5. Januar 2020: Kassandra an Mephisto
Ein Grund unter manchen anderen für ihre Fragwürdigkeit, nämlich der beträchtlichen Möglichkeit des Scheiterns Eurer Zivilisation, scheint mir tatsächlich in Eurem Wahrnehmungsvermögen zu liegen.
Im Geschichtsbild wie im Wetterbericht.
Wenn in den Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Medien eine Meldung über die sogenannten Buschbrände in Australien kommt, in letzter Zeit immerhin fast täglich, sehe ich schon: danach folgt gleich der Wetterbericht. Denn die Euren bundesdeutschen Redakteuren wichtigste Meldung wird ja an den Anfang der Nachrichten gestellt. Das haben sie gelernt.
Ich vermute von Verona Pooth.
Zumindest was die heutige Generation der Nachrichtenredakteure anbelangt.
In ihrem Hinblick auf die Wertung der Wichtigkeit von Meldungen.
Anders kann ich mir kaum erklären, daß jeder absichtsvolle Propaganda-Furz eines SPD-Politikers zuverlässig auf den ersten Nachrichtenplatz gehievt wird. Und die Meldung, die Polkappen seien gerade weggeschmolzen, das paßt ja zum Wetterbericht, auf den letzten.
Selbstverständlich ohne Erwähnung, daß zwei Monate zuvor die SPD im Bundestag gegen die Einführung eines Tempolimits gestimmt hatte: Daß die SPD ein Tempolimit von 130 km/h einzuführen fordere auf deutschen Autobahnen – erste Meldung!
Daß der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD in der Neuen Osnabrücker Zeitung von einem „Windbürgergeld für Anwohner“ gesprochen habe – erste Meldung!
Daß SPD-Scholz meine, den Kommunen sollten die Altschulden gestrichen werden – erste Meldung!
Daß Ralf Stegner meine, die SPD solle mit der Linkspartei fusionieren – erste Meldung!
Daß der allseits bekannte SPD-Politiker Castellucci einen neuen Anlauf für ein EU-Asylsystem fordere – erste Meldung!
Daß die SPD bei den Verlusten bei den Krankenkassen keinen Anlaß zur Besorgnis sehe – erste Meldung!
Daß die SPD ein Recht auf Heimarbeit (zu deutsch „Homoffis“) fordere – erste Meldung!
Daß SPD-Chef Walter-Borjans verlautbart habe, die Wochenendarbeit müsse strikte Ausnahme bleiben – erste Meldung!
Man stelle sich bloß einmal vor, in einer funktionierenden Demokratie käme die größte Oppositionspartei des Bundestages mit ihren Äußerungen ebenso häufig zu Wort wie die kleinere Regierungspartei. Wenigstens an zweitplazierter Stelle… Und im vollen Vertrauen auf die eigenständige Urteilsfähigkeit der durch die Schulen dieses demokratischen Staates zur urteilsfähigen Mündigkeit erzogenen Bürger.
Aber da kennen sie nix, Eure Redakteure, und schon gar keinen „Buschbrand“ im fernen Australien.
Australien brennt!
Die begünstigende Lufttemperatur, nebenbei einmalig erwähnt: 48° Celsius!
Was an sich schon eine erste Meldung wäre.
Was sich in Australien abspielt ist ein historisches Fanal ersten Ranges! Ein Menetekel für einen Anfang!
Und Eure Philosophen schweigen.
Und Eure Historiker schweigen.
Und Eure Anthropologen schweigen
Und Eure sogenannten Denkfabriken schweigen.
Dabei gäbe es doch zum Denken ein paar äußerst naheliegende aber interessanterweise ungestellte und deshalb wohl auch unbezahlte Fragen. Und über unbezahlte Fragen spricht man nicht und denkt in Denkfabriken schon gar nicht.
Zum Beispiel:
Wäre es nicht endlich an der Zeit, darüber nachzudenken, wie das Überleben unserer Gattung zu sichern wäre beim augenscheinlichen Nichteinhalten der für das Überleben von sieben bis zehn Milliarden Menschen lebensnotwendig erachteten Temperaturziele am Ende dieses Jahrhunderts?
Oder soll das erst 2101 beginnen?
Denn ihre Erreichung läuft, wie Ihr doch zur Genüge immer aufs neue beobachten könntet bei einigem Nachdenken, der zwangsläufig expansiven Natur des Menschen zuwider.
Beweis:
Euer eben jener menschlichen Natur angemessenes, auf Gedeih und Verderb expansives Wirtschaftssystem mit seinen untereinander konkurrierenden Wirtschaftseinheiten in dem begrenzten Wirtschaftsraum dieses Planeten.
Die Probleme bei einem Wachstumsverlust oder gar bei einem bloßen Einbrechen des Wachstums, der lediglichen Einbuße eines weiteren Anwachsens in eben jenem, der menschlichen Natur entsprechenden, expansiven Wirtschaftssystem führen bereits zur Verelendung breiter Bevölkerungsschichten und können den massenhaften Verlust an Menschenleben verursachen.
Die Menschheit der tonangebenden, der entwickelten Gesellschaften unseres Planeten ähnelt mehr und mehr einem Hamster, der sich in dem von ihm betriebenen Rad hastend selber zwingen muß, immer schneller und schneller zu rennen, um wenigstens auf der Stelle bleiben zu können.
Und die Menschheit hat es nicht geschafft, auf demokratischem Wege eine überstaatliche Weltmacht zu etablieren, die eventuell noch imstande wäre, das Unausweichliche regulierend zu mildern.
Oder wenigstens zu beginnen, die richtigen, nämlich die wahrhaft wichtigen Fragen zu stellen.
Beispielsweise ob für Überlebende künftig die Städte besser unter der Erdoberfläche anzusiedeln wären.
Oder vielleicht doch in dem Ozean voller Plastik?
Bereits die Erfinder der Demokratie kannten die Schwächen demokratischer Staatsverfassung zur Genüge, die ja per Volksversammlung einen Sokrates zum Giftbechertrinken verurteilen und, apropos Putin, Trump, Erdogan, jeden Esel als Pferd deklarieren könne per Mehrheitsbeschluß.
Auch das angesichts der übermächtigen Probleme eigentliche Scheitern eines bestwilligen Politikers der Neuzeit wie Barack Obama war ein Menetekel.
Doch der benötigte Bewußtseinswandel, wie allein schon das Symptom Eurer Nachrichtenplazierung zeigt, ist keinesfalls in Sicht.
Derweil brennt oben das Dach und unten rauchen die Minen, aber mitten im Haus schlägt man sich um den Besitz (Hebbel).
Die Natur schlägt zurück!
Und das fängt ja alles erst an!
Alles wird anders, als Ihr bisher denkt!
Ich sage Dir, Ihr solltet endlich auf das Mädchen hören, anstatt es zu verunglimpfen!
Europa war vormals ein feuchter Wald, und andre jetzt kultivierte Gegenden waren’s nicht minder: es ist gelichtet, und mit dem Klima haben sich die Einwohner selbst geändert. Ohne Polizei und Kunst wäre Ägypten ein Schlamm des Nils worden: es ist ihm abgewonnen, und sowohl hier als im weitern Asien hinauf hat die lebendige Schöpfung sich dem künstlichen Klima bequemet. Wir können also das Menschengeschlecht als eine Schar kühner, obwohl kleiner Riesen betrachten, die allmählich von den Bergen herabstiegen, die Erde zu unterjochen und das Klima mit ihrer schwachen Faust zu verändern. Wie weit sie es darin gebracht haben mögen, wird uns die Zukunft lehren.
Johann Gottfried von Herder (1744 – 1803)
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