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Samstag, 25. Februar 2023: Der Ritter vom heiligen Geist an Mephisto
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Mittlerweile wäre es durchaus angebracht beim derzeitigen Niveau des bundesdeutschen Journalismus, eine Sendeanstalt zu gründen für Poesie und Geschichte und Philosophie und Romantik und Duke Ellington und Johann Sebastian Bach. Frei von jeglichem Wetterbericht. Dafür mit neugierigen Blicken auf Menschen und ihre Umstände und die Ereignisse und Begebenheiten in unseren Nachbarländern.
Und mit den ungemeldeten Meldungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten!
Bei Ausbruch eines der unzähligen Gaza-Kriege kam einmal (!) in einem Halbsatz die Meldung, daß die Hamas jeden Israeli als „legitimes Ziel“ ausgegeben, also zur Ermordung freigegeben habe.
Das war 2014.
Als jener Halbsatz nachrichtlich einmal gesendet worden war.
2014, Du erinnerst Dich?
Erinnerst Du Dich zum Beispiel auch an Südossetien und Abchasien?
Wo Russen auf einem Fünftel georgischen Territoriums die geraubten Gebiete mit dem Ausbau von Grenzbefestigungen und mit provokativen Militärübungen absicherten und gegen jedes Völkerrecht den georgischen Luftraum drohend mit ihren Kampfjets durchpfiffen?
Bis heute vollkommen ausgeblendet vom bundesdeutschen Journalismus.
Der „Konflikt“ sei nicht mit militärischen Mitteln zu lösen, lautete 2014 das von der bundesdeutschen öffentlich-rechtlichen Hofberichterstattung wiedergekäute steinmeiersche Mantra deutscher Außenpolitik.
Im Hinblick auf den bis heute im allgemeinen bundesdeutschen Bewußtsein nicht wahrgenommenen Kriegsbeginn in der Ukraine.
Wie Vergangenheit und Gegenwart aber lehren, gibt es auch „Konflikte“, die allen Hoffens und Wünschens zum Trotz sich nicht unmilitärisch lösen lassen.
Albert Einstein, der 1914 im Zusammenhang mit der Kriegsbegeisterung insbesondere seiner deutschen Wissenschaftskollegen von „Großhirnamputierten“ sprach, sich in der Folge für absolute Kriegsdienstverweigerung einsetzte, der „Internationale der Kriegsdienstverweigerer“ seine Mitarbeit anbot, der Gründung einer „Internationalen Einstein-Kriegsdienstverweigerer-Stiftung“ zustimmte und noch 1929 auf eine Zeitschriftenanfrage erwidert hatte: „Ich würde alle Kriegsdienste uneingeschränkt verweigern und würde auf meine Freunde einwirken, dasselbe zu tun, ganz gleichgültig, welcher Grund für den Krieg auch angegeben ist“, soll nach 1933, als er von belgischen Kriegsdienstverweigerern gefragt wurde, wie sie sich im Fall eines deutschen Angriffs denn nun verhalten sollten, geantwortet haben, dann müsse jeder, so gut er könne, für die Freiheit seines belgischen Vaterlandes kämpfen.
Not hätte spätestens 2014 endlich die Entwicklung einer Strategie aus der Analyse einer Gesamtsicht getan. Vor allem unter Einbeziehung der historischen Fakten. Denn die kurze Gorbatschow-Ära war ja nur die regelbestätigende Ausnahme in der jahrhundertalten Geschichte des russischen Imperialismus.
Was treiben eigentlich die hochdotierten Intelligenzbestien in den sogenannten Denkfabriken? Wofür werden sie bezahlt?
Solange man in Deutschland nicht begriff und nicht nur bei Friedensmanifest-Unterzeichnern immer noch nicht begreift, daß der Kreml unter dem gestirnten Himmel immer nach anderen Regeln spielt als nach denen der aristotelischen Logik und des kantschen Moralprinzips, wird man, wie gehabt, auch fürderhin alle paar Jahre staunend aus den Wolken plumpsen. Wie so oft schon die deutsche Wirtschaft in ihrem unermüdlichen Bemühen um den ach so vielversprechenden russischen Markt. Da kommt mir, im Gegensatz zu deutschen Medien, nicht nur das Heulen und Zähneklappern anläßlich des Röhrenembargos während des Kalten Krieges in den Sinn. Schon mit bescheidenem Erinnerungsvermögen könnten deutsche Journalisten tatsächlich zu treffenderen Entwicklungsprognosen gelangen als deutsche Industriemanager mit Eliteabschlüssen in Wirtschaftswissenschaften!
Zum Beispiel erinnere ich mich an E.on-Chef Johannes Theyssen, an seine Antwort auf die Frage im März 2014, ob er nach der Verschärfung der sogenannten Ukraine-Krise Angst habe um seine Investitionen: „Nein, dazu gibt es keinen Anlaß.“
Das ruhmredige Rußland, das Reich der Lüge, ist kein Partner, und das hätte man ohne viel Mühe im voraus wissen können.
Und wissen müssen!
Stattdessen gingen die öffentlich-rechtlichen Medien völlig unkritisch konform mit den sozialdemokratischen Wunschvorstellungen, daß der von ihnen zur Krise verniedlichte Krieg in der Ostukraine mit Mitteln der „neuen Ostpolitik“ à la Willy Brandt und Egon Bahr zu befrieden sein werde.
Womit die deutsche Außenpolitik ihres seinerzeitigen sozialdemokratischen Außenministers aber vorhersehbar scheiterte.
Der eine Grund lag in der permanenten Verkennung der Situation. Zum Beispiel hatten wir es hier 2014 nicht zu tun mit einem Kalten Krieg. Sondern mit einem heißen. Ein weiterer Grund war die Verkennung des Interessenwandels der russischen Seite von damals zu heute. Damals hing das Interesse Sowjet-Rußlands an einer Anerkennung der europäischen Nachkriegsordnung, insbesondere einer Sanktionierung der bestehenden Grenzziehung, also an der diplomatischen Absicherung ihrer heimtückisch zusammengeraubten Einfluß-Sphäre in Ost-Europa. Übrigens inklusive einer Anerkennung des Hitler/Stalin-Paktes im Hinblick auf die russische Besetzung der baltischen Staaten! Die sie vermittels der neuen Ostpolitik und der KSZE im Gefolge auch erhielt.
Seit der Selbstbefreiung des Ostblocks handelt das russische Interesse jedoch von Veränderung bestehender Grenzen!
Und von Beschneidung nachbarstaatlicher Souveränität.
Weiterhin ging die Fehleinschätzung immer noch aus von der Rückgewinnung einer vermeintlichen Partnerschaft zwischen dem Westen und dem Reich der Lüge, dem ruhmredigen Rußland. Man verkannte in gefährlicher Weise die Gegnerschaft. Man ignorierte sträflich historische Entwicklungen.
Aus Angst vor der Realität.
Aus Angst, daß nicht sein könne, was nicht sein dürfe.
Beispiel im Detail: Auf deutscher Seite bildete man sich tatsächlich ein, die Ukraine müsse mit den „Separatisten“ verhandeln! Als wären das legitime Vertreter ihrer Region!
Weil man den so genannten Konflikt durch die Brille der inzwischen fünfundvierzig Jahre alten neuen Ostpolitik betrachtete, wurde man Opfer putinscher Propaganda.
Der Kreml freute sich!
Und man gab sich immer noch Illusionen hin bezüglich putinscher Absichten und glaubte, den Imperialisten beschwichtigen zu können. Und man hatte immer noch nicht zur Kenntnis genommen, daß achtzig Prozent der Russen hinter ihm stehen, mindestens, und daß sich vom bescheidenen Rest so gut wie niemand gegen ihn zu mucksen traut und sein Parlament auf Kommando ehrlich begeistert die ungeheuerlichsten Gesetze durchwinkt.
Man fragte sich, tatsächlich, immer noch, was der Auftraggeber von Auftragsmorden eigentlich wohl wollen möge.
Zurück zum Speziellen: Wäre es nicht, wenigstens, schon damals an der Zeit gewesen nach all den Jahren und Ereignissen für einen sich als kritisch verstehenden Qualitätsjournalismus, die so genannten Separatisten als camouflierte Söldner Rußlands zu klassifizieren? In Donezk mußten die „Aufständischen“, deren Uhren Moskauer Zeit statt mitteleuropäischer Zeit anzeigten, sich bei der Besetzung der Stadt von deren Einwohnern den Weg zum zentralen Lenin-Platz erklären lassen. Wenn die Antwort lautet JA, durfte man diese Soldateska nicht, wie von russischer Seite gefordert aus irgend einem Grund (aber mit welchem Recht?), zu gleichberechtigten Verhandlungspartnern aufwerten und ihnen womöglich nach russischer Interessenlage noch Zugeständnisse hinsichtlich der Verfassungsstruktur der Ukraine zubilligen.
Rußland hatte und hat in ukrainischen Verfassungsfragen nicht mit am Tisch zu sitzen!
Auch nie indirekt!
Und Rußland hat, und völlig unkommentiert von den sich als kritisch verstehenden öffentlich-rechtlichen Medien Deutschlands, sich erdreistet, ukrainischen Staatsbürgern russische Pässe auszustellen!
Wenn es 2014 also kein Volksaufstand armer unterdrückter Russen war in der Ostukraine und auf der Krim, hätte man dann nicht umgekehrt schlußfolgern können und müssen, daß es eher seitens der Ukraine sich um einen Kampf für Selbstbestimmung handelte gegenüber der jahrhundertalten imperialen Unterdrückung der Nachbarvölker durch Rußland?
Wohingegen unsere ausgewogenen öffentlich-rechtlichen Medien es nicht einmal fertig gebracht hatten, unempört über ein angebliches „Verbot der russischen Sprache“ zu berichten! In Wahrheit jedoch sollte in der Ukraine nicht die russische Sprache verboten, sondern Russisch als zweite Amtssprache abgeschafft werden! Und zwar als eine der ersten Gesetzeshandlungen einer neuen, endlich Handlungsfähigkeit gewinnenden Regierung.
Demnach hatte es sich um die legitime Rücknahme einer typischen Methode der Russifizierung fremder Territorien gehandelt, einer über die Sprachenpolitik gängigen russisch-chauvinistischen Anmaßung gegenüber anderen Völkern. Über die in deutschen öffentlich-rechtlichen Medien erst gar nicht und dann vollkommen im Sinne russischer Greuelpropaganda berichtet worden war.
Statt mittels sachkundiger Hintergrundrecherche.
Im mildesten kann man hier mangelnde Sorgfalt unterstellen. Wenn man jedoch bessere Zeiten journalistischer Berichterstattungskompetenz erlebt hat und sich die Mängel häufen, sollte man sich einer gewissen Unmilde nicht verschließen.
Allein diese Tatsache würde ein kompetenter Journalist der alten Schule, ungeachtet ihrer politischen Klugheit oder Unklugheit oder politischen Korrektheit, als eklatanten Hinweis auf einen Unabhängigkeitskampf, nämlich als Bestandteil eines Befreiungsversuchs von langjähriger russischer Bevormundung gewertet haben. Statt, wie von russischer Propaganda gewünscht, und in diesem Sinne von deutschen Medien kolportiert, als Knechtung einer Minderheit.
Gravitätisch warnte der deutsche Außenminister vor einem neuen Kalten Krieg.
Während Rußland einen heißen Krieg führte!!
Mit dem strategischen Ziel einer Etablierung der Russen in „Neurußland“.
Wie der vormalige Leiter des „Zentrums für konservative Forschung“ an der Staatlichen Moskauer Universität, der einflußreiche Alexander Dukin, die Ostukraine (mindestens!) bezeichnete. Und Etablierung der Russen wenigstens mittels der sogar durch den russischen Außenminister und putinschen Paladin Sergej Lawrow geforderten russischen „Friedenstruppen“!
Russische „Friedenstruppen“ in der Ukraine!
Wohl ähnlich, die deutschen Medien bringen es nicht fertig, diese historischen Zusammenhänge zu sehen, geschweige denn aufzuzeigen, wohl ähnlich der widerrechtlich in Transnistrien stationierten.
Russische Friedenstruppen!
Russische Friedenstruppen getarnt als OSZE-Friedensmission unter Absegnung der kritikfrei in deutschen Medien behandelten steinmeierschen Außenpolitik.
Oder durch direkte Intervention russischer Truppen zum Schutz der „unterdrückten“ russischen Bevölkerung.
Unsere öffentlich-rechtlichen Medien haben bis heute nicht ein einziges Mal die Frage ihrer Mitschuld an dem absurd falschen Rußlandbild in Deutschland thematisiert. Symptomatischerweise ist eine derartige Idee dort wohl noch nie aufgetaucht…
Am Morgen des 15. August 2014 meldete im Deutschlandfunk ein deutscher Berichterstatter die Beobachtung seiner britischen Kollegen, daß russische Grenzer einen russischen Militärkonvoi die ukrainische Grenze passieren „gelassen“ hätten. Das klang von dem deutschen Berichterstatter, als hingen die putinschen Militärtransporte für seine fünfte Kolonne in der Ukraine ab von der gnädigen Zustimmung des russischen Zolls!
Eine seltsame Ahnung läßt mich vermuten, daß der Bericht über dieselbe Sache bei den angelsächsischen Kollegen realitätsnäher gelautet haben könnte.
Als ein mutmaßlicher, hier wäre das derzeitige Lieblingswort deutscher Nachrichtensendungen einmal angebracht, als ein russischer „Lebensmittelkonvoi“ völkerrechtswidrig unkontrolliert die ukrainische Grenze durchbrach, fragte der deutsche Journalist tatsächlich, ob dies auf Anordnung Putins geschähe. Antwort: Man sage, er sei in Kenntnis gesetzt, er wisse davon… Und im Deutschlandfunk formulierte der Nachrichtenmoderator flapsig, auf Seiten des „Lebensmittelkonvois“ wäre nun eben mal der Geduldsfaden gerissen…
Insinuierend wegen der langen Wartezeit…
Sancta simplicitas!
Und um noch eins draufzusetzen: Am Tag davor informierte eine bundesdeutsche Journalistin über die putinsche Rede auf der nun russisch besetzten Krim. Er habe gesagt, daß er alles in seiner Macht stehende tun werde, den Krieg in der Ostukraine schnellstmöglich zu beenden. Die Journalistin äußerte prompt die Hoffnung, daß Putin dieses Versprechen bald umsetzen möge. Mit der üblichen bundesdeutschen Naivität hatte sie Putins Worte als zwar überfälliges aber positives Einlenken gedeutet.
Und ich als Drohung.
Erschütternd die einsame Stimme der russischen Schriftstellerin Ljudmilla Ulitzkaja im damaligen SPIEGEL (Nr. 34/2014):
Mein Land krankt an aggressiver Unbildung, Nationalismus und imperialer Großmannssucht.
Ich schäme mich für mein ungebildetes und aggressives Parlament, für meine aggressive und inkompetente Regierung, für die Staatsmänner an der Spitze, Möchtegern-Supermänner und Anhänger von Gewalt und Arglist, ich schäme mich für uns alle, für unser Volk, das seine moralische Orientierung verloren hat.
Mein Land bringt die Welt mit jedem Tag einem neuen Krieg näher, unser Militarismus hat bereits in Tschetschenien und Georgien die Krallen gewetzt, und nun trainiert er auf der Krim und in der Ukraine.
Leb wohl, Europa, ich fürchte, wir werden nie zur europäischen Völkerfamilie gehören.
Denn der Krieg Rußlands gegen den Westen begann weder 2022 noch 2014, sondern er ist Jahrhunderte alt, die Ideen des Westens waren den russischen Altgläubigen, dem „Raskol“, den „Raskolniki“, schon immer abartig. Und er wird so schnell nicht enden. Denn der jahrhundertalte Krieg Rußlands gegen den Westen ist in Wahrheit ein mental-kultureller. Im ruhmredigen Rußland, in dem Lüge als Staatsräson gilt neben der Menschenverachtung, geht es permanent neben dem ordinär russischen Wahn der primitiven Verwechslung von Quantität mit Qualität (je größer, bunter, goldiger greller, protziger, um so schöner, und je größer das Land, desto besser das Land), im ruhmredigen Rußland geht es um nichts weniger als die Bewahrung des menschenverachtenden Anspruchs einer staatlichen Allmacht sowohl über jeden Eingeborenen als auch über jeden per direkter Landnahme oder per Unterwanderung Unterjochten. In Rußland herrscht deshalb zwangsläufig Angst vor selbständig denkenden Menschen. Und darum muß Rußland gegen den Westen kämpfen.
Rußland kämpft gegen das Individuum.
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