A N A B A S I S

Thalatta ! Thalatta !

Monatsarchive: Juli 2015

Mephisto an Serapion

 

Die Wanderratten

 

Es gibt zwei Sorten Ratten:

Die hungrigen und die satten.

Die satten bleiben vergnügt zu Haus,

Die hungrigen aber wandern aus.

 

Sie wandern viel tausend Meilen,

Ganz ohne Rasten und Weilen,

Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,

Nicht Wind noch Wetter hält sie auf.

 

Sie klimmen wohl über die Höhen,

Sie schwimmen wohl durch die Seen;

Gar manche ersäuft oder bricht das Genick,

Die lebenden lassen die toten zurück.

 

Es haben diese Käuze

Gar fürchterliche Schnäuze;

Sie tragen die Köpfe geschoren egal,

Ganz radikal, ganz rattenkahl.

 

Die radikale Rotte

Weiß nichts von einem Gotte.

Sie lassen nicht taufen ihre Brut,

Die Weiber sind Gemeindegut.

 

Der sinnliche Rattenhaufen,

Er will nur fressen und saufen,

Er denkt nicht, während er säuft und frißt,

Daß unsre Seele unsterblich ist.

 

So eine wilde Ratze,

Die fürchtet nicht Hölle, nicht Katze;

Sie hat kein Gut, sie hat kein Geld

Und wünscht aufs neue zu teilen die Welt.

 

Die Wanderratten, o wehe!

Sie sind schon in der Nähe.

Sie rücken heran, ich höre schon

Ihr Pfeifen – die Zahl ist Legion.

 

O wehe! wir sind verloren,

Sie sind schon vor den Toren!

Der Bürgermeister und Senat,

Sie schütteln die Köpfe, und keiner weiß Rat.

 

Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,

Die Glocken läuten die Pfaffen.

Gefährdet ist das Palladium

Des sittlichen Staats, das Eigentum.

 

Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete,

Nicht hochwohlweise Senatsdekrete,

Auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder,

Sie helfen euch nicht, ihr lieben Kinder!

 

Heut helfen euch nicht die Wortgespinste

Der abgelebten Redekünste.

Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen,

Sie springen über die feinsten Sophismen.

 

Im hungrigen Magen Eingang finden

Nur Suppenlogik mit Knödelgründen,

Nur Argumente von Rinderbraten,

Begleitet mit Göttinger Wurstzitaten.

 

Ein schweigender Stockfisch, in Butter gesotten,

Behaget den radikalen Rotten

Viel besser als ein Mirabeau

Und alle Reden seit Cicero.

 

Heinrich Heine (1797 – 1856)

Bellarmin an Mephisto

In Griechenland, während des landesweiten Referendums gegen Minimalvoraussetzungen einer erneuten Milliardenhilfe europäischer Steuerzahler, hingen an manchen Masten öffentlicher Straßenbeleuchtung Plakate, auf denen der Text zu lesen stand:

W A N T E D

DEAD OR ALIVE

THE NEO-NAZI CRIMINAL

Wolfgang Schäuble

FOR MASS POVERTY & DEVASTATION

Unter jenem Text ein Farbporträt des ausländischen Politikers mit hineinretuschiertem Hitlerbärtchen.

Im Internet wurde derweil vom üblichen Mob dieses Mediums begeistert ein anderes Bild weitergereicht. Links im Vordergrund ein schwitzender Mann in beiger Kluft mit der blauen Aufschrift GREECE. Dahinter ein größerer Mensch in einer den Taliban nachempfundenen Ganzkörperverhüllung mit der weißen Aufschrift DEPT CRISIS über einem Augenschlitz, aus dem ein Brillengestell hervorblinkt. Seine Rechte hält anscheinend den beigen GREECE im Nacken gepackt. In seiner Linken, in durch Striche angedeuteter Bewegung, umklammert er einen überdimensionierten Dolch, an dessen Klinge man in Form eines Blutflecks das Eurozeichen erkennt. Diese schwarze Person sitzt in einem Rollstuhl.

Ein drittes, ebenfalls im Internet ungemein gefeiertes Bild zeigt im Schattenriß gegen einen kargen Horizont einen an einem verdorrten Baum Gehängten. In einem Rollstuhl sitzend. Darunter steht:

Μια Εικονα….

10.000.000 Ευχες…“

Die nicht nur von ihrem Doktorvater überschätzte kokette Klara Klarsicht aus der Partei der scheinheiligen Schamlosen inszenierte sich diesmal, den durch das ihn schwer verletzende Attentat mittlerweile im 25. Jahr vom dritten Brustwirbel an abwärts gelähmten deutschen Finanzminister als „Kürzungs-Taliban“ zu titulieren.

Die Chefredakteurin der ansonsten inzwischen vor gutmenschlicher Harmlosigkeit triefenden FRANKFURTER RUNDSCHAU, Bascha Mika, bezeichnete letzten Sonntag im Presseclub der ARD diese Vorgänge mit geradezu euphorischer Vehemenz und ohne zu zucken und das geringste Wenn und Aber als von Schäuble selbstverschuldet.

Rien n’a changé, und wir haben viel vergessen aus den letzten hundert Jahren.

Wieder leben wir in Zeiten allenthalben beängstigend wachsender Vorkriegsverrohung.

Diese Inhumanität kann und wird nicht ohne Folgen bleiben.

Mephisto an Serapion

 

Es kommen härtere Tage oder Der teuflischen Tragödie zweiter Teil

 

Es kommt nun eine Zeit, die werden wir nicht lieben.

Die Jahre zogen hin, wir standen voll im Saft,

Da gab’s die Mastercard, die galt es reinzuschieben,

Und prompt kroch durch den Schlitz soziale Marktwirtschaft.

 

Du meinst, das sei nicht so, die Jahre waren mager?

Du kamst mal eben hin und lebtest nicht leger?

Dann zieh jetzt Lehren draus, sonst bleibst du ein Versager

Und siehst, welch Glück in jenen Zeiten blüht, erst immer hinterher…

 

Serapion an Mephisto

Und ebenso erlaube mir dieser Tage, Dich zu erinnern an den einstigen Führer der römischen Volkspartei, den theatralischen Phantasten Cola di Rienzi, der sich zum Tribunus Augustus ausrufen ließ, um in Rom eine Republik nach altrömischem Muster zu errichten und von ihr ausgehend das antike Rom wiederherzustellen. Er entstammte als Sohn eines Kneipiers und einer Wäscherin einfachsten Verhältnissen und hatte sich als Autodidakt dennoch eine umfassende klassische Bildung verschafft, mit der er durch seine immense Rednergabe bei den Römern einen kometenhaften Aufstieg nahm. Rom, vom Papst verlassen, verfiel damals vollständig in Anarchie und verkam zum Kriegsschauplatz der Soldbanden rivalisierender Familienclans, und, Du ahnst es, es existierte nicht einmal mehr in Ansätzen ein über das Zunftwesen hinaus funktionierendes Steuer- und Abgabensystem, das es einer irgendwie gearteten Staatlichkeit ermöglicht hätte, dem Verfall Widerstände entgegenzusetzen, geschweige denn zu prosperieren.

Dies ist immer die Stunde der Demagogen!

Ich glaube Tucholsky oder Remarque hat einmal sehr klug beobachtet, daß im Auf- oder Niedergang eines Staatswesens die besten Geschäfte und Karrieren zu gewinnen seien.

Am 20. Mai 1347 ließ der Volkstribun die Führer der Adelspartei mittels der üblichen Wutbürger verjagen und regierte hinfort als Diktator. Es mangelte ihm allerdings an jeglichem staatsmännischem Format, und so mußte er infolge seines grotesken Treibens bereits am 15. Dezember wieder abdanken und fliehen, wurde sieben Jahre später nach seiner Rückkehr am 8. Oktober 1354 von einem seiner ehemaligen Anhänger erschlagen, und selbst sein Leichnam ward von den immer noch wütenden Volksmassen geschändet.

Ich gestehe, ich bedauere außerordentlich den Weggang Yanis Varoufakis aus seinem Amt wegen jener „unbedeutenden, kleinen Liquiditätsprobleme“ Griechenlands (O-Ton Varoufakis). War doch auf ihn wie auf seinen Chef Alexis Tsipras bisher noch immer Verlaß in jeder der bisher schon fast unzählig wiederholten Situationen, in denen ich fürchten und zittern mußte, nun würden die in Brüssel gängigen Europa- und Euroromantiker mit Sinn für alles Schöne und Gute in einer Zukunft, in der man sie nicht mehr als Verantwortliche belangen könnte für das von ihnen verschuldete Desaster des gegen alle Fakten politisch Entschiedenen. In denen die ewigen Gesundbeter jeglichen Erfahrungen und simpelsten Finanzgeboten und kaufmännischen Regeln und jeder zuvor als Sicherheit wohlbegründeten vertraglichen Abmachung zum Trotz doch noch wieder hereinfallen würden und dann tatsächlich hereinfielen auf die Volten und griechischen Spiele unseres marxistischen Spieltheoretikers.

Der sie hinterher noch stets beschimpfte und verhöhnte!

Das Geschehen ist unglaublich! Und fortwährend hat man den Eindruck, der Albtraum beginne erst!

Und hier also war bisher immer das Verläßliche an Tsipras und Varoufakis: Wenn sie den Brüsseler Kompromißanbetern die regelwidrigsten Zugeständnisse soeben entlockt hatten, so daß alles in mir „Nein!!!“ schrie, dann brüskierten diese griechischen Volkstribunen ihre Verhandlungspartner in ihrer Treu und in ihrem Glauben und machten durch das ungeheuerliche Verhalten gegenüber den Gelackmeierten allen vermeintlichen Verhandlungsfortschritt wieder zunichte. Und schafften es sogar, den allbereiten Jean-Claude Juncker, unseren unverwüstlichen Talleyrand von Luxemburg, für sogar geschlagene fast ganze elf halbe Viertelstunden zu vergnatzen!! Stets waren in schönster Zuverlässigkeit die marxistischen Völkerverhetzer Tsipras und Varoufakis in Habacht und verdarben grinsend noch auf den letzten Metern jede weitere Brüsseler Verbiegung. Und ich konnte wieder aufatmen und hoffen, ein paar Verträge und Abmachungen blieben vielleicht doch noch ungebrochen gegen listenreich mit „produktiver Undeutlichkeit“ (O-Ton Varoufakis), also heimtückisch mit betrügerischem Vorsatz verfaßte vageste Versprechungen auf beabsichtigte künftige Gesetzgebungsverfahren und deren ordinäre Umsetzung durch illoyale korrupte griechische Beamte wie gehabt.

Mir fällt gerade ein aus irgendeinem Grund, daß von griechischer Seite die oft gestellte Frage ihrer ungläubig erstaunten europäischen Gläubiger, warum nicht wenigstens einmal die Aufhebung der in der Landesverfassung verankerten Steuerfreiheit für Reeder angegangen wurde in den letzten fünf Jahren der Krise, unisono tatsächlich beantwortet wurde in geradezu beleidigt vorwurfsvollem Ton, das wäre von der Troika bisher ja nicht verlangt worden!!!

Wie kann man sich in seiner Mentalität besser bloßstellen? Wenn man nicht weinen müßte, sollte man lachen. Jedoch es gehen Menschen dabei zugrunde.

Europa riskiert das Scheitern des Euro weniger durch das Ausscheiden Griechenlands als durch das ständige Biegen und Brechen vorheriger Abmachungen und Grundsätze. Die ja extra geschaffen und getroffen wurden aus Einsicht in Notwendigkeit.

Und letztendlich alles für nix und wieder nix. Die Warschauer RZECZPOSPOLITA schrieb am 26. Juni:

Alle Akteure in diesem Drama sollten der Realität ins Auge sehen. Vor allem Deutschland muss sich von der Illusion verabschieden, dass Griechenland die Reformauflagen erfüllen wird. Neue Kredite wären am Ende reine Transferleistungen. Sicher wird eine mit dem Rücken zur Wand stehende griechische Regierung letztlich alles unterschreiben, um an Geld zu kommen, aber sie wird an die Umsetzung der Vertragsbedingungen gar nicht erst denken. Die Syriza-Regierung wurde gewählt, um das von der EU und den internationalen Finanzinstitutionen verordnete Sparprogramm zu beenden. Der Glaube, Europa könne Griechenland gegen den Willen der griechischen Gesellschaft tiefgreifend reformieren, ist naiv und ein bisschen arrogant. Reformen können in einem Land nur umgesetzt werden, wenn sie von Regierung und Bevölkerung getragen werden.

Mitnichten ist der Artikel veraltet.

Wir lebten in lehrreichen Zeiten, wenn man denn Lehren zöge. Was ich eigentlich aber sagen wollte: Die Masse ändert schnell die Meinung. Das geht im Handumdrehn!

Volkstribun kann ein verdammt gefährlicher Job sein!

Serapion an Mephisto

In diesen Tagen erlaube mir, Dich zu erinnern an meines weidwunden Freundes Adelberts „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. Die ich ihrer immensen Popularität zum Trotze dennoch für unterschätzt ansehe und, vor allem, deren enorm praxistauglichen Lebensbezug, im Großen wie im Kleinen, ich für noch immer unerkannt halte während der letzten zweihundertundzwei Ellipsen unseres Planeten. Man hat vor zwei Jahren der Novelle runden Geburtstag ungeehrt verstreichen lassen, dabei war und ist die Story derart reich an Bezügen und Möglichkeiten ihrer Interpretation und glich ja auch bereits einem wahrhaften Tummelplatz scharfsinniger Geister mit durchaus dankenswerten Einsichten und wirklichen Erkenntnissen. Vor allem grübelte man natürlich, was wohl der mit Fortunati Glücksseckel ausgetauschte Schatten bedeuten möge. Du entsinnst Dich sicher, der unreiche Peter Schlemihl gerät in eine ihm unbekannte Vergnügungsgesellschaft Betuchter und handelt dort bei einem ihm ebenfalls unbekannten Mann im grauen Rock, dem gewissermaßen biedermeierlichen Mephisto, seinen für wertlos erachteten Schatten ein gegen jenen mäßig großen, festgenähten Beutel von starkem Korduanleder an zwei tüchtigen ledernen Schnüren, der ihm hinfort unbeschränkten Reichtum beschert. Schnell muß der arme Schlemihl aber feststellen, daß alle Leute, sobald sie das Fehlen seines doch eigentlich belanglosen Schlagschattens bemerken, ihn beschimpfen, verspotten, sich entsetzt zurückziehen, ihn meiden, so daß er nun ausgestoßen ist aus jeder menschlichen Gesellschaft. Was selbstverständlich auch seine zuspitzenden Auswirkungen findet beim Finden einer Braut. Wobei mir einfällt am Rande, daß im Playboy-Ersatz der Deutschen Demokratischen Republik, der Zeitschrift „Magazin“ mit ihrem monatlichen antiseptischen Aktfoto – welches also nichts zu tun hatte mit westlicher Dekadenz und mit Schund- und Schmutzliteratur – daß bisweilen dort in den Heiratsannoncen ein meist männlicher Inserent sein Interesse kundgab an einem weiblichen Wesen „mit ML-Weltanschauung“. ML stand für „marxistisch-leninistisch“ und wurde mitunter gleich in den Heiratsannoncen abgefragt. Auch Geheimpolizisten spüren bisweilen einen Drang, sich zu vermehren, sogar auf biologischem Wege. Irgendwie menschlich. Doch da der „Lebensborn“ gegen Kriegsende in Mißkredit geraten war und das geheimpolizeiliche Ministerium unter dem Tarnnamen „Staatssicherheit“ Mischehen mit einer womöglich katholischen Braut oder auch nur einer mit „Westkontakten“ nicht gestattete, jawoll, das hatte gemeldet und beantragt zu werden, blieb nur, die atheistische Rechtgläubigkeit in den lückenlos überwachten Anzeigen von vornherein abzuklären.

So geht das, wenn man seinen Schatten wegtauscht für irgendeinen festgenähten Beutel.

Da gibt es plötzlich auch kein Zurück mehr in die menschliche Gesellschaft und noch nicht einmal ein Entweder-Oder.

Die bei all den Schattenhypothesen in den Hintergrund gedrängte Szene, die ich meine, steht im achten Abschnitt der chamissoschen Novelle und ist doch, soweit ich sehen kann, in der deutschen Literatur von Weltgeltung einzig. Schlemihl kann Mina nicht heiraten und ist unter Menschen auf ewig verfemt und am Ende. Er will nur seinen Schatten zurück, doch der Herr im grauen Rock spielt mit ihm, verfolgt und verhöhnt ihn tagelang in einem Gebirg, halb geduldet, denn Schlemihl kämpft um seinen Schatten. Er bietet den Rücktausch des Beutels für seinen Schatten und versucht sogar, selbigen dem Herrn rechtswidrig zu entwenden – vergeblich. Das teuflische Angebot: Schlemihl erhalte den Schatten zurück und könne sogar den Beutel behalten – allerdings nur gegen die Überlassung seiner Seele.

Wir saßen einst vor einer Höhle, welche die Fremden, die das Gebirg bereisen, zu besuchen pflegen. Man hört dort das Gebrause unterirdischer Ströme aus ungemessener Tiefe heraufschallen, und kein Grund scheint den Stein, den man hineinwirft, in seinem hallenden Fall aufzuhalten. Er malte mir, wie er öfters tat, mit verschwenderischer Einbildungskraft und im schimmernden Reize der glänzendsten Farben, sorgfältig ausgeführte Bilder von dem, was ich in der Welt, kraft meines Säckels, ausführen würde, wenn ich erst meinen Schatten wieder in meiner Gewalt hätte. Die Ellenbogen auf die Knie gestützt, hielt ich mein Gesicht in meinen Händen verborgen und hörte dem Falschen zu, das Herz zwiefach geteilt zwischen der Verführung und dem strengen Willen in mir. Ich konnte bei solchem innerlichen Zwiespalt länger nicht ausdauern, und begann den entscheidenden Kampf:

„Sie scheinen, mein Herr, zu vergessen, daß ich Ihnen zwar erlaubt habe, unter gewissen Bedingungen in meiner Begleitung zu bleiben, daß ich mir aber meine völlige Freiheit vorbehalten habe.“ – „Wenn Sie befehlen, so pack ich ein.“ Die Drohung war ihm geläufig. Ich schwieg; er setzte sich gleich daran, meinen Schatten wieder zusammenzurollen. Ich erblaßte, aber ich ließ es stumm geschehen. Es erfolgte ein langes Stillschweigen. Er nahm zuerst das Wort:

„Sie können mich nicht leiden, mein Herr, Sie hassen mich, ich weiß es; doch warum hassen Sie mich? Ist es etwa, weil Sie mich auf öffentlicher Straße angefallen, und mir mein Vogelnest mit Gewalt zu rauben gemeint? oder ist es darum, daß Sie mein Gut, den Schatten, den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anvertraut glaubten, mir diebischer Weise zu entwenden gesucht haben? Ich meinerseits hasse Sie darum nicht; ich finde ganz natürlich, daß Sie alle Ihre Vorteile, List und Gewalt geltend zu machen suchen; daß Sie übrigens die allerstrengsten Grundsätze haben und wie die Ehrlichkeit selbst denken, ist eine Liebhaberei, wogegen ich auch nichts habe. – Ich denke in der Tat nicht so streng als Sie; ich handle bloß, wie Sie denken. Oder hab ich Ihnen etwa irgend wann den Daumen auf die Gurgel gedrückt, um Ihre werteste Seele, zu der ich einmal Lust habe, an mich zu bringen? Hab ich von wegen meines ausgetauschten Säckels einen Diener auf Sie losgelassen? hab ich Ihnen damit durchzugehen versucht?“ Ich hatte dagegen nichts zu erwidern; er fuhr fort: „Schon recht, mein Herr, schon recht! Sie können mich nicht leiden; auch das begreife ich wohl, und verarge es Ihnen weiter nicht. Wir müssen scheiden, das ist klar, und auch Sie fangen an, mir sehr langweilig vorzukommen. Um sich also meiner ferneren beschämenden Gegenwart völlig zu entziehen, rate ich es Ihnen noch einmal: Kaufen Sie mir das Ding ab.“ – Ich hielt ihm den Säckel hin: „Um den Preis.“ – „Nein!“ – Ich seufzte schwer auf und nahm wieder das Wort: „Auch also. Ich dringe darauf, mein Herr, laßt uns scheiden, vertreten Sie mir länger nicht den Weg auf einer Welt, die hoffentlich geräumig genug ist für uns beide.“ Er lächelte und erwiderte: „Ich gehe, mein Herr, zuvor aber will ich Sie unterrichten, wie Sie mir klingeln können, wenn Sie je Verlangen nach Ihrem untertänigsten Knecht tragen sollten: Sie brauchen nur Ihren Säckel zu schütteln, daß die ewigen Goldstücke darinnen rasseln, der Ton zieht mich augenblicklich an. Ein jeder denkt auf seinen Vorteil in dieser Welt; Sie sehen, daß ich auf Ihren zugleich bedacht bin, denn ich eröffne Ihnen offenbar eine neue Kraft. – O dieser Säckel! – Und hätten gleich die Motten Ihren Schatten schon aufgefressen, der würde noch ein starkes Band zwischen uns sein. Genug, Sie haben mich an meinem Gold, befehlen Sie auch in der Ferne über Ihren Knecht, Sie wissen, daß ich mich meinen Freunden dienstfertig genug erweisen kann, und daß die Reichen besonders gut mit mir stehen; Sie haben es selbst gesehen. – Nur Ihren Schatten, mein Herr – das lassen Sie sich gesagt sein – nie wieder, als unter einer einzigen Bedingung.“

Da wirft der Peter Schlemihl den Glückssack unwiederzurückholbar in den Abgrund.

Und verzichtet trotz aller Folgen auf Schatten, Geld und jegliche Paktmöglichkeit mit dem Teufel.

Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter von den Grünen wurden mir dieser Tage auffällig mit ihrer teuren Forderung, Kanzlerin Merkel habe nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Griechenland nun unverzüglich einen europäischen Sondergipfel einzuberufen und eine politische Lösung des Schuldenstreits herbeizuführen. Denn man könne solche Frage ja nicht Finanzministern mit ihren „Rechenschiebern“ überlassen. Nun will ich den billig Fordernden gern zugestehen, daß sie wohl wissen, daß Rechenschieber bei Bilanzierungen grundsätzlich fehl am Platze sind, ihr Bild also von vornherein schief ist, und daß sie im wirklichen Leben zwischen Addition und Multiplikation zu unterscheiden wissen. Allein schon wegen jener Forderung wage ich es jedoch, ihnen die Kompetenz, auch als bloße Politiker, in diesem Punkt abzusprechen.

Die Frage nach der Kompetenz ist übrigens immer wieder eine gute Frage bei Vielrednern.

Was wäre Griechenland und dem Rest Europas nicht alles erspart geblieben, wenn über die Euromitgliedschaft dieses Landes eben nicht politisch entschieden worden wäre!

Oder wenn man sich daran hielte:

„Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein.“ ( Aus Artikel 125 des Euro-Stabilitätspakts)