A N A B A S I S

Thalatta ! Thalatta !

Monatsarchive: Januar 2015

Bellarmin an Mephisto

In letzter Zeit erlebte ich zwei- oder vielleicht auch dreimal, daß sich Vertreter unserer Medienlandschaft und sogar Politik ziehen, Fehler gemacht zu haben! So räumte etwa der Intendant des Deutschlandfunks am 10. Januar ein, zwar komme es auch in den Programmen des Deutschlandradios gelegentlich zu inhaltlichen Fehlern, allerdings nicht zu substantiellen. Und die STUTTGARTER NACHRICHTEN legten vier Tage später nach, Journalisten machten Fehler, doch immer finde Selbstbesinnung statt. 1953 hatte Bertolt Brecht ein Gedicht geschrieben mit dem Titel  NICHT  FESTSTELLBARE  FEHLER  DER  KUNSTKOMMISSION:

… Befragt

Welcher Fehler, freilich konnten sie sich

An bestimmte Fehler durchaus nicht erinnern. …

Trotz eifrigsten Nachdenkens

Konnten sie sich nicht bestimmter Fehler erinnern, jedoch

Bestanden sie heftig darauf

Fehler gemacht zu haben – wie es der Brauch ist.

Nur ausgerechnet der auf Biegen und Brechen sich als legerer Privatmensch inszenierende und auffallend unauffällig schlipslos, regenjacke- und pullovercamoufliert zur Pegida-Diskussion schleichende Sigmar Gabriel, dem der NEUE TAG daraufhin nüchternes politisches und wenig ehrlich anmutendes Kalkül unterstellte aus irgend einem Grund, und DIE WELT das Verspielen seiner „ohnehin bescheidenen Glaubwürdigkeit“, äußerte die Idee, wenn das nicht mehr erlaubt sei, müsse man selbst über Political Correctness nachdenken.

Wetten, daß das keine Diskussion gibt? Wetten, daß, wenn überhaupt, keine öffentliche Fehlerdiskussion stattfindet? Wetten, daß das Wesentliche nicht diskutiert wird?

Mephisto an Bellarmin

Nun ist es nicht so, daß der als Freund klarer Worte apostrohierte Justizminister seinen Scharfsinn nicht auch noch zum Lösen eines weiteren Problems unseres Gemeinwohls beizusteuern wußte in seinem Interview am 12. Januar:

Heuer: Sie sind gegen die Vorratsdatenspeicherung, gegen ihre Wiedereinführung. Ist das nicht fahrlässig nach dem Terror in Frankreich?

Maas: Nein. Fahrlässigkeit ist allenfalls, den Leuten weißzumachen, dass die Vorratsdatenspeicherung geeignet wäre, solche Anschläge zu verhindern. In Frankreich gibt es eine Vorratsdatenspeicherung, sie hat die Anschläge nicht verhindert. Der Europäische Gerichtshof hat im April des letzten Jahres dagegen entschieden, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nichtig ist, weil sie gegen die Grundrechte verstößt. Und im Übrigen: Alle nehmen für sich in Anspruch: Je suis Charlie. Wir verteidigen unsere Freiheit und auch die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit. Die Vorratsdatenspeicherung wird auch zu mehr Überwachung von Presse und Journalisten führen. Das heißt, wir würden genau das machen, was die Terroristen eigentlich wollen, nämlich unsere Freiheit und unseren Rechtsstaat einschränken, und deshalb finde ich das auch aus diesem Grund völlig kontraproduktiv.

Heuer: Herr Maas, finde ich auch alles nicht schön, aber es könnte ja ein effektives Instrument sein, jedenfalls sagen das viele, weil selbst wenn Anschläge nicht vorher verhindert werden können, man doch hinterher die Hintergründe und Hinterleute finden kann. Können Sie wirklich auf ein solches Instrument im Kampf gegen den Islamismus verzichten in den Zeiten, die wir gerade erleben?

Maas: Wissen Sie, wenn der Europäische Gerichtshof Entscheidungen trifft, dann werden sich alle daran halten müssen, unabhängig davon, ob ihnen das gefällt oder nicht.

Heuer: Das ist aber eine Frage der politischen Gespräche und der Art und Weise, wie man solche Gesetze dann anfasst.

Maas: Wenn der Europäische Gerichtshof entscheidet, dass etwas nichtig ist, weil es gegen die Grundrechte verstößt, dann kann die Politik nicht hingehen und sagen, interessiert uns nicht.

Heuer: Und die Innenminister der SPD, die dafür sind, die liegen falsch?

Maas: Der Europäische Gerichtshof hat gesagt, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen die Grundrechte verstößt.

Was dem Minister eben fehlt an rhetorischer Begabung und vermutlich auch an dialektischem Denkvermögen, glaubt er wettmachen zu können durch Monotonie. Man fühlt sich erinnert an den finalen Auftritt des Rumpelstilzchen in der Kammer der Königstochter, wie es sich, mit dem rechten Fuß aufstampfend, selbst als Pflock in den Boden rammt: „Das hat dir der Teufel gesagt! Das hat dir der Teufel gesagt!“

„Niemals noch hängte sich die Wahrheit an den Arm eines Unbedingten“, meint hingegen Nietzsches Zarathustra.

Indessen sollte man, neben der als vermeintliche Argumentverstärkung dargebrachten monotonen Wiederholung, immerhin die Beherrschung eines zweiten rhetorischen Tricks, dessen sich unser Justizminister bedient, anerkennen. Wenn er auch mies ist, der Trick. Nämlich des Tricks, ein nicht existentes Gegenargument zu widerlegen. Denn davon abgesehen, daß es die Vorratsdatenspeicherung nicht nur in Frankreich gibt, sondern, soweit ich es weiß, auch in unseren Nachbarländern, ist mir kein Mensch bekannt, der behauptet hätte, vermittels Vorratsdatenspeicherung wäre der Anschlag in Frankreich noch irgendein anderer verhindert worden. Und als Interviewer hätte ich den Heiko Maas schon gefragt, ob er denn da dem interessierten Publikum jemanden nennen könne.

Sein Trick ist freilich abgedroschen in seiner Intention, anhand der beispielhaft vorgeführten Widerlegung einer behaupteten gegnerischen Behauptung die gegensätzliche Argumentation damit in ihrer Gesamtheit als unglaubwürdig zu diskreditieren. So daß hier im Speziellen möglichst auch nicht weiter auffalle, wie Maas ein politisches Argument gegen ein, wenn auch nicht gegebenes, sachliches setzt, um eben jener von ihm wohl eher gefürchteten sachlichen Diskussion auszuweichen. Welche seine ideologischen Scheuklappen offenbarte.

Man nennt das Vermeidungsstrategie.

Noch mieser wird die Trickserei des Justizministers, wenn er gegnerische Argumente dadurch abzuwehren versucht, indem er sie auf das Niveau terroristischer Absichten drückt.

Die Terroristen würden „genau das“ bezwecken!

Einmal glaube ich, Terroristen wollen ganz etwas anderes. Weiterhin zöge ich als Justizminister durchaus in mein Kalkül, daß Terroristen eher nicht wollen, daß man nun die Vorratsdatenspeicherung einführte.

Und unverdrossen einmal angenommen, es wäre dennoch so, daß die Terroristen „genau das“ erreichen wollten mit ihren Mordtaten, nämlich die Einführung der Vorratsdatenspeicherung, wieso sollten wir uns darob vorschreiben lassen, worüber wir sachlich nachdenken, reden und eventuell, völlig unabhängig vom Willen und Wollen terroristischer Gewalttäter, letztendlich entscheiden? Ich würde das Handeln der zivilisierten Welt nicht hängen an Hirne von Massenmördern.

Aber wie gesagt, den Trick, erfundene Gegenargumente zu widerlegen, den Trick beherrscht Heiko Maas.

Am selben Tage meinte der bereits angeführte Politikwissenschaftler Werner Patzelt in seinem Interview auf die Fragen des Moderators Mario Dobovisek:

Dobovisek: Schärfere Gesetze – wir haben die Debatte gerade mitverfolgen dürfen. Ist das der richtige Weg, Herr Patzelt?

Patzelt: Ich halte nichts davon, dass man oder wenn man nach Anschlägen zunächst einmal nach einer Verschärfung von Gesetzen ruft. Das erfüllt oft genug den Tatbestand rein symbolischer Politik oder rein symbolischer Forderungen. Was man freilich tun muss ist, auf Praktiker hören, auf jene Praktiker, die wir dafür bezahlen, dass sie uns im Rahmen des Möglichen vor Terrorangriffen schützen, und wo immer Praktiker meinen, dass bestimmte gesetzliche Rahmenbedingungen verändert werden müssten, um ihnen ihre Aufgabe zu erleichtern, da soll man sie ernst nehmen. Und man sollte zwar darauf achten, dass die Bürgerrechte nicht eingeschränkt werden, aber man sollte sich auch vor Hysterie dem eigenen Staat gegenüber bewahren, denn unser Staat ist nun einfach keiner, der es darauf anlegt, sich in eine Diktatur zu verwandeln, sondern einer, dem man durchaus vertrauen kann.

Dobovisek: Welche Schritte sehen Sie dennn als angemessen an, ohne dem Aktionismus zu verfallen?

Patzelt: Mir scheint, man kann schon intensiv über Vorratsdatenspeicherung nachdenken. Sie hilft zwar nicht bei der Prävention, sehr wohl aber bei der anschließenden Aufklärung, und aus der Aufklärung wiederum können präventiv wirksame Kenntnisse gezogen werden. Bei der Kriminalisierung oder Bestrafung der Finanzierung von Terror wird man ansetzen können und wir haben natürlich in Europa das Problem der offenen Grenzen, wobei man dafür vermutlich so schnell keine tragfähige Lösung finden wird.

Vier Tage später, am Freitag der Vorwoche, ein Interview zum selben Thema, ebenfalls im Deutschlandfunk:

Zagatta: Aus Ihrer Sicht, haben denn die Vertreter der Polizei oder Vertreter der Kriminalpolizei, die bei uns im Programm oder überall in den Medien im Moment die Befürchtung äußern, sie würden von der Politik nahezu im Stich gelassen, haben die recht aus Ihrer Sicht?

Krause: Ja, das kann man, kann ich nachvollziehen, weil in der Politik wird ja meistens über ganz andere Dinge geredet. In der Politik wird geredet darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Das ist philosophisch gesehen sehr interessant, aber es geht hier um eine ganz, ganz spezifische radikale Auslegung des Islam, und da sollte man nicht immer alle Muslime gleich mit in die Verantwortung ziehen. Oder es wird darüber geredet, wie schlimm die Vorratsdatenspeicherung sei, obwohl das Bundesverfassungsgericht eigentlich sehr genau gezeigt hat, was man da machen kann und was man nicht machen darf. Die politischen Diskussionen bewegen sich meines Erachtens zum Teil in einer Sphäre, die ich nicht mehr nachvollziehen kann.

Zagatta: Was wäre aus Ihrer Sicht nötig? Ich höre bei Ihnen jetzt heraus, Sie wären dafür, die Vorratsdatenspeicherung so schnell wie möglich einzuführen, verfassungsgemäß.

Krause: Ja! In einer Art und Weise, wie sie vom Grundgesetz für verfassungswidrig gehalten wird. Und was tut die Bundesregierung? Sie versteckt sich jetzt hinter der Europäischen Kommission und sagt, wir warten erst, bis die Kommission einen Vorschlag macht, und dann tun wir was. Das ist wieder eine unendliche Hinausschiebung einer Problematik, die wir uns eigentlich nicht leisten können, denn die Vorratsdatenspeicherung, wenn sie verfassungsgemäß gemacht wird, kann dazu führen, daß Netzwerke aufgeklärt werden, und das ist ganz wesentlich, weil es hier immer Netzwerke gibt bei diesen Terroristen oder bei diesen Terrorverdächtigen. Was wir auch noch brauchen ist natürlich eine Verstärkung der Bundesbehörden und der Landesbehörden, die sich mit der Terrorbekämpfung befassen. Und was wir noch viel wichtiger brauchen ist, dass wir endlich diese salafistischen Milieus, die es bei uns gibt, in, ich sage mal, irgendwelchen Nebenmoschees oder um bestimmte Hassprediger herum oder in bestimmten Orten – Verviers‘ gibt es in Deutschland nämlich auch sehr viele -, dass wir diese Dinge angehen und dass wir dahinter stehenden Probleme, die hauptsächlich Probleme von Migranten sind, die hier nicht richtig integriert werden können oder nicht richtig integriert werden wollen, dass wir diese Probleme stärker angehen. Aber das ist auch so ein Bereich, wo die Politik immer nur darüber redet, wie schön es eigentlich ist, dass wir Ausländer haben, aber nicht über die Probleme redet. Die Probleme, die es bei der Integration von Ausländern gibt, werden von uns eigentlich eher tabuisiert.

Zagatta: Professor Joachim Krause, der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Herr Krause, danke schön für das Gespräch.

Krause: Ja, gern geschehen.

 

Mephisto an Bellarmin

„Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberstes Gebot der Presse“, so der erste Grundsatz im bundesrepublikanischen Pressekodex.

Ein schöner Zug.

Dennoch ertönen seit einiger Zeit „Lügenpresse“-Rufe derart laut, daß man sich veranlaßt fühlte, jenes Wort als Unwort zu etikettieren. Unter anderem wegen seiner nazipropagandistischen Karriere.

Und weil es pauschalisiere.

Alle Anständigen sind sich einig.

In letzter Zeit malte ich mir aus, Nachrichtenredakteure unserer öffentlich-rechtlichen Medien wären samt ihrer korrekten Anständigkeit unvermittelt versetzt ins Paris des Jahres 1789 und kennten aber genauso wenig wie damalige Zeitgenossen der Welt Zukunft. Und an einem linden Juninachmittag, flanierend auf dem Boulevard Raspail vielleicht, wären sie plötzlich konfrontiert mit einem ungeordneten Haufen „Ça ira, ça ira!“ grölender, teils betrunken anmutender Gestalten. Unsere wackeren Journalisten vernehmen auch entsetzliche „Les aristocrates à la lanterne!“-Rufe. Und sollten das selbstverantwortlich einordnend nun in der abendlichen Tagesschau berichten…

Nein diese tumben, von Haß und Vorurteilen und Abstiegsängsten geplagten und von Kriminellen mit Stammtischparolen aufgehetzten Irregeleiteten aber auch! Also wirklich!

Heiko Maas, unsere geballte Kanone, in diesem Lande zuständig für die Gerechtigkeit, also dem ziemlichen Gegenteil von Pauschalisierung, konnte leider wieder nicht an sich halten und hat unverzüglich nach der grauenhaften Ermordung von Journalisten und Juden und einer Polizistin in Paris vor einer Instrumentalisierung des Verbrechens seitens der Pegida-Demonstranten gewarnt und am Folgetag der die Welt aufwühlenden Trauerkundgebungen in Frankreich dem Deutschlandfunk ein Interview geschenkt, im unschuldigen Morgengrauen des 12. Januar:

Heuer: Wir müssen, Herr Maas, noch über Pegida sprechen, auch weil es einfach immer wieder Freude macht, mit Ihnen darüber zu sprechen, Sie dazu zu hören.

Maas: Mir macht es aber gar keine Freude, über die reden zu müssen, ganz ehrlich gesagt.

Heuer: Ja, ich verstehe das in der Sache. Trotzdem sind Sie – und das hören wir dann gerne – ein Freund klarer Worte. Pegida demonstriert in Dresden heute mit Trauerflor, obwohl Sie aufgerufen haben, die ganze Demonstration sein zu lassen. Was geben Sie den Demonstranten mit auf den Weg?

Maas: Ihr seid alle Heuchler! Denn ehrlich gesagt: Wenn die gleichen Leute, die vor einer Woche die Presse als Lügenpresse beschimpft haben, sich heute einen Trauerflor um den Arm legen, dann ist das an Heuchelei wirklich nicht mehr zu überbieten. Denen kann man wirklich nur sagen: Bleibt besser Zuhause.

Heuer: Der Bundesjustizminister, Heiko Maas, Sozialdemokrat, heut früh im Deutschlandfunk. Herr Maas, danke fürs Gespräch.

Maas: Danke auch.

Damit nun keine Zweifel aufkommen, der’s ehrlich meinende Mann fürs Grobe ist gelernter Jurist und hat 1993 sein Studium mit dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen und 1996 das Zweite Staatsexamen bestanden.

Ich versuche es aufzudröseln, ohne seine Aussagen unzulässig zu simplifizieren. Wenn ich es richtig sehe, sagt unser Justizminister („Justiz“ zu lat. iustitia = Gerechtigkeit, Recht):

1.) Anläßlich der wöchentlichen Demonstration ihrer allgemein bestätigten Angstempfindung vor einer in ihren Augen von der Presse tabuisierten Islamisierung haben in der Vorwoche Demonstranten jene Presse als Lügenpresse tituliert. (Ich glaube, diese Prämisse können wir als wahr, als Beschreibung dessen, was ist, voraussetzen.)

2.) Dieselbigen (unser Jurist verwechselt hier die Gleichen mit denselben) wollten und könnten aber sich heute, eine Woche nach der Ermordung französischer Journalisten, Juden und Polizisten durch sogenannte Islamisten, Trauerflor für die Ermordeten anlegen.

Daraus die Konklusion:

Wenn sie das täten, dann handelte es sich um eine nicht zu überbietende Heuchelei (damit implizierend die vorweggenommene Beschuldigung: „Ihr seid alle Heuchler!“).

Ganz ehrlich ehrlich gesagt. Von unserem amtlich nicht zu überbietenden Gerechten.

Aber warum könnten dieselben Leute, die Angst vor einer Islamisierung ihrer Welt („wie in Berlin-Kreuzberg oder im Ruhrgebiet“) haben, nicht erschüttert, entsetzt und traurig sein, wenn sich auf den Islam berufende Mörder, vor denen sich die Demonstranten erwiesenermaßen ängstigen, ängstebestätigend Menschen umbringen?

Mit seiner Schlußweise müht sich unser vor Instrumentalisierung warnender Minister für Gerechtigkeit gewohntermaßen scharfmacherisch und im Deutschlandfunk wie inszeniert wirkend, den Demonstranten Heuchelei zu unterstellen. Und das bekommt seinen perfiden Sinn, wenn wir aus niederem Volke der ministeriellen Vorverurteilung folgen. Denn dies bedeutete, und nun schließen wir mal, und zwar im Umkehrschluß, während die Demonstranten Trauer trügen, freuten sie sich über die Mordtaten in Frankreich. Also über das, wovor sie sich nach allgemein anerkannter Aussage ängstigen. Vermittels seines angestrengten Syllogismus bezichtigt unser Justizminister die Demonstranten, weil sie die deutsche Presse mit dem sogenannten Unwort „Lügenpresse“ belegten, einverständlich zu stehen auf Seiten der Mörder französischer Journalisten, Juden und Polizisten.

Unwidersprochen, ja nahezu bejubelnd ermuntert, im öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk.

Wir sind weit gekommen in unserem Lande mit der wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit.

Ich bin nicht ganz allein mit meiner Interpretation der Logik des Rechthabers. Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden, ebenfalls im Deutschlandfunk:

Dobovisek: Heute Abend wieder werden wohl Tausende Menschen auf die Straßen gehen, um gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes zu demonstrieren, vor allem in Dresden bei der Kundgebung der Pegida. Herr Patzelt, Sie beobachten die Pegida seit Langem intensiv. Was bedeuten die Anschläge in Paris für die Proteste?

Patzelt: Viele, die heute Abend dabei sein werden, werden das Gefühl haben und auch äußern, schaut her, das, wovor wir die ganze Zeit gewarnt haben, ist nicht einfach die Ausgeburt einer kranken Fantasie, sondern es gibt eine reale Gefährdung unserer freiheitlichen Ordnung durch radikale Islamisten, was kritisiert ihr uns also, wenn wir doch nichts anderes sagen als das, was wir jetzt in Paris vor aller Augen vorgefunden haben. Wir – so würden die Differenzierteren unter ihnen das Argument weiterführen -, wir tun doch nichts anderes, als davor zu warnen, dass eine andere Religion uns vorschreiben will, wie wir über Religion, über öffentliche Positionen nachdenken und schreiben und wie wir unsere freiheitliche Gesellschaft ausgestalten.

Dobovisek: Am Ende also ein Auftrieb für die Proteste?

Patzelt: Das wird ganz gewiss so sein und ich rechne mit mehr Demonstranten heute Abend als beim letzten Mal.

Dobovisek: Hören wir, was der Islamwissenschaftler Bassam Tibi heute Früh bei uns im Deutschlandfunk über die Pegida sagte.

O-Ton Bassam Tibi: „Muslime, die ausgegrenzt werden, sind anfällig für den Islamismus. Dann muss man Pegida dafür verurteilen. Pegida will Sicherheit, aber Pegida unterstützt die Islamisten. Eine größere Unterstützung der Islamisten kann nicht erfolgen ohne das, was Pegida tut.“

Dobovisek: Führt Pegida am Ende, Herr Patzelt, also erst recht zu einer Radikalisierung unter den Muslimen, ein Teufelskreis?

Patzelt: Das Tragische mit Pegida ist, dass die Organisatoren der Bewegung außerordentlich mediokere Gestalten sind und dass sie es zugelassen haben, dass nun Redner von Teils der übelsten Sorte bei den Pegida Veranstaltungen gesprochen haben und in der Tat auch sehr häufig sehr niedrige Gefühle bedient haben. Das haben die Organisatoren auch versäumt, ihre 19 Punkte sozusagen quasi plebiszitär legitimieren zu lassen, die ja im Grunde nichts anderes wollen, als den bundesdeutschen Mehrheitskonsens beim Umgang mit Einwanderern und ihrer Kultur zu beschwören. Kurzum: Hätte die Pegida-Organisatorenschaft nicht ein so jämmerliches Bild abgegeben und so jämmerliche Reden halten lassen, wäre mancher Eindruck dieser Demonstrationen ein anderer gewesen und gäbe es wesentlich weniger Gründe für Muslime, Pegida zu fürchten, als es tatsächlich gibt.

Dobovisek: Trauerflor wollen die Pegida-Demonstranten heute Abend tragen. Justizminister Heiko Maas nennt das heuchlerisch. Wie nennen Sie das?

Patzelt: Na ja, man muss schon die Logik sehr strapazieren, wenn man aus dem Tragen von Trauerflor heute Abend Heuchelei schließen will. Es kritisieren Pegida-Demonstranten zwar auf das Heftigste und inzwischen mehr und mehr sehr ungerecht die Presse als Lügenpresse, aber daraus folgt doch nicht, dass man sich offen oder klammheimlich darüber freut, dass Journalisten ermordet werden. Da muss man schon die Logik sehr verbiegen, um aus der Tatsache, dass man selbst einen Konflikt mit der Presse hat, die Gutheißung von abscheulichen Morden abzuleiten.

Dobovisek: Das heißt, Sie haben Verständnis für die Demonstranten der Pegida, wenn sie heute Abend Trauerflor zeigen, denjenigen gegenüber, die sie bisher als Lügenpresse bezeichnet haben?

Patzelt: Ein jeder mitfühlende Mensch kann, wenn so viele Menschen, bloß weil sie ihren Beruf sachgerecht ausüben, ermordet werden, bloß Empathie, Mitgefühl und Betroffenheit zeigen, und natürlich ist es eine angemessene Verhaltensweise. Und noch einmal: Bloß weil sich Pegida-Teilnehmer von der Presse übel behandelt gefühlt haben, mehr und mehr sich zu Unrecht behandelt fühlen, bloß daraus folgt doch nicht, dass man sich klammheimlich oder offen darüber freut, wenn Journalisten ermordet werden. Und ich müsste mich sehr wundern, wenn ich heute nennenswert viele Pegidisten vorfände auf der Straße, die sagen, das ist diesen Journalisten recht geschehen, lasst es uns in Deutschland auch so versuchen. Das sind hier, scheint mir, Feindbilder, die unser Justizminister kultiviert.

Dobovisek: Französische Karikaturisten sind angewidert vom Pegida-Trauermarsch in Dresden und wehren sich mit Flugblättern und Karikaturen, sagen: „Pegida verschwinde“. Auch CSU-Chef Horst Seehofer fordert einen Stopp der Demonstrationen. Kann und sollte Pegida überhaupt gestoppt werden?

Patzelt: Na ja, es ist doch nicht so, als ob diese Demonstration heute Abend erstmals aufgerufen wäre, um antiislamische Gefühle zu schüren. Der Punkt ist doch eher der, dass in die von Pegida an den Tag gebrachten Besorgnisse von manchen über eine Umprägung unserer Kultur durch eine Einschränkung von Presse und Kritikfreiheit, dass diese Besorgnisse durch den Pariser Anschlag neue Bestätigung gefunden haben, und es braucht wahrhaft absonderliche Lust, Feindbilder zu kultivieren, um sozusagen die Thermometer für die Temperatur verantwortlich zu machen.

Mephisto an Bellarmin

Ja, Du hat recht, das Erschrecken ist groß über Pegida, und man grübelt tatsächlich über der Frage, was man denn da machen könne. Vielleicht kommt man sogar nicht umhin, endlich den Gedanken zu fassen, sich einmal sachlich und sachbezogen auseinanderzusetzen, statt die Menschen ständig als Dummlinge, Irregeleitete, Rassisten und Nazis zu dämonisieren. Wäre ja mal eine Idee. Das beste Mittel gegen Irregeleitete ist übrigens der Realitätsbezug.

Wovor hat man also mehr Angst?

Mit krampfartigen ständigen Gegendemos und mit Hilfe des Gazprom-Lobbyisten und selbsternannten Anständigen, dessen ehemaliger Partei- und einst heiliger Triumviratsfreund, der saarländische Intimfeind, sich im Wahlkampf gern mal gegen, wörtlich, „Fremdarbeiter“ (vornehmlich aus Polen) aussprach, was den süffisanten Grinser zu keinem Aufruf zur Anständigkeit veranlaßte, wird man das Problem wohl eher nicht lösen.

Am Folgetag des letzten Dresdner Marsches gab es in dem über die „Lügenpresse“-Rufe pikierten Deutschlandfunk ein Interview mit einer klugen, also einsamen Stimme. Möge sie trotz des ewigen Chores der politisch-korrekten Schwatzhälse auf Gehör und Nachdenklichkeit stoßen. Es ist die Stimme des Psychiaters Hans-Joachim Maaz, er ist Vorsitzender der Stiftung Beziehungskultur in Halle. Am 6. Januar fragte ihn die Moderatorin Christine Heuer im Deutschlandfunk:

Heuer: Okay. Sie haben die Politik angesprochen. Was kann die Politik in dieser Situation ganz konkret tun?

Maaz: Ganz konkret sich hinsetzen, Kontakte machen, Gespräche suchen, analysieren. Man kann Wissenschaftler ansetzen, Soziologen ansetzen, um die Themen herauszufiltern, die da transportiert werden, oder die auch verborgen sind in diesem allgemeinen Thema. Auf jeden Fall Kontakt machen, Gespräche suchen, analysieren, die Kritik aufnehmen und auf keinen Fall verteufeln. Das nur in die rechte Ecke zu stecken, halte ich für verhängnisvoll. Sicher gibt es Rechtsextreme und das ist furchtbar, aber das nun zu verteufeln. Ich habe zunehmend Protestanten, Demonstranten gehört, die gesagt haben, wir gehen jetzt deshalb dahin, weil wir nicht ernst genommen werden in unserem Protest, in unseren Ängsten. Das ist die Hauptaufgabe der Politik, auf keinen Fall einseitig abwerten und verteufeln, sondern versuchen zu verstehen, den Dialog, das Gespräch finden und analysieren, Wissenschaftler ansetzen, Soziologen, Psychologen ansetzen, die in der Lage sind, dieses differenzierte Protestpotenzial weiter auszudifferenzieren.

Heuer: Herr Maaz, ich selbst gehöre jetzt einem Berufsstand an, der von den Demonstranten da in Dresden gerne beleidigt wird, als Lügenpresse beschimpft wird. Machen die Medien Fehler in dieser Situation?

Maaz: Ja, wenn sie diese einseitige Verteufelung mitmachen. Ich denke, dass die Presse wirklich die Aufgabe hätte, genau das, was ich angesprochen habe, danach zu suchen, die differenziertere Analyse zu versuchen. Es sind doch sicher sehr verschiedene Menschen, die dort dabei sind. Und die genauer zu befragen, was sie bewegt, welche Motive, welche Themen, welche Ängste, welche Unsicherheiten, das wäre Aufgabe der Presse, auch der Politik zu helfen, eine differenziertere Wahrnehmung zu bekommen.

Heuer: Also wir sind gefordert, die Politik, die Medien, um zuzugehen auf diese Pegida-Demonstranten?

Maaz: Ja. Und wenn die Publizistik das auch immer nur in eine einseitige Ecke steckt, dann macht sie sich meiner Meinung nach mitschuldig, dass es so eine einseitige Abwertung gibt und ungenügende Klärung erfolgt.

Es ist ein deutsches Trauerspiel, daß die ureigensten Aufgaben der Presse ihr heute von einem Psychiater aufgezählt und die Jäger zum Jagen getragen werden müssen. Es gab mal einen Ludwig Börne, Heinrich Heine, Kurt Tucholsky, Egon Erwin Kisch, Sebastian Haffner… Es war einmal.

 

Serapion an Mephisto

 

 

 

„Bezwingt des Herzens Bitterkeit! Es bringt

Nicht gute Frucht, wenn Haß dem Haß begegnet.“

 

(FRIEDRICH SCHILLER  1759-1805)

 

D E N N:

 

„Hassen heißt unablässig morden.“

 

(ORTEGA Y GASSET  1883-1955)

 

Wir dürfen uns nicht besiegen lassen vom Haß.

 

Serapion an Mephisto

 

 

Anfrage mit Antwort:

 

Quand je m’y suis mis quelquefois, à considérer les diverses agitations des hommes, et les périls et les peines où ils s’exposent, dans la cour, dans la guerre, d’où naissent tant de querelles, de passions, d’entreprises hardies et souvent mauvaises, j’ai découvert que tout le malheur des hommes vient d’une seule chose qui est de ne pas savoir en repos dans une chambre. -Pascal. Pensées

 

Warum geht es uns Menschen schlecht?

Was glitzert, halten wir für echt!

Wir sind zu dumm zum Unterscheiden

Und wundern uns, wieso wir leiden.

 

Warum geht es uns Menschen schlecht?

Weil es sich immer wieder rächt,

Wie wir die Wahrheit drehen und drechseln

Und groß und viel mit gut verwechseln.

 

Warum geht es uns Menschen schlecht?

Die Welt erscheint uns ungerecht.

Wir drängeln uns, was zu erwerben,

Zum Tantenschlachten, um zu erben.

 

Warum geht es uns Menschen schlecht?

Wir mausern uns vom Gott zum Knecht.

Statt quietschvergnügt in der Stube zu sitzen,

Bringen wir lieber den Arsch ins Schwitzen.