A N A B A S I S

Thalatta ! Thalatta !

Der gewöhnliche russische Imperialismus an einem einzigen Beispiel

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Samstag, 17. Juni 2023: Bellarmin an Mephisto

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Ungeheuerlich: Stell Dir das Ausmaß an geistiger Verflachung vor in Deutschland! Es ist nicht eine einzige Stimme zu hören von einem Politiker, einem Historiker, einem Politikwissenschaftler, einem Denkfabrikdenker, die anläßlich des siebzigsten Jahrestages des 17. Juni etwa einen Zusammenhang herstellte beispielsweise zwischen 1953, 1956, 1968, der Breshnew-Doktrin oder Transnistrien, Tschetschenien, Südossetien, Abchasien, der Ukraine…

etc. etc. etc.

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Donnerstag, 28 Mai 1953:

Der Ministerrat der DDR faßte laut ADN folgende Beschlüsse:

1. Erhöhung der Arbeitsnormen

Der Ministerrat beschloß, im Sinne der Ankündigung bei der Tagung des ZK der SED die Arbeitsnormen mit den Erfordernissen der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Senkung der Selbstkosten in Übereinstimmung zu bringen und bis zum 30. Juni 1953 zunächst eine Erhöhung der für die Produktion entscheidenden Arbeitsnormen im Durchschnitt von mindestens 10 % sicherzustellen. Die zuständigen Ministerien und Staatssekretariate haben für jeden Betrieb Kennziffern für die Erhöhung der Arbeitsnormen festzulegen, die von den Werkleitungen für die Betriebsabteilungen des jeweiligen Werkes aufzuteilen sind. In Übereinstimmung mit den Zentralvorständen der entsprechenden Gewerkschaften haben die zuständigen Minister und Staatssekretäre sofort die allgemeine Überprüfung der Arbeitsnormen für die ihnen unterstehenden Betriebe anzuordnen. Die Betriebsleiter haben die Überprüfung der Arbeitsnormen in ihren Betrieben bis zum 3. Juni 1953 in Übereinstimmung mit den Betriebsgewerkschaftsleitungen zu veranlassen. Entsprechend den Ergebnissen der Überprüfung der Arbeitsnormen sind die neuen erhöhten Arbeitsnormen so festzusetzen, daß die festgelegten Kennziffern in jedem Betrieb mindestens erreicht werden. Im Rahmen der für die Erfüllung und Übererfüllung der erhöhten Arbeitsnormen notwendigen Maßnahmen ist in jeder Betriebsabteilung unter der aktiven Mitwirkung aller Arbeiter ein Plan technischer und organisatorischer Aufgaben aufzustellen. Dieser Plan muß sich vor allem auf die Verbesserung der Arbeitsorganisation, auf die Qualifizierung der Arbeiter, auf die Veränderung der technischen Bedingungen, auf die Beseitigung von Verlustzeiten und auf die verbesserte Instruktion durch Meister und Brigadiere erstrecken.

2. Wiederzuerkennung entzogener Lebensmittelkarten

Der Ministerrat beschloß die Bewilligung von Lebensmittelkarten ab 1. Juli 1953 an einen großen Teil derjenigen Personen, die nach der Verordnung vom 9. April 1953 vom Bezug der Lebensmittelkarten ausgeschlossen waren.

Archiv der Gegenwart. Bd. 1, S. 947 ff.

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Montag, 1. Juni 1953:

Das Präsidium des Ministerrates der DDR faßte laut Tägliche Rundschau folgenden Beschluß über die Reorganisation der Volkskontrolle:

»Mit der Bildung und Festigung der Ständigen Kommissionen der örtlichen Organe der Staatsgewalt und ihrer Aktivs, mit der Wahl Haus- und Straßenvertrauensleuten und der Schaffung der Einrichtung von freiwilligen Helfern der Volkspolizei sowie mit der Organisierung der gewerkschaftlichen Arbeiterkontrolle über Handel und Versorgung wurden die bisherigen Aufgaben der Volkskontrollausschüsse von diesen Organen der Werktätigen übernommen. Diese breitere Mitarbeit der werktätigen Massen bei der Kontrolle macht die Reorganisation der Volkskontrolle und die Einbeziehung der Mitglieder, der bisherigen Volkskontrollausschüsse in die neugeschaffenen Organe notwendig.« Mit der Durchführung der Reorganisation wurden die Rate der Bezirke und Kreise beauftragt.

Archiv der Gegenwart. Bd. 1, S. 949 ff.

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Mittwoch, 10. Juni 1953:

Das Presseamt beim Ministerpräsidenten der DDR veröffentlichte laut ADN folgendes Communiqué über eine Besprechung von Vertretern des Ministerrates, geführt vom Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, mit Vertretern der Evangelischen Landeskirchen in der DDR, geführt vom Bischof Otto Dibelius, Ratsvorsitzenden der EKD:

»Gegenstand der Besprechung war die Überprüfung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik. In der vom Geiste gegenseitiger Verständigung getragenen Verhandlung wurde für die Wiederherstellung eines normalen Zustandes zwischen Staat und Kirche weitgehende Übereinstimmung erzielt. Die einmütige Auffassung daß die Herbeiführung der Einheit unseres Vaterlandes und die Schaffung eines Friedensvertrages heute das dringendste Anliegen aller Deutschen ist erfordert die Überwindung der Gegensätze, die dieser Entwicklung entgegenstehen. Darum wurde staatlicherseits die Bereitwilligkeit erklärt, das kirchliche Eigenleben nach den Bestimmungen der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik zu gewährleisten. Die Vertreter der Kirche erklärten ihrerseits, auf verfassungswidrige Eingriffe und Einwirkungen in das wirtschaftliche und politische Leben zu verzichten. Auf der Grundlage dieser Übereinstimmung sind folgende Anordnungen getroffen

1. Es sind keinerlei weitere Maßnahmen gegen die sogenannte »Junge Gemeinde« und sonstige kirchliche Einrichtungen einzuleiten. Das Amt für Jugendfragen beim Stellvertreter des Ministerpräsidenten, W. Ulbricht, wird beauftragt, unter Teilnahme von Vertretern der Kirche, der ›Jungen Gemeinde‹ und der Freien Deutschen Jugend eine Klärung über alle strittigen Fragen in bezug auf die ›Junge Gemeinde‹ herbeizuführen.

2. Alle im Zusammenhang mit der Überprüfung der Oberschüler und der Diskussion über die Tätigkeit der Jungen Gemeinde aus den Oberschulen entfernten Schüler sind sofort wieder zum Unterricht zuzulassen. Es ist ihnen die Möglichkeit zu geben, die versäumten Prüfungen nachzuholen. Wegen Wiedereinstellung der aus dem gleichen Anlaß entlassenen Lehrer hat das Ministerium für Volksbildung eine sofortige Prüfung und Entscheidung durchzuführen.

3. Alle im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zur Evangelischen Studentengemeinde oder sonstigen Studentengemeinden ausgesprochenen Exmatrikulationen sind sofort vom Staatssekretäriat für Hochschulwesen zu überprüfen und bis zum 20. Juni 1953 zu entscheiden.

4. Das Ministerium für Volksbildung hat Richtlinien über die Abhaltung des Religionsunterrichtes in den Schulgebäuden sofort auszuarbeiten Die seit dem 1. Januar 1953 erfolgten Einschränkungen der Abhaltung des Religionsunterrichtes in den Schulgebäuden sind zu über prüfen und zu beseitigen.

5. Die beschlagnahmten Einrichtungen und Anstalten kirchlichen Charakters sind an die früheren Verwaltungen zurückzugeben. Das betrifft die Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg, die Neinstedter Anstalten in Neinstedt und das Altersheim Seyda Kreis Jessen-Elster. Das Schloß Mansfeld bleibt dagegen in der Verwaltung des Kombinats Mansfeld und dient als Kulturhaus und Erholungsheim für Bergarbeiter des Kombinats Mansfeld.

6. Wegen der Belegung und Verteilung der Ferienplätze in den kirchlichen Heimen an der Ostsee wird die Durchführung und Entscheidung dem Staatssekretäriat für Innere Angelegenheiten übertragen.

7. Die Urteile der Gerichte sind zu überprüfen und ungerechte Härten zu beseitigen.

8. Die Verordnung über die Anmeldepflicht von Veranstaltungen vom 29. März 1951 ist zu überprüfen und Härten sind auszugleichen.

9. Die staatlichen Zuschüsse an die Kirchen werden nach den vereinbarten Regeln zur Auszahlung gebracht.

Archiv der Gegenwart. Bd. 1, S. 955 ff.

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Freitag, 12. Juni 1953:

1. Communiqué des Politbüros der SED über Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenshaltung und Stärkung der Rechtssicherheit.

Das Politbüro des ZK der SED veröffentlichte laut Tägliche Rundschau am 11. Juni folgendes Communiqué:

»Das Politbüro des Zentralkomitees der SED hat in seiner Sitzung vom 9. Juni 1953 beschlossen, der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik die Durchführung einer Reihe von Maßnahmen zu empfehlen, die der entschiedenen Verbesserung der Lebenshaltung aller Teile der Bevölkerung und der Stärkung der Rechtssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik dienen. Das Politbüro des ZK der SED ging davon aus, daß seitens der SED und der Regierung der DDR in der Vergangenheit eine Reihe von Fehlern begangen wurde, die ihren Ausdruck in Verordnungen und Anordnungen gefunden haben, wie z.B. Der Verordnung über die Neuregelung der Lebensmittelkartenversorgung, über die Übernahme devastierter landwirtschaftlicher Betriebe, in außerordentlichen Maßnahmen der Erfassung, in verschärften Methoden der Steuererhebung usw. Die Interessen solcher Bevölkerungsteile wie der Einzelbauern, der Einzelhändler, der Handwerker, der Intelligenz wurden vernachlässigt. Bei der Durchführung der erwähnten Verordnungen und Anordnungen sind außerdem ernste Fehler in den Bezirken, Kreisen und Orten begangen worden. Eine Folge war, daß zahlreiche Personen die Republik verlassen haben. Das Politbüro hat bei seinen Beschlüssen das große Ziel der Herstellung der Einheit Deutschlands im Auge, welches von beiden Seiten Maßnahmen erfordert, die die Annäherung der beiden Teile Deutschlands konkret erleichtern. Aus diesen Gründen hält das Politbüro des ZK der SED für nötig, daß in nächster Zeit im Zusammenhang mit Korrekturen des Plans der Schwerindustrie eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt werden, die die begangenen Fehler korrigieren und die Lebenshaltung der Arbeiter, Bauern, der Intelligenz, der Handwerker und der übrigen Schichten des Mittelstandes verbessern. Auf der Sitzung am 9. Juni hat das Politbüro Maßnahmen auf dem Gebiet des Handels und der Versorgung, auf landwirtschaftlichem Gebiet und auch hinsichtlich der Erleichterung des Verkehrs zwischen der DDR und Westdeutschland festgelegt. Um die Erzeugung von Waren des Massenbedarfs zu vergrößern die von kleinen und mittleren Privatbetrieben hergestellt werden, und um das Handelsnetz zu erweitern, wird vorgeschlagen, den Handwerkern, Einzel- und Großhändlern, privaten Industrie, Bau- und Verkehrsbetrieben in ausreichendem Umfange kurzfristige Kredite zu gewähren. Die Zwangsmaßnahmen zur Betreibung von Rückständen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, die bis zum Ende des Jahres 1951 entstanden sind, sollen für Klein-, Mittel und Großbauern, Handwerker, Einzel- und Großhändler, private Industrie-, Bau und Verkehrsbetriebe, d.h. in der gesamten privaten Wirtschaft, ausgesetzt werden. Wenn Geschaftseigentümer, die in letzter Zeit ihre Geschäfte geschlossen oder abgegeben haben, den Wunsch äußern, diese wiederzueröffnen so ist diesem Wunsche unverzüglich Rechnung zu tragen. Außerdem soll die HO zur besseren Versorgung der Bevölkerung sofort Agenturverträge mit dem privaten Einzelhandel abschließen.

Das Politbüro schlägt ferner vor, daß die Verordnungen über die Übernahme devastierter landwirtschaftlicher Betriebe aufgehoben werden und die Einsetzung von Treuhändern wegen Nichterfüllung der Ablieferungspflichten oder wegen Steuerrückständen untersagt wird. Die Bauern, die im Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Weiterführung Ihrer Wirtschaft ihre Höfe verlassen haben und nach Westberlin oder nach Westdeutschland geflüchtet sind (Kleinbauern, Mittelbauern, Großbauern), sollen die Möglichkeit erhalten, auf ihre Bauernhöfe zurückzukehren. Ist das in Ausnahmefällen nicht möglich, so sollen sie vollwertigen Ersatz erhalten. Es soll ihnen mit Krediten und landwirtschaftlichem Inventar geholfen werden, ihre Bauernwirtschaften zu entwickeln. Strafen die wegen Nichterfüllung von Ablieferungsverpflichtungen oder Steuerverpflichtungen ausgesprochen wurden, sollen überprüft werden. Dabei wird vorgeschlagen, den Minister für Land- und Forstwirtschaft zu beauftragen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Interessen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gewahrt bleiben. Das Politbüro schlägt weiter vor, daß alle republikflüchtigen Personen, die in das Gebiet der DDR und den demokratischen Sektor von Berlin zurückkehren, das auf Grund der Verordnung vom 17. Juli 1952 zur Sicherung von Vermögenswerten beschlagnahmte Eigentum zurückerhalten. Ist in Einzelfallen die Rückgabe nicht möglich, so soll Ersatz geleistet werden. Zurückkehrenden Republikflüchtigen darf aus der Tatsache der Republikflucht keine Benachteiligung entstehen. Sie sollen durch die zuständigen Organe der Räte der Bezirke und Kreise entsprechend ihrer fachlichen Qualifikation wieder in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eingegliedert werden und ihre vollen Bürgerrechte erhalten. (Deutscher Personalausweis, Lebensmittelkarte usw.) Für die Rückkehrer sind Auskunftsstellen einzurichten, die ihnen in allen Fragen Rat und Auskunft erteilen. Das Politbüro ist ferner der Auffassung, daß die Frage der Aufenthaltsgenehmigungen für Westdeutsche und Westberliner sowie die Frage der Ausstellung von Interzonenpässen im Sinne der Erleichterung des Verkehrs zwischen Ost- und Westdeutschland neu geregelt werden müssen. Bei Antrag auf Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen für Westdeutsche und Westberliner sind familiäre Gründe anzuerkennen, ebenso bei Anträgen auf Ausstellung von Interzonenpässen. Insbesondere ist Wissenschaftlern und Künstlern die Teilnahme an Tagungen in Westdeutschland zu ermöglichen, ebenso ist Künstlern aus Westdeutschland die Teilnahme an Tagungen in der DDR zu ermöglichen.

Das Politbüro schlägt ferner vor, daß alle im Zusammenhang mit der Überprüfung der Oberschüler und der Diskussion über die Tätigkeit der Jungen Gemeinde aus den Oberschulen entfernten Schüler sofort wieder zum Unterricht zuzulassen sind, und daß ihnen die Möglichkeit gegeben wird, die versäumten Prüfungen nachzuholen. Ebenso sollen die im Zusammenhang mit der Überprüfung der Oberschulen ausgesprochenen Kündigungen und Versetzungen von Lehrern rückgängig gemacht werden. Die in den letzten Monaten ausgesprochenen Exmatrikulationen an Hochschulen und Universitäten sollen sofort überprüft und bis zum 20. Juni 1953 entschieden werden. Bei Immatrikulationen an den Hochschulen und Universitäten dürfen befähigte Jugendliche aus den Mittelschichten nicht benachteilig werden. Ferner empfiehlt das Politbüro der Regierung der DDR, die Justizorgane zu beauftragen, diejenigen Verurteilten sofort zu entlassen, die nach dem Gesetz zum Schutz des Volkseigentums zu 1 bis 3 Jahren verurteilt worden sind, mit Ausnahme der Fälle, in denen schwere Folgen eintraten. Ebenso empfiehlt es, diejenigen Untersuchungshäftlinge sofort zu entlassen, gegen die ein Verfahren nach dem Gesetz zum Schutz des Volkseigentums anhängig gemacht wurde und bei denen keine höheren Strafen als die gesetzlichen Mindeststrafen von 1 bis 3 Jahren zu erwarten sind.

Das Politbüro hat schließlich beschlossen, der Regierung der DDR zu empfehlen, daß ab 1. Juli 1953 wieder an alle Bürger der DDR und des demokratischen Sektors von Groß-Berlin Lebensmittelkarten entsprechend den gesetzlich festgelegten Tätigkeitsmerkmalen ausgegeben werden. Es wird weiter vorgeschlagen, die im April 1953 durchgeführten Preiserhöhungen für Marmelade, Kunsthonig und andere Süß- und Backwaren mit Wirkung vom 15. Juni 1953 rückgängig zu machen, die Fahrpreisermäßigung in Höhe von 50 Prozent ab 1. Juli 1953 bei Arbeiterrückfahrkarten auf alle berechtigten Personen ohne Rücksicht auf die Hohe ihres Einkommens auszudehnen, die Fahrpreisermäßigungen für Schüler und Lehrlinge und auch bestimmte Schichten der Arbeiter wiederherzustellen und auch die Fahrpreisermäßigungen für Schwerbeschädigte, Kleingärtner usw. sowie die Erstattung von Fahrgeld durch die Sozialversicherung beim Besuch bei Fachärzten wiedereinzuführen.«

2. Beschlüsse des Ministerrates der DDR über Maßnahmen zur Korrektur begangener Fehler und zur Verbesserung des Lebenshaltung

Der Ministerrat faßte laut ADN folgende Beschlüsse, die als Einleitung eines aus den gegenwärtigen Engpässen herausführenden Entwicklungsprozesses bezeichnet werden der Veränderungen des Fünfjahrplanes folgen sollen, welche eine weitere Verbesserung der Lebenshaltung ermöglichen würden:

»Die Beschränkungen für die Ausgabe von Lebensmittelkarten werden aufgehoben. Ab 1. Juli 1953 werden an alle Bürger der DDR und des demokratischen Sektors von Groß-Berlin wieder Lebensmittelkarten wie früher ausgegeben. Bei der Handelsorganisation (HO) werden die Preise für zuckerhaltige Erzeugnisse, wie Süßwaren, Dauerbackwaren, Feinbackwaren sowie Kunsthonig mit 10 Prozent Bienenhonig, auf den Stand zurückgeführt, der für diese Preise am 19. April 1953 gegeben war. Das gleiche gilt für den Preis für Marmelade aller Art, Kunsthonig und Fruchtsirup. Die Preisherabsetzung tritt mit dem 15. Juni 1953 in Kraft. In der gesamten Wirtschaft, bei Klein-, Mittel- und Großbauern Handwerkern, Einzel- und Großhändlern, privaten Industrie-, Bau- und Verkehrsbetrieben sind Zwangsmaßnahmen zur Beitreibung von Rückständen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, die aus der wirtschaftlichen Tätigkeit in der Zelt bis zum Ende des Jahres 1950 entstanden sind, auszusetzen. Handwerker, Einzel- und Großhändler, private Industrie-, Bau- und Verkehrsbetriebe erhalten auf Antrag ihre Betriebe zurück. Kurzfristige Kredite sind zu gewähren. Ab 1. Juli 1953 ist die Fahrpreisermäßigung in Höhe von 50 Prozent bei Arbeiterrückfahrkarten auf alle berechtigen Personen ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens auszudehnen. Darüber hinaus ist die bis zum 1. April 1953 gewährte Fahrpreisermäßigung für Schwerbeschädigte, Schüler, Studenten, Lehrlinge und Kleingärtner wieder einzuführen. Ebenso ist die bis zum 1. April 1953 gewährte Fahrpreisermäßigung für Sonntagsrückfahrkarten, Schichtarbeiterrückfahrkarten und Gesellschaftsfahrten ab 1. Juli 1953 wieder einzuführen. Härten bei der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge werden beseitigt und die Leistungen werden auf den ursprünglichen Stand gebracht. Landwirtschaftliche Betriebe, deren Eigentümern auf Grund einer Verordnung vom 19. Februar 1953 die weitere Bewirtschaftung untersagt wurde, werden zurückgegeben.

Republikflüchtige Personen, die in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und den demokratischen Sektor von Berlin zurückkehren, erhalten ihr Eigentum zurück. Die Rückkehrer sind in ihre vollen Bürgerrechte einzusetzen und entsprechend ihrer Qualifikation in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben einzugliedern. Bauern, die im Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Weiterführung ihrer Wirtschaft ihre Höfe verlassen haben und republikflüchtig geworden sind, können auf ihre Höfe zurückkehren. Wenn in Ausnahmefällen die Rückgabe ihres landwirtschaftlichen Besitzes nicht möglich ist, so erhalten die vollwertigen Ersatz. Das Justizministerium und der Generalstaatsanwalt haben alle Verhaftungen, Strafverfahren und Urteile zur Beseitigung etwa vorliegender Härten sofort zu überprüfen. Der Ministerrat nahm zustimmend von den Vereinbarungen Kenntnis, die der Ministerpräsident mit den Vertretern der Kirche getroffen hat

3. Korrektur begangener Fehler gegenüber Groß- und Mittelbauern

Das Presseamt des Ministerpräsidenten gab laut ADN am 12. Juni bekannt:

»Die Regierung der DDR stellt fest, daß in letzter Zeit eine Reihe Fehler gegenüber Großbauern und sogar Mittelbauern begangen worden sind. Das hat seinen Ausdruck in einer Reihe von Verordnungen gefunden, zum Beispiel in den Verordnungen über devastierte Betriebe, über Kreditgewährung, in außerordentlichen Maßnahmen der Erfassung, in verschärften Methoden der Steuererhebung sowie in der Vernachlässigung der Einzelbauern durch die Maschinen- Traktoren Stationen. Bei der Durchführung dieser Verordnungen und Anordnungen sind ernste Fehler in den Bezirken, Kreisen und Orten begangen worden. Die Folge ist das Verlassen von Bauernhöfen durch ihre Besitzer. Die Regierung der DDR hat angeordnet, daß solche Verordnungen, die die Entwicklung der Bauernwirtschaften hindern, aufgehoben werden. In Übereinstimmung mit den Vorschlägen, die auf der gemeinsamen Konferenz der Vertreter der werktätigen Bauern, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und der Maschinen Traktoren-Stationen und der Vertreter des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands angeregt wurden, hat die Regierung folgendes veranlaßt:

1. Die Verordnung vom 19. Februar 1953 betreffend Übernahme devastierter Betriebe wird aufgehoben. Es wird untersagt, in landwirtschaftlichen Betrieben wegen Nichterfüllung der Ablieferungsverpflichtungen oder wegen Steuerrückständen Treuhänder einzusetzen. Die Bauern, die im Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Weiterführung ihrer Wirtschaft ihre Höfe verlassen haben und nach Westberlin oder Westdeutschland gefluchtet sind (Kleinbauern, Mittelbauern und Großbauern), können auf ihre Bauernhöfe zurückkehren. Wenn das in Ausnahmefällen nicht möglich ist, so erhalten sie vollwertigen Ersatz. Es wird ihnen mit Krediten und landwirtschaftlichem Inventar geholfen, ihre Wirtschaften welterzuführen.

2. Die Kreditrichtlinien der Deutschen Bauernbank vom 6. Dezember 1952 werden aufgehoben. Die Bauernbank ist ermächtigt, an alle Bauernwirtschaften kurzfristige Kredite zu gewähren, mit deren Hilfe die Entwicklung der Bauernwirtschaften möglich ist. Auf Antrag können sowohl werktätige Bauern wie Großbauern auch langfristige Kredite erhalten.

3. Die Erfassungsorgane und Steuerbehörden sind verpflichtet, die Ablieferung bzw. Steuererhebung so durchzuführen, daß die Weiterführung der betreffenden Wirtschaften gewährleistet ist. Strafen die im Zusammenhang mit der Nichterfüllung von Ablieferungsverpflichtungen oder Steuerverpflichtungen ausgesprochen wurden, sind von den Justizbehörden zu überprüfen.

4. Die Maschinen Traktoren Stationen werden verpflichtet, den Einzelbauern weitgehend Hilfe bei der Durchführung ihrer Arbeiten zu leisten. Den Maschinen Traktoren-Stationen wird untersagt, private Traktoren, landwirtschaftliche Maschinen und Geräte in Anspruch zu nehmen. Der Minister für Land und Forstwirtschaft und der Staatssekretär für Erfassung und Aufkauf sind beauftragt, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Interessen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gewahrt werden.«

4. Kein Ausweiszwang mehr in Gaststätten und bei Dienstleistungen in Ostberlin

Die Abteilung Handel und Versorgung des Magistrats von Groß-Berlin teilte laut ADN mit:

»In Gaststätten, Hotels, Imbißstuben, Kiosken, im sonstigen und ambulanten Handel dürfen ab sofort Speisen und Getränke sowie Genußmittel zum sofortigen Verzehr ohne Vorlage des Deutschen Personalausweises, des Stammabschnittes der Lebensmittelkarte oder des Betriebsausweises für den Einkauf abgegeben werden (der Ausweiszwang war im Februar eingeführt worden, um die Westberliner von der Abgabe auszuschließen). Das dienstleistende Handwerk und Industriebetriebe dürfen ab sofort Auftragsleistungen aus der Bevölkerung ohne Vorlage des Deutschen Personalausweises, des Stammabschnittes der Lebensmittelkarte oder des Betriebsausweises für den Einkauf annehmen und ausführen.«

Archiv der Gegenwart. Bd. 1, S. 956 ff.

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Freitag, 19. Juni 1953:

1. Demonstrationen in Ostberlin gegen erhöhte Arbeitsnormen

Am 16. Juni fanden laut Neue Zeitung in Ostberlin Protestdemonstrationen der Arbeiterschaft gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen um 10 % statt, wobei gleichzeitig die Forderung nach freien geheimen Wahlen und nach einem Regimewechsel geäußert wurde.

Die Demonstrationen wurden durch die Arbeitsniederlegung der Bauarbeiter in der Stalinallee (Frankfurter Allee) ausgelöst, die in geschlossenen Zügen zum Stadtzentrum marschierten und andere Arbeiter, aber auch sonstige Passanten aufforderten, sich anzuschließen. Als sich vor dem früheren Reichsluftfahrtministerium die Massen stauten, zeigten sich der stellvertretende Ministerpräsident Heinrich Rau (SED) und Bergbauminister Fritz Selbmann (SED) am Fenster. Selbmann, der eine Ansprache hielt, wurde durch Rufe nach Ulbricht und Grotewohl unterbrochen. Auf seine Feststellung, daß er auch ein Arbeiter sei, wurde ihm erwidert: »Das hast Du aber vergessen!« In Sprechchören wurden freie Wahlen und der Rücktritt der Regierung gefordert, sowie die Generalstreikparole ausgegeben.

2. Rückgängigmachung der Arbeitsnormenerhöhung und Warnung vor feindlichen Provokateuren durch Politbüro

Das Politbüro des ZK der SED veröffentlichte laut ADN am 16. Juni folgende Erklärung:

1. Der Aufbau eines neuen Lebens und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter sowie der gesamten Bevölkerung sind einzig und allein auf der Grundlage der Erhöhung der Arbeitsproduktivität und der Steigerung der Produktion möglich. Nur die Verwirklichung der alten Losung unserer Partei ›Mehr produzieren – besser leben!‹ hat zur Wiederherstellung und zur schnellen Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR nach dem Kriege geführt. Dieser Weg war und bleibt der einzig richtige Weg. Deshalb ist das Politbüro der Auffassung, daß die Initiative der fortgeschrittensten Arbeiter, die freiwillig zur Erhöhung der Arbeitsnormen übergegangen sind, ein wichtiger Schritt auf dem Wege zum Aufbau eines neuen Lebens ist, der dem gesamten Volk den Ausweg aus den bestehenden Schwierigkeiten weist. Das Politbüro ist dabei der Meinung, daß eine der wichtigsten Aufgaben der Betriebsleiter, der Partei und Gewerkschaftsorganisationen darin besteht, Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Produktion zu ergreifen, damit in der nächsten Zeit der Lohn der Arbeiter, die ihre Normen erhöht haben, gesteigert werden kann.

2. Das Politbüro hält es zugleich für völlig falsch, die Erhöhung der Arbeitsnormen in den Betrieben der volkseigenen Industrie um 10 Prozent auf administrativem Wege durchzuführen. Die Erhöhung der Arbeitsnormen darf und kann nicht mit administrativen Methoden durchgeführt werden, sondern einzig und allein auf der Grundlage der Überzeugung und der Freiwilligkeit.

3. Es wird vorgeschlagen, die von den einzelnen Ministerien angeordnete obligatorische Erhöhung der Arbeitsnormen als unrichtig aufzuheben. Der Beschluß der Regierung vom 28. Mai 1953 ist gemeinsam mit den Gewerkschaften zu überprüfen. Das Politbüro fordert die Arbeiter auf, sich um die Partei und um die Regierung zusammenzuschließen und die feindlichen Provokateure zu entlarven, welche versuchen, Unstimmigkeiten und Verwirrung in die Reihen der Arbeiterklasse hineinzutragen.«

3. Demonstrationen verschärfen sich zu Kundgebung gegen Regime; Generalstreikparole teilweise befolgt; Ausnahmezustand durch Sowjet-Stadtkommandanten erklärt; Eingreifen Sowjetpanzer und Volkspolizei; Regierungsaufruf

Am 17. Juni entwickelten sich die Ereignisse in Ostberlin laut Neue Zeitung wie folgt: Die Arbeiter und Angestellten zahlreicher Betriebe befolgten die am Vorabend ausgegebene Generalstreikparole und erschienen nicht an ihren Arbeitsplätzen. Schon in den frühen Morgenstunden formierten sich Demonstrationszüge, die zum Stadtzentrum marschierten. Im Laufe des Vormittags mußten Straßen und U-Bahnen im Sowjetsektor ihren Verkehr einstellen, gleichzeitig wurde die von Ostberlin geleitete S-Bahn im gesamten Berliner Stadtgebiet stillgelegt. Gegen Mittag fielen vor dem Ostberliner Regierungsgebäude in der Leipziger Straße die ersten Schüsse sowjetischer Soldaten und Volkspolizisten. Nach 12 Uhr hatten sowjetische Truppen mit Hilfe von mindestens 20 Panzern vom Typ T 34 und zahlreichen Panzerspähwagen so wie anderen mit Maschinengewehren und Pakgeschützen bestückten vollbesetzten Mannschaftswagen begonnen, die Straßen um das Regierungsgebäude östlich des Potsdamer Platzes zu räumen. Hinter den Panzern, die gegen die Demonstranten anfuhren, marschierten in Schützenkette Volkspolizisten, die wiederholt mit Karabinern in die Menge schossen. Augenzeugen berichten, daß die sowjetischen Soldaten im allgemeinen, soweit man beobachten konnte bei ihrem angeordneten Vorgehen, in die Luft schossen. Die Demonstranten setzten trotzdem am Potsdamer Platz einen T 34 außer Gefecht, in dem sie Balken zwischen die Kettenglieder steckten und die Ketten brachen. Andere Demonstranten steckten Holzpfähle in die Rohre der Geschütze oder versuchten, große Steine zwischen die Ketten zu werfen. Zwei Jugendliche holten vom Brandenburger Tor die Rote Fahne herunter.

Der Befehl des sowjetischen Stadtkommandanten, Generalmajor Dibrowa, über die Verhängung des Ausnahmezustandes der um 13 Uhr 30 verkündet und ständig wiederholt wurde, lautete: »Für die Herbeiführung einer besseren öffentlichen Ordnung im sowjetischen Sektor von Berlin wird befohlen:

1. Ab 13 Uhr des 17. Juni wird im sowjetischen Sektor von Berlin der Ausnahmezustand verhängt.

2. Alle Demonstrationen, Versammlungen, Kundgebungen und sonstige Menschenansammlungen über drei Personen werden auf Straßen und Plätzen wie auch in öffentlichen Gebäuden verboten.

3. Jeglicher Verkehr von Fußgängern und der Verkehr von Kraftfahrzeugen und Fahrzeugen wird von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens verboten.

4. Diejenigen, die gegen dieses Verbot verstoßen, werden nach den Kriegsgesetzen bestraft.«

Ministerpräsident Otto Grotewohl forderte in einer Regierungserklärung die Bevölkerung auf, die Maßnahmen zur sofortigen Wiederherstellung der Ordnung in der Stadt zu unterstützen und die Bedingung für eine normale und ruhige Arbeit in den Betrieben zu schaffen. Die Schuldigen an den Unruhen würden zur Verantwortung gezogen und streng bestraft werden. Die Unruhen, zu denen es gekommen sei, seien das Werk von Provokateuren und faschistischen Agenten ausländischer Mächte und ihrer Helfershelfer aus deutschen kapitalistischen Monopolen.

4. Ostberlin wird abgeriegelt; Westberliner von Sowjets standrechtlich erschossen; Kundgebungen auch in Magdeburg und anderen Städten

Am 18. Juni entwickelte sich die Lage wie folgt:

Sowjetische Truppen in mindestens Divisionsstärke sowie kasernierte Volkspolizei-Einheiten, die zum Teil aus der Zone herangeführt wurden, haben den östlichen Teil Berlins hermetisch abgeriegelt. An den Sektorengrenzen patrouillieren Panzer und feldmarschmäßig ausgerüstete Sowjetsoldaten und Volkspolizisten. Die Demonstrationen der Berliner Arbeiter haben inzwischen auch auf die Zone übergegriffen. Aus zahlreichen Gebieten, so aus Gera, Leipzig, Dessau, Dresden, Chemnitz und Stralsund, werden Arbeitsniederlegungen und Protestkundgebungen gemeldet. Interzonenreisende berichteten, daß in Magdeburg die Demonstranten das Gefängnis gestürmt und zahlreiche Gefangene befreit hätten. Die Zahl der Toten in Ostberlin wurde mit mindestens 16 angegeben; in den Westberliner Krankenhäusern liegen 200 Verwundete. Der sowjetische Militärkommandant Dibrowa gab bekannt, daß der Westberliner Bürger Willi Göttling zum Tode durch Erschießen verurteilt worden ist. Das Urteil sei vollstreckt. Gottling habe in ausländischem Auftrag gehandelt er sei einer der Provokateure der banditenhaften Ausschreitungen. Der stellvertretende Ministerpräsident der DDR Otto Nuschke, der am 17. Juni von Demonstranten in den Westsektor abgedrängt und auf das Polizeipräsidium gebracht worden war, wurde am 19. Juni in den Ostsektor entlassen.

5. Verhaftungen und standrechtliche Erschießungen in der Sowjetzone.

Am 19. Juni wurde u.a. gemeldet:

Infolge der Ausdehnung der Demonstrationen und Unruhen auf die Sowjetzone wurde laut Neue Zeitung der Ausnahmezustand auf die gesamte Sowjetzone ausgedehnt. In verschiedenen Orten seien insgesamt 17 Personen standrechtlich erschossen worden. Gleichzeitig habe eine Verhaftungswelle eingesetzt. Demonstrationen und Unruhen seien auch aus Magdeburg, Leipzig, dem sächsischen Urangebiet, den Leunawerken bei Merseburg, dem Bunawerk sowie in Zschopau, Dresden und Görlitz gemeldet werden. Laut Die Welt seien die eingeleiteten Massenverhaftungen streikender Arbeiter auf sowjetische Anordnung hin gestoppt und zum Teil wieder rückgängig gemacht worden.

6. Regierungserklärung Adenauer zu den Ereignissen in Berlin

Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer gab laut Bulletin am 17. Juni vor dem Bundestag folgende Regierungserklärung zu den Ereignissen in Berlin ab:

»Die Ereignisse in Berlin haben in der deutschen Öffentlichkeit und darüber hinaus in der Welt starken Widerhall gefunden. Die Bundesregierung erklärt zu den Vorgängen: Wie auch die Demonstrationen der Ostberliner Arbeiter in ihren Anfängen beurteilt werden mögen, sie sind zu einer großen Bekundung des Freiheitswillens des deutschen Volkes in der Sowjetzone und Berlin geworden. Die Bundesregierung empfindet mit den Männern und Frauen, die heute in Berlin Befreiung von Unterdrückung und Not verlangen. Wir versichern ihnen, daß wir in innerster Verbundenheit zu ihnen stehen. Wir hoffen daß sie sich nicht durch Provokationen zu unbedachten Handlungen hinreißen lassen, die ihr Leben und die Freiheit gefährden könnten. Eine wirkliche Änderung des Lebens der Deutschen in der Sowjetzone und in Berlin kann nur durch die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit erreicht werden. Der Weg hierzu ist, wie der Bundestag in seinem Beschluß vom 10. Juni erneut bekräftigt hat. Die Bundesregierung wird nach diesen Grundsätzen handeln und sich darüber hinaus bemühen, daß bald wirksame Erleichterungen im Interzonenverkehr und in der Verbindung zwischen Berlin und der Bundesrepublik verwirklicht werden, die der wiedererstehenden Einheit den Weg bahnen. Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklung der Ereignisse mit größter Aufmerksamkeit; sie steht mit den Vertretern der Westmächte in ständiger enger Verbindung. In dieser bedeutsamen Stunde wollen wir alle ohne Unterschied politischer Auffassungen für das große gemeinsame Ziel zusammenstehen.«

7. Zwei Erklärungen der DDR-Regierung zu den Berliner Ereignissen

Die Agentur TASS veröffentlichte am 18. Juni folgende Mitteilung unter dem Titel »Zusammenbruch des Abenteuers ausländischer Sendlinge in Berlin«:

Gestern fanden in einigen Betrieben des demokratischen Sektors Berlins Verzögerungsaktionen statt, insbesondere unter den Bauarbeitern. Als Anlaß zur Einstellung der Arbeit diente die in den letzten Tagen in einigen Unternehmungen durchgeführte zehnprozentige Erhöhung der Arbeitsnormen, die jedoch von der Regierung der DDR am 16. Juni rückgängig gemacht wurde. Die Erhöhung der Normen war aber nur ein Vorwand für die Provokateure aus der Menge der ausländischen Agenten, die sich in Westberlin eingenistet haben, um Verzögerungsaktionen in den Betrieben und Ausschreitungen in den Straßen Berlins zu organisieren. Im Zusammenhang damit hat die Regierung der DDR am 17. Juni mittags eine Erklärung veröffentlicht, in der es heißt: ,Auf die Maßnahmen der Regierung der DDR zur Verbesserung der Lage der Bevölkerung haben faschistische und andere reaktionäre Elemente Westberlins mit Provokationen und ernsten Ruhestörungen im demokratischen Sektor Berlins geantwortet. Diese Provokationen sollen die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands erschweren. Der Vorwand für die Arbeitsniederlegung der Bauarbeiter in Berlin ist infolge des gestrigen Beschlusses in der Normenfrage hinfällig geworden. Die vorgekommenen Unruhen sind das Werk von Provokateuren und faschistischen Agenten ausländischer Mächte und ihrer Helfershelfer aus den deutschen kapitalistischen Monopolen. Diese Kräfte sind mit den demokratischen Behörden der Deutschen Demokratischen Republik, die eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung durchführen, nicht zufrieden. Die Regierung fordert die Bevölkerung auf:

1. Das Maßnahmen zur unverzüglichen Wiederherstellung der Ordnung in der Stadt zu unterstützen und Verhältnisse für die normale und ruhige Arbeit in den Unternehmungen zu schaffen.

2. Die Schuldigen an den Unruhen werden zur Rechenschaft gezogen und streng bestraft. Arbeiter und alle ehrlichen Bürger werden aufgefordert, die Provokateure festzunehmen und sie den Staatsorganen auszuliefern.

3. Es ist unerläßlich, daß Arbeiter und die technische Intelligenz in Zusammenarbeit mit den Staatsorganen selbst die nötigen Maßnahmen zur Herstellung des normalen Arbeitsganges ergreifen.’

Diese Erklärung der Regierung der DDR an die Bevölkerung ist vom Ministerpräsidenten Otto Grotewohl unterzeichnet. Am Abend des gleichen Tages veröffentlichte die Regierung der DDR eine Erklärung über den Zusammenbruch des Abenteuers ausländischer Söldlinge in Berlin. In dieser Erklärung heißt es: ,Währenddem die Regierung der DDR alle ihre Bemühungen darauf richtet, mittels Durchführung neuer wichtiger Maßnahmen eine Verbesserung der materiellen Lage der Bevölkerung zu erreichen, und ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiterschaft lenkt, versuchten käufliche Elemente, Agenten ausländischer Staaten und ihre Helfershelfer aus den Kreisen deutscher Monopolisten, die Regierungsmaßnahmen zu torpedieren. Es ist festgestellt worden, daß die Streiks, die gestern in einigen Betrieben stattgefunden haben, und auch die provokatorischen Ausschreitungen einzelner Gruppen faschistischer Agenten in den Straßen des demokratischen Sektors Berlins nach einem einheitlichen, in Westberlin ausgearbeiteten und im gegebenen Moment durchzuführenden Plan sich abspielten. Die Ausschreitungen endeten mit einem völligen Zusammenbruch des unternommenen Abenteuers, da sie auf den Widerstand des Großteils der Bevölkerung und der Staatsorgane gestoßen sind. In den Unternehmungen wird die normale Arbeit wiederhergestellt. In den Straßen wird die Ordnung aufrechterhalten. Es werden keine Ausschreitungen von Provokateuren und verbrecherischen Elementen geduldet. Zusammengebrochen sind die niederträchtigen Versuche ausländischer Agenten, die Durchführung wichtiger Regierungsmaßnahmen zu stören, welche auf eine Besserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung gerichtet sind. Zusammengebrochen sind die Versuche, Verwirrung zu stiften, um neue Hindernisse auf dem Wege zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu schaffen. Die Regierung der DDR wird entschiedene Maßnahmen treffen, damit die Urheber der Unruhen streng bestraft werden. Provokateure dürfen nicht auf Gnade rechnen!’«

8. Zwei Stellungnahmen der Westalliierten Kommandatur und sowjetische Antwort

Die alliierte Kommandatur in Berlin veröffentlichte laut AFP am 17. Juni folgendes Communiqué:

Die französischen, britischen und amerikanischen Stadtkommandanten sind am Mittwochvormittag mit den Westberliner Stadtbehörden zusammengekommen. Sie prüften gemeinsam die Lage. Die Kommandanten und die Berliner Behörden waren sich einig über die Notwendigkeit, in den Westsektoren Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Sie nahmen Kenntnis von gewissen Behauptungen, nach welchen die Demonstrationen im Sowjetsektor von Westberliner Agenten angezettelt worden seien. Derartige Behauptungen können Anlaß geben zu ernsthaften Mißverständnissen hinsichtlich des Ursprungs der erwähnten Demonstrationen. Die französischen, britischen und amerikanischen Kommandanten erklären deutlich daß weder die alliierten Behörden noch die Westberliner Behörden derartige Manifestationen mittelbar oder unmittelbar hervorriefen oder begünstigten.«

Die alliierte Kommandatur in Berlin übermittelte laut UP am 19. Juni der Sowjetkommandatur folgendes Schreiben:

Im Namen der Alliierten Hochkommissionen und der drei Kommandanten der westlichen Sektoren Berlins habe ich die Ehre, Ihnen unseren Standpunkt zur augenblicklichen Lage darzulegen. Wir sind der Ansicht, daß bereits zu viel Blut geflossen ist und daß die normale Lebensweise wiederhergestellt werden sollte. Wir fordern Sie auf, keine weiteren Hinrichtungen im Gefolge der Urteile der Militärgerichte vorzunehmen und den Sowjettruppen und der Volkspolizei den Gebrauch von Feuerwaffen zu verbieten. Wir wünschen, daß in Berlin so rasch wie möglich wieder freier Verkehr geschaffen wird, damit die Bevölkerung normale Lebensmittelzufuhren empfangen kann. Jede Haltung, die dem Geiste dieser Forderungen widersprechen würde, könnte nur zu einer Verschlechterung der Lage führen, die wir, zweifellos in voller Übereinstimmung mit Ihnen, wieder auf den normalen Stand zurückgebracht sehen wollen.«

Der sowjetische Militärkommandant von Berlin General Dibrowa wies in einer Note vom 20. Juni den Protest der westlichen Stadtkommandanten zurück. In der Note wird ausgeführt, daß die sowjetischen Besatzungsbehörden nicht abseits stehen konnten, da Westberliner Agenten Unruhen in der russischen Zone angestiftet hätten. Die angeordneten Maßnahmen einschließlich der Proklamierung des Ausnahmezustandes, seien eine absolute Notwendigkeit gewesen, um den Brandstiftungen und anderen Ausschreitungen eine Ende zu bereiten. Die Westkommandanten hatten die Ereignisse im Widerspruch mit den Tatsachen beurteilt. Der Protest der Westkommandanten müsse daher mangels jeder Begründung zurückgewiesen werden. Es sei beobachtet worden, daß die aus Westberlin entsandten Agitatoren mit Waffen, Rundfunksendern und Instruktionen ausgerüstet waren. Die Ausschreitungen seien von Westberliner Provokateuren und faschistischen Agenten durchgeführt worden. Der Protest der Westkommandanten könne daher nur als schwacher Versuch angesehen werden, sich der Verantwortlichkeit für kriminelle Akte bezahlter Kriegstreiber zu entziehen. Diese Agitatoren würden vor Gericht gestellt und streng bestraft werden. Als Beweis für die Anstiftung von Agenten aus Westberlin werden Dokumente über ein Geständnis eines verhafteten Westberliners Werner Kalkovski beigelegt, der Instruktionen erhalten habe, die Menge zu Plünderungen und Brandlegungen anzustiften. Die Sowjetbehörden hatten Agenten dieser Art nicht freie Hand lassen können. General Debrova erklärt abschließend, daß er kein Hindernis für die Wiederaufnahme der Verbindungen zwischen Ost- und Westberlin sehe, jedoch unter der Bedingung, daß die drei Westkommandanten notwendige Schritte zur Sicherstellung unternehmen, daß die Entsendung von Provokateuren und anderer krimineller Elemente nach Ostberlin aufhören.

Archiv der Gegenwart. Bd. 1, S. 958 ff.

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