A N A B A S I S

Thalatta ! Thalatta !

NachD E N K E N

 

29. Februar 2020: Bellarmin an Mephisto

 

Freitag, 21. Februar 2020, Bild:

„Größenwahn ist sein Leitthema“, so Psychotherapeut Lüdke. „Verglichen mit Edward Snowden ist er nach eigener Meinung der Größere. Snowdens Enthüllungen bezeichnet er als ‚Kindergeburtstag’“.

Sein Leben unterteilt Rathjen in „zwei Abschnitte“. Zunächst habe er nur vermutet, dass er überwacht werde, später dann „volle Gewissheit“ erlangt.

Rathjen glaubte, ab dem „Tag meiner Geburt“ rund um die Uhr überwacht zu werden. Er beschreibt eine Stimme, die ihm im Alter von wenigen Tagen sagte, dass er „in die Falle gegangen“ sei. Später stellte er fest, „dass ich bereits mein ganzes Leben in den Fängen einer Geheimorganisation war“.

Geradezu skurril: Beim Schauen von Hollywood-Filmen habe er überlegt, wie man eine Serie daraus machen könnte – und ein paar Jahre später sei dann eine ähnliche Serie gedreht worden. Für den Terroristen genug Beleg, dass jemand seine Gedanken liest.

„Filme und Fußball waren offenbar seine großen Leidenschaften“, so Lüdke. „In aller Welt befasst man sich damit, aber er hat das auf sich bezogen. Und für sich hat er gesehen: Meine Ideen beschäftigen die ganze Welt.“

 

Freitag, 21. Februar 2020, FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

Wer war Tobias R., der in Hanau mutmaßlich zehn Menschen ermordete? Aus welchen Quellen speiste sich sein Weltbild, in wessen Namen glaubte er zu handeln? Ist er ein rechtsextremer Terrorist im konventionellen Sinn des Wortes, der aus blankem Fremdenhass eine Shisha-Bar und einen Kiosk zu seinen Zielen auserwählt hat? War er Teil eines Netzwerks, oder ist er ein sozial isolierter Einzeltäter, der sich in den finsteren Foren des Internets radikalisiert hat?

Bis diese Fragen endgültig beantwortet sind, wird es noch dauern – doch ein Video sowie mehrere Dokumente des Täters, die dieser Zeitung vorliegen, geben einige deutliche Anhaltspunkte. Eines der Dokumente kann man als Manifest und Abschiedsbrief bezeichnen; es ist 24 Seiten lang und enthält eine mäandernde Chronologie seines Lebens, die immer wieder von bizarren Exkursen zu Geopolitik, Militärstrategie, Wirtschaftsmacht und Filmbranche durchbrochen wird. Anschlagspläne werden darin nicht explizit angesprochen, wohl aber angedeutet, etwa, wenn es heißt, dass R. die Bestätigung seiner Thesen „nicht mehr miterleben“ können wird und dass ihm nichts anderes übriggeblieben sei, als so zu handeln, wie er es getan habe, „um die notwendige Aufmerksamkeit zu erlangen“.

Gleich zu Beginn des Manifests will R. jedoch etwas anderes klarstellen: „Im Mittelpunkt meiner Botschaft steht die Tätigkeit eines sogenannten ‚Geheimdienstes’“. Dieser überwache grundlos die Privatwohnungen Tausender Menschen in Deutschland; es gebe dort auch Mitarbeiter, „welche in der Lage sind, die Gedanken eines anderen Menschen lesen zu können und darüber hinaus fähig sind, sich in diese ‚einzuklinken‘ und bis zu einem gewissen Grad eine Art ‚Fernsteuerung‘ vorzunehmen“.

Die Vorstellung eines Geheimdienstes oder sonstiger dunkler Mächte, die ihn fernsteuern, ihm Gedanken eingeben und ihn überwachen, zieht sich in verschiedenen Abwandlungen durch das gesamte Dokument. Darin offenbart sich die Gedankenwelt eines Menschen, der zwar in zusammenhängenden Sätzen spricht, den jedoch augenscheinlich nur noch lose Fäden mit der Realität verbinden: So hätten ihm unbekannte Agenten Albträume eingespielt; nach dem Erwachen habe er dann intuitiv gewusst, dass die Vereinigten Staaten für den 11. September verantwortlich seien. Dieselbe Geheimorganisation transplantiere auch Filmkonzepte aus seinem Kopf in neue, real existierende Hollywood-Produktionen – er sei somit der unfreiwillige Ideengeber der Filmindustrie.

Breiten Raum nehmen seine Empfehlungen für eine erfolgreiche amerikanische Militärstrategie ein, die dringend notwendig sei, um sich gegen die aufstrebende Wirtschaftsmacht China sowie gegen Drogenschmuggel und illegale Migration aus Mexiko zu behaupten und die gewisse Überschneidungen mit der Politik des amerikanischen Präsidenten enthalten. Dass Donald Trump seine diesbezüglichen Empfehlungen wissentlich umsetze, bezweifelt Tobias R. allerdings, „da ich mir hier sicher bin, dass dies über die sogenannte Fernsteuerung funktioniert.“ Diese Auflistung von Bizarrem ließe sich lange fortsetzen und findet ihre Entsprechung in den anderen beiden Dokumenten, die sich mit militärischen Planspielen des Nahen Ostens sowie mit einer optimalen Trainingsstrategie für den Deutschen Fußballbund befassen. Trotz aller gebotener Zurückhaltung bei psychologischen Ferndiagnosen bleibt nach der Lektüre kaum Zweifel: Tobias R. war geistig krank.

Doch neben den unübersehbaren Anzeichen einer psychischen Erkrankung finden sich auch andere Passagen in seinem Manifest, die Aufschluss zu seinen Tatmotiven geben könnten. R. schildert ein Gespräch, das er im Jahr 1999 mit einem ehemaligen Kollegen aus seiner Banklehre geführt habe und das für ihn noch immer prägend sei. Dabei sei es unter anderem um „die Kriminalität, oder allgemeiner ausgedrückt, das schlechte Verhalten bestimmter Volksgruppen, nämlich von Türken, Marokkanern, Libanesen, Kurden, etc.“ gegangen. Er und sein Kollege hätten beide negative Erfahrungen mit Menschen aus diesen Gruppen gemacht, etwa „absichtlich provozierte Streitereien auf dem Nachhauseweg von der Schule oder dumme Anmachen in der Disko“. Das könne er zwar „aus heutiger Sicht mit Sicherheit als ‚harmlos‘ bezeichnen“, weil dabei niemand zu Schaden gekommen sei, aber aus dem Freundeskreis seien ihm auch schwerere Fälle von Ausländerkriminalität bekannt. Während seiner Ausbildung habe er zudem einen Banküberfall am eigenen Leib miterlebt; die Karteikarten potentieller Verdächtiger, die die Polizei ihm später präsentiert habe, hätten dann „zu ca. 90% aus Nicht-Deutschen“ bestanden, hauptsächlich aus Südländern und Türken. Daraufhin habe bei ihm ein „Erkenntnisgewinn“ eingesetzt: Die deutsche Kultur sei überlegen, eine Reihe anderer Völker bestehe hingegen aus minderwertigen Fortschrittsverhinderern, mit denen sich „das Rätsel“ der Suche nach den Ursprüngen des Universums nie werde lösen lassen; erst recht werde es mit diesen Völkern nicht gelingen, eine Zeitreise in die Vergangenheit zu unternehmen, unseren Planeten vor der Entstehung menschlichen Lebens auszulöschen und so rückwirkend auch alles menschliche Leid zu verhindern. Folglich sollten im Zuge einer ersten „Grob-Säuberung“ sämtliche Einwohner von 24 namentlich genannten Ländern getötet werden; darunter viele Staaten des Nahen und Mittleren Ostens einschließlich Israels sowie nordafrikanische und südostasiatische Länder.

Die Frage, ob R. ein Rechtsextremer mit psychischen Problemen war oder ein psychisch Kranker mit eher zufälligen Einsprengseln von Rechtsextremismus, wird in der Debatte über seine Tat absehbar eine zentrale Rolle spielen. Jedenfalls findet sich in den vormals auf seiner Homepage abrufbaren Dokumenten nichts, was sich als umfassende und kohärente rechte Ideologie bezeichnen ließe. Bezugnahmen auf politische Parteien, Autoren oder Ideengeber des rechten Spektrums fehlen vollständig, auf die deutsche Migrationspolitik wird kaum eingegangen. Auch die weiterführenden Links auf seiner Homepage verweisen nicht auf dezidiert politische Inhalte, sondern vielmehr auf Videos und andere Websites aus dem wahnhaft-verschwörungstheoretischen Spektrum, die um Themen wie Telepathie, Fernsicht, Gedankenkontrolle, Energieheilung und Entführung durch Außerirdische kreisen. In einem Video von sich selbst, das R. am 14. Februar 2020 auf Youtube hochgeladen hatte, richtet er sich schließlich an die Bürger Amerikas, die endlich aufwachen und Widerstand leisten müssten gegen die Geheimgesellschaften, die ihre Gedanken steuern und die in unterirdischen Militärbasen den Teufel anbeten und Kinder foltern und töten.

 

Freitag, 21. Februar 2020, Deutschlandfunk, über Äußerungen des ehemaligen Angehörigen der Antifa und gegenwärtigen Generalsekretärs der SPD, Lars Klingbeil, keine 24 Stunden nach dem Attentat in Hanau:

SPD-Generalsekretär Klingbeil hat vor dem Hintergrund des Anschlags erneut gefordert, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. … Es habe einer geschossen, aber es seien viele gewesen, die ihn munitioniert hätten. Und die AfD gehöre dazu.

 

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