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Samstag, 30. November 2024: Bellarmin an Mephisto
Als die Reagierungszeit Angela Merkels vorbei war nach 16 Jahren (in Worten: sechzehn!), vernahm man nur Elogen. In den öffentlich-rechtlichen Medien. Immer fleißig und nett gewesen zu sein.
Und sie meinte ja auch selber, alles richtig gemacht zu haben. Aber das dürfe sich nicht wiederholen.
Tatsächlich!
Und unhinterfragt.
Allerdings, wenn es unter uns bleibt, muß ich Dir eines gestehen: Ihre Reden! Ich könnte ihr vieles verzeihen, sogar ihre Wagner-Verehrung.
Samt ihren Abendroben.
Aber ihre Reden!
Obwohl man ihr tatsächlich beizubringen vermochte, Körpersprache einzusetzen. Die Lernschritte ließen sich, beginnend mit unmotiviertestem Händeherumgefuchtel, dann auch im einzelnen beobachten. Wenngleich, ich gestehe Dir jetzt noch was.
Ein großes Geheimnis!
Wenn es unter uns bleibt.
Es ist mir nie gelungen während der ganzen sechzehn ausführlichen Jahre, auch nur ein einziges Mal einen einzigen ihrer Diskurse bis zum Ende anzuhören. Sie hat zwar gesagt, wir schaffen das, aber ich habe das nie ausgehalten.
Allein schon die Intonation! Als wäre sie Ansagerin im „Radio DDR“!
Mit einer Stimme, als spräche sie beständig zu Bekloppten, die ruhigzustellen wären!
Ihre Tongebung bestenfalls noch interpretierbar als Märchenstunde für Kinder im Vorschulalter.
Ich hab das nie geschafft!
Mir ist aber auch nie etwas passiert oder auch nur entfernt aufgefallen, etwas Informatives verpaßt zu haben, um die Weltläufe richtig verstehen und einordnen zu können. Nicht im geringsten!
Mir ging es weiterhin immer gut. Oder sogar besser, als wenn ich wohl zugehört hätte.
Wie sie „unser Mitgefühl gilt den Angehörigen“ vom Blatt abliest.
Oder „das ist total inakzeptabel“.
Am Samstag, dem 4. Dezember vor drei Jahren, berichtete man ja wehmütig, Angela Merkel habe ihre letzte Botschaft ins Netz, nein, sie habe ihren letzten Pottkahst ins Internet gestellt.
Es sollen über 600 Pottkahste gewesen sein!
Allein das – was für eine Leistung!
Man möchte meinen: ihr Lebenswerk!
Für die Nachwelt.
Ich weiß gar nicht, wie lange so ein einziger Pottkahst von ihr dauerte, aber man stelle sich das einmal vor: 600!
Das sind sicher hintereinander ein paar Tage Lebenszeit!
Allein schon das bloße Anschauen!
Ich versuche mir vorzustellen, wie leer müßte mein Leben sein, wenn ich dafür Zeit zu opfern für wichtig hielte!
Und wie nervenfrei!
Und wenn ich Journalist wäre, würde ich unbedingt mal, wenn ich jemanden fände, ihn interviewen, was es ihm gebracht habe.
Sich freiwillig solchen Härten auszusetzen.
Ihn fragen nach seinem Gewinn.
An Horizonterweiterung.
Und wie es sein Leben künftig lenkte.
Da ich gerade dabei bin: Also, was hatte Merkel bewirkt in den sechzehn Jahren ihrer Reagierungszeit? Worin bestanden ihre sonstigen Meriten?
Also sie war keine Rednerin.
Bisweilen klang, immerhin zitierend, sogar in unseren Medien an, sie sei auch keine Visionärin gewesen.
Und das ist es!
Da liegt der Hase im Pfeffer!
Einmal im Sachverhalt der Aussage liegt der Hase, doch vielleicht noch mehr im lediglich zitierenden Anklingen eines Sachverhalts.
Eines Faktums.
Weil als Beleg: sie hat Deutschland erfolgreich geführt ins politisch korrekte Biedermeier.
Der politisch korrigierenden Faktenvermeidung.
Ein weites Feld.
Beispiel?
Nein, ich will jetzt gar nicht reden über ihre unsäglichen Sommerpressekonferenzen.
Und um die Büchse der Pandora auch nicht allzuweit zu öffnen, sonst kriegen wir den Deckel überhaupt nicht mehr zu: Wie der Deutschlandfunk, ebenfalls am 4. Dezember 2021, vermeldete, in Frankreich formierten sich gerade die Kandidaten der als seriös eingestuften Konservativen für den damaligen Präsidentschaftswahlkampf. Also nicht etwa Marine Le Pen, nicht die Rassemblement National. Doch sie, die also sogar deutschen Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien als seriös geltenden Kandidaten der Konservativen, betrachteten es einhellig als ihre erstrangige Aufgabe, die illegale Einwanderung zu bekämpfen.
Aus irgend einem Grund.
Exakt wie Marine Le Pen.
Siehst Du, und genau das ist nun ein Meritum unserer Reagierungschefin: In Deutschland gab es all die merkelschen Jahre keine illegale Einwanderung!
Oder, und das ist ein weiteres merkelsches Meritum: Hattest Du etwas darüber vernommen in unseren öffentlich-rechtlichen Medien?
Was?
Einmal wäre sogar die Rede gewesen von „Identitätsverweigerern“?
Ja, aber in sechzehn Jahren: einmal!
Und dann nie wieder!
Und unsere Reagierungschefin hatte auch kurz vor ihrem Ausscheiden extra noch erklärt: Wir haben das geschafft.
Okay, zuletzt gab es ein paar. Wegen dieses weißrussischen Despoten. Mit dem unsere Reagierungschefin dann aber fleißig reagierend telefoniert hatte über die Köpfe unserer in Abwehr für unsere Reagierungschefin stehenden polnischen Nachbarn hinweg.
Und bei der Gelegenheit gleich ein weiteres Verdienst: Sie wird sicher dabei versucht haben, mit dem Weißrussen einen Kompromiß auszuhandeln. Denn Kompromiß, das ist in Deutschland endgültig gleichgeworden während ihrer Reagierungszeit mit Lösung.
Kompromiß = Lösung.
Eine Lösung ohne Kompromiß, seither kann man sich hierzulande das überhaupt nicht mehr vorstellen!
Sogar als diese blöde Seuche auftauchte, hat man sich fleißig bemüht, einen Kompromiß auszuhandeln. Zwischen „geimpft“ und „ungeimpft“.
Nun gut, aber was unserer Reagierenden fehlte an politisch vorausschauender Gestaltungskraft, das hat sie immerhin zu kompensieren versucht mit werkelndem, nein, mit merkelndem Fleiß.
Unermüdlich.
Als Konzeptionsersatz.
Um reagierend Deutschland zu regieren.
Immer fleißig bemüht, einen Worstkäs zu verhindern.
Mittels erfolgreicher Abschaffung des Konjunktivs II.
Die anderen europäischen Länder „müssen“.
Die haben aber nie gemußt.
Die „sollten“.
Womit wir wieder angelangt wären bei der biedermeierlichen Rolle der Medien unter Merkel.
Doch hier machen wir es heute wie diese, nämlich schnell den Deckel drauf auf die Büchse.
Bleibt nur anzumerken als Auffälligkeit, daß plötzlich niemand mehr behauptet, wir würden uns noch nach unserer Reagierungschefin zurücksehnen.
Sondern anscheinend tragen, seit ihrem Scheiden, alle, wie sie es selbst zuletzt wünschte, Fröhlichkeit im Herzen…
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Mittwoch, 27. November 2024, Deutschlandfunk:
Mit Blick auf ihre damalige Russlandpolitik erklärte die Alt-Kanzlerin, während der Corona-Pandemie seien viele Gesprächsfäden abgerissen. … Die Auswirkungen der Pandemie auf die Außenpolitik seien noch nicht ausreichend untersucht worden. … Merkel erklärte, sie könne nicht sehen, dass Kremlchef Wladimir Putin die Ukraine nicht angegriffen hätte, hätte es Nord Stream 2 nicht gegeben. … Auf die Frage nach ihrer Migrationspolitik angesprochen verteidigte Merkel ihre damaligen Entscheidungen. … Merkel räumte zugleich ein, dass ihre Entscheidung aus dem Jahr 2015 zur Aufnahme in Ungarn festsitzender Flüchtlinge in Deutschland zum Erstarken der AfD beigetragen habe. Die AfD sei „stärker geworden durch die Tatsache, dass so viele Menschen zu uns gekommen sind.“
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Mittwoch, 27. November 2024, PASSAUER NEUEN PRESSE über die Merkelschen Memoiren „Freiheit“:
Offensichtlich verfolgen diese – neben den üblichen kommerziellen Zwecken – das Ziel, dem Publikum ein makelloses Bild von sich und ihrer Amtszeit vorzuhalten. Fehler? Irrungen? Gab es in den 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft nicht, will Merkel uns glauben machen. Das Gas aus Russland, der Schmusekurs gegenüber Putin? Der überstürzte Atomausstieg nach Fukushima? Das Herunterwirtschaften der Bundeswehr? Die unkontrollierte Öffnung der Grenzen? Alles richtig gemacht, so lautet die Botschaft des Buchs…
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Mittwoch, 27. November 2024, NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG:
Merkels Buch erscheint in 30 Ländern, in den USA wird sie es mit Barack Obama vorstellen. Mehr Brimborium geht kaum. … Es hätte ihr besser gestanden, wenn auch sie rückblickend zu der Einschätzung gekommen wäre, nicht immer richtig gelegen zu haben. Nur wenige Journalisten und wenige in der Politik haben ihre Russland-Politik infrage gestellt. Ihre eigene Partei scheute die Auseinandersetzung über ihre Flüchtlingspolitik, die schon damals viele für falsch hielten. Merkel war lange Zeit die Kanzlerin einer Gesellschaft, die es sich allzu bequem gemacht hatte.
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Mittwoch, 27. November 2024, MÄRKISCHEN ODERZEITUNG:
Merkel trägt einen guten Teil der politischen Verantwortung an den heutigen Zuständen. Doch das ist natürlich nicht Gegenstand einer Autobiografie. Merkel zeichnet ihr Bild von sich, von ihrer Zeit, von ihrer Kanzlerschaft, um ihr Bild für die Nachwelt mitzuprägen. Da kommen Fehler und Irrtümer nicht vor.
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Mittwoch, 27. November 2024, DAILY TELEGRAPH:
Doch nun ist ihr Erbe die Ursache für viele der aktuellen Schwierigkeiten Deutschlands und des Kontinents. Merkels Memoiren dulden keine Kritik, auch wenn sie darin den einen oder anderen Fehler einräumt. Aber es waren mehr als nur ein paar Fehler.
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Mittwoch, 27. November 2024, ILTA-SANOMAT:
Hat Deutschland während der Schuldenkrise tatsächlich richtig gehandelt? Was war mit der Entscheidung 2015, eine große Zahl an Migranten aufzunehmen? Wie sieht es mit dem Atomausstieg aus? Das größte Fragezeichen betrifft jedoch Merkels Ostpolitik. Billiges russisches Gas brachte Deutschland zum Verstummen, als Putin sein Imperium erweiterte. Nicht einmal die Annexion der Krim führte zu einem Umdenken. Merkels Memoiren bieten ihr die Gelegenheit, auf solche Kritik zu reagieren. Allerdings sind viele der Ansicht, dass sie keine Verantwortung für ihre Fehler in der Ostpolitik übernimmt.
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Mittwoch, 28. November 2024, CORRIERE DELLA SERA:
Merkel sagt, sie übernehme die Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen, nennt sie aber nicht Fehler oder ein Verkennen der Realität. Es hätte das Buch sein können, das unsere Entwicklung von der Jahrhundertwende mit ihren vielen Irrtümern bis zu Europas heutiger Krise beleuchtet; stattdessen ist es die Selbstrechtfertigung von jemandem geworden, der seinen Ruf verteidigt, uns aber nicht mehr sagt.
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Mittwoch, 28. November 2024, FINANCIAL TIMES:
Merkels Memoiren offenbaren ihre blinden Flecken in Bezug auf Russland. In ihrem faszinierenden Bericht über den NATO-Gipfel in Bukarest 2008 vermeidet sie es, eine Verbindung zum Einmarsch russischer Streitkräfte in Georgien vier Monate später herzustellen. … Dass sich Merkel weigert, in Betracht zu ziehen, dass Putin diese mangelnde Entschlossenheit als grünes Licht für einen Angriff auf Georgien und später auf die Ukraine wertete, ist verblüffend.
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Wie in so vielen Beiträgen der letzten Monate gelingt es dem Autor mit klaren Analysen und politischem Weitblick die Zustände in Deutschland zu beschreiben. Vielen Dank für immer wieder neue Einsichten, die man in den verbreitetsten Medien unseres Landes nie finden wird.