A N A B A S I S

Thalatta ! Thalatta !

Monatsarchive: August 2014

Serapion an Mephisto

Heimatlos

 

Wir ohne Heimat irren so verloren

und sinnlos durch der Fremde Labyrinth.

Die Eingebornen plaudern vor den Toren

vertraut im abendlichen Sommerwind.

Er macht den Fenstervorhang flüchtig wehen

und läßt uns in die lang entbehrte Ruh

des sichren Friedens einer Stube sehen

und schließt sie vor uns grausam wieder zu.

Die herrenlosen Katzen in den Gassen,

die Bettler, nächtigend im nassen Gras,

sind nicht so ausgestoßen und verlassen

wie jeder, der ein Heimatglück besaß

und hat es ohne seine Schuld verloren

und irrt jetzt durch der Fremde Labyrinth.

Die Eingebornen träumen vor den Toren

und wissen nicht, daß wir ihr Schatten sind.

 

MAX HERRMANN-NEISSE   (1886 – 1941)

Mephisto an Bellarmin

Während die Welt brennt an allen vier Ecken und Enden befleißigen sich die deutschen öffentlich-rechtlichen Medien wieder mit Nachrichten über Derhatdiesgesagtundderhatdasgesagt als erste Meldung. Am 10. August vermerkte die SCHLESWIG HOLSTEIN AM SONNTAG zu den deutschen Debatten hinsichtlich der Bombardements des IS durch die USA:

Keine andere Nation scheint willens, den Völkermord in Nordirak zu stoppen. Schon gar nicht die Pazifisten in Deutschland. Oder was unternehmen Protestanten und Katholiken, um ihren Glaubensbrüdern zu helfen? Wo sind die Pastoren, die selbst den Bundespräsidenten der Kriegstreiberei bezichtigen, weil dieser militärische Mittel als Ultima Ratio in Erwägung zieht? Oder darf man von Margot Käßmann, Claudia Roth und Gregor Gysi schon bald kritische Einlassungen erwarten, dass die islamistischen Mörderbanden doch bitte nicht mit Raketen beschossen werden sollten? Ja, so absurd sind die Debatten, fern der Realität.

Ja, das macht uns keiner nach. Dem brennenden Thema angemessen, habe ich mir einmal erlaubt, anhand einer originalen deutschen Feuerschutzverordnung das deutsche Wesen elegisch zu fassen:

 

 

Das deutsche Wesen

 

Wenn ein Haus brennt, so muß man vor allen Dingen die rechte

Wand des zur Linken stehenden Hauses, jedoch auch die linke

Wand des zur Rechten stehenden Hauses zu decken versuchen;

Wollte man hingegen zum Exempel die linke

Wand des zur Linken stehenden Hauses decken, so liegt die

Rechte Wand des Hauses der linken Wand ja zur Rechten,

Folglich, da das Feuer auch dieser Wand und der rechten

Wand zur Rechten liegt (denn wir haben gesagt, daß das Haus dem

Feuer zur Linken liege), so liegt die rechte der Wände

Näher dem Feuer als die linke, und also die rechte

Wand des Hauses könnte abbrennen, deckte sie niemand,

Ehe das Feuer an die linke, die ja gedeckt wird,

Käme; folglich könnte etwas abbrennen, das man

Ungedeckt ließe, und zwar eher, als etwas andres

Abbrennen würde, auch wenn man’s nicht deckt, demgemäß muß man

Dieses lassen und jenes decken. Um sich die Sache

Imprimieren zu können, darf man nur merken, wenn das

Haus dem Feuer zur Rechten liegt, so ist es die linke

Wand, und liegt das Haus zur Linken, so ist es die rechte…

 

 

Der „Feuerverordnung“ Original findet sich jeweils grinsend zitiert bei Georg Christoph Lichtenberg in einem seiner Sudelbücher und in General Carl von Clausewitzens „Vom Kriege“. Im übrigen aber bin ich der Meinung, daß der immer noch zur Krise verniedlichte Krieg in der Ostukraine nicht mit Mitteln der „neuen Ostpolitik“ à la Willy Brandt und Egon Bahr zu befrieden sein wird, ihrer einstmaligen und heute leider schon wieder unterschätzten Genialität zum Trotze. Der eine Grund liegt in der permanenten Verkennung der Situation. Zum Beispiel haben wir es hier nicht zu tun mit einem kalten Krieg, sondern mit einem heißen. Ein weiterer Grund ist die Verkennung des Interessenwandels der russischen Seite von damals zu heute. Damals hing das Interesse der Sowjet-Union an einer Anerkennung der europäischen Nachkriegsordnung, insbesondere einer Sanktionierung der bestehenden Grenzziehung, also an der diplomatischen Absicherung ihrer Einflußsphäre, übrigens inklusive einer Anerkennung des Hitler/Stalin-Paktes im Hinblick auf die russische Besetzung der baltischen Staaten. Die sie vermittels der neuen Ostpolitik und der KSZE im Gefolge erhielt. Heute handelt das russische Interesse jedoch von Veränderung bestehender Grenzen und von Beschneidung nachbarstaatlicher Souveränität. Weiterhin geht die Fehleinschätzung immer noch aus von der Rückgewinnung einer vermeintlichen Partnerschaft zwischen dem Westen und Rußland. Man verkennt in gefährlicher Weise die Gegnerschaft. Man ignoriert sträflich historische Entwicklungen aus Angst vor der Realität, aus Angst, daß nicht sein könne, was nicht sein dürfe. Beispiel im Detail: Auf deutscher Seite bildet man sich ein, die Ukraine müsse mit den „Separatisten“ verhandeln, als wären das legitime Vertreter ihrer Region. Man betrachtet den sogenannten Konflikt durch die Brille der fünfundvierzig Jahre alten neuen Ostpolitik und wird Opfer putinscher Propaganda. Der Kreml freut sich. Und man gibt sich immer noch Illusionen hin bezüglich putinscher Absichten und glaubt, ihn beschwichtigen zu können. Und man hat immer noch nicht zur Kenntnis genommen, daß mindestens achtzig Prozent der Russen hinter ihm stehen, daß sich vom bescheidenen Rest so gut wie niemand gegen ihn zu mucksen traut und sein Parlament auf Kommando ehrlich begeistert die ungeheuerlichsten Gesetze durchwinkt. Man fragt sich immer noch, was der Auftraggeber von Auftragsmorden eigentlich wohl wollen möge. Als diese Woche der angebliche, hier wäre das derzeitige Lieblingswort deutscher Nachrichtensendungen einmal angebracht, als der angebliche Lebensmittelkonvoi die ukrainische Grenze durchbrach, fragte ein Journalist tatsächlich, ob dies auf Anordnung Putins geschähe. Antwort: Man sage, er sei in Kenntnis gesetzt, er wisse davon… Und im Deutschlandfunk formulierte der Nachrichtenmoderator flapsig, auf Seiten des „Lebensmittelkonvois“ wäre nun eben mal der Geduldsfaden gerissen…

Die Reihe der Fehleinschätzungen und Verkennungen, vor allem auch der Ignoranz russischer Geschichte und der aus ihr resultierenden Mentalität und Geisteshaltung, ließe sich leider noch lange fortsetzen. Doch hier zum Abschluß zwei andere Stimmen. Letzten Mittwoch schrieb die Warschauer GAZETA WYBORCZA:

Nach dem Fiasko des Treffens der Außenminister Russlands, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands ist klar zu erkennen, dass Paris und Berlin nicht in der Lage sind, den Kreml von einem Politikwechsel zu überzeugen. Auch wenn eine Lösung unwahrscheinlich ist, sollten Friedensgespräche künftig unter der Ägide der Europäischen Union stattfinden. Damit wäre auch der Verdacht ausgeräumt, dass Frankreich und Deutschland sich im Stillen mit Moskau einigen – vielleicht sogar auf Kosten der Ukraine oder der östlichen EU-Mitglieder. Die deutsche Regierung sollte endlich zur Kenntnis nehmen, dass es kein Zurück mehr zu jenen Zeiten gibt, als wir Europäer Russland noch als vertrauenswürdigen Partner betrachteten. Vielmehr sollte man sich auf einen langen und kalten Winter einstellen.

Seltsam wieder, von einem Fiasko war auf deutscher Seite überhaupt nicht die Rede. Wie auch nicht von all den anderen – vorhersehbaren – Fiaskos steinmeierscher Ukrainepolitik.

Zutiefst erschüttert hat mich die einsame Stimme der russischen Schriftstellerin Ljudmilla Ulitzkaja im aktuellen SPIEGEL (Nr. 34):

 

Mein Land krankt an aggressiver Unbildung, Nationalismus und imperialer Großmannssucht.

Ich schäme mich für mein ungebildetes und aggressives Parlament, für meine aggressive und inkompetente Regierung, für die Staatsmänner an der Spitze, Möchtegern-Supermänner und Anhänger von Gewalt und Arglist, ich schäme mich für uns alle, für unser Volk, das seine moralische Orientierung verloren hat.

 

Mein Land bringt die Welt mit jedem Tag einem neuen Krieg näher, unser Militarismus hat bereits in Tschetschenien und Georgien die Krallen gewetzt, und nun trainiert er auf der Krim und in der Ukraine.

Leb wohl, Europa, ich fürchte, wir werden nie zur europäischen Völkerfamilie gehören.

 

Bellarmin an Mephisto

In der F.A.Z. vom 26. Juli fand ich einen interessanten Leserbrief von Frau Dr. Juliane Besters-Dilger, Professorin an der Universität Freiburg. Sie schreibt:

Zum Artikel „Es war eine Dummheit, das Russische abzuschaffen“ (F.A.Z. vom 16.Juli): Bei der Rücknahme des Gesetzes „Über die Prinzipien der staatlichen Sprachenpolitik“ geht es nicht um die Abschaffung des Russischen. Das Russische hat auch nach dem alten, vorher geltenden Sprachengesetz und nach der ukrainischen Verfassung eine herausragende Position und wird in weiten Teilen der Ukraine in allen Funktionen verwendet. Die Gründe, warum das Gesetz außer Kraft gesetzt wurde, waren vor allem folgende: Das betreffende Gesetz, eingebracht von Janukowitschs „Partei der Regionen“, war am 3. Juli 2012 unter skandalösen Umständen (Gegner wurden am Betreten des Parlaments gehindert, es kam zu massiven Stimmenfälschungen) verabschiedet worden.

Auch die F.A.Z. berichtete am 5. Juli 2012 darüber. Noch wichtiger: Sowohl der OSZE-Hochkommissar für nationale Minderheiten als auch die Venedig-Kommission des Europarats hatten das Gesetz im Dezember 2011 beziehungsweise Januar 2012 abgelehnt, da es einseitig das Russische fördere und weder die zahlreichen anderen Minderheitensprachen in der Ukraine wirklich berücksichtige noch dem Ukrainischen als Staatssprache den gebührenden Rang einräume. Ohne Zweifel war der Zeitpunkt für die Rücknahme des Gesetzes schlecht gewählt. Man hätte es am besten nach einer angemessenen Frist durch ein neues Gesetz ersetzt, das der Bedeutung des Russischen gerecht wird, diese aber nicht zum Nachteil aller anderen Sprachen überbetont. Nur eine Sprachenpolitik, die gegenüber dem Ukrainischen und Russischen tolerant ist (so wie es der Majdan war), kann in der Ukraine Erfolg haben.

Demnach hatte es sich um die legitime Rücknahme einer typischen Methode der Russifizierung fremder Territorien gehandelt, einer über die Sprachenpolitik gängigen russisch-chauvinistischen Anmaßung gegenüber anderen Völkern. Über die in deutschen öffentlich-rechtlichen Medien erst gar nicht und dann vollkommen im Sinne russischer Greuelpropaganda berichtet worden war. Im mildesten kann man hier mangelnde Sorgfalt unterstellen. Wenn man jedoch bessere Zeiten journalistischer Berichterstattungskompetenz erlebt hat und sich die Mängel häufen, sollte man sich einer Unmilde nicht verschließen.

Heute morgen meldete ein deutscher Berichterstatter die Beobachtung seiner britischen Kollegen, daß russische Grenzer einen russischen Militärkonvoi die ukrainische Grenze passieren „gelassen“ hätten. Es klang,  als hingen die putinschen Militärtransporte für seine Kolonne in der Ukraine ab von der gnädigen Zustimmung des russischen Zolls! Sancta simplicitas! Eine seltsame Ahnung läßt mich vermuten, daß der Bericht über dieselbe Sache bei den angelsächsischen Kollegen realitätsnäher gelautet haben könnte.

Und um noch eins draufzusetzen: Gestern informierte eine Journalistin über die putinsche Rede auf der Krim. Er habe gesagt, daß er alles in seiner Macht stehende tun werde, den Krieg in der Ostukraine schnellstmöglich zu beenden. Die Journalistin äußerte prompt die Hoffnung, daß Putin dieses Versprechen bald umsetzen möge. Mit der üblichen westlichen Naivität hatte sie Putins Worte als zwar überfälliges aber positives Einlenken gedeutet. Und ich als Drohung.

Serapion an Mephisto

Ich komme zu sprechen auf den Baum mitten im Garten.

 

 

Der Baum der Erkenntnis

 

Unter jenem Baum erwachend

Sprang der Weise plötzlich auf die

Füße, und er drehte tanzend

Sich und hüpfend froh in Kreisen.

 

Das war’s! Das war’s! Das allein! Was

Andres konnt’s nicht sein! Er hatte

Sie gefunden, die alleinig

Gültige! Die reine Wahrheit!

 

Stolz verhielt der Baum das Rascheln

Seiner Blätter. Denn von Eva

Und von Adam bis zu Buddha

Und von Newton bis zu Einstein

 

Und von Moses über Marx bis

Mao – nun war es exakt der

Tausenderste, der emporsprang

Unter ihm beseelt mit Wahrheit.

 

 

„Lebe im Verborgenen!“

Mephisto an Serapion

Du magst ja noch so sehr gegen milliardärische Unfreiheit polemisieren, jedoch – Brechts wahrer Geist läßt grüßen – nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm. Und so habe ich gestern beschlossen, endlich einmal wieder den amerikanischen Traum zu verwirklichen und durch harte Arbeit und Gesetzestreue vom armen Teufel in die Rockefeller-Liga aufzurücken. Ich werde nach Amerika wechseln und reich werden in der Filmindustrie. Vorhin, zwischen bittersüßer Orangenmarmelade und kretischem Pinienhonig, habe ich mir gleich am Frühstückstisch das einzigartigste aller einzigartigen Drehbücher ausgeknobelt, ein Hollywutszenario, wie es die Welt noch nicht sah:

Das Holliwutszenario

Familien unternehmen Ausflug ans Meer!

Delphine spielen mit kleinen Kindern!

Däddies erklären kleinen Kindern, daß man ein Versprechen immer halten müsse!

Däddies verabschieden sich von ihren liebevollen Frauen!

Kleine Kinder verabschieden sich weinend von ihren Däddies!

Däddies versprechen ihren Kindern, bis Ostern wieder daheim zu sein!

Familienväter von kleinen Kindern kommen herzzerreißend um!

Liebespaare kommen durch!

Er ist zwanzigjähriger athletischer hochkarätiger Spezialist für bedrohliche Sauriereier!

Er verabscheut Gerichtsmedizinerinnen!

Sie rettet ihm sein weltweit anerkanntes Spezialistenleben anläßlich eines zufälligen Busunglücks!

Sie ist eine zwanzigjährige attraktive, weltweit geschätzte Gerichtsmedizinerin!

Sie ist ein Mädel wie du und ich!

US-Präsidenten glauben es erst gar nicht!

Gerichtsmedizinerinnen überzeugen US-Präsidenten!

Schurkische Präsidentenberater wandeln sich kurz vor ihrem redlich verdienten bitteren Ableben in einen guten Menschen um!

US-Präsidenten retten die Welt!

Von kleinen Kindern dressierte Delphine (Du erinnerst Dich?) retten US-Präsidenten!

Liebespaar küßt sich vor dem Grabmal des bekannten Familienvaters!

Die Welt erfährt unverhofft vom stillen Heldentum ihrer US-Präsidenten!

Ein Saurrierei bleibt übrig! (Für die Fortsetzung!)

Film spielt die Drehkosten von zwei Milliarden Dollar bei der Premiere wieder ein!

Zwölfjährige Schülerinnen wollen Gerichtsmedizinerin studieren!

Komponist erhält Oscar für herzergreifendste Filmmusik!

Komponist schluchzt herzergreifend, es gar nicht erwartet zu haben!

Der ganze Saal klatscht begeistert gerührt zu seiner Bescheidenheit!

Drehbuchautor erhält Oscar für originellstes Drehbuch!

Mildtätig werde ich dann Gaben austeilen und Stiftungen stiften und eine Sendeanstalt für Poesie und Geschichte und Philosophie und Romantik und Duke Ellington und Johann Sebastian Bach. Frei von jeglichem Wetterbericht. Dafür mit neugierigen Blicken auf Menschen und ihre Umstände und die Ereignisse und Begebenheiten in unseren Nachbarländern. Und mit wichtigen ungemeldeten Meldungen. (Bei Ausbruch des jüngsten Gaza-Krieges kam einmal(!) in einem Halbsatz, daß die Hamas jeden Israeli als „legitimes Ziel“ ausgegeben, also zur Tötung freigegeben habe.)

Im übrigen aber bin ich der Meinung, daß seit Beginn der russischen Anmutungen gegen die Ukraine der Publikumsliebling Frank-Walter Steinmeier mit seiner gut gemeinten, also schlechten Außenpolitik kontinuierlich und jeweils vorhersagbar scheiterte. Aus Gründen der Inadäquatheit. Das bezieht sich nicht nur auf die unsägliche Zeit, während der er im Vierundzwanzigstunden-Rhythmus den Westen (!) davor warnte, der russischen Seite wehzutun. Und es vergrößert sich wieder die Gefahr, daß er Putin und Lawrow doch noch auf ihren russischen Leim latscht und in der Ostukraine die transnistrieschen Zustände verewigt werden wie auch in Südossetien und Abchasien, wo Russen auf einem Fünftel georgischen Territoriums die geraubten Gebiete mit dem Ausbau von Grenzbefestigungen und mit provokativen Militärübungen absichern und gegen jedes Völkerrecht den georgischen Luftraum drohend mit ihren Kampfjets durchpfeifen.

Der Konflikt sei nicht mit militärischen Mitteln zu lösen, lautet das Mantra deutscher Außenpolitik, dessen Verabsolutierung jeglicher Aggression die Landesgrenzen öffnen würde.

Und ihr zum Siege verhülfe wie Hitler das Münchener Abkommen.

Wie Vergangenheit und Gegenwart aber lehren, gibt es auch Konflikte, die allen Hoffens und Wünschens zum Trotz sich nicht unmilitärisch lösen lassen.

Als der notorische Pazifist, ein gewisser Einstein, Albert, nach der Machtergreifung Hitlers gelegentlich eines wissenschaftlichen Kongresses in Belgien von dortigen Pazifisten gefragt wurde, wie man sich denn verhalten solle bei einem eventuellen Einmarsch deutscher Truppen, hieß seine Antwort: „Kämpfen!“

Not täte die Entwicklung einer Strategie aus der Analyse einer Gesamtsicht unter Einbeziehung der historischen Fakten. Die Gorbatschow-Ära scheint die regelbestätigende einsame Ausnahme gewesen zu sein. Was treiben eigentlich die hochdotierten Intelligenzbestien in den sogenannten Denkfabriken?

Solange man im Westen nicht begreift, daß der Kreml unter dem gestirnten Himmel immer nach anderen Regeln spielt als nach denen der aristotelischen Logik und des kantschen Moralprinzips, wird man, wie gehabt, alle paar Jahre staunend aus den Wolken plumpsen. Wie so oft schon die deutsche Wirtschaft in ihrem unermüdlichen Bemühen um den ach so vielversprechenden russischen Markt. Da kommt mir nicht nur das Heulen und Zähneklappern anläßlich des Röhrenembargos in den Sinn. Schon mit bescheidenen Geschichtskenntnissen kann man tatsächlich zu treffenderen Entwicklungsprognosen gelangen als mit Eliteabschlüssen in Wirtschaftswissenschaften! Jüngst, im März, E.on-Chef Johannes Theyssen auf die Frage, ob er nach der Verschärfung der Ukraine-Krise Angst habe um seine Investitionen. Antwort: „Nein, dazu gibt es keinen Anlaß.“

Rußland ist kein Partner, und das hätte man ohne viel Mühe im voraus wissen können und wissen müssen.

Zurück zum Speziellen: Wäre es nicht endlich an der Zeit, die sogenannten Separatisten als camouflierte Söldner Rußlands zu klassifizieren? (In Donezk mußten die „Aufständischen“, deren Uhren übrigens Moskauer Zeit statt mitteleuropäischer Zeit anzeigen, sich bei der Besetzung der Stadt von deren Einwohnern den Weg zum zentralen Lenin-Platz erklären lassen.) Wenn die Antwort lautet JA, darf man diese Soldateska nicht, wie von Rußland gefordert aus irgend einem Grund (aber mit welchem Recht?), zu gleichberechtigten Verhandlungspartnern aufwerten und ihnen womöglich nach russischer Interessenlage noch Zugeständnisse hinsichtlich der Verfassungsstruktur des Landes zubilligen. Rußland hat in ukrainischen Verfassungsfragen nicht mit am Tisch zu sitzen. Auch nicht indirekt.

Wenn es also kein Volksaufstand armer unterdrückter Russen ist, könnte man dann nicht umgekehrt schlußfolgern, daß es eher seitens der Ukraine sich um einen Befreiungskampf handelt?

Unsere ausgewogenen öffentlich-rechtlichen Medien haben es nicht einmal fertig gebracht, unempört über das angebliche „Verbot der russischen Sprache“ zu berichten. Natürlich sollte in der Ukraine nicht die russische Sprache verboten, sondern Russisch als zweite Amtssprache abgeschafft werden, und zwar als eine der ersten Gesetzeshandlungen der neuen, endlich Handlungsfähigkeit gewinnenden Regierung. Allein wenn ich diese Tatsache hörte, würde ich sie, ungeachtet ihrer politischen Klugheit oder Unklugheit oder politischen Korrektheit, als eklatanten Hinweis auf einen Unabhängigkeitskampf, als Bestandteil eines Befreiungsversuchs von langjähriger Bevormundung werten. Statt, wie von russischer Propaganda gewünscht, als Knechtung einer Minderheit. Die Abschaffung dieser zweiten Amtssprache war ihnen ja nicht aus Jux und Tollerei so wichtig!

Und war der Sturm auf die Bastille politisch korrekt?

Gravitätisch warnt der Außenminister vor einem neuen kalten Krieg. Bitte um Kenntnisnahme: Rußland führt heißen Krieg! Und der wird nicht enden durch appellierendes Abwarten auf Vernunfteinkehr. Sondern eher durch Etablierung der Russen in Neurußland, wie der vormalige Leiter des „Zentrums für konservative Forschung“ an der Staatlichen Moskauer Universität, der einflußreiche Alexander Dukin, die Ostukraine (mindestens!) bezeichnet. Etablierung der Russen vielleicht sogar mittels der durch Sergej Lawrow geforderten russischen Friedenstruppen, unter Absegnung des Westens und getarnt als OSZE-Friedensmission. Oder durch direkte Intervention russischer Truppen zum Schutz der unterdrückten russischen Bevölkerung.

Oder indem es der schwachen Ukraine gelingt, ihre russische Grenze freizukämpfen.