mich fragst – dann sag ich nur: Johann Sebastian! Und jetzt nenne ich Dir mal meine Sahnehäubchen auf diesem Ozean. Natürlich die Brandenburgischen Konzerte! Welches Geschenk an die Menschheit! Was sind wir Nachgeborenen unverdient für glückliche Geschöpfe. Zu jeder beliebigen Tag- und Nachtzeit immer aufs neue neunundneunzig Minuten Glück!
Doch hör Dir unbedingt auch mal aus dem sechsten Konzert das erste Allegro allein für sich an! Also das erste Stück einer guten Aufnahme dieses Konzerts auf einer guten Anlage. Und dreh das nicht zu leise, hörst du?
Allein für sich, allein für Dich!
Komischerweise muß ich dabei immer an Hölderlin denken, ich weiß nicht warum. Ja, so ist das…
Das Violinen-Doppelkonzert! Natürlich! Die vorweggenommene Nachtmusik. Ich mag es, ich mag es, ich mag es! Das ist Reinheit in Reinform und Rilke hat recht: Du mußt Dein Leben ändern!
Was brauchst Du mehr im Leben als das und das erste Violinkonzert von Bruch?
Die Cello-Suiten! Ich kann die alle hintereinander hören. Da vibrieren die Nieren! Da bleibst du nicht länger Barbar! Da wirst du göttlich, da wirst du Mensch! Und was für einer! Da brauchst du nie wieder ein Make-up. Da wirst du schön!
Die Orchestersuiten… Natürlich alle vier!
Aber die zweite und dritte besonders…
Orchestersuiten mag ich sowieso. Kennst Du die beiden Tafelmusik-Suiten von Telemann? Ich hab auch alle zwölf Concerti grossi Händels auf meinem Telefon. Die bleiben immer bei mir, zusammen mit 5137 anderen Musikstücken.
Händel stärkt den Rücken. Und natürlich Corelli, Locatelli, Albinoni, Manfredini – Wir leben in glücklichen Zeiten!
Von seinen Orgelsachen: „Komm heiliger Geist“. Du siehst in ein klares, unendlich tiefes Wasser. Wolltest Du nicht wenigstens einmal wissen, was das ist – Poesie? Und dann, selbst wenn Du Orgel nicht magst, natürlich unbedingt Toccata und Fuge! Keine Angst, das erstickt Dich nicht.
Es existiert übrigens auch ein aus BWV 146/1 und 2 und BWV 188/1 rekonstruiertes „Ursprungs“-Konzert für Orgel und Orchester!
Apropos rekonstruiert, ebenso gibt es ein Violinkonzert, als Urfassung wiederhergestellt aus BWV 1056/1 und 3. Tut das gut! Und auch ein Oboenkonzert nach BWV 35/1 und 5, 156/1, 1056/2 und 1059. Bei alledem kannst Du was lernen! Da kannst Du lernen, wie schön die Welt ist. Da lernst Du, mit den Ohren zu sehen.
So, zum Folgenden sag ich jetzt aber nichts weiter. Jetzt sag ich nur: Wenn Du vollständig kaputt bist, wenn Du entlang eines horizontefüllenden Feldes den quälend langen Tag bei sengender Sonne mit einer zweispitzigen Forke Strohballen in einen neben Dir rollenden überbreiten Treckerhänger hieven mußtest – oder wenn Du pappesatt bist, gekränkt wurdest oder an Verdruß leidest oder alles zusammen, dann sag ich Dir nur eins. Die Medizin besteht aus vierzehn Nummern, die ich Dir jetzt sage und sonst nichts:
BWV 1044, 1052, 1053, 1054, 1055, 1056, 1057, 1058, 1060, 1061, 1062, 1063, 1064, 1065.
Okay?
Die helfen immer! 237 Minuten! Mit diesem Cocktail kommst Du immer von alleine auf die Beine!
Bach, Bach, Bach, Bach, Bach!
Und die Stones!

Bellarmin an Mephisto

Er starb an einer Schwellung seines Gehirns, sein Hirn war aufgedunsen in seinem Schädel. Am Rand der Autobahn NH8. Er lag dort auf seiner Rikscha mit halb geschlossenen Augen. Am Körper als einziges Kleidungsstück: Seine grüne Unterhose. Sonst nichts bei sich. „Keine Habseligkeiten“. Heißer Nordwestwind. Die Temperatur betrug an diesem Montag 44° Celsius. An manchen Stellen schmolz der Asphalt. Es gab Menschen, die zu schwach waren, in den Schatten zu kriechen, und die einfach auf dem Gehsteig liegen blieben. Wie er auf seiner Rikscha. Das Gehirn bekommt zu wenig Sauerstoff. Weil der Kreislauf versagt. Der Mensch wird dabei ohnmächtig.

Ich weiß nicht, inwiefern es möglich ist, sich zeitnah hundert Menschen zu vergegenwärtigen. Er war einer von ungefähr 300.000 Straßenrandabfalldurchwühlern in Delhi. Der verwertbare Müll brachte ihm am Tag vielleicht 100 Rupien. Nein, ich schreibe nicht „bescherte ihm 100 Rupien“. 100 Rupien sollen ein wenig mehr sein als ein Euro. Er konnte keinen Tag zu Hause bleiben. Sein dreizehnjähriger Sohn Sumir und sein sechzehnjähriger Sohn Amit arbeiten ebenfalls als Müllsammler. Seine Frau heißt Urmila.

Pabitra Biswas

geboren am 2. Mai 1982 in Kanchrapara

gestorben am 18. Mai 2015 in Delhi

Eines von mindestens 2.500 Opfern der Hitzewelle. Also einer von den etwa 2.500 registrierten Fällen.

Sämtliche Angaben entstammen dem SPIEGEL 25/2015, Seite 55.

Mephisto an Serapion

Darf man so etwas Unkorrektes drucken?

Also dieser Freud!

Der würdigt Schwule und Lesben in verletzender Weise herab und zeichnet ein entstelltes Gesellschaftsbild!

Also schlimmer als die Kramp-Karrenbauer!

Der Freud ist ja völlig daneben!

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Serapion an Mephisto

Mein treuer Freund Lucius Annaeus Seneca schrieb mir neulich vor 1956 Jahren ganz richtig: „Laß uns daher fragen, was am Besten zu tun sei, nicht was am gewöhnlichsten geschehe, und was uns in den Besitz eines ewigen Glücks setze, nicht was dem großen Haufen, dem schlechtesten Dolmetscher der Wahrheit, genehm sei.“ Daran mußte ich denken, als im Zuge der lobbyistisch forcierten Gleichsetzungshysterie letzte Woche die Meute der Leute mit ihrer permanenten Klarsicht infolge edler Gesinnung – Du ahnst natürlich schon, von wem ich rede – als also diese weltoffenen und toleranten Hyänen sich mit Geheul und Gekläff auf die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Frau Kramp-Karrenbauer stürzten. Ein Musterbeispiel gegenwärtiger Verfaßtheit hierzuland. Schreiende Netzempörung! Pranger! Mehrere Strafanzeigen! Einhellige Verurteilung durch die üblichen Verdächtigen!

Deutschlandfunk meldet: Grünen-Chefin Peter bezeichnete die Worte der CDU-Politikerin als „völlig daneben“!

Welche Bezeichnung unsere an Differenzierungsarmut reichen öffentlich-rechtlichen Medien tatsächlich als „Kritik“ ausgeben: „Die Äußerungen der saarländischen Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer zur Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe stoßen weiter auf Kritik.“

Was war geschehen, fragt man sich natürlich immer bei unserer ausnahmslos grausam das Pferd von hinten aufzäumenden Berichterstattung. Erst immer die korrekt bewertende Scheuklappenvorgabe, dann, eventuell, der Vorfall. Und der natürlich nicht als nackte Tatsache, sondern ebenfalls gesehen durch die standpunktvorgebend korrigierende, pardon, „kritisierende“ Brille:

„Kramp-Karrenbauer würdige Schwule und Lesben in verletzender Weise herab und zeichne ein entstelltes Gesellschaftsbild, sagte die Grünen-Chefin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.“ Also da fällt man ja aus allen Wolken! Diese reaktionäre Kramp-Karrenbauer! Wie kann man sowas von herabwürdigen, verletzen und entstellen! Typisch! Typisch!

Jedenfalls derart typisch dargestellt in der ersten und singulären Meldung über jene „Äußerungen“. Immerhin läßt man sich im Anschluß und als Abschluß an die „einhellige Verurteilung“ noch herbei, als Ursache hübsch nach der korrekten Wirkung wenigstens in indirekter Rede anzudeuten, was diese unverständige Kramp-Karrenbauer denn nun eigentlich gesagt habe: „Kramp-Karrenbauer hatte davor gewarnt, den in Deutschland geltenden Begriff der Ehe auch für homosexuelle Paare zu öffnen. Dann sei nicht mehr auszuschließen, dass als nächstes eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen gefordert werde.“

Kramp-Karrenbauer stellt Ehen zwischen „Schwulen und Lesben“ auf eine Stufe mit Geschwisterehe wie im alten Ägypten oder Polygamie wie bei den Mohammedanern und Mohammedanerinnen!

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„Die klassische Aufgabe der Meute, klassisch erfüllt. Aufspüren, nachstellen, einkreisen. Bestenfalls verliert, wer der Meute zum Opfer fällt, sein Gesicht. Ihre Attacken zielen nicht auf Inhaltliches, sondern gleich auf die soziale Halsschlagader, die Reputation der Beute. Der Gejagte wird nicht auf fachlicher Ebene, sondern im Feld der Tugend gestellt und zur Strecke gebracht“, beobachtet Arno Frank in seinem scharfsinnigen, unbedingt empfehlenswerten Essay „Meute mit Meinung – Über die Schwarmdummheit“ (erschienen bei KEIN & ABER): „In der Regel ist das Mitglied der Meute in seinen Netzwerken auf den Text gestoßen, wo er ihm bereits als Ärgernis angekündigt wurde. Um nun im Forum kübelweise Kommunikationsschlacke auszuleeren, muss er den Text nicht einmal gelesen haben – er besucht die Seite ohnehin nur in seiner Funktion als Mitglied einer erregten Meute, zu deren Erregung er seinen eigenen kleinen Teil beiträgt, seine eigene kleine Entladung. … Alle Angriffe treffen die „Bösen“ und damit die Richtigen. … Es ist, wenn man so will, die „gute“ Meute. … Es ist eine rüpelhafte Gruppe, die bei ihrer Jagd auf abweichende Andersdenkende zumindest in ihrer verbalen Radikalität den Roten Garden oder der SA in nichts nachsteht.“

Und ebendort: „Demnach ist die „belagerte Festung“ das politische System, das sich der Umzingelung durch Menschen nicht entziehen kann, die „einen Pool von Gründen“ bearbeiten und ihm damit gewisse Urteils- und Entscheidungsprozesse aufnötigen. Masse krümmt den öffentlichen Raum.“

Und der Terror der Toleranten, der Terror der Tugendhaften und politischen Korrektoren schafft mit dem Popanz einer vorgeblichen Diskriminierung ein Klima, in dem selbst einfache Tatsachenfeststellungen gefahrfrei nicht mehr möglich erscheinen. Geschweige denn eine Debatte. Es herrscht in etwa dasselbe Klima wie seinerzeit in den Anfangsjahren der Grünen. Also Pädophilie war ja sowas von richtig gegen diese konservativen Strukturen! Wenn da jemand etwas sich gegen Pädophilie zu sagen traute, machte der sich genauso unmöglich wie heute jemand mit Vorbehalten gegen das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare (um das es ja letztendlich nur noch geht unter dem Deckmantel der Antidiskriminierung), und gegen dieses reaktionäre Schwein wurde genauso zur Hatz geblasen wie exemplarisch heutzutage gegen Frau Kramp-Karrenbauer.

Nur daß es damals noch kein Internet gab. Aber jene geistig Eingeengten, die jede sachlich begründete Ungleichbehandlung als Diskriminierung verschreien, die gab es schon damals. Der Mob ist unsterblich.

Was fällt mir sonst noch ein?

Die einen von diesen „Perversen“ haben sozusagen die Geschlechtsdifferenz aus ihrem Programm gestrichen. Nur das ihnen gleiche Geschlecht kann ihre sexuellen Wünsche erregen; das andere, zumal die Gechlechtsteile desselben, ist ihnen überhaupt kein Geschlechtsobjekt, in extremen Fällen ein Gegenstand des Abscheus. Sie haben damit natürlich auch auf jede Beteiligung an der Fortpflanzung verzichtet. Wir nennen solche Personen Homosexuelle oder Invertierte. Es sind Männer und Frauen, sonst oft – nicht immer – tadellos gebildet, intellektuell wie ethisch hochentwickelt, nur mit dieser einen verhängnisvollen Abweichung behaftet. Sie geben sich durch den Mund ihrer wissenschaftlichen Wortführer für eine besondere Varietät der Menschenart, für ein „drittes Geschlecht“ aus, welches gleichberechtigt neben den beiden anderen steht. Wir werden vielleicht Gelegenheit haben, ihre Ansprüche kritisch zu prüfen. Natürlich sind sie nicht, wie sie auch gern behaupten möchten, eine „Auslese“ der Menschheit, sondern enthalten mindestens ebensoviel minderwertige und nichtsnutzige Individuen wie die in sexueller Hinsicht anders gearteten.

Die psychoanalytische Forschung ist nämlich genötigt worden, sich auch um das Sexualleben des Kindes zu bekümmern, und zwar dadurch, daß die Erinnerungen und Einfälle bei der Analyse der Symptome regelmäßig bis in frühe Jahre der Kindheit zurückführen. Was wir dabei erschlossen haben, ist dann Punkt für Punkt durch unmittelbare Beobachtung an Kindern bestätigt worden. Und da hat sich dann ergeben, daß alle Perversionsneigungen in der Kindheit wurzeln, daß die Kinder zu ihnen alle Anlage haben und die in dem ihrer Unreife entsprechenden Ausmaß betätigen, kurz, daß die perverse Sexualität nichts anderes ist als die vergrößerte, in ihre Einzelregungen zerlegte infantile Sexualität.

Andererseits ist es der gemeinsame Charakter aller Perversionen, daß sie das Fortpflanzungsziel aufgegeben haben. In dem Falle halten wir eine Sexualbetätigung eben pervers, wenn sie auf das Fortpflanzungsziel verzichtet hat und die Lustgewinnung als davon unabhängiges Ziel verfolgt.

Die sexuellen Perversionen der Erwachsenen hingegen sind etwas Greifbares und Unzweideutiges. Wie schon ihre allgemein zugestandene Benennung erweist, sind sie unzweifelhaft Sexualität. Mag man sie Degenerationszeichen oder anders heißen, es hat noch niemand den Mut gefunden, sie anderswohin als zu den Phänomenen des Sexuallebens zu stellen. Um ihretwillen allein sind wir zur Behauptung berechtigt, daß Sexualität und Fortpflanzung nicht zusammenfallen, denn es ist offenkundig, daß sie sämtlich das Ziel der Fortpflanzung verleugnen.

Was die perverse Betätigung trotz aller Fremdheit des Objektes und der Ziele zu einer so unverkennbar sexuellen macht, ist der Umstand, daß der Akt der perversen Befriedigung doch zumeist in vollen Orgasmus und in Entleerung der Genitalprodukte ausgeht. Das ist natürlich nur die Folge der Erwachsenheit der Personen; beim Kinde sind Orgasmus und Genitalexkretion nicht gut möglich, sie werden durch Andeutungen ersetzt, die wiederum nicht sicher als sexuell anerkannt werden.

Ich muß noch etwas hinzufügen, um die Würdigung der sexuellen Perversionen zu vervollständigen. So verrufen sie auch sein möge; so scharf man sie auch der normalen Sexualbetätigung gegenüberstellt, so zeigt doch die bequeme Beobachtung, daß dem Sexualleben der Normalen nur selten der eine oder andere perverse Zug abgeht. Schon der Kuß hat Anspruch auf den Namen eines perversen Aktes, denn er besteht in der Vereinigung zweier erogener Mundzonen an Stelle der beiden Genitalien. Aber niemand verwirft ihn als pervers, er wird im Gegenteil in der Bühnendarstellung als gemilderte Andeutung des Sexualaktes zugelassen. Gerade das Küssen kann aber leicht zur vollen Perversion werden, wenn es nämlich so intensiv ausfällt, daß sich Genitalentladung und Orgasmus direkt daranschließen; was gar nicht so selten vorkommt. Im übrigen kann man erfahren, daß Betasten und Beschauen des Objektes für den einen unentbehrliche Bedingungen des Sexualgenusses sind, daß ein anderer auf der Höhe der sexuellen Erregung kneift oder beißt, daß die größte Erregtheit beim Liebenden nicht immer durch das Genitale, sondern durch eine andere Körperregion des Objektes hervorgerufen wird, und Ähnliches in beliebiger Auswahl mehr. Es hat gar keinen Sinn, Personen mit einzelnen solchen Zügen aus der Reihe der Normalen auszuscheiden und zu den Perversen zu stellen, vielmehr erkennt man immer deutlicher, daß das Wesen der Perversion nicht in der Überschreitung des Sexualzieles, nicht in der Ersetzung der Genitalien, ja nicht einmal immer in der Variation des Objektes besteht, sondern allein in der Ausschließlichkeit, mit welcher sich diese Abweichungen vollziehen, und durch welche der der Fortpflanzung dienende Sexualakt beiseite geschoben wird. Sowie sich die perversen Handlungen als vorbereitende oder als verstärkende Beiträge in der Herbeiführung des normalen Sexualaktes einfügen, sind sie eigentlich keine Perversionen mehr.

Die perverse Sexualität ist in der Regel ausgezeichnet zentriert, alles Tun drängt zu einem – meist zu einem einzigen – Ziel, ein Partialtrieb hat bei ihr die Oberhand, er ist entweder der einzig nachweisbare oder hat die anderen seinen Absichten unterworfen.

Sigmund Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XX. Vorlesung Das Menschliche Sexualleben und XXI. Vorlesung Libidoentwicklung und Sexualorganisationen).

Und zum Schluß noch dies:

Johann Gottfried Seume, Apokryphen: „Wenn sich nur niemand fürchtete zu sagen, was die Sache ist, so würden alle Sachen besser gehen.“

Bellarmin an Mephisto

Mittwoch, 20. Mai:

In der BBC sagt der ukrainische Präsident Poroschenko, die Ukraine befinde sich nicht im Kampf gegen „Separatisten“, sondern in einer militärischen Auseinandersetzung mit Rußland. Und zwar in einem „echten Krieg“. Er begründet dies insbesondere mit der Aussage zweier Gefangener aus dem umkämpften ostukrainischen Gebiet, sie gehörten zu einer 200 Mann starken russischen Aufklärungseinheit.

 

Donnerstag, 21. Mai:

Die OSZE bestätigt, die beiden in der Ostukraine festgenommenen Russen Hauptmann Jerofejew und Feldwebel Alexandrow seien Mitglieder einer bewaffneten russischen Aufklärungseinheit, auch bereits früher auf ukrainischem Territorium im Einsatz gewesen und hatten alle Befehle als Militärangehörige ausgeführt.

Hauptmann Jerofejew: „Ich bin als Angehöriger der Armee gekommen und habe einen Befehl ausgeführt. Ich habe niemanden getötet.“

Feldwebel Alexandrow: „Das war eine Dientreise. … Um die Ortschaft auszukundschaften, sind wir ukrainische Stellungen abgegangen.“

Wie das Wiesbadener Statistische Bundesamt verlautbart, sind die deutschen Ausfuhren nach Rußland 2014 um 18 Prozent und die Einfuhren aus Rußland um sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Wegen des „Konflikts“ in der Ukraine.

Die Moskauer PRAWDA („Wahrheit“) frohlockt über den bevorstehenden Rigaer Gipfel: „Die EU hat das politische und wirtschaftliche Gewicht Russlands unterschätzt. Sie wird daher wohl auf das Projekt der Integration mit Osteuropa verzichten, denn dieses ist zu teuer und zu gefährlich geworden.“

Die kroatische Zeitung JUTARNJI LIST fragt hinsichtlich der aktuellen Lage auf dem Balkan: „Wer oder was steht hinter den Unruhen? Russland behauptet, dass die Europäische Union die politische Instabilität in Mazedonien zu verantworten hat. Mit Hilfe der Opposition wolle die EU die Regierung stürzen und dadurch auch verhindern, dass Russland eine neue Erdölpipeline durch die Türkei und Mazedonien baut. Brüssel wiederum sieht im mazedonischen Premier Nikola Gruewski eine Marionette des russischen Präsidenten Putin.“

 

Freitag, 22. Mai:

In deutschen Medien wird nicht deutlich berichtet, ob und inwieweit es in Riga zu einer gemeinsamen Abschlußerklärung kommt und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim darin verurteilt wird. Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA notiert: „Russland hat sich durchgesetzt: Die EU-Führung schränkt die Ambitionen ihrer Östlichen Partnerschaft fundamental ein. Jene Worte, wegen derer vor gut einem Jahr Menschen auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz starben, tauchen in der Deklaration des Gipfels in Riga nicht mehr auf.“

Im Moskauer Staatsfernsehen erklären die Frau des Feldwebels Alexandrow und die Eltern Hauptmann Jerofejews, die Männer hätten im Dezember 2014 und im Januar 2015 ihren Armeedienst quittiert.

 

Samstag, 23. Mai:

Präsident Putin unterschreibt ein Gesetz, das es der russischen Staatsanwaltschaft hinfort erlaubt, ausländische und internationale Organisationen zu verbieten. Mitarbeitern dieser Organisationen drohen unter anderem bis zu sechs Jahren Haft. Human Rights Watch und Amnesty International verurteilen das Gesetz als erstickend für eine Zivilgesellschaft.

Der Moskauer KOMMERSANT meint im Hinblich auf das Rigaer Gipfeltreffen: „Armenien, Weißrussland und Aserbaidschan hingegen hätten die Abschlusserklärung fast platzen lassen, wenn man nicht einen eleganten Weg gefunden hätte, den Hinweis auf die ‚Annexion der Krim‘ zu umschiffen.“

 

Pfingstsonntag, 24. Mai:

Die EU läßt in Brüssel einen Sprecher das russische Gesetz zu ausländischen Organisationen kritisieren, nachdem eine Sprecherin des Außenministerieums der USA sich „beunruhigt“ über das Gesetz gezeigt hatte, weil demnach zu befürchten sei, daß damit die Arbeit der Zivilgesellschaft in Rußland weiter eingeschränkt werde.

Der CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann wird auf dem internationalen Flughafen Moskau-Scheremetjewo zur Rückreise nach Berlin gezwungen. Der CDU-Politiker ist Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe. Er war im Mai 2014 als Wahlbeobachter der OSZE in der Ukraine.

 

Pfingstmontag, 25. Mai:

Der deutsche Botschafter in Moskau, Rüdiger Freiherr von Fritsch, wird „unverzüglich“ im russischen Außenministerium vorstellig: „Die Bundesregierung erwartet die Aufhebung der Einreiseverweigerung.“ Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes bereichert den derzeitigen Wortschatz deutscher Politiker für den Fall einer Mißbilligung um ein zweites: Die russische Maßnahme sei nicht nur „inakzeptabel“, sondern auch noch „unverständlich“. In originaler Reihenfolge: „unverständlich und inakzeptabel“.

Zur Verständlichkeit: Wellmann solle behauptet haben, der „Krieg“ in der Ostukraine sei ein russischer Krieg, die Separatisten seien Werkzeuge der Russen, zu denen es einen permanenten Zufluß von Munition, von Waffen, von Kämpfern und von Logistik aus Russland gebe.

Welche Äußerungen von deutschen Medien vor und nach der Einreiseverweigerung nach meiner nicht unaufmerksamen Zählung null mal erörtert und null mal auch nur erwähnt wurden in dem ganzen Zusammenhang.

Udo Voigt (NPD) wird die Einreise zu einem europäischen Treffen rechter Gruppierungen nach Sankt Petersburg gestattet

 

Dienstag, 26. Mai:

In Rußland beginnt unangekündigt ein Manöver der Luftwaffe mit etwa 12.000 Soldaten und 250 Kampfflugzeugen.

 

Mittwoch, 27. Mai:

Der Nachrichtendienst des Deutschlandfunks meldet:

„NATO-Generalsekretär Stoltenberg sieht russische Äußerungen zum Gebrauch von Atomwaffen nach eigenen Angaben mit Sorge. Rhetorik, Übungen und Operationen Moskaus seien zutiefst beunruhigend, sagte Stoltenberg in einer Rede in Washington. Er warnte Russland davor, Atomwaffen auf der Krim sowie atomwaffenfähige Raketen in der Exklave Kaliningrad zu stationieren. Dadurch würde das sicherheitspolitische Gleichgewicht in Europa verändert.
Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt sicherte Stoltenberg auch den Nicht-Mitgliedern Ukraine, Geogien und Moldawien die Unterstützung der NATO zu. Die Länder seien keine Pufferzonen, sondern souveräne Staaten.“ (Hervorhebung von mir… Seltsam, auch die Erwähnung oder gar Erörterung jener nicht gänzlich unwichtigen russischen Äußerungen in unseren öffentlich- rechtlichen Medien sind meiner Aufmerksamkeit leider entgangen. Zur Erinnerung aus dem stolzen Pressekodex: “Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberstes Gebot der Presse.”)

Apropos Medien: Die Medienaufsicht der Ex-Sowjetrepublik Moldau sperrt den russischen Fernsehkanal Rossija 24 wegen voreingenommener Berichterstattung insbesondere im Hinblick auf den Ukraine-“Konflikt“.

In Rußland wird eine sogenannte „Visasperrliste“ mit Einreiseverboten für westeuropäische Politiker veröffentlicht. Weder Gerhard Schröder, Matthias Platzeck, Gernot Erler sind dort erwähnt noch irgendein einziger Politiker der SPD. Ebenfalls wird kein Mensch der deutschen Wirtschaft geehrt.

Kein Name sagt mehr als tausend Worte.

 

Donnerstag, 28 Mai:

In Moskau unterzeichnet Präsident Putin aus irgend einem Grund ein Dekret, demzufolge der Tod von Soldaten bei „Spezialeinsätzen“ auch zu Friedenszeiten hinfort als Staatsgeheimnis gilt.

Bisher sollen in der Ukraine mindestens 200 russische Soldaten gefallen sein, nach dem von russischen Oppositionellen zwei Wochen zuvor vollendeten Bericht des ermordeten Nemzow.

 

Freitag, 29. Mai:

Ein Satz aus deutschen Nachrichten: „Bundesaußenminister Steinmeier hat die ukrainische Regierung zur vollständigen Einhaltung der Friedensvereinbarungen von Minsk aufgefordert.“

Als Voraussetzung für eine Lösung in der Ost-Ukraine bezeichnt er in Übereinstimmung mit seinem russischen Amtskollegen Lawrow, daß sich beide „Konflikt“-Parteien an einen Tisch setzten und dort auch blieben.

Hinsichtlich des Skandals in der FIFA bemerkt die slowakische Zeitung DENNIK: “Dennoch versucht der russische Präsident Wladimir Putin nun, den FIFA-Skandal auf einen Kampf zwischen Ost und West zu reduzieren.“

 

Samstag, 30. Mai:

Die russische KOMSOMOLSKAJA PRAWDA schreibt in Anlehnung an Äußerungen Putins im Bezug auf die Rolle der Amerikaner und Europäer im FIFA-Skandal: „Doch bereits am Donnerstag war klar, dass sie die Wiederwahl von Joseph Blatter nicht würden verhindern können. Blatter wird nun konsequent an der Entscheidung festhalten, die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland stattfinden zu lassen. Das war das eigentliche Ziel der Amerikaner: Indem sie die FIFA in einen vermeintlichen Korruptionsskandal stürzten, wollten sie die WM in Russland verhindern.“

Wie von deutschen Medien nicht gemeldet, tagte besetzt mit hochkarätigen Historikern aus aller Welt in Berlin eine „deutsch-ukrainische Historikerkonferenz“. Im Vorfeld der Konferenz hatten einige deutsche Historiker sich skeptisch gezeigt, weil man Rußland damit verärgern könnte. In seiner Eröffnungsrede meinte der renommierte Historiker Timothy Snyder: „Man kann geschichtliche Recherche in einer freien Welt nicht dem unterwerfen, was russische Politik zulässt oder nicht.“

 

Sonntag, 31. Mai:

Der Vorsitzende des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, Cordes, kritisiert das Fehlen, also den Ausschluß Putins vom bevorstehenden G7-Treffen. Das wäre eine verpaßte Chance, ein solches Treffen könne einen Beitrag zur Krisenlösung leisten und Russland zu konstruktiven Schritten im Ukraine-“Konflikt“ bewegen…. Ebenso forderte der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Platzeck die Rückkehr Putins in die Gipfelrunde.

 

Montag, 1. Juni:

Die britische Plattform Bellingcat berichtet, Moskau soll die Satellitenfotos zum Absturz der malaysischen Passagiermaschine über der Ostukraine gefälscht haben. Nachweislich seien sie am 16. Juli, also einen Tag vor dem Absturz, aufgenommen und mit späteren Aufnahmen manipuliert worden. Seinerzeit war das Material mit der dümmlich verräterischen ordinären russischen Promptheit als Beweis einer ukrainischen Verantwortung für den Abschuß, der 298 Menschen ihr Leben kostete, präsentiert worden.

Unterdessen weist der russische Außenminister Lawrow die europäische Kritik an den Einreiseverboten nach Rußland zurück, denn die Betroffenen hätten vor eineinhalb Jahren aktiv in der Ukraine(!) einen Staatsstreich unterstützt.

Eine Erörterung oder gar eine Replik dieser bemerkenswerten Begründung in deutschen Medien oder gar von deutschen Politikern findet nicht statt.

 

Dienstag, 2. Juni:

In den STUTTGARTER NACHRICHTEN setzt sich Frank-Walter Steinmeier für die Rückkehr Rußlands in die „Runde der größten Industriestaaten“ ein. Man brauche Moskau bei der Lösung der vielen Krisen und Konflikte auf der Welt.

Daniel Gros, der Leiter des Centre for European Policy Studies in Brüssel meint zu dem langjährig aufrechterhaltenen Traum, Russland als dauerhaften Partner bei der Lösung von globalen Herausforderungen an der Seite der G7-Staaten zu haben: „Das war immer nur eine Hoffnung. Eine Hoffnung, die vielleicht am Anfang berechtigt war. Es gibt natürlich immer viele Faktoren, die bei diesem Rückschlag mitspielen. Ein Element, was man vielleicht von vornherein miteinbeziehen hätte müssen, ist, dass Russland ja keine normale Volkswirtschaft hat, sondern seine Exporte fast zu 90 Prozent von Erdöl, Erdgas und anderen Rohstoffen abhängt. … Im Grunde ist es so, dass nach dem Ausscheiden Russlands man jetzt sozusagen wieder unter sich ist. Es war immer ein bisschen merkwürdig, Russland mit am Tisch zu haben, weil Russland nicht wirklich eine große Weltwirtschaft war. Es war immer schon auf Sand gebaut, das ökonomische Modell Russlands. Es war im Grunde eine klare politische Entscheidung. Man hatte gehofft, durch die Einbindung Russlands, dass dann auch es politisch damit würde beeinflussen können, um Russland das Gefühl zu geben, dass es in dieser Familie der westlichen großen Nationen sozusagen einen Platz findet. Und damit natürlich die Hoffnung verbunden, dass sich auch die russische Politik moderiert.“

Ebenso spricht Jan Techau, Direktor von Carnegie Europe, der Brüsseler Dependance des renommierten amerikanischen Thinktanks, von einem „geplatzten Traum“, mit dem sich die G7-Staats- und Regierungschefs jetzt auf Schloss Elmau auseinandersetzen müßten. Man habe wirklich gedacht, man könnte Russland nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch modernisieren. Dieser Traum sei auf mittlere und längere Sicht erst einmal ausgeträumt. (Quelle: Deutschlandfunk)

Mein Gott, Frank-Walter!

Rußland ist kein Partner!

Rußland ist Gegner!

Unerkannt – um so gefährlicher!