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Thalatta ! Thalatta !

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10.6.2016 Mephisto an * * *

 

Nichts ist geblieben von dir als der Schatten einiger Strahlen,

Einiger Schimmer des Lichts, das sich damals glücklich in deinen

Augen reflektierte, dich zeigend, ewig, auf einem

Engen Papier in hellgrauen Tönen, die ich durchsuche,

Die ich durchforsche so manchen Tages, wenn ich mit dir rede,

Aber du selbst bist seit langen Jahren zerfallen zu Asche.

 

Mephisto an Bellarmin

Warum wollte Griechenland in die Eurozone, und wie kam es hinein?

Auf dem Schlachtfeld vor dem skäischen Tore Trojas begegnen sich der griechische Held Diomedes und auf trojanischer Seite der Recke Glaukos im Kampfe, wie Homer uns im sechsten Gesang der Ilias in vossischer Übersetzung berichtet:

Glaukos nun, des Hippolochos Sohn, und der Held Diomedes

Kamen hervor aus den Heeren gerannt in Begierde des Kampfes.

Als sie nunmehr sich genaht, die Eilenden, gegeneinander,

Redete also zuerst der Rufer im Streit Diomedes:

Wer doch bist du, Edler, der sterblichen Erdenbewohner?

Nie ersah ich ja dich in männerehrender Feldschlacht

Vormals, aber anjetzt erhebst du dich weit vor den andern,

Kühnes Muts, da du meiner gewaltigen Lanze dich darstellst.

Meiner Kraft begegnen nur Söhn‘ unglücklicher Eltern! …

Wenn du ein Sterblicher bist und genährt von Früchten des Feldes,

Komm dann heran, daß du eilig das Ziel des Todes erreichest.

Ihm antwortete drauf Hippolochos‘ edler Erzeugter:

Tydeus‘ mutiger Sohn, was fragst du nach meinem Geschlechte?

Gleich wie Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen,

Einige streut der Wind auf die Erd hin, andere wieder

Treibt der knospende Wald, erzeugt in des Frühlinges Wärme;

So der Menschen Geschlecht; dies wächst und jenes verschwindet. …

Aber Hippolochos zeugete mich, ihn rühm ich als Vater.

Dieser sandt in Troja mich her und ermahnte mich sorgsam,

Immer der erste zu sein und vorzustreben vor andern,

Daß ich der Väter Geschlecht nicht schändete, welches die ersten

Männer in Ephyra zeugt‘ und im weiten Lykierlande.

Sieh, aus solchem Geschlecht und Blute dir rühm ich mich jetzo.

Sprachs, doch freudig vernahm es der Rufer im Streit Diomedes.

Eilend steckt‘ er die Lanz in die nahrungsprossende Erde,

Und mit freundlicher Rede zum Völkerhirten begann er:

Wahrlich, so bist du Gast aus Väterzeiten schon vormals! …

Also bin ich nunmehr dein Gastfreund mitten in Argos,

Du in Lykia mir, wann jenes Land ich besuche;

Drum mit unseren Lanzen vermeiden wir uns im Getümmel. …

Aber die Rüstungen beide vertauschen wir, daß auch die andern

Schaun, wie wir Gäste zu sein aus Väterzeiten uns rühmen.

Also redeten jen‘, und herab von den Wagen sich schwingend,

Faßten sie beid einander die Händ‘ und gelobten sich Freundschaft.

Doch den Glaukos erregete Zeus, daß er ohne Besinnung

Gegen den Held Diomedes die Rüstungen, goldne mit ehrnen,

Wechselte, hundert Farren sie wert, neun Farren die andern.

Und noch vor dem „Rufer im Streit“ Diomedes gilt seit Zeiten des trojanischen Krieges den Griechen der „listenreiche Odysseus“ als ihr Nationalheld. Wobei es zum einen bei der Auslöschung Trojas wohl eher gegen einen konkurrierenden Handel und Wandel gegangen sein dürfte statt um die Rückführung der schöne Helena in Menelaos Bett, und zum andern Odysseus beim Tricksen und Täuschen durchaus nicht zimperlich war. Erinnert sei etwa an die Aussetzung des unheilbar verwundeten Philoktetes „an der wüsten und unbewohnbaren Küste der Insel Lemnos“ durch den „verschlagenen Odysseus“, weil Philoktetes ewig eiternde Wunde ihnen zu sehr stank und sein Wehklagen die gen Troja segelnden Krieger nervte. „Der schlaue Odysseus“ vollführte „diesen hinterlistigen Anschlag“, indem er den schlafenden Helden am Strand ablegte mit „so viel Kleidungsstücken und Lebensmittel“, „als zur kümmerlichen Fristung seines Lebens für die nächsten Tage nötig waren“, wie uns Gustav Schwab in den „Sagen des klassischen Altertums“ zu berichten wußte. Doch hatten die achäischen Recken sich insofern verrechnet, als ihnen im neunten Jahre der vergeblichen Belagerung der trojanischen Feste ihr Seher Kalchas verkünden mußte, sie könnten sich ewig im sieglosen Streite gegen diese Stadt abmühen, solange sie nicht Philoktetes mit seinen unwiderstehlichen herakleidischen Pfeilen von der Insel Lemnos herbeischafften.

Zwecks dessen Entführung schifften der „kluge Odysseus“ mit dem „tapferen Jüngling Neoptolemos“ zurück nach „der unbetretenen, unbewohnten Küste der wüsten Insel Lemnos“. „Das erste, was sie taten, war, daß ein Diener auf die Lauer ausgesandt wurde, damit der Kranke sie nicht überraschen könnte“, während sie sich berieten, „denn nur durch Täuschung können wir uns seiner bemächtigen“, meinte der Sage nach Odysseus. Denn man hatte natürlich Angst vor Philoktetes „unbesiegbaren Geschossen“, weswegen: „ohne List bekommen wir den Mann und die Pfeile nicht“. Neoptolemos plädiert für kämpferische Überwältigung, Odysseus hingegen für arglistige Täuschung. Sein Plan ist derart heimtückisch, daß Neoptolemos sich wehrt, „eine Tat, die ich ohne Abscheu nicht hören kann, vermag ich auch nicht zu tun; weder ich noch mein Vater sind zu so böser Kunst geboren worden. Gern bin ich bereit, den Mann mit Gewalt zu fangen; nur erlaß mir die Arglist!“

Odysseus erwidert, auch er sei „in der Jugend mit der Zunge langsam und rasch mit der Hand“ gewesen. „Erst die Erfahrung mußte mich belehren, daß die Welt weniger durch Taten als durch Worte gelenkt wird.“

Wie wir wissen, gelang Odysseus Plan, und die Welt kennt seiner listigen Worte Ergebnis. Troja lag in Trümmern und Helena im Bett des alten Gatten.

Etliche Jahre später verbrannten die historischen Griechen das persische Schiffslager bei Mykale. Und schlossen zur Vorsorge gegen künftige persische Angriffsgelüste den Delischen Verteidigungsbund. Für den Ausbau von Befestigungen, den Unterhalt der Kriegsflotte und Zurüstungen wurden die von den souveränen Stadtstaaten aufgebrachten finanziellen Mittel im Schatzamt des Bundes gehortet in einem Tempel auf der Insel Delos, hier traten die Abgeordneten der Bundesmitglieder regelmäßig zusammen. Bis auf das Betreiben des Perikles der delische Schatz nach Athen, sagen wir einmal, listenreich „verlegt“ wurde. Um nicht von Heimtücke zu sprechen. Hinsichtlich ihrer Beiträge wurden die ehemaligen Bundesgenossen hinfort tributpflichtig, und ihre Eulen wanderten fleißig nach Athen. Was nun begann, war die klassische Ära. Phidias und Iktinos wurden mit dem Wiederaufbau der durch die Perser zerstörten Akropolis von Athen beauftragt. Als Krönung schmückte die Akropolis der Parthenon, das Haus der Jungfrau, der Tempel der Athene aus reinstem weißen Marmor. Darin die Cella, die Wohnung der Göttin mit ihrem zwölf Meter hohen Standbild aus Gold und Elfenbein. Als Eingang zur Akropolis die Propyläen, die auch zur Beherbergung von Weihegeschenken und als Kultstätten dienten. Die ganze Bergoberfläche wurde in eine von der Heiligen Straße durchschnittenen ebene Terrasse verwandelt, hinauf führte die imposante Treppe. Perikles ließ auch den Hafen von Piräus ausbauen, die langen Mauern errichten und auch das Odeion. Voilà, Athen stand in schönster Blüte.

Das nötige Kleingeld der griechischen Klassik, für all ihre feinen Bauten und Kunstwerke, ließ Perikles der Kasse des Delischen Bundes, sagen wir einmal, listenreich „entnehmen“.

Während all jener berühmten perikleidischen Prachtjahre der griechischen Klassik verkam Athen im Dreck. Zu jeder Tages- und Nachtzeit wurden die Abfälle durchs Fenster auf die meist ungepflasterten Straßen geworfen. Ekelerregend stanken während der Sommerhitze die Müllhaufen vor den Häusern. Es gab keinerlei Sanitäranlagen, und wenn es regnete, versank man knöcheltief im Morast. Aufgeräumt wurde nur vor Festumzügen und Paraden. In der ganzen Stadt existierte nicht ein einziges prunkvolles Haus! Je reicher man war, um so höher die Steuern, also stellte man doch seine Habe nicht listenarm zur Schau…

Denn Handel und Gewerbe blühten. In Athen wimmelte es vor Gerbern, Lampenmachern, Müllern, Bäckern, Kleiderfabrikanten, Eisengießern, Goldschmieden, Steinmetzen, Zimmerern, Anstreichern, Metallarbeitern, Bergarbeitern, Sägemüllern, Ziegelmachern, Dachdeckern, Bildhauern, Maurern, Bauunternehmern, Schneidern, Spinnern, Webern, Wollbereitern, Färbern, Stickerinnen, Krankenschwestern, Winzern, Wagenbauern, Seilern, Flachsarbeitern, Lederzurichtern, Straßenbauern und Kaufleuten, Kaufleuten, Kaufleuten. Exportiert wurden Weine, Öle, Wolle, Marmor und an Kunstgegenständen nicht nur die überall begehrten attischen Vasen.

Perikles starb, kaum von der Pestseuche genesen, an der Pockenseuche.

Was fällt mir noch ein?

Am 24. Oktober 1862, also mehr als zwei Jahrtausende später, wurde der Griechenkönig Otto durch einen Militärputsch zur Abdankung und zum Verlassen des Landes gezwungen. Der Wittelsbacher war dreißig Jahre zuvor, nach dem griechischen Befreiungskampf gegen die türkische Fremdherrschaft, von der griechischen Nationalversammlung zum König gewählt worden. Hauptgründe für seine Vertreibung: Er hatte deutsche Architekten, Beamte, Gelehrte, Lehrer, Offiziere in das Land geholt und die Vorrechte der mächtigen Familienclans nicht respektieren wollen.

Also, wie ich letzte Woche mitbekam, denkt man jetzt, im siebten Jahr der Krise, tatsächlich schon daran, daß man in Griechenland Steuern nicht nur erheben, sondern sogar eintreiben müsse. Es geht voran!

Mephisto an Bellarmin

Während die Welt brennt an allen vier Ecken und Enden befleißigen sich die deutschen öffentlich-rechtlichen Medien wieder mit Nachrichten über Derhatdiesgesagtundderhatdasgesagt als erste Meldung. Am 10. August vermerkte die SCHLESWIG HOLSTEIN AM SONNTAG zu den deutschen Debatten hinsichtlich der Bombardements des IS durch die USA:

Keine andere Nation scheint willens, den Völkermord in Nordirak zu stoppen. Schon gar nicht die Pazifisten in Deutschland. Oder was unternehmen Protestanten und Katholiken, um ihren Glaubensbrüdern zu helfen? Wo sind die Pastoren, die selbst den Bundespräsidenten der Kriegstreiberei bezichtigen, weil dieser militärische Mittel als Ultima Ratio in Erwägung zieht? Oder darf man von Margot Käßmann, Claudia Roth und Gregor Gysi schon bald kritische Einlassungen erwarten, dass die islamistischen Mörderbanden doch bitte nicht mit Raketen beschossen werden sollten? Ja, so absurd sind die Debatten, fern der Realität.

Ja, das macht uns keiner nach. Dem brennenden Thema angemessen, habe ich mir einmal erlaubt, anhand einer originalen deutschen Feuerschutzverordnung das deutsche Wesen elegisch zu fassen:

 

 

Das deutsche Wesen

 

Wenn ein Haus brennt, so muß man vor allen Dingen die rechte

Wand des zur Linken stehenden Hauses, jedoch auch die linke

Wand des zur Rechten stehenden Hauses zu decken versuchen;

Wollte man hingegen zum Exempel die linke

Wand des zur Linken stehenden Hauses decken, so liegt die

Rechte Wand des Hauses der linken Wand ja zur Rechten,

Folglich, da das Feuer auch dieser Wand und der rechten

Wand zur Rechten liegt (denn wir haben gesagt, daß das Haus dem

Feuer zur Linken liege), so liegt die rechte der Wände

Näher dem Feuer als die linke, und also die rechte

Wand des Hauses könnte abbrennen, deckte sie niemand,

Ehe das Feuer an die linke, die ja gedeckt wird,

Käme; folglich könnte etwas abbrennen, das man

Ungedeckt ließe, und zwar eher, als etwas andres

Abbrennen würde, auch wenn man’s nicht deckt, demgemäß muß man

Dieses lassen und jenes decken. Um sich die Sache

Imprimieren zu können, darf man nur merken, wenn das

Haus dem Feuer zur Rechten liegt, so ist es die linke

Wand, und liegt das Haus zur Linken, so ist es die rechte…

 

 

Der „Feuerverordnung“ Original findet sich jeweils grinsend zitiert bei Georg Christoph Lichtenberg in einem seiner Sudelbücher und in General Carl von Clausewitzens „Vom Kriege“. Im übrigen aber bin ich der Meinung, daß der immer noch zur Krise verniedlichte Krieg in der Ostukraine nicht mit Mitteln der „neuen Ostpolitik“ à la Willy Brandt und Egon Bahr zu befrieden sein wird, ihrer einstmaligen und heute leider schon wieder unterschätzten Genialität zum Trotze. Der eine Grund liegt in der permanenten Verkennung der Situation. Zum Beispiel haben wir es hier nicht zu tun mit einem kalten Krieg, sondern mit einem heißen. Ein weiterer Grund ist die Verkennung des Interessenwandels der russischen Seite von damals zu heute. Damals hing das Interesse der Sowjet-Union an einer Anerkennung der europäischen Nachkriegsordnung, insbesondere einer Sanktionierung der bestehenden Grenzziehung, also an der diplomatischen Absicherung ihrer Einflußsphäre, übrigens inklusive einer Anerkennung des Hitler/Stalin-Paktes im Hinblick auf die russische Besetzung der baltischen Staaten. Die sie vermittels der neuen Ostpolitik und der KSZE im Gefolge erhielt. Heute handelt das russische Interesse jedoch von Veränderung bestehender Grenzen und von Beschneidung nachbarstaatlicher Souveränität. Weiterhin geht die Fehleinschätzung immer noch aus von der Rückgewinnung einer vermeintlichen Partnerschaft zwischen dem Westen und Rußland. Man verkennt in gefährlicher Weise die Gegnerschaft. Man ignoriert sträflich historische Entwicklungen aus Angst vor der Realität, aus Angst, daß nicht sein könne, was nicht sein dürfe. Beispiel im Detail: Auf deutscher Seite bildet man sich ein, die Ukraine müsse mit den „Separatisten“ verhandeln, als wären das legitime Vertreter ihrer Region. Man betrachtet den sogenannten Konflikt durch die Brille der fünfundvierzig Jahre alten neuen Ostpolitik und wird Opfer putinscher Propaganda. Der Kreml freut sich. Und man gibt sich immer noch Illusionen hin bezüglich putinscher Absichten und glaubt, ihn beschwichtigen zu können. Und man hat immer noch nicht zur Kenntnis genommen, daß mindestens achtzig Prozent der Russen hinter ihm stehen, daß sich vom bescheidenen Rest so gut wie niemand gegen ihn zu mucksen traut und sein Parlament auf Kommando ehrlich begeistert die ungeheuerlichsten Gesetze durchwinkt. Man fragt sich immer noch, was der Auftraggeber von Auftragsmorden eigentlich wohl wollen möge. Als diese Woche der angebliche, hier wäre das derzeitige Lieblingswort deutscher Nachrichtensendungen einmal angebracht, als der angebliche Lebensmittelkonvoi die ukrainische Grenze durchbrach, fragte ein Journalist tatsächlich, ob dies auf Anordnung Putins geschähe. Antwort: Man sage, er sei in Kenntnis gesetzt, er wisse davon… Und im Deutschlandfunk formulierte der Nachrichtenmoderator flapsig, auf Seiten des „Lebensmittelkonvois“ wäre nun eben mal der Geduldsfaden gerissen…

Die Reihe der Fehleinschätzungen und Verkennungen, vor allem auch der Ignoranz russischer Geschichte und der aus ihr resultierenden Mentalität und Geisteshaltung, ließe sich leider noch lange fortsetzen. Doch hier zum Abschluß zwei andere Stimmen. Letzten Mittwoch schrieb die Warschauer GAZETA WYBORCZA:

Nach dem Fiasko des Treffens der Außenminister Russlands, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands ist klar zu erkennen, dass Paris und Berlin nicht in der Lage sind, den Kreml von einem Politikwechsel zu überzeugen. Auch wenn eine Lösung unwahrscheinlich ist, sollten Friedensgespräche künftig unter der Ägide der Europäischen Union stattfinden. Damit wäre auch der Verdacht ausgeräumt, dass Frankreich und Deutschland sich im Stillen mit Moskau einigen – vielleicht sogar auf Kosten der Ukraine oder der östlichen EU-Mitglieder. Die deutsche Regierung sollte endlich zur Kenntnis nehmen, dass es kein Zurück mehr zu jenen Zeiten gibt, als wir Europäer Russland noch als vertrauenswürdigen Partner betrachteten. Vielmehr sollte man sich auf einen langen und kalten Winter einstellen.

Seltsam wieder, von einem Fiasko war auf deutscher Seite überhaupt nicht die Rede. Wie auch nicht von all den anderen – vorhersehbaren – Fiaskos steinmeierscher Ukrainepolitik.

Zutiefst erschüttert hat mich die einsame Stimme der russischen Schriftstellerin Ljudmilla Ulitzkaja im aktuellen SPIEGEL (Nr. 34):

 

Mein Land krankt an aggressiver Unbildung, Nationalismus und imperialer Großmannssucht.

Ich schäme mich für mein ungebildetes und aggressives Parlament, für meine aggressive und inkompetente Regierung, für die Staatsmänner an der Spitze, Möchtegern-Supermänner und Anhänger von Gewalt und Arglist, ich schäme mich für uns alle, für unser Volk, das seine moralische Orientierung verloren hat.

 

Mein Land bringt die Welt mit jedem Tag einem neuen Krieg näher, unser Militarismus hat bereits in Tschetschenien und Georgien die Krallen gewetzt, und nun trainiert er auf der Krim und in der Ukraine.

Leb wohl, Europa, ich fürchte, wir werden nie zur europäischen Völkerfamilie gehören.

 

Bellarmin an Mephisto

 

Mehr und mehr Ideale werden verdreht, es strebt niemand

Länger nach Bildung, man spottet darüber. Geistigen Reichtum

Kennt man nicht, denn er stellt sich ja nie zu den Schreiern – so pflegt jetzt

Jeder seine Dummheit. Ja, das ist wahrhaft die neue

Ära, in der Unbildung als chic gilt! Welch Stolz der

Leute, Bach nicht zu kennen, Goethe nicht zu ertragen,

Nie hat man etwas von Lessing gehört – und von Gryphius schon gar nicht.

Diese Mühe, wozu, wem sollte sie nützen? Man will sich

Auch in Geschichte nicht auskennen, denn es langweilt. Und wie die

Kinder nimmt man den Film als das Ereignis, und wenn ein

Schauspieler einmal einen Helden mimte, so hält man

Ihn für heldisch, und sein Geschwafel macht ihn dann reich. Man

Hegt eine Pseudobildung über Astrologie und

Film und Sport und Börsenkurse, über das Wetter,

Über esoterische Energien. Die Elite

Weiß Bescheid in Betriebswirtschaft und Jura und liest die

Ratgeberbücher und Managerkurse. Und Popsongs, das sind die

Ewigen Permutationen aus Versatzstücken, kecke

Krämer lassen sie produzieren am laufenden Band in

Ihrem monströsen Trieb, das Geld zu scheffeln, die Popsongs

Also beherrschen alle Kultur, und diejenigen, die

Fähig sind, sich beim Fernsehquiz an ältere Titel

Noch zu erinnern, demnach die Pfiffigeren, die partiell mit

Einem Gedächtnis Begabten, verehrt man als hochmusikalisch.

Und gesungen wird selbst von den Stumpfesten in einer Sprache,

Die sie noch weniger als die eigene Sprache verstehen.

 

Damit beginnt das Reich des Pöbels. Er ist obenauf und

Freut sich dessen in seiner Art. Er trägt Haute Couture und

Sprüht sein Eau de Toilette, er wohnt komfortabel in einem

Haus mit Schwimmbecken und mit Tresor, natürlich besitzt er

Autos und Privatflugzeuge. Sonst fuhr er bei

Einem Kurierdienst, jetzt schickt er andere aus, und er glaubt mit

Diesem Grunde, wichtig zu sein. Er singt Karaoke,

Lädt zu Pressekonferenzen, und die Reporter,

Die ja keinen Konjunktiv mehr kennen, und wenn er

Äußert, er denke dies oder meine jenes, berichten,

Daß er dies denkt oder jenes meint, das Pack von Reportern

Flitzt auch tatsächlich hin und filmt mit Pomp und Gepränge,

Wie er sich spreizt vor seinem Wandschrank mit kantengereihten

Echtgoldverzierten Buchrückenimitaten. Und wenn es

Eine Leifsendung ist, dann flattern die Korrespondenten

Fieberig, heiser, fickerig – leif gilt ihnen als Wert an

Sich, wie vieles erschreckend Bedeutungsloses, sie können

Unwichtiges von Wichtigem nicht mehr scheiden. Und seine

Frau, die früher vierundzwanzig Stunden des Tages

Fernsah und zu dumm ist, auch nur einen von ihren

Sätzen vollständig auszusprechen, prunkt jetzt mit ihrem

Fünfhundertwörterschatz als Moderatorin. Das quatscht aus

Jedem Fernsehsender mit Inbrunst dasselbe und nennt sich

Pluralismus. Und sie behaupten, dies müsse so sein, ihr

Publikum wolle es! Was hieße, das Publikum und das

Fernsehn verblöden sich gegenseitig! Sie normen sich abwärts.

 

Während die Geschmackfreien derart mit einem unsäglich

Zufälligen Allotria, ihrem Verdienst, die Karriere

Machten und reich geworden sind, verlaufen sich schutzlos

Die Gebildeten, obdachlos, zerlumpt und vereinzelt

Unter der Meute, regiert von den Ungebildeten, von den

Ungeduldigen, von den Machern. Was soll das Problem samt

Seinen Gründen? Stolz durchschlagen Pragmatiker jenen

Gordischen Knoten und noch einen Knoten und noch einen Knoten,

Und man wundert sich, warum nichts mehr hält. Doch man denkt nicht

Lange nach und läßt sich darob loben, in seiner

Angst befördert jeder die Parvenüs. Denn das Denken

Koste Zeit, und Zeit wäre Geld, und Nachdenken kennt man

Gar nicht mehr. Man will überhaupt nicht die Information, man

Sendet sich Imels und verlangt die Info. Die Wahrheit

Nervt und dauert zu lange. Man glaubt an Gott nicht, man glaubt an

Höchstgeschwindigkeit und Globalisierung, man glaubt an

Die Geburtenkontrolle. Man merkt nicht, warum es bergab geht.

Fachleute gibt es nicht mehr, und unsere Sprache wird täglich

Unverständlicher. Wer wagt noch, zur Arbeit zu gehen?

Schon die Kinder sind des Lebens müde. Die Menschen

Werden weniger, die Geburtenzahlen vermindern

Sich, und es bleibt nur der Wunsch: So möge sich alles zugrunde

Richten. Das Land wird von vollkommen sinnlosen Leuten beherrscht, von

Schomastern, Rambos und Moddels nach ihrem gesunden Empfinden,

Und vom feiernden Volk auf den „Liebes-Paraden“ der Städte

Werden die Toten der Nacht am Tag in die Flüsse geworfen…