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11. Juni 2022: Bellarmin an Mephisto
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Am Dienstag gab es ein Foto, das ging um die Welt: Aus den Kulissen vor rotem Theatervorhang mit leuchtendem Antlitz tauchte hervor unsere deutsche Kanzlerin a. D..
Nach der wir uns noch zurücksehnen würden.
Auf der tatsächlichen Theaterbühne des Berliner Ensembles trat sie heraus aus den Kulissen.
Wie man meldete, vor „ausverkauftem“ Hause…
Für ein Interview!
Vor „ausverkauftem“ Hause!
Für ein Interview!
Für das erste Interview nach ihrem Ausscheiden!
Aus dem Amt!
Vor „ausverkauftem“ Hause!
Um sich dort vor versammeltem zahlenden Publikum anderthalb lange Stunden den Fragen eines (in Worten: eines!) Journalisten zu stellen. Selbiger war bereits vor dem Gespräch zitierbar mit der Eloge: „Meine Kanzlerin wird sie sowieso immer bleiben.“
Da bleibt kein Auge trocken…
Also ich stelle mir den Abend und ihn vor mit seinen Fragen wie all die Jahre die sogenannten Berliner Sommerpressekonferenzen der Kanzlerin im Zeitalter des merkelschen Biedermeier: allgemeines wohlgefälliges Wohlgefallen, garniert mit scherzender Heiterkeit.
Und das anschließend weltweit Aufmerksamkeit heischende Interview kam völlig überraschend! Die Tage vorher schien, soweit ich mitbekam, es nicht die geringste ankündigende Ankündigung in ein überregionales Medium geschafft zu haben.
Auch die öffentlich-rechtlichen Medien schienen zuvor nichts mitbekommen zu haben…
Also die Kanzlerin a. D. erschien regelrecht überfallartig.
Und vor Sprachlosigkeit fiel auch danach anscheinend keinem Journalisten mindestens die Frage ein: Was war denn das nun eigentlich für ein Publikum?
Wer hatte die Leute wie eingeladen?
Gab es eine Plakataktion?
Konnte da jeder kommen?
Oder hatte ein Beauftragter, und wenn ja welcher, die Teilnehmer, und wenn ja, welche, nach bestimmten Kriterien ausgewählt?
Ähnlich wie etwa seinerzeit zur huldvollen Versammlung mit Angela Merkel die 500 geladenen Stadtbürger von Chemnitz?
Nach der Messerstecherei mit tödlichem Ausgang?
Und welchem Zweck dienen die Einnahmen?
Nicht daß Du nun wieder denkst, ich weine hier leise vor mich hin, weil ich es versäumte, einem derartig weltweit beachtetem Interview beiwohnen zu können.
Dem strahlenden Auftauchen unserer Kanzlerin a. D. aus der Versenkung!
Nein, aus den Theaterkulissen.
Nach all dem dröhnenden Schweigen.
Ich denke, bei dem Angebot einer Eintrittskarte, also einem Eintrittsticket auf Deutsch, hätte ich eine(n) A(Ä)rztIn oder eine(n) ApothekerIn oder ein(?) divers(?) A(Ä)rz(?) oder ein(?) divers(?) Apotheker(?) aufgesucht.
Ob er, sie, es vielleicht ein Mittel hätten.
Gegen anderweitig unstillbare Lachkrämpfe.
Wenn die eigentlichen Themen des ausverkauften Interviews nicht so traurig gewesen wären…
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Donnerstag, 9. Juni 2022, NEUE ZÜRCHER ZEITUNG:
Es wäre schön gewesen, wenn Angela Merkel bei ihrem ersten größeren Auftritt seit dem Ende ihrer langen Amtszeit einen Gesprächspartner gehabt hätte, der sie nicht anhimmelt. Der Zuschauer, der von dieser Veranstaltung etwas anderes erwartet hat als wohlige Gefühle, fragt sich, was für eine politische Operette da aufgeführt wird.
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Donnerstag, 9. Juni 2022, RZECZPOSPOLITA:
Kaum jemand hätte von der ehemaligen Kanzlerin erwartet, dass sie mit solchem Eifer argumentieren würde, dass sie sich nichts vorzuwerfen habe und auch keine Notwendigkeit für eine kritische Analyse ihrer Russland-Politik sehe. Ist das Festhalten an einer solchen Linie nicht ein Kardinalfehler oder zumindest sträfliche Naivität, zumal wir hier von dem politisch und wirtschaftlich mächtigsten Land Europas sprechen? Aus Merkels Erklärungen lässt sich schließen, die Ukraine könne dankbar sein, dass sie sieben Jahre Zeit hatte, sich auf die Abwehr der russischen Aggression vorzubereiten.
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Donnerstag, 9. Juni 2022, LIDOVÉ NOVINY:
Die Kanzlerin a.D. sah keinen Grund, sich für irgendetwas zu entschuldigen, schon gar nicht für ihre früheren diplomatischen Bemühungen. Nach der Annexion der Krim habe sie sich gemeinsam mit Frankreich bemüht, eine weitere Verschärfung der Situation in der Ostukraine zu verhindern, was zum Minsker Abkommen führte. Daher habe die Ukraine sieben relativ ruhige Jahre für die eigene Entwicklung gehabt. In Kiew sieht man das genau umgekehrt – als sieben vergeudete Jahre, in denen sich der Westen unter der Führung von Deutschland und seiner Kanzlerin von Putin an der Nase hat herumführen lassen.
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Donnerstag, 9. Juni 2022, DE STANDAARD:
Deutschland ist eines der wichtigsten Länder in der EU und Merkel war die Russlandversteherin schlechthin: Sie konnte mit Putin auf Russisch und Deutsch reden, beide gehörten zur selben Generation und waren in ähnlichen Regimen aufgewachsen. Am Ende ihrer Amtszeit war Merkel die einzige, die Putin seit dem Beginn seiner Karriere kannte. Deshalb folgte ihr die EU auch, als sie befand, Europa müsse mit Russland im Gespräch bleiben. Es stellt sich die Frage, wie die Ukraine heute aussehen würde, wenn Merkel vor zehn Jahren klare Kante gezeigt hätte.
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„Ich habe lange Jahre darum gebeten, den Bau von Nord Stream 2 zu stoppen. Ohne Erfolg. Ich habe ihr [Merkel] die Position unseres Teils von Europa geschildert. Wir haben dafür appelliert, diese Investition zu stoppen. Wir haben versucht ihr zu sagen, dass das eine imperiale russische Strategie ist, und die Waffe war das Gas.“
Der Präsident unseres Nachbarlandes Andrzej Duda
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