A N A B A S I S

Thalatta ! Thalatta !

Besinnliches zur Besinnung

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Sonntag, 24. Dezember 2023: Serapion an Mephisto

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Sokrates: Wie bist du schon um diese Zeit gekommen, Kriton? Oder ist es nicht noch früh?

Kriton: Noch gar sehr.

Sokrates: Welche Zeit wohl?

Kriton: Die erste Morgendämmerung.

Sokrates: Da wundere ich mich, daß der Schließer des Gefängnisses dir aufmachen gewollt hat.

Kriton: Er ist schon gut bekannt mit mir, Sokrates, weil ich oft hierher komme. Auch hat er wohl eher etwas von mir erhalten.

Sokrates: Bist du eben erst gekommen oder schon lange da?

Kriton: Schon ziemlich lange.

Sokrates: Warum also hast du mich nicht gleich geweckt, sondern dich so still hingesetzt?

Kriton: Nein, beim Zeus, Sokrates, wollte ich doch selbst lieber nicht so lange gewacht haben in solcher Betrübnis. Aber sogar dir habe ich schon lange verwundert zugesehen, wie sanft du schliefest: und recht wohlbedächtig habe ich dich nicht geweckt, damit dir die Zeit noch recht sanft hingehe. Denn oft schon freilich auch sonst im ganzen Leben habe ich dich glücklich gepriesen deiner Gemütsart wegen, bei weitem aber am meisten bei dem jetzigen Unglück, wie leicht und gelassen du es erträgst.

Sokrates: Es wäre ja auch frevelhaft, o Kriton, mich in solchem Alter unwillig darüber zu gebärden, wenn ich endlich sterben muß.

Kriton: Werden doch auch andere, Sokrates, ebenso Bejahrte von solchem Unglück bestrickt; aber ihr Alter schützt sie nicht davor, sich nicht unwillig zu gebärden gegen das eintretende Geschick.

Sokrates: Wohl wahr! Aber warum doch bist du so früh gekommen?

Kriton: Um dir eine traurige Botschaft zu bringen, Sokrates: nicht dir, wie ich wohl sehe, aber mir und allen deinen Freunden traurig und schwer, und die ich, wie mich dünkt, ganz besonders am schwersten ertragen werde.

Sokrates: Was doch für eine? Ist etwa das Schiff aus Delos zurückgekommen, nach dessen Ankunft ich sterben soll?

Kriton: Noch ist es zwar nicht hier, aber ich glaube doch, es wird heute kommen, nach dem, was einige von Sunion Gekommene berichten, die es dort verlassen haben. Aus dieser Nachricht nun ergibt sich, daß es heute kommt und daß du also morgen dein Leben wirst beschließen müssen.

Sokrates: Also, o Kriton, Glück auf! Wenn es den Göttern so genehm ist, sei es so! Jedoch glaube ich nicht, daß es heute kommt.

Kriton: Woher vermutest du das?

Sokrates: Das will ich dir sagen. Ich soll doch an dem folgenden Tage sterben, nachdem das Schiff gekommen ist.

Kriton: So sagen wenigstens die, die darüber zu gebieten haben.

Sokrates: Daher glaube ich nun nicht, daß es an dem jetzt anbrechenden Tage kommen wird, sondern erst an dem nächsten. Ich schließe das aber aus einem Traume, den ich vor einer kleinen Weile in dieser Nacht gesehen habe, und beinahe mag es sich recht gelegen gefügt haben, daß du mich nicht aufgeweckt hast.

Kriton: Und was träumte dir?

Sokrates: Es kam mir vor, als ob eine schöne, wohlgestaltete Frau mit weißen Kleidern angetan auf mich zukam, mich anrief und mir sagte: »O Sokrates,

Möchtst du am dritten Tag in die schollige Phthia gelangen

Kriton: Welch ein sonderbarer Traum, o Sokrates!

Sokrates: Deutlich gewiß, wie mich dünkt, o Kriton!

Kriton: Gar sehr, wie es scheint. Aber du wunderlicher Sokrates, auch jetzt noch folge mir und rette dich. Denn für mich ist es nicht ein Unglück, etwa wenn du stirbst: sondern außerdem, daß ich eines solchen Freundes beraubt weide, – wie ich nie wieder einen finden kann, werden auch viele glauben, die mich und dich nicht genau kennen, daß, ob ich schon imstande gewesen wäre, dich zu retten, wenn ich einiges Geld aufwenden gewollt, ich es doch verabsäumt hätte. Und was für einen schlechteren Ruf könnte es wohl geben, als dafür angesehen sein, daß man das Geld höher achte als die Freunde? Denn das werden die Leute nicht glauben, daß du selbst nicht weggehn gewollt habest, wiewohl wir alles dazu getan.

Sokrates: Aber du guter Kriton, was soll uns doch die Meinung der Leute so sehr kümmern? Denn die Besseren, auf welche es eher lohnt, Bedacht zu nehmen, werden schon glauben, es sei so gegangen, wie es gegangen ist.

Kriton: Aber du siehst doch nun, Sokrates, daß es nötig ist, auch um der Leute Meinung sich zu kümmern. Eben das Gegenwärtige zeigt ja genug, daß die Leute wohl vermögen, nicht das kleinste Übel nur zuzufügen, sondern wohl das größte, wenn jemand bei ihnen verleumdet ist.

Sokrates: Möchten sie nur, o Kriton, das größte Übel zuzufügen vermögen, damit sie auch das größte Gut vermöchten! Das wäre ja vortrefflich! Nun aber vermögen sie keines von beiden. Denn weder vernünftig noch unvernünftig können sie machen; sondern sie machen nur, was sich eben trifft.

Kriton: Das mag immer so sein. Dies aber, Sokrates, sage mir, ob du auch nicht etwa um mich besorgt bist und um die anderen Freunde, daß nicht, wenn du von hier weggingest, die Angeber uns Händel anrichten, weil wir dir heimlich fortgeholfen hätten, und wir dann entweder unser ganzes Vermögen daran geben müßten oder doch vieles Geld, und vielleicht noch sonst etwas dazu erleiden. Denn wenn du dergleichen etwas fürchtest, das laß gut sein! Uns gebührt es ja wohl, über deiner Rettung diese Gefahr auf uns zu nehmen, und wenn es sein müßte, eine noch größere. Also gehorche mir und tue ja nicht anders!

Sokrates: Auch darum bin ich besorgt: auch noch um vieles andere.

Kriton: Keineswegs aber befürchte dies! Denn zuerst ist es nicht einmal viel Geld, wofür einige dich retten und von hier wegführen wollen. Und dann, – siehst du nicht diese Angeber, wie wohlfeil sie sind, und wie gar nicht viel Geld für sie nötig sein würde? Für dich also, glaube ich, würde auch mein Geldvorrat hinreichend sein. Wenn du aber etwa aus Vorsorge für mich nicht leiden wolltest, daß ich von dem meinigen aufwendete, so sind hier die Fremden bereit, es auszulegen. Ja, einer hat ausdrücklich hierzu eine hinreichende Summe zur Stelle gebracht, Simmias von Theben. Auch Kebes ist bereit und gar viele andere. So daß, wie gesagt, weder aus dieser Besorgnis du es aufgeben darfst, dich zu retten, noch auch, was du vor Gericht sagtest, dir hinderlich sein muß, daß du nämlich nach deiner Auswanderung von hier nicht wissen würdest, was du anfangen solltest mit dir selbst. Denn an gar vielen Orten auch anderwärts, wohin du nur kämest, würde man dich gern sehen; wolltest du aber nach Thessalien gehen, so habe ich dort Gastfreunde, die dich sehr wert achten und dir solche Sicherheit genug gewähren würden, daß dir niemand etwas anhaben dürfte in Thessalien. Ferner, Sokrates, dünkt mich auch nicht einmal recht zu sein, daß du darauf beharrest, dich selbst preiszugeben, da du dich retten kannst, und selbst betreibst, daß es so mit dir werde, wie nur deine Feinde es betreiben könnten und betrieben haben, welche dich verderben wollen. Überdies dünkst du mich deinen eigenen Söhnen untreu zu sein, die du ja auferziehen und ausbilden könntest: nun aber verläßt du sie und gehst davon, so daß es ihnen, was dich anlangt, ergehen wird, wie es sich trifft. Es wird sie aber wahrscheinlich so treffen, wie es Waisen zu ergehen pflegt im Waisenstande. Denn entweder solltest du keine Kinder erzeugt haben, oder auch treulich aushaken bei ihrer Erziehung und Ausbildung. Du aber scheinst nur das Bequemste zu erwählen, und solltest doch nur das wählen, was ein tüchtiger und tapferer Mann wählen würde, da du ja behauptest, dein ganzes Leben hindurch dich der Tugend befleißigt zu haben. Wie denn auch ich für dich und für uns, deine Freunde, mich schäme, daß es fast das Ansehn hat, als ob diese ganze Geschichte mit dir nur durch eine Unmännlichkeit von unserer Seite so geschehen sei, sowohl die Einlassung der Klage, daß du dich vor Gericht gestellt hast, da es dir freistand, dich nicht zu stellen, als auch der ganze Rechtshandel selbst, wie er ist geführt worden: und nun gar dieses Ende, recht das Lächerliche von der Geschichte, wild uns nur aus Feigheit und Unmännlichkeit entgangen zu sein scheinen, daß wir dich nicht gerettet haben, noch du dich selbst, da es gar wohl möglich gewesen wäre und auch ausführbar, wenn wir nur irgend etwas nutz waren. Dies also, o Sokrates, sieh wohl zu, daß es nicht außer zum Unglück auch zur Schande gereiche, dir wie uns! Also berate dich! Oder es ist vielmehr nicht einmal mehr Zeit, sich zu beraten, sondern sich beraten zu haben. Und es gibt nur einen Rat. Denn in der nächsten Nacht muß dies alles geschehen sein, oder wenn wir zaudern, ist es unausführbar und nicht mehr möglich. Also auf alle Weise, Sokrates, gehorche mir und tue ja nicht anders!

Sokrates: Deine Sorge um mich, du lieber Kriton, ist viel wert, wenn sie nur irgend mit dem Richtigen bestehen könnte; wo aber nicht, so ist sie je dringender, um desto peinlicher. Wir müssen also erwägen, ob dies wirklich tunlich ist oder nicht. Denn nicht jetzt nur, sondern schon immer habe ich ja das an mir, daß ich nichts anderem von mir gehorche als dem Satze, der sich mir bei der Untersuchung als der beste zeigt. Das aber, was ich schon ehedem in meinen Reden festgesetzt habe, kann ich ja nun nicht verwerfen, weil mir dieses Schicksal geworden ist; sondern jene Reden erscheinen mir noch ganz als dieselben, und ich schätze und ehre sie noch ebenso wie vorher. Wenn wir also nicht bessere als sie jetzt vorzutragen haben, so wisse nur, daß ich dir nicht nachgeben werde, und wenn auch die Macht der Menge noch mehr, als schon geschieht, um uns wie Kinder einzuschüchtern, Gefangenschaft und Tod auf uns losließe und Verlust des Vermögens. Wie können wir also dies recht zu unserer Befriedigung untersuchen? Wenn wir zuerst den Satz wegen der Meinungen aufnehmen, von dem du sprichst, ob wohl für jeden Fall gut gesagt war oder nicht, daß man auf einige Meinungen zwar achten müsse, auf andere aber nicht, oder ob es zwar, ehe ich sterben sollte, gut gesagt war, nun aber offenbar geworden ist, daß es nur obenhin des Redens wegen gesagt, in der Tat aber nichts war als Scherz und Geschwätz? Ich meinesteils habe Lust, Kriton, dies mit dir gemeinschaftlich zu untersuchen, ob diese Rede mir jetzt etwa wunderlicher erscheinen wird, nun es so mit mir steht, oder noch ebenso, und demgemäß wollen wir sie entweder gehen lassen oder ihr gehorchen. So aber, glaube ich, wurde sonst immer von denen behauptet, die etwas zu sagen meinten, wie ich jetzt eben sagte, daß von den Meinungen, welche die Menschen hegen, man einige zwar sehr hoch achten müsse, andere aber nicht. Sprich nun, Kriton, bei den Göttern, dünkt dich dies nicht gut gesagt zu sein? Denn du bist doch menschlichem Ansehen nach fern davon, morgen sterben zu müssen, und das bevorstehende Schicksal könnte dich nicht berücken. Erwäge also: scheint dir das nicht gut gesagt, daß man nicht alle Meinungen der Menschen ehren muß, sondern einige wohl, andere aber nicht? Und auch nicht aller Menschen, sondern einiger ihre wohl, anderer aber nicht? Was meinst du? Ist das nicht gut gesagt?

Kriton: Gut.

Sokrates: Nämlich doch die guten Meinungen soll man ehren, die schlechten nicht?

Kriton: Ja.

Sokrates: Und die guten, sind das nicht die der Vernünftigen, die schlechten aber die der Unvernünftigen?

Kriton: Wie anders?

Sokrates: Wohlan, wie wurde wiederum hierüber gesprochen? Ein Mann, der Leibesübungen treibt und sich dies zum eigentlichen Geschäfte macht, wird der wohl auf jedermanns Lob und Tadel und Meinung achten, oder nur auf jenes allein, auf des Arztes oder des Turnmeisters?

Kriton: Auf jenes allein.

Sokrates: Also fürchten muß er auch nur den Tadel, und Freude haben nur an dem Lobe jenes einen, und nicht der Menge?

Kriton: Offenbar.

Sokrates: Auf die Art also muß er zu Werke gehn und sich üben und essen und trinken, wie dieser eine es gut findet, der Meister und Sachverständige, viel mehr als wie alle anderen insgesamt.

Kriton: So ist es.

Sokrates: Wohl! Ist er aber diesem einen unfolgsam und achtet seine Meinung und sein Lob gering, höher aber das der andern unkundigen Leute, wird ihm dann nichts Übles begegnen?

Kriton: Wie sollte es ihm nicht?

Sokrates: Was ist nun wohl dieses Übel? Worauf zielt es, und was trifft es von dem Unfolgsamen?

Kriton: Seinen Leib offenbar: denn diesen zerrüttet er.

Sokrates: Wohlgesprochen! Ist es nun nicht ebenso mit allem andern, Kriton, damit wir nicht alles durchgehen: also auch mit dem Gerechten und Ungerechten, dein Schändlichen und Schönen, dem Guten und Bösen, worüber wir eben jetzt beratschlagen, ob wir hierin der Meinung der Menge folgen und sie fürchten müssen, oder nur des einen seiner, wenn es einen Sachverständigen hierin gibt, den man mehr scheuen und fürchten muß als alle anderen, welchem dann nicht folgend wir uns das verderben werden und verstümmeln, was eben durch das Recht besser wird, durch das Unrecht aber untergeht? Oder gibt es dergleichen nichts?

Kriton: Jawohl, denke ich wenigstens, Sokrates.

Sokrates: Wohlan denn! Wenn wir nun das, was durch das Ungesunde zerrüttet, durch das Gesunde aber gebessert wird, indem wir nicht der Sachkundigen Meinung gehorchen, zerrüttet haben, lohnt es wohl noch zu leben nach dessen Zerrüttung? Dies ist aber doch der Leib? Oder nicht?

Kriton: Ja.

Sokrates: Lohnt es nun wohl, zu leben mit einem abgeschwächten und zerrütteten Leibe?

Kriton: Keineswegs.

Sokrates: Allein, wenn jenes zerrüttet ist, soll es doch noch lohnen zu leben, was eben durch Unrechthandeln beschädigt wird, durch Rechthandeln aber gewinnt? Oder halten wir das etwa für schlechter als den Leib, was es auch sei von dem unsrigen, worauf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sich beziehen?

Kriton: Keineswegs.

Sokrates: Sondern für edler?

Kriton: Bei weitem.

Sokrates: Also keineswegs, o Bester, haben wir das so seht zu bedenken, was die Leute sagen werden von uns, sondern was der eine, der sich auf Gerechtes und Ungerechtes versteht, und die Wahrheit selbst. So daß du schon hierin die Sache nicht richtig einleitest, wenn du vorträgst, wir müßten auf die Meinung der Leute vom Gerechten, Schönen und Guten und dem Gegenteil Bedacht nehmen. »Aber doch,« könnte, wohl jemand sagen, »haben die Leute es ja in ihrer Gewalt, uns zu töten«.

Kriton: Offenbar freilich auch dieses: und so könnte es leicht jemand sagen, o Sokrates.

Sokrates: Sehr wahr. Allein, du Wunderlicher, nicht nur dieser Satz selbst, den wir durchgenommen, erscheint mir wenigstens noch immer ebenso wie vorher; sondern betrachte nun auch diesen, ob er uns noch fest steht oder nicht, daß man nämlich nicht das Leben am höchsten achten muß, sondern das gut Leben?

Kriton: Freilich besteht der.

Sokrates: Und daß das gut Leben mit dem gerecht und sittlich Leben einerlei ist, besteht der oder besteht er nicht?

Kriton: Er besteht.

Sokrates: Also von dem Eingestandenen aus müssen wir dieses erwägen, ob es gerecht ist, daß ich versuche, von hier fortzugehen, ohne daß die Athener mich fortlassen, oder nicht gerecht. Und wenn es sich als gerecht zeigt, wollen wir es versuchen; wo nicht, es unterlassen. Die du aber vorbringst, o Kriton, die Überlegungen wegen Verlust des Geldes und des Rufs und Erziehung der Kinder, – sollten das nur nicht recht eigentlich Betrachtungen dieser Leute sein, die leichtsinnig töten und ebenso auch hernach gern wieder lebendig machten, wenn sie könnten, alles ohne Vernunft; und sollte nur nicht im Gegenteil für uns, da ja unsere Rede es so festsetzt, gar nichts anderes zu überlegen sein, als wie wir eben sagten, ob wir gerecht handeln werden, wenn wir denen, welche mich von hier fortbringen wollen, Geld zahlen und Dank dazu, und wenn wir selbst dabei mitwirken, ihr, indem ihr mich fortbringt, und ich, indem ich mich fortbringen lasse, oder ob wir nicht in Wahrheit unrecht handeln werden, indem wir dies alles tun? Und wenn sich zeigt, wir können dies nur ungerechterweise ausführen, dann dürfen wir jenes, ob wir sterben müssen, wenn ich hier bleibe und mich ruhig verhalte, oder was wir sonst erleiden, gar nicht in Anschlag bringen gegen das Unrechthandeln.

Kriton: Schön dünkt mich das gesagt, Sokrates. Sieh aber, was wir tun wollen!

Sokrates: Gemeinschaftlich, du Guter, wollen wir das überlegen; und hast du etwas einzuwenden, wenn ich rede, so wende es ein, und ich will dir folgen. Wo aber nicht, so höre auf, mir immer dieselbe Rede zu wiederholen, ich solle wider der Athener Willen von hier fortgehn! Denn es ist mir ja wohl viel wert, wenn du mich überredest, dieses zu tun, nur nicht wider meinen Willen. Betrachte also den Anfang der Untersuchung, ob er dir genügt, und suche das Gefragte zu beantworten nach deiner besten Meinung!

Kriton: Das will ich versuchen.

Sokrates: Sagen wir, man müsse auf gar keine Weise vorsätzlich Unrecht tun? Oder auf einige zwar, nur auf andere nicht? Oder ist auf keine Weise das Unrechthandeln weder gut noch schön, wie wir oft ehedem übereingekommen sind, und wie auch jetzt eben gesagt worden ist? Oder sind uns alle jene Behauptungen von ehedem seit diesen wenigen Tagen verschüttet? Und so lange, o Kriton, haben wir, so bejahrte Männer, nicht gemerkt, daß wir im ernsthaftesten Gespräch mit einander doch nichts besser waren als die Kinder? Oder verhält es sich ja auf alle Weise so, wie wir damals sagten, – die Leute mögen es nun annehmen oder nicht, und es mag uns nun deshalb noch härter ergehen als jetzt, oder auch besser, – das Unrechttun ist doch dem, der es tut, schädlich und schändlich auf alle Weise? Wollen wir dies sagen oder nicht?

Kriton: Das wollen wir.

Sokrates: Auf keine Weise also soll man Unrecht tun?

Kriton: Nein freilich.

Sokrates: Also auch nicht der, dem Unrecht geschehen ist, darf wieder Unrecht tun, wie die meisten glauben, wenn man doch auf keine Weise Unrecht tun darf?

Kriton: Es scheint nicht.

Sokrates: Und wie doch? Darf man mißhandeln, oder nicht?

Kriton: Man darf es wohl nicht, Sokrates.

Sokrates: Aber wie? Wieder mißhandeln, nachdem man schlecht behandelt worden ist, – ist das, wie die meisten sagen, gerecht oder nicht?

Kriton: Auf keine Weise.

Sokrates: Denn jemanden schlecht behandeln, ist nicht unterschieden vom Unrecht tun.

Kriton: Wahr gesprochen!

Sokrates: Also weder wiederbeleidigen darf man, noch irgend einen Menschen mißhandeln, und wenn man auch von ihm erleidet, was es immer sei. Und siehe wohl zu, Kriton, wenn du dies eingestehst, daß du es nicht gegen deine Meinung eingestehst! Denn ich weiß wohl, daß nur wenige dieses glauben und glauben werden. Welche also dies annehmen, und welche nicht, für die gibt es keine gemeinschaftliche Beratschlagung; sondern sie müssen notwendig einander gering achten, wenn einer des andern Entschließungen sieht. Überlege also auch du recht wohl, ob du Gemeinschaft mit mir machst und dies auch annimmst und wir hiervon unsere Beratung anfangen wollen, daß niemals weder beleidigen noch wiederbeleidigen recht ist, noch auch, wenn einem Übles geschieht, sich dadurch helfen, daß man wieder Übles zufügt; oder ob du abstehst und du keinen Teil haben willst an diesem Anfang? Ich meinesteils habe schon immer dieses angenommen und auch jetzt noch. Du aber, nimmst du irgend etwas anderes an, so sprich und trage es vor: bleibst du aber bei dem Ehemaligen, so höre nun das Weitere!

Kriton: Allerdings bleibe ich dabei und nehme es mit dir an. Also rede!

Sokrates: Ich sage also hierauf weiter, oder vielmehr ich frage, ob, was jemand jemandem Gerechtes versprochen hat, er auch leisten müsse, oder ob er betrügen dürfe?

Kriton: Leisten muß er es.

Sokrates: Von hier aus nun schaue um: Wenn wir, ohne die Stadt zu überreden, von hier weggehn, behandeln wir dann jemanden schlecht, und zwar die, welchen es am wenigsten geschehen sollte, oder nicht? Und halten wir fest an den, was wir Gerechtes versprochen haben, oder nicht?

Kriton: Darauf weiß ich nicht zu antworten, Sokrates, was du fragtest: denn ich verstehe es nicht.

Sokrates: Erwäge es denn so: Wenn, indem wir von hier davonlaufen wollten, oder wie man dies sonst nennen soll, die Gesetze kämen und das gemeine Wesen dieser Stadt, und uns in den Weg tretend fragten: »Sage nur, Sokrates, was hast du im Sinne zu tun? Ist es nicht so, daß du durch diese Tat, welche du unternimmst, uns, den Gesetzen, und also dem ganzen Staat den Untergang zu bereiten gedenkst, soviel an dir ist? Oder dünkt es dich möglich, daß jener Staat noch bestehe und nicht in gänzliche Zerrüttung gerate, in welchem die abgetanen Rechtssachen keine Kraft haben, sondern von Einzelmännern können ungültig gemacht und umgestoßen werden?« Was sollen wir hierauf und auf mehr dergleichen sagen, Kriton? Denn noch gar vieles könnte einer, und zumal ein Redner, vorbringen zum Besten dieses gefährdeten Gesetzes, welches befiehlt, daß die geschlichteten Rechtssachen sollen gültig bleiben. Oder sollen wir zu ihnen sagen: »Ja, die Stadt hat uns Unrecht getan und die Klage nicht recht gerichtet?« Wollen wir dies sagen, oder was sonst?

Kriton: Dies, beim Zeus!

Sokrates: Wie nun? Wenn die Gesetze sagten: »O Sokrates, war denn auch das unser Abkommen, oder vielmehr du wollest dich dabei beruhigen, wie die Stadt die Rechtssachen schlichtet?« Wenn wir uns nun über ihre Rede wunderten, würden sie vielleicht sagen: »Wundere dich nicht, Sokrates, über das Gesagte, sondern antworte, da du ja gewohnt bist, in Fragen und Antworten zu reden! Denn sprich: Welche Beschwerden hast du gegen uns und die Stadt, daß du suchst, uns zugrunde zu richten? Sind wir es nicht zuerst, die dich zur Welt gebracht haben, und durch welche dein Vater deine Mutter bekommen und dich gezeugt hat? Erkläre also, tadelst du etwas an denen unter uns Gesetzen, die sich auf die Ehe beziehen, was nicht gut wäre?« – »Nichts tadle ich,« würde ich dann sagen. – »Aber an den Gesetzen über des Geborenen Auferziehung und Unterricht, nach denen auch du bist unterrichtet worden? Ist es etwa nicht gut, was die Gesetze unter uns, die hierüber festgesetzt sind, gebieten, indem sie deinem Vater auflegten, dich in den Geistesübungen und Leibeskünsten zu unterrichten?« – »Sehr gut«, würde ich sagen. – »Wohl! Nachdem du nun geboren, auferzogen und unterrichtet worden bist, kannst du zuerst wohl leugnen, daß du nicht unser warst als Abkömmling und Knecht, du und deine Vorfahren? Und wenn sich dies so verhält, glaubst du, daß du gleiches Recht hast mit uns, und daß, was immer wir uns beigehen lassen, dir anzutun, auch du das Recht habest, uns wieder zu tun? Oder hattest du gegen deinen Vater zwar nicht gleiches Recht oder gegen deinen Herrn, wenn du einen gehabt hättest, so daß du, was dir geschähe, ihm wieder antun dürfest, noch auch, wenn er dich verunglimpfte, widersprechen, noch, wenn er dich schlug, wiederschlagen und mehreres dergleichen: gegen das Vaterland aber und gegen die Gesetze soll es dir erlaubt sein, so daß, wenn wir darauf ausgingen, dich zugrundezurichten, indem wir es für gerecht hielten, auch du wieder auf unsern, der Gesetze und des Vaterlandes Untergang, so viel an dir ist, ausgehen und dann sagen dürftest, du handeltest hierin recht, du, der sich in Wahrheit der Tugend befleißigt? Oder bist du so weise, daß du nicht weißt, wie viel höher als Vater und Mutter und alle anderen Vorfahren das Vaterland geachtet ist, und wieviel ehrwürdiger und heiliger bei den Göttern und bei allen Menschen, welche Vernunft haben? Und wie man ein aufgebrachtes Vaterland noch mehr ehren und ihm nachgeben und es besänftigen muß als einen Vater, und entweder es überzeugen oder tun, was es befiehlt, und was es zu leiden auflegt, ganz ruhig leiden, wenn es auch wäre, dich schlagen zu lassen oder dich fesseln zu lassen, oder wenn es dich in den Krieg schickt, wo du verwundet und getötet werden kannst, du dies doch alles tun mußt und es so allein recht ist? Und daß du nicht weichen und nicht weggehen und nicht deine Stelle verlassen mußt, sondern im Kriege und vor Gericht und überall tun mußt, was der Staat gebietet und das Vaterland, oder es überzeugen mußt, was eigentlich Recht sei? Daß aber Gewalt nicht ohne Frevel gebraucht werden kann gegen Vater oder Mutter und noch viel weniger als gegen sie gegen das Vaterland?« – Was sollen wir hierauf sagen, o Kriton? Daß es wahr ist, was die Gesetze sagen, oder nicht?

Kriton: Mich dünkt, ja.

Sokrates: »Überlege also, o Sokrates,« würden die Gesetze vielleicht weiter sagen, »wenn wir hiervon mehr gesprochen haben, daß du alsdann nicht mit Recht uns das antun willst, was du jetzt willst: Denn wir, die wir dich zur Welt gebracht, auferzogen, unterrichtet und alles Gute, was nur in unserm Vermögen stand, dir und jedem Bürger mitgeteilt haben, wir verkünden dennoch, indem wir Freiheit gestatten jedem Athener, der es nur will, daß, wenn jemand Bürger geworden ist und den Zustand der Stadt und uns, die Gesetze, kennengelernt hat und wir ihm dann nicht gefallen, er das Seinige nehmen und fortgehn dürfe, wohin er nur will. Und keins von uns Gesetzen steht im Wege oder verbietet, wenn jemand von euch, dem wir und die Stadt nicht gefallen, in eine Pflanzstadt ziehen will oder auch anderswohin sich begeben und sich als Schutzverwandter ansiedeln, wo er nur will, mit Beibehaltung alles des Seinigen. Wer von euch aber geblieben ist, nachdem er gesehen, wie wir die Rechtssachen schlichten und sonst die Stadt verwalten, – von dem behaupten wir dann, daß er uns durch die Tat angelobt habe, was wir nur immer befehlen möchten, wolle er tun. Und wer nicht gehorcht, sagen wir, der tue dreifach Unrecht, weil er uns als seinen Erzeugern nicht gehorcht und nicht als seinen Erziehern, und weil er, ohnerachtet er uns angelobt, er wolle gewiß gehorchen, doch weder gehorcht noch uns überzeugt, wo wir etwas nicht recht tun; und da wir ihm doch vortragen und nicht aufrauhe Artgebieten, was wir anordnen, sondern freistellen eins von beiden, entweder uns zu überzeugen oder uns zu folgen, er doch hiervon keines tut. Und diese Verschuldungen nun, behaupten wir, werden auch auf dir, Sokrates, haften, wenn du ausführst, was du im Sinne hast, und zwar auf dir nicht am wenigsten unter den andern Athenern, sondern wohl ganz vorzüglich.« – Wenn ich nun fragte: »Weshalb denn das?« – so würden sie mich wohl ganz recht angreifen, wenn sie sprächen, daß ich ganz vorzüglich vor andern Athenern ihnen dies Versprechen geleistet hätte. »Denn«, würden sie sagen, »hiervon haben wir große Beweise, daß wir sowohl als die Stadt dir Wohlgefallen haben: Sonst würdest du ja wohl nicht so vorzüglich vor allen Athenern immer einheimisch darin geblieben sein, wenn sie dir nicht vorzüglich gefiele. Denn weder bist du je zur Schau der großen Feste aus der Stadt herausgegangen, außer einmal auf den Isthmos, noch sonst irgend wohin anders als nur mit dem Heere ziehend, oder hast sonst eine Reise gemacht, wie andere Menschen, noch auch hat dich jemals Lust angewandelt, andere Städte und andere Gesetze zu sehen, sondern wir genügten dir und unsere Stadt: so sehr zogst du uns vor und gelobtest, uns gemäß dein Bürgerleben zu führen, hast auch überdies Kinder in der Stadt erzeugt, weil sie dir gefiel. Ja auch noch während des Rechtshandels konntest du dir ja die Verweisung zuerkannt haben, wenn du gewollt hättest, und so, was du jetzt gegen den Willen der Stadt unternimmst, damals mit ihrem Willen tun. Du aber tatest damals zwar gar schön, als wärest du gar nicht unwillig, wenn du sterben müßtest, sondern wähltest, wie du sagtest, lieber als die Verweisung den Tod: nun hingegen schämst du dich weder vor jenen deinen Reden, noch scheust du uns, die Gesetze, sondern versuchst, uns zu zerstören, und handelst, wie nur der schlechteste Knecht handeln könnte, in dem du zu entlaufen versuchst gegen alle Verträge und Versprechungen, nach denen du uns versprochen hast, als Bürger zu leben. Zuerst also beantworte uns nur dieses, ob wir die Wahrheit reden, indem wir behaupten, du habest nach unserer Anordnung dein Bürgerleben zu führen uns durch die Tat versprochen, nicht bloß durch Worte, – oder ob wir nicht die Wahrheit reden?« – Was sollen wir hierauf sagen, Kriton? Sollen wir es nicht einräumen?

Kriton: Wir müssen wohl, Sokrates.

Sokrates: »Ist es also nicht so,« würden sie sagen, »daß du deine Verträge mit uns und deine Versprechungen übertrittst? Die du doch nicht gezwungen abgelegt hast, noch überlistet, noch in der Notwendigkeit, etwa dich in kurzer Zeit zu beraten, sondern siebzig Jahre lang, während deren du hättest fortgehn können, wenn wir dir nicht gefielen und du die Bedingungen nicht für gerecht hieltest. Du aber hast weder Lakedaimon vorgezogen noch Kreta, die du doch immer rühmst als wohlgeordnete Staaten, noch irgend einen andern von den hellenischen Staaten oder von den unhellenischen, sondern weniger hast du dich von hier entfernt als die Lahmen, Blinden und andere Verstümmelten. So vorzüglich vor allen Athenern hat dir die Stadt gefallen, und wir, die Gesetze, also auch. Denn wem würde eine Stadt wohl gefallen ohne die Gesetze? Und nun also willst du doch dem Versprochenen nicht treu bleiben? Wohl wirst du es, wenn du uns folgst, o Sokrates, und du wirst dich nicht lächerlich machen durch deinen Auszug aus der Stadt. Denn erwäge nur, wenn du es übertrittst und etwas davon verletzest, was du Gutes dir selbst bereiten wirst und deinen Freunden! Denn daß deine Freunde ja freilich in Gefahr geraten werden, auch selbst flüchtig zu werden und der Stadt entsagen zu müssen, oder ihr Vermögen einzubüßen, das ist wohl offenbar. Du selbst aber, wenn du zuerst in eine der nächstgelegenen Städte gehst, sei es nach Theben oder nach Megara, denn wohleingerichtet sind beide, so kommst du als ein Feind ihrer Verfassung; und wer nur seiner eignen Stadt zugetan ist, wird dich scheel ansehen als einen Verderber der Gesetze, und so wirst du nur das Ansehen deiner Richter befestigen, daß sie dafür gelten werden, in deiner Sache recht gerichtet zu haben: denn wer der Gesetze Verderber ist, muß wohl gar sehr dafür gehalten werden, auch der jüngeren und noch unvernünftigen Menschen Verderber zu sein. Willst du also etwa die wohleingerichtetsten Staaten und die ehrenwertesten Menschen meiden? Und wenn du dieses tust, wird es dir etwa noch lohnen zu leben? Oder willst du dich zu ihnen halten und unverschämt genug sein, was doch für Reden vorzubringen, o Sokrates? Oder dieselben wie hier, daß über Tugend und Gerechtigkeit nichts gehe für den Menschen und über Ordnungen und Gesetze? Und glaubst du nicht, des Sokrates Sache werde dann ganz unanständig erscheinen? Wohl muß man das glauben! Aber aus diesen Gegenden wirst du dich wohl fortmachen und dich nach Thessalien begeben zu den Gastfreunden des Kriton! Denn dort sind ja Unordnung und Ungebundenheit am größten, und die möchten dir wohl mit Vergnügen zuhören, wie lächerlich du aus dem Gefängnis entlaufen bist, in irgend ein Stück Zeug eingehüllt oder mit einem gemeinen Kittel umgetan, oder wie sich sonst die Entfliehenden zu verkleiden pflegen, und nachdem du dich ganz unkenntlich gemacht. Daß du aber als ein alter Mann, dem wahrscheinlich nur noch wenig Lebenszeit übrig ist, dich nicht gescheut hast, mit solcher Gier nach dem Leben zu gelüsten mit Übertretung jedes heiligsten Gesetzes, wird das niemand sagen? Vielleicht nicht, wenn du niemanden beleidigst; sonst aber, o Sokrates, dann wirst du auch viel deiner Unwürdiges hören müssen. Kriechend also vor allen Menschen wirst du leben; und was denn tun als schmausen in Thessalien? So daß du wie zum Gastgebot wirst hingereist scheinen nach Thessalien! Und jene Reuen von der Gerechtigkeit und von den übrigen Tugenden, wo werden uns die bleiben? Doch deiner Kinder wegen willst du leben, um sie selbst aufzuziehen und zu unterrichten! Wie also? Nach Thessalien willst du sie mitnehmen und dort aufziehen und unterrichten? Und sie zu Fremdlingen machen, damit sie dir auch das noch zu verdanken haben? Oder das wohl nicht; aber hier sollten sie, wenn du nur lebst, besser aufgezogen und unterrichtet werden, obgleich du nicht bei ihnen bist? Deine Freunde nämlich werden sich ihrer annehmen. Ob nun wohl, wenn du nach Thessalien wanderst, sie sich ihrer annehmen werden, wenn du aber in die Unterwelt wanderst, dann nicht? Wenn sie anders etwas wert sind, die deine Freunde zu sein behaupten, so muß man es ja wohl glauben. Also, Sokrates, gehorche uns, deinen Erziehern, und achte weder die Kinder noch das Leben noch irgend etwas anderes höher als das Recht, damit, wenn du in die Unterwelt kommst, du dies alles zu deiner Verteidigung anführen kannst den dortigen Herrschern. Denn es zeigt sich ja weder hierfür dich besser oder gerechter oder frömmer, dies wirklich auszuführen, oder für irgend einen der Deinigen, noch auch wird es, wenn du dort ankommst, besser für dich sein. Sondern wenn du jetzt hingehst, so gehst du hin als einer, der Unrecht erlitten hat, nicht zwar von uns Gesetzen, sondern von Menschen. Entfliehst du aber, so schmählich Unrecht und Böses mit gleichem vergeltend, deine eignen Versprechungen und Verträge mit uns verletzend und allen denen Übles zufügend, denen du es am wenigsten solltest, dir selbst nämlich, deinen Freunden, dem Vaterlande und uns, – so werden nicht nur wir auf dich zürnen, solange du lebst, sondern auch unsere Brüder, die Gesetze der Unterwelt, werden dich nicht freundlich aufnehmen, wenn sie wissen, daß du auch uns zugrunde zu richten versucht hast, soviel an dir war. Also, daß ja nicht Kriton mehr dich überrede, zu tun, was er sagt, als wir!« Dies, lieber Freund Kriton, glaube ich zu hören, wie die, welche das Ohrenklingen haben, die Flöte zu hören glauben. Denn auch in mir klingt so der Ton dieser Reden und macht, daß ich andere nicht hören kann. Also wisse nur, was meine jetzige Überzeugung betrifft, daß, wenn du etwas hiergegen sagst, du es vergeblich reden wirst. Dennoch aber, wenn du glaubst, etwas damit auszurichten, so sprich!

Kriton: Nein, Sokrates, ich habe nichts zu sagen.

Sokrates: Wohl denn, Kriton! So laß uns auf diese Art handeln, da uns hierhin der Gott leitet!

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Platon (427-347 v. Chr.): Kriton

Fünf Bedenken zum Weltuntergang

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Sonntag, 17. Dezember 2023: Der Ritter vom heiligen Geist an Mephisto

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1) Der Mensch wurde Mensch, weil er in dialektischer Weise von der Natur mittels Not-Wendigkeit beständig angetrieben wird, expansiv seine Lebensumstände zu verbessern und, auf einer höheren Qualitätsebene, sie unvorhergesehenermaßen aber genau dadurch verschlimmert und sich deshalb unausweichlich neue Not-Wendigkeiten schafft.

2) In der von ihm hervorgebrachten Zivilisation mit der generellen Tendenz, beständig über die Verhältnisse zu leben, wachsen ihm durch verbessernde Fortentwicklung letztendlich die einst seinem Wohle dienenden Systeme und Strukturen sowohl in gesellschaftlichen wie in technischen Bereichen und sowohl im Kleinen als auch im Großen über seinen Kopf, bis er die Herrschaft über sie verliert, so daß sie in Gegensatz zu seinem Wohl geraten, die Energieversorgung, das Verkehrswesen, die Kunststoffindustrie etc. etc. etc., bis es für ihn auf der doch eigentlich zu seinem Wohle erkämpften Zivilisationsstufe wieder um sein nacktes Überleben geht.

3) Schließlich wird, nicht zuletzt durch das schrankenlose Bevölkerungswachstum, ein Punkt erreicht auf unserem Planeten, daß bestenfalls eine mit absoluter Macht und sogar mit Logik und Vernunft ausgestattete Weltherrschaft in der Lage wäre, das Überleben wenigstens eines Teils der Menschheit zu retten. Sie müßte demnach in jeden Winkel der Welt hineinregieren können, um Lebensbeschränkung, Verzicht und Wohlstandsentzug durchzusetzen. Eine solche im übrigen per definitionem unkontrollierbare Machtausstattung selbst eines weisen und mit besten Absichten herrschenden Gremiums wäre zwar not-wendig, sie wird es jedoch natürlicherweise weder praktisch noch theoretisch geben. (s. Kant: „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“).

4) Andererseits sind, wie schon die Antike wußte, demokratische Regierungsformen, also Regierungsformen, die per Mehrheitsbeschluß einen Esel als Pferd deklarieren können (Antisthenes) oder Schulden als Sondervermögen (Scholz), nicht entfernt in der Lage zur Durchsetzung naturwissenschaftlich logisch not-wendiger Maßnahmen. Wie beispielsweise den Verzicht auf die Irrsinnigkeiten, daß jeder der gegenwärtig acht Milliarden Erdenbürger einen legitimen Anspruch hat, ein eigenes Auto zu besitzen, täglich seine Kleidung zu wechseln und sich zu parfümieren. Schon die bloße Bekenntnis eines Politikers zur Durchsetzung der erforderlichen naturwissenschaftlich logisch not-wendigen Maßnahmen würde bei der gegenwärtigen Verfaßtheit der Regierten die Regierenden der not-wendigen Macht zur Durchsetzung der naturwissenschaftlich sowie logisch unbedingt erforderlichen Maßnahmen berauben. Demokratie ist eine denkbar ungeeignete Regierungsform zur Durchsetzung von Wohlstandsverzicht. Zumal der überwiegender Teil der Menschheit vorrangig triebgesteuert handelt, deshalb kognitiven Wahrnehmungsstörungen bis hin zur direkten Realitätsverweigerung ausgesetzt ist und, zumindest im Abendland, lieber daliegt wie das vollgefressene Vieh (Heraklit), Ruhm und Reichtum mit Glück verwechselt, sich in Wunschvorstellungen und Illusionen wiegt, sich wie blöde im Zeitvertreib zerstreut und im Internet, regelrecht süchtig auf Belanglosigkeiten, betäuben läßt.

5) Mensch und Paradies schließen sich naturgegeben aus, der Krieg ist der Vater aller Dinge (Heraklit) und Not die Mutter der Intelligenz (Baudelaire). Unser Planet steht nicht im Zentrum des Universums und ist darin erwiesenermaßen auch mitnichten ein bevorzugter Punkt. Kein Hahn oder Gott wird nach uns krähen, wenn wir aussterben im Kosmos wie irgendeine der Species auf unserer Kugel. Mit Sicherheit gibt es im All unzählige Lebensformen, von denen genügend es schaffen werden, nicht schon an denselben Problemen zu scheitern wie die hiesigen Herrentiere linnéscher Ordnung.

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Samstag, 16. Dezember 2023, Bild:

Kohle: Nachfrage so hoch wie nie

Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet für 2024 mit einem Kohle-Rekordverbrauch weltweit. 2023 stieg die Nachfrage um 1,4 Prozent auf mehr als 8,5 Mrd. Tonnen.

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Ja mach nur einen Plan

Sei nur ein großes Licht!

Und mach dann noch ’nen zweiten Plan

Gehn tun sie beide nicht.

Bertolt Brecht (1898 – 1956)

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Unsere jahrhundertealten Methoden

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Samstag, 9. Dezember 2023: Wladimir Wladimirowitsch an Mephisto

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Also ich als lupenreiner Demokrat und Auftraggeber von Auftragsmorden und mit internationalem Haftbefehl gesuchter Kriegsverbrecher, mich überkommt immer nur ein Grinsen, wenn ich an den Westen denke. Ihr begreift dort nichts. Ihr können gar nicht so weit denken samt eurer künstlichen Intelligenz! Das ist ganz offensichtlich!

Ihr seht nie irgendwelche Zusammenhänge und zählt eins und eins nie zusammen!

Ihr seid unfähig!

Ich grinse nur dazu, ihr meint tatsächlich, wenn beispielsweise nun urplötzlich wieder der Krieg hochkocht zwischen Aserbaidschan und Armenien, das wäre wie vom Himmel gefallen. Und rein zufällig an meinem Geburtstag haut die, wie nennt ihr sie in Deutschland, die „radikal islamische“ Hamas, die haut am 7. Oktober in Israel die Juden zu Brei.

Mich überkommt schon wieder mein Grinsen!

Gerade über Deutschland!

Eure Politiker und Journalisten und Historiker und Politikwissenschaftler, die haben das ganze 20. Jahrhundert vergessen.

Unsere jahrhundertealten Methoden der Russifizierung.

Also der Unterwanderung.

Obwohl wir es damals ziemlich offen tun konnten unter der Flagge der kommunistischen Weltrevolution. Mittels der kommunistischen Parteien in der von uns gesteuerten kommunistischen Internationale.

Dazu all diese nützlichen Idioten der linksbürgerlichen Intellektuellen! Mit ihrem unermüdlichen Sinn für alles Schöne und Gute und Richtige!

Vor allem auch bei euch in Deutschland!

Wie wir die thälmannsche KPD im Bunde mit der NSDAP die Weimarer Republik plattmachen ließen. Mit der Devise, der Hauptfeind seien nicht die Nazis, sondern die Sozis.

Jawohl: Zusammen mit den Nazis gegen die Sozis!

Ulbricht mit Goebbels, habt ihr vergessen, gemeinsam auf der Rednertribüne!

Nach der alten russischen Bauernregel: Immer zwei Eisen im Feuer!

Wie bei euch in Deutschland heute die Sahra und die Alice!

Und in Frankreich der Jean-Luc und die Marine!

Nun gut, daß dann wider Erwarten nicht die Revolution ausbrach unter Führung der Kommunisten, das konnten wir immerhin teilweise ausgleichen durch den sowjetisch-deutschen Pakt Ende August 39.

Dem wir das gesamte Baltikum und Ostpolen verdankten!

Und ihr ließet uns das alles behalten nach 45!

Und sogar noch Osteuropa dazugewinnen durch den ahnungslosen Westen.

Bis an die Elbe!

Im Westen, die haben tatsächlich sich einreden lassen durch unseren genialen Generalissimus in Jalta, es fänden nun in all den von uns besetzten Gebieten Wahlen statt.

Nach eurem Muster!

Ich kriege schon einen Lachkrampf!

Natürlich haben wir dann Wahlen abgehalten.

Natürlich aber nach unserem Muster!

Lupenrein russisch!

Daß dann dieser blöde Gorbatschow ans Ruder kam und ein ganzes Jahrhundertwerk zerbröseln ließ, war wahrlich nicht vorherzusehen, denn dieser Vaterlandsverräter war ja selber Russe.

Aber ich schwöre: Nie wieder!

Denn die nächsten Wahlen gewinne ich!

Und dann gnade euch Gott!

Ich, als lupenreiner Auftraggeber, gewinne nächstes Jahr die Wahlen in den USA!

Und dann mache ich den degenerierten Westen fertig!

Da könnt ihr Gift drauf nehmen!

Und wenn es Plutonium ist!

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Mittwoch, 29. November 2023, Deutschlandfunk 13 Uhr-Nachrichten:

Nach Medienberichten sollen zehn israelische Geiseln freigelassen werden, im Gegenzug entlässt Israel offenbar wieder 30 palästinensische Personen aus der Haft. Zusätzlich hat die Hamas die Freilassung zweier Geiseln mit russischer Staatsangehörigkeit angekündigt. Ein ranghohes Hamas-Mitglied sagte einem Radiosender im Gazastreifen, die Freilassung der beiden Frauen sei als Geste an den russischen Präsidenten Putin gedacht und erfolge außerhalb des Abkommens mit Israel.

Bist du Boxer, brauchst du nicht im Ring zu stehn

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Freitag, 24. November 2023: Serapion an Mephisto

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Otto Reutter Ist doch schön so bequem (1929)

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Vermeintliche Probleme…

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Sonntag, 19. November 2023: Serapion an Mephisto

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Vor mittlerweile neun Jahren schriebst Du mir etwas, das ich Dir jetzt einmal unverändert zurückschicke aus den sicher interessanten Gründen des rückblickend erhellenden Vergleichs mit der Gegenwart. Weil es mir eines Erstaunens doch Wert erscheint, wie wenig sich am Wesentlichen der Dinge, die Deine Einlassungen provozierten, in den neun Jahren geändert hat, wenn man von der Wortwahl in den bundesdeutschen Medien, aktuell „mutmaßlich“ statt damals „vermeintlich“, einmal absähe…

Und obwohl man sich heute noch immer wie damals, und dies aber ohne die geringste Mutmaßlichkeit, des Vorwurfs aussetzt von den Anständigen mit der richtigen Meinung, Propagandist der, neben der sich aus der Partei Der Spalter abspaltenden Wagenknecht-Truppe, stärksten fünften Kolonne Moskaus in Deutschland zu sein. AfD also fein säuberlich als fünfte Kolonne für die deutschen Rechten und der Klara-Klarsicht-Wagenknecht-Verein fein säuberlich als fünfte Kolonne für die deutschen Linken, nachdem der russische Geheimdienst seine einstige Lieblingin, die Partei Der Spalter, wegen ihres Abdriftens in die Bedeutungslosigkeit wohl völlig herzlos nun doch mehr oder minder aufgegeben zu haben scheint.

Hier also Dein Sermon vom 21. September 2014 (=> 21.09.2014: Mephisto an Serapion):

Ich weiß nicht, inwiefern Du sie mitbekamst in Deiner mönchischen Abgeschiedenheit unter dem kynischen Diktum, Zivilisation mache krank, die neuesten tendenziösen Ausblendungen unserer tag- und abendfüllenden öffentlich-rechtlichen Medien. Von den etlichen Auffälligkeiten ist jede für sich beängstigend. So ist man, um nur ein Beispiel zu nennen, tatsächlich überrascht über die immensen Wahlerfolge der ausnahmslos verunglimpften und verteufelten AfD, obgleich sie unschwer vorhersagbar waren. Neulich vernahm ich sogar, diese Partei werde rasch wieder verschwinden, denn die Eurokrise sei ja nun überwunden…

Jetzt ist man fassungslos auf allen Ebenen. Die niedrigen Wahlbeteiligungen seien schuld. Beruhigend zu wissen, daß wenigstens die Nichtwähler richtig gewählt hätten…

Man weiß natürlich nicht, wer letztendlich diese Partei entert, oder ob sie sich mit ihren seriösen, bis heute von den öffentlich-rechtlichen Medien und von den Parteien mehr oder minder totgeschwiegenen Sachthemen behauptet. (Nicht zu reden von einer objektiven inhaltlichen Darstellung oder gar Erörterung jener Themen in den Medien. Immerhin war es schon ein monatelanger Weg, ehe man sich, nach der Europawahl schließlich, durchringen konnte, statt unisono von einer „europafeindlichen“ Partei von einer „eurokritischen“ Partei zu reden, und manche Anstalten und Berichterstatter haben das bis heute nicht begriffen. Oder, und der Verdacht liegt näher, wollen es nicht wahrhaben. Obwohl die AfD, entgegen einhelliger verleumderischer Prognosen unserer Medien, im Europaparlament, wie auch von ihr angekündigt, eben nicht mit Marine Le Pen und Konsorten „fraktionierte“.)

Die Gefahr einer Verfälschung oder gar Verkehrung ursprünglicher Intentionen besteht ja bei jeder Parteigründung, erinnere Dich nur an die seinerzeitige unsägliche Glorifizierung der Pädophilie durch die Grünen. So manche Unberufene fühlen sich regelmäßig berufen und magnetisch angezogen, auf einen anfahrenden Zug zu springen und ihre Fahnen zu schwenken. Da muß man leider abwarten, wer sich durchsetzt.

Was ich indessen weiß, ist, daß die AfD in Sachsen und Brandenburg als anfänglich einzige demokratische Partei von den tatsächlichen Problemen wie beispielsweise der gestiegenen Grenzkriminalität sprach, von Einbrüchen und geklauten Traktoren und so, bei gleichzeitigem Abbau von Polizeidienststellen, und der Deutschlandfunk, soweit ich das vernahm, nur einmalig von, tatsächlich, von „gefühlter Bedrohung durch Kriminalität“. Und überhaupt nicht von eingesparten Polizeidienststellen.

Und ich lese täglich den vollständigen Nachrichtenticker.

Aber na bitte, da ist es ja auch wieder beruhigend zu wissen, daß wohl Zahlen im Kölner Keller existieren und Fakten gebunkert werden, die belegen könnten, falls man sie zu senden sich herabließe, daß es sich lediglich um paranoide Gefühlslagen wahrscheinlich rechtsradikal veranlagter Idioten handelt. Diese ewig Gestrigen aber auch! Die immer nach mehr Polizei rufen!

Oder verschweigt man Zahlen, wenn sie zwar mathematisch korrekt sind, aber „politisch inkorrekt“ nicht ins Wunschbild passen? Dann muß man natürlich Parteien wie die AfD fürchten.

Kurz, es entsteht der Verdacht, als fürchte man die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD. Diese Angst wäre bei Parteien aus einer gewissen ideologischen Beschränktheit vielleicht erklärbar, bei sich als überparteilich und unabhängig und kritisch gebärdenden Medien ist Angst vor Realitäten unverzeihlich.

Anderes Beispiel. Da begann man vor einiger Zeit zu reden von imaginären, Pardon, „vermeintlichen Problemen“ der Kommunen durch Zuwanderer aus EU-Staaten und „möglichem Sozialmißbrauch“. Nicht etwa von Problemen und Sozialmißbrauch, sondern in den öffentlich-rechtlichen Medien normiert von vermeintlich und möglich. Vermeintlichkeiten haben Konjunktur in deutschen Medien, und Kommentatoren wandten sich demzufolge ausnahmslos tapfer und mutig, das muß man anerkennen, gegen unsachliche Argumente. Statt gegen sachliche gegen Stammtischgerede! Hier plötzlich nicht gegen „vermeintliches“ Stammtischgerede. Ich weiß ja nun nicht, an wievielen Stammtischen sich jene Kommentatoren so herumlümmeln den lieben langen Tag, und was sie bei derlei Gerede erwidern mit ihrer gern angemahnten Zivilcourage.

Gibt es eigentlich einen Preis für die korrekteste politische Korrektheit?

Das wird aber Zeit.

Jedenfalls, Du entsinnst Dich, integrierte Roma wurden vorgeführt.

Ende August war es dann Schluß mit der möglichen Vermeintlichkeit und vermeintlichen Möglichkeit, und man beschloß aus heiterstem Himmel ein Gesetzespaket gegen den „Mißbrauch von Sozialleistungen durch Zuwanderer aus anderen EU-Staaten“ und stellte noch für dieses Jahr „Soforthilfen“ für ehemals vermeintlich „betroffene Städte und Gemeinden“ in beträchtlicher Millionenhöhe aus dem auf Nullschulden sparenden Haushalt bereit…

Wahrscheinlich aus Bosheit und Ausländerhaß.

Noch ein Gedicht: Letzte Woche passierte ein neues Asylgesetz den Bundesrat. Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien gelten als sogenannte sichere Herkunftsländer. Staaten, die man durch EU-Aufnahme bei der Behandlung von Minderheiten zu bessern hofft. Die vorhersehbaren Besserungsergebnisse der unverwüstlichen EU-Aufnahmebefürworter bewundern wir schon seit längerem in Bulgarien, Rumänien und Ungarn.

Wahr ist aber, daß Zuwanderer aus obigen Staaten, deren Asylanträge nach bisherigem Verfahren und im vollen Einklang mit der Genfer Konvention behandelt wurden (und weiterhin werden), nur mit einer Zahl im Promillebereich bewilligt werden konnten. Und eine der Ungeheuerlichkeiten ist, daß die Medien diese Zahl so gut wie nie transportierten. Daß nämlich im Umkehrschluß 99,7 Prozent dieser Anträge nach geltendem Recht abgewiesen werden mußten.

Warum das Verschweigen jener vielleicht nicht ganz unwesentlichen Zahl?

Warum wird ihre Nennung von deutschen Medien als Wagnis betrachtet? Hält man das blöde Volk nicht für reif genug? Hat man Angst vor etwaigen Differenzen zwischen Medienberichterstattung mit Sinn für alles Gute und Schöne versus Erfahrungen der Menschen?

Will man die Demokratie ein bißchen lenken?

Nach den neuen Bestimmungen, die keine automatische, sondern eine schnellere Zurückschickung der von dort kommenden abgewiesenen Antragssteller erleichtert, wird im Gegenzug aber die sogenannte Residenzpflicht für alle Asylbewerber nach vier Monaten aufgehoben, die Vorrangprüfung auf 15 Monate begrenzt (das heißt die Arbeitsaufnahme, und damit die Integrationsmöglichkeit von Asylbewerbern, wird wesentlich befördert) und das Sachleistungsprinzip wird zu ihren Gunsten auf die Erstaufnahmeeinrichtung beschränkt.

Das alles haben die Grünen in den Verhandlungen für ihre Zustimmung in der Länderkammer erreicht.

Und nun wird Winfried Kretschmann von ihnen beschimpft für seine Zustimmung.

Die für ihre seltene Nachdenklichkeit bekannte und sich wie immer omnikompetent zu Wort meldende Claudia Roth, die nach der bemerkenswerten Abwahl durch die Basis ihrer Partei zum Trost von dieser auf den Bundestag als stellvertretende Vizepräsidentin losgelassen wurde, lamentiert getreu der unsterblichen Legende vom Dolchstoß von „einer Katastrophe für die Flüchtlinge und einer Katastrophe für die Grünen“.

Danke Winfried Kretschmann!

Die meisten Menschen

Samstag, 11. November 2023: Serapion an Mephisto

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Aber obschon das Weltgesetz allen gemein ist, leben die meisten doch so, als ob sie eine eigene Einsicht hätten.

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Für dies Weltgesetz, ob es gleich ewig ist, gewinnen die Menschen kein Verständnis, weder ehe sie es vernommen noch sobald sie es vernommen.

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Die Menschen lassen sich über die Kenntnis der sichtbaren Dinge ähnlich zum besten halten. Mit dem Weltgesetz, mit dem sie doch am meisten beständig zu verkehren haben, entzweien sie sich, und die Dinge, auf die sie täglich stoßen, scheinen ihnen fremd.

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Denn des Menschen Sinn hat keine Einsichten.

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Denn viele hegen nicht solche Gedanken, so viele auch darauf stoßen, noch verstehen sie, wenn man sie belehrt; aber sie bilden es sich ein.

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Denn was ist ihr Sinn oder Verstand? Straßensängern glauben sie und zum Lehrer haben sie den Pöbel, Leute, die weder zu hören noch zu reden verstehen.

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Seinen Unverstand zu bergen ist besser, als ihn zur Schau zu stellen. Vielwisserei lehrt nicht Verstand haben. Denn die Goldgräber schaufeln viel Erde und finden wenig.

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Für die Menschen wäre es nicht besser, wenn ihnen alle ihre Wünsche erfüllt würden. Möge es euch nie an Reichtum fehlen, damit eure Verlotterung an den Tag kommen kann. Bestände das Glück in körperlichen Lustgefühlen, so müßte man die Ochsen glücklich nennen, wenn sie Erbsen zu fressen finden. Esel würden Häckerling dem Golde vorziehen.

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Die meisten freilich liegen da vollgefressen wie das liebe Vieh und ergetzen sich am Dreck.

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Und sie beten auch zu diesen Götterbildern, wie wenn einer mit Gebäuden Zwiesprache pflegen wollte.

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… denn schlimme Zeugen sind Augen und Ohren den Menschen, sofern sie Barbarenseelen haben.

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Für Dich als kleines Kompendium mit 11 der einzig überlieferten originalen 126 Sentenzen

Heraklits (ca. 550 – ca. 480 v. Chr.)

Wohin politisch korrigierte Scheinheiligkeit führt

Sonntag, 5. November 2023: Der Ritter vom heiligen Geist an Mephisto

Die üblichen Verdächtigen der Richtigdenker mit der stets aktuellen vorzeigekorrekten Empörungshaltung „aller Anständigen“ sind seit einem knappen Monat aufgeschreckt infolge des Antisemitismus auf bundesdeutschen Straßen und rufen nun tapfer auf zum Antiantisemitismus.

Welch schöner Zug…

Auch die Medien trommeln plötzlich, als würde die von ihr permanent als antisemitisch etikettierte AfD nun durch die Straßen marschieren.

Aber war da nicht was?

Das Leben ist hart für die, welche im Deutschland des 21. Jahrhunderts zu den Erinnerungsbegabten zählen:

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Schuster, rät jüdischen Bürgern, in bestimmten Gegenden keine Kippa zu tragen. Er sagte im RBB Hörfunk, sie sollten sich zwar nicht aus Angst verstecken. Die Frage sei aber, ob es angesichts zunehmender antisemitischer Straftaten sinnvoll sei, sich in Wohnvierteln mit einem hohen muslimischen Anteil als Jude zu erkennen zu geben.

Das war, vor mehr als acht Jahren, eine Nachricht, nämlich am Donnerstag, dem 26. Februar 2015. Auf den Tag genau einen Monat nach dem siebzigsten Jahrestag der Befreiung der Lager Auschwitz und Birkenau durch sowjetrussische Truppen. Welcher ermahnend in bewegender Weise gedacht worden war. Von der besonderen deutschen Verantwortung war auch damals schon die Rede. Und kurz zuvor auch hatten deutsche Politiker und Medienvertreter vereint mutig im Chore getönt: „Wir sind alle Charlie!“

Nach den Morden an den Journalisten des französischen Satiremagazins…

Und was geschah nach dem besorgten Ratschlag des Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland?

Da schwiegen die politisch korrigierten Vöglein im öffentlich-rechtlichen Medienwalde…

Welche Journalisten haben denn davor und danach in welchen Print- und Onlinemedien oder auf welchen Sendern über welche der „bestimmten“ Wohnviertel „mit einem hohen muslimischen Anteil“ von antisemitischen Straftaten berichtet?

Welche Zahlen wurden genannt, damit man sich ein realistisches Bild hätte machen können über die Zunahme jener Straftaten und über ihre Dynamik?

Und über das Umfeld der Täter!

Um was für Straftaten handelte es sich eigentlich?

Wo befinden sich die „bestimmten“ Wohnviertel, in denen es gefährlich ist für jüdische Mitbürger? Wäre es nicht die Pflicht, sie beim Namen zu nennen?

Sollten und sollen Kippaträger erst irgendwo anrufen müssen, um sich zu erkundigen?

Wie werden die Täter von den Medien eingeordnet? Zählen sie diese zum sogenannten friedlichen Islam oder zum sogenannten islamistischen Islam?

Oder gelten sie gar als „integrierte Muslime“?

Ein neues Problem, urplötzlich aus heiterstem integriertem deutschem Himmel?

Kann es sein, daß das Problem in Wahrheit nicht neu war?

Und ist?

Wenn ja, welchen Grund hatte es, daß man davon erst aus dem Munde eines Betroffenen hörte?

Ist das nicht beschämend?

Wurde nicht im Jahr zuvor von mohammedanischer Seite „Juden ins Gas!“ auf deutschen Straßen gebrüllt? Wie haben denn unsere, auf ihren Pressekodex stolzen Medien und gerade den hundertsten Geburtstag Rudolf Augsteins („Sagen, was ist!“) zelebrierend in der Folge sich darum gekümmert und was über den Leifsteil, also die Lebensart jenes antisemitischen Mobs in Erfahrung gebracht?

Und wie hat denn nun die Staatsanwaltschaft reagiert?

Wieviele Täter wurden denn haftbar gemacht?

Keine Meldung…

Keine Meldung ist auch eine Meldung!

Wäre das nicht mindestens, mindestens, mindestens eine abendfüllende Sendung wert im Lande der besonderen Verantwortung?

Und zwar vor Mitternacht?

Zur Preimteim?

Es gab und gibt doch nicht etwa eine Tabuisierung des mohammedanischen Antisemitismus in unseren Medien?

Und all die üblichen emsig fürs korrekte Jendern kämpfenden Kerlchen und KerlInnenchen, wo waren die permanent Empörten?

Die geistig Eingeengten, unsere heinischen Atta Trolle?

Die mutigen Charlies?

Wo unserere omnikompetenten berufsempörten Rufer der Anständigen?

Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberstes Gebot der Presse“, so der erste Grundsatz im bundesrepublikanischen Pressekodex.

Noch ein schöner Zug…

Dennoch ertönten schon damals seit einiger Zeit „Lügenpresse“-Rufe derart laut, daß man sich veranlaßt fühlte, jenes Wort als Unwort zu etikettieren!

Alle Anständigen waren sich einig: Nein diese tumben, von Haß und Vorurteilen und Abstiegsängsten geplagten und von Kriminellen mit Stammtischparolen aufgehetzten Irregeleiteten aber auch! Also wirklich!

Heiko Maas, damals in diesem Lande zuständig für die Gerechtigkeit, also dem ziemlichen Gegenteil von Pauschalisierung, konnte leider wieder nicht an sich halten und hatte unverzüglich nach der grauenhaften Ermordung von Journalisten und Juden und einer Polizistin in Paris vor einer Instrumentalisierung des Verbrechens seitens der Pegida-Demonstranten gewarnt und am Folgetag der die Welt aufwühlenden Trauerkundgebungen in Frankreich dem Deutschlandfunk ein Interview geschenkt, im unschuldigen Morgengrauen des 12. Januar 2015:

Deutschlandfunk: Wir müssen, Herr Maas, noch über Pegida sprechen, auch weil es einfach immer wieder Freude macht, mit Ihnen darüber zu sprechen, Sie dazu zu hören.

Maas: Mir macht es aber gar keine Freude, über die reden zu müssen, ganz ehrlich gesagt.

Deutschlandfunk: Ja, ich verstehe das in der Sache. Trotzdem sind Sie – und das hören wir dann gerne – ein Freund klarer Worte. Pegida demonstriert in Dresden heute mit Trauerflor, obwohl Sie aufgerufen haben, die ganze Demonstration sein zu lassen. Was geben Sie den Demonstranten mit auf den Weg?

Maas: Ihr seid alle Heuchler! Denn ehrlich gesagt: Wenn die gleichen Leute, die vor einer Woche die Presse als Lügenpresse beschimpft haben, sich heute einen Trauerflor um den Arm legen, dann ist das an Heuchelei wirklich nicht mehr zu überbieten. Denen kann man wirklich nur sagen: Bleibt besser Zuhause.

Deutschlandfunk: Der Bundesjustizminister, Heiko Maas, Sozialdemokrat, heute früh im Deutschlandfunk. Herr Maas, danke fürs Gespräch.

Maas: Danke auch.

Damit nun keine Zweifel aufkommen, der’s ehrlich meinende Mann fürs Grobe ist gelernter Jurist und hat 1993 sein Studium mit dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen und 1996 das Zweite Staatsexamen bestanden.

Ich versuche es aufzudröseln, ohne seine Aussagen unzulässig zu simplifizieren.

Wenn ich es richtig sehe, sagte unser Justizminister („Justiz“ zu lat. iustitia = Gerechtigkeit, Recht):

1.) Anläßlich der wöchentlichen Demonstration ihrer allgemein bestätigten Angstempfindung vor einer in ihren Augen von der Presse tabuisierten Islamisierung hatten in der Vorwoche Demonstranten jene Presse als „Lügenpresse“ tituliert. Ich glaube, diese Prämisse können wir als wahr, als Beschreibung dessen, „was ist“, voraussetzen.

2.) Dieselbigen (unser Jurist verwechselt hier die Gleichen mit denselben) wollten und könnten aber sich nun, eine Woche nach der Ermordung französischer Journalisten, Juden und Polizisten durch Mohammedaner, also sogenannte Islamisten, Trauerflor für die Ermordeten anlegen.

Daraus die Konklusion:

Wenn sie das täten, dann handelte es sich um eine nicht zu überbietende Heuchelei (damit implizierend die vorweggenommene Beschuldigung: „Ihr seid alle Heuchler!“).

Ganz ehrlich ehrlich gesagt.

Von unserem seinerzeit amtlich nicht zu überbietenden Gerechten!

Aber warum könnten dieselben Leute, die Angst vor einer Islamisierung ihrer Welt („wie in Berlin-Kreuzberg oder im Ruhrgebiet“) hatten, nicht erschüttert, entsetzt und traurig sein, wenn sich auf den sogenannten Islam berufende Mörder, vor denen sich die Demonstranten erwiesenermaßen ängstigen, ängstebestätigend Menschen umbringen?

Mit seiner Schlußweise mühte sich unser vor Instrumentalisierung(!) warnender Minister für Gerechtigkeit gewohntermaßen scharfmacherisch, und im Deutschlandfunk wie inszeniert wirkend, den Demonstranten Heuchelei zu unterstellen. Und das bekommt seinen perfiden Sinn, wenn wir aus dem niederem Volke der ministeriellen Vorverurteilung folgen. Denn dies bedeutete, und nun schließen wir mal, und zwar im Umkehrschluß, während die Demonstranten Trauer trügen, freuten sie sich über die Mordtaten in Frankreich.

Also über das, wovor sie sich nach allgemein anerkannter Aussage ängstigen.

Vermittels seines angestrengten Syllogismus bezichtigte unser einstiger Justizminister (SPD) die Demonstranten, weil sie die deutsche Presse mit dem sogenannten Unwort „Lügenpresse“ belegten, einverständlich zu stehen auf Seiten der Mörder französischer Journalisten, Juden und Polizisten…

Unwidersprochen, ja nahezu bejubelnd ermuntert, im öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk!

Wir waren damals schon weit gekommen in unserem Lande mit der wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit.

Ich bin nicht ganz allein mit meiner Interpretation der Logik des Rechthabers. Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden, ebenfalls im Deutschlandfunk:

Deutschlandfunk: Heute Abend wieder werden wohl Tausende Menschen auf die Straßen gehen, um gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes zu demonstrieren, vor allem in Dresden bei der Kundgebung der Pegida. Herr Patzelt, Sie beobachten die Pegida seit Langem intensiv. Was bedeuten die Anschläge in Paris für die Proteste?

Patzelt: Viele, die heute Abend dabei sein werden, werden das Gefühl haben und auch äußern, schaut her, das, wovor wir die ganze Zeit gewarnt haben, ist nicht einfach die Ausgeburt einer kranken Fantasie, sondern es gibt eine reale Gefährdung unserer freiheitlichen Ordnung durch radikale Islamisten, was kritisiert ihr uns also, wenn wir doch nichts anderes sagen als das, was wir jetzt in Paris vor aller Augen vorgefunden haben. Wir – so würden die Differenzierteren unter ihnen das Argument weiterführen -, wir tun doch nichts anderes, als davor zu warnen, dass eine andere Religion uns vorschreiben will, wie wir über Religion, über öffentliche Positionen nachdenken und schreiben und wie wir unsere freiheitliche Gesellschaft ausgestalten.

Und:

Deutschlandfunk: Trauerflor wollen die Pegida-Demonstranten heute Abend tragen. Justizminister Heiko Maas nennt das heuchlerisch. Wie nennen Sie das?

Patzelt: Na ja, man muss schon die Logik sehr strapazieren, wenn man aus dem Tragen von Trauerflor heute Abend Heuchelei schließen will. Es kritisieren Pegida-Demonstranten zwar auf das Heftigste und inzwischen mehr und mehr sehr ungerecht die Presse als Lügenpresse, aber daraus folgt doch nicht, dass man sich offen oder klammheimlich darüber freut, dass Journalisten ermordet werden. Da muss man schon die Logik sehr verbiegen, um aus der Tatsache, dass man selbst einen Konflikt mit der Presse hat, die Gutheißung von abscheulichen Morden abzuleiten.

Und:

Deutschlandfunk: Das heißt, Sie haben Verständnis für die Demonstranten der Pegida, wenn sie heute Abend Trauerflor zeigen, denjenigen gegenüber, die sie bisher als Lügenpresse bezeichnet haben?

Patzelt: Ein jeder mitfühlende Mensch kann, wenn so viele Menschen, bloß weil sie ihren Beruf sachgerecht ausüben, ermordet werden, bloß Empathie, Mitgefühl und Betroffenheit zeigen, und natürlich ist es eine angemessene Verhaltensweise. Und noch einmal: Bloß weil sich Pegida-Teilnehmer von der Presse übel behandelt gefühlt haben, mehr und mehr sich zu Unrecht behandelt fühlen, bloß daraus folgt doch nicht, dass man sich klammheimlich oder offen darüber freut, wenn Journalisten ermordet werden. Und ich müsste mich sehr wundern, wenn ich heute nennenswert viele Pegidisten vorfände auf der Straße, die sagen, das ist diesen Journalisten recht geschehen, lasst es uns in Deutschland auch so versuchen. Das sind hier, scheint mir, Feindbilder, die unser Justizminister kultiviert.

Und:

Der Punkt ist doch eher der, dass in die von Pegida an den Tag gebrachten Besorgnisse von manchen über eine Umprägung unserer Kultur durch eine Einschränkung von Presse und Kritikfreiheit, dass diese Besorgnisse durch den Pariser Anschlag neue Bestätigung gefunden haben, und es braucht wahrhaft absonderliche Lust, Feindbilder zu kultivieren, um sozusagen die Thermometer für die Temperatur verantwortlich zu machen.

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Sonntag, 5. November 2023, Deutschlandfunk im typischen Gestus des Gegenwartsjournalismus (an den Anfang und Mittelpunkt einer Nachricht werden als Denkvorgabe Sprechblasen richtig denkender Politiker gestellt, das Geschehen an sich und vor allem die womöglich unbequemen Fakten werden somit weitgehend marginalisiert oder sogar vollständig ausgeblendet):

„Nahostkrieg: Wüst verurteilt islamistische Sympathiebekundungen bei Demos als nicht hinnehmbar

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst hat die jüngsten islamistischen Sympathiebekundungen bei pro-palästinensischen Demonstrationen scharf verurteilt.

Es seien Grenzen überschritten worden, teilte der CDU-Politiker mit. Es sei völlig inakzeptabel, dass islamistische Extremisten auf den Straßen in Deutschland für ihre Ziele würben. Das werde man nicht hinnehmen. Bundesjustizminister Buschmann sagte der „Bild am Sonntag“, für schnelle Strafverfahren müsse man die Identitäten von Verdächtigen feststellen und Beweismittel sichern.

Bei mehreren Kundgebungen – unter anderem in Essen – hatten Teilnehmer am Freitag islamistische Fahnen und Gesten gezeigt. Auch einschlägige Ausrufe waren zu hören gewesen. Die Polizei prüft mögliche Gesetzesverstöße. In Hamburg durchsuchte die Polizei die Räumlichkeiten von Mitgliedern des islamistischen Netzwerks „Muslim Interaktiv“, die für eine verbotene Demonstration im Stadtteil St. Georg mobilisiert hatten. Auch gestern gab es in vielen Städten pro-palästinensische Kundgebungen. Die größten mit mehreren tausend Teilnehmern gab es in Düsseldorf und Berlin. Mehrere Strafermittlungsverfahren etwa wegen Volksverhetzung wurden eingeleitet.“

Danke auch für den von unserem bundesdeutschen Qualitätsjournalismus öffentlich-rechtlicher Medien nachrichtlich als wichtig weiterzugebend eingestuften Tipp, daß man Beweismittel sichern müsse…

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Die BILD AM SONNTAG denselben Sachverhalt kommentierend:

„Tausende Islamisten ziehen mit ihren Flaggen durch die Essener Innenstadt, demonstrieren ihre Macht, brüllen ihre Parolen. Allenfalls am Rande fordern sie ‚Free Palestine‘, ihnen geht es um etwas Größeres: die Errichtung eines weltweiten Kalifats, eines streng religiösen Reiches also, wie es die Terrormiliz ‚Islamischer Staat‘ zwischen 2014 und 2019 in Syrien und Irak verwirklichte. Verstörende Bilder auch in Berlin, Hamburg, Dortmund und anderen Städten. Überall trumpfen Juden-Hasser auf, als gehöre ihnen die Straße. Der Hamas-Krieg hat das zutage gebracht, wovor liberale Muslime wie Ahmad Mansour, Seyran Ates und viele andere seit Jahren warnen: In Deutschland leben Zehntausende, wahrscheinlich eher Hunderttausende Radikale, die unsere freie Gesellschaft nicht nur ablehnen, sondern umstürzen wollen. Aber statt Mahnern wie Mansour zuzuhören, wurden diese bestenfalls ignoriert, schlimmstenfalls als rassistisch und ‚islamophob‘ verunglimpft. Jetzt sehen wir das Ergebnis des langen Wegschauens.“

Wir haben das nicht geschafft!

Sonntag, 15. Oktober 2023: Der Ritter vom heiligen Geist an Mephisto

In Sure 8, Vers 60 verlangt Allah von den Muslimen, alle Mittel einzusetzen, ‚um die Feinde Allahs, die auch eure Feinde sind, zu terrorisieren‘. Damit der Islam in den Augen von Nichtmuslimen akzeptabel erscheint, werden in europäischen Koranübersetzungen für ‚terrorisieren‘ gefälligere Vokabeln wie ‚einschüchtern‘ oder ‚erschrecken‘ verwendet (und unwissend nachgeplappert). Doch das im Koran verwendete Verbum lautet ‚turhibûna‘, was korrekt nur als ‚terrorisieren‘ wiedergegeben werden kann und auch heutzutage in diesem Sinn gebraucht wird. Was die Verbrechen angeht, die im sogenannten ‚Islamischen Staat‘ an der Tagesordnung sind, dient der Koran, Sure 5, Vers 33, ebenso als Handlungsanleitung: ‚Jedoch der Lohn derer, die gegen Allah und seine Gesandten Krieg führen und Verderben im Land zu erregen trachten, soll sein, dass sie getötet und gekreuzigt werden oder dass ihre Hände oder Füße wechselseitig abgeschlagen werden oder dass sie aus dem Land vertrieben werden.‘

Von Muslimen wie jetzt in Paris beziehungsweise von islamophiler Seite wird stattdessen regelmäßig beteuert, dass im Koran stehe: ‚Wenn einer einen Menschen tötet, dann ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte.‘ Soll heißen, dass ein Mörder nichts mit dem Islam zu tun haben könne. Doch Sure 5, Vers 32 auf diese Weise zu zitieren ist eine grobe Irreführung, wenn nicht bewusste Täuschung. Die gebildeten Muslime wissen das. Der Vers lautet vollständig: ‚Aus diesem Grund haben wir den Kindern Israels geboten, dass, wenn jemand einen Menschen tötet – es sei denn für einen Mord an einem anderen oder für im Land angerichtetes Unheil –, es so sein soll, als hätte er die ganze Menschheit getötet.‘ Der Vers schließt also Tötungen nicht kategorisch aus, wie das unzulässig abgemilderte Kurzzitat suggerieren möchte, sondern gestattet (verlangt?) selbstverständlich die Tötung eines Menschen als Vergeltung für Mord und als Strafe für Aufrührer. Aber noch wichtiger ist: Allah wendet sich hier nicht an die Muslime, sondern an die Juden; diese sind es, die den Satz ‚Wenn einer einen Menschen tötet …‘ beachten sollen. Arabische Korangelehrte räumen ein, wie der Satz aktuell zu verstehen ist, nämlich: ‚Wenn ein Jude (beziehungsweise Nichtmuslim) einen Muslim tötet, dann ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte.‘ Das ist das Gegenteil dessen, was mit der (immer unvollständigen) Zitierung des Satzes bei gutgläubigen Menschen bewirkt werden soll. Was Allah von den Muslimen gegen diejenigen, die sich dem Islam widersetzen, verlangt, folgt direkt im nächsten Vers, den ich oben zitiert habe: tötet und kreuzigt, schlagt Hände und Füße ab. Der Islam ist eine nie revidierte Gewaltideologie, die im Gewand einer Religion daherkommt. Sie wurde und wird stärker, je mehr sie hofiert und gefördert wird. Wer den Islam schönredet, muss wissen, dass er als geistiger Brandstifter agiert und sich mitschuldig macht.

Merkels ‚Wir schaffen das‘ ist ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft. Er wird platzen, sobald es wirtschaftlich abwärts geht, die Flüchtlingsmengen nicht mehr zu alimentieren sind, die Sozialsysteme und Krankenkassen kollabieren und Justiz und Polizei bis zur Lähmung überfordert und erschöpft sind. 75 Prozent der Flüchtlinge (ohne Sprachkenntnisse, ohne berufliche Qualifizierung, aufgrund der eigenen schrecklichen Erfahrungen psychisch Destabilisierte und Hilfsbedürftige) werden nicht zu integrieren sein. Sie – spätestens ihre ungeratenen, von muslimischen Hasspredigern indoktrinierten Söhne – werden in Deutschland zusätzlich zu den bereits existierenden Parallelgesellschaften die Banlieues bilden, die Frankreich und Belgien schon haben. Sie werden desillusioniert und chancenlos die Bataillone künftiger Dschihadisten im Land bilden.

Nachweislich wahr ist: Solange der Islam nicht aus der Welt ist, wird es in ihr keinen Frieden geben. Das wusste (neben anderen wie Voltaire, Schopenhauer, Heinrich Heine, Winston Churchill oder Elias Canetti) schon Karl Marx: ‚Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen‘ (Marx-Engels-Werke, Bd. 10, Ost-Berlin 1961, S. 170).“

(Dr. Ekkehart Rotter, Bad Vilbel, in der F.A.Z. vom Montag, dem 7. Dezember 2015 auf Seite 18 in der Rubrik „Briefe an die Herausgeber“ unter der Überschrift „Es steht im Koran geschrieben“, und es bezieht sich auf die Berichterstattung nach den Anschlägen in Paris am 13. November 2015 und auf die Meldung „Merkel: Wir sind stärker als der Terrorismus“ in der F.A.Z. vom 16. November 2015.)

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Es bezieht sich also auf die Massenmorde in Paris vor den Massenmorden in Brüssel. Es ist demnach geschrieben noch vor der Silvesternacht von Köln („Justiz und Polizei bis zur Lähmung überfordert“) und vor den Anschlägen und Terror- und Fahndungsmeldungen, die das Osterfest 2016 zu dominieren schienen, und vor all den unzähligen folgenden bestialischen Morden. Und leider könnte man wetten, der Artikel wird noch aktuell sein, wenn die Zeitung lange vergilbt ist.

Wenn 1970 jemand erzählt hätte, im 21. Jahrhundert werden Mohammedaner auf öffentlichen Plätzen und in Verkehrsmitteln alle zufällig anwesenden Kinder, Frauen und Männer massakrieren, sie grausam mit Äxten, noch unbarmherziger als Vieh, abschlachten und mit Küchenmessern erstechen und mit Schwerlastern mordend in Menschenmengen rasen und Mädchen aus Schulen entführen und ins Gesicht schießen, und archaische Religionskriege brächen aus zum Zwecke der Ausrottung Andersgläubiger – man hätte geglaubt, das werde nicht sein, und wer derart abwegig rede, sei paranoid.

Wahrscheinlich bin ich nicht normal. Ich habe mich immer gewundert seit den PLO-Flugzeugentführungszeiten des mörderischen Friedensnobelpreisträgers Arafat, warum es, wenn schon die Imame des sogenannten friedlichen Islam schweigen, warum es nirgendwo anders eine Stimme gab und gibt, die den Mohammedanern sagt und laut und immer wieder deutlich die zivilisatorische Selbstverständlichkeit ausspricht, daß jegliche Geiselnahme und das Abschlachten wehrloser Frauen und Kinder weder Kampf ist noch Heldentum bedeutet!

Sondern feigste Unmenschlichkeit!

Und daß diese Typen keine Märtyrer sind.

Sondern barbarische Mörder!

Der liebenswürdige mohammedanische Gemüsehändler an der Ecke ist kein Beweis für die Friedfertigkeit des Mohammedanismus. Sondern, da er und seinesgleichen oft als Beispiel herangezogen werden für den sogenannten „friedlichen Islam“, ist er als Beispiel genommen eher ein Beispiel für das mangelnde analytische Denkvermögen, beispielsweise des heutigen Journalismus. Die fehlende Abstraktionsfähigkeit zum Schluß von n auf n+1 ist bei der berichtenden und kommentierenden Zunft wohl endgültig unter die Räder der politischen Korrektur, Pardon, der Political Correctness geraten.

Zumindest in Deutschland.

Der „Zentralrat der Ex-Muslime“ hat in Deutschland etwa 800 Mitglieder. Die meisten Mitglieder sehen sich jedoch gezwungen, anonym zu bleiben: „Denn nach der allgemeingültigen islamischen Rechtsauffassung wird das Abfallen vom Islam mit dem Tode bestraft.“

So muß die Gründerin, die tapfere Iranerin Mina Ahadi, selbst in Deutschland um ihr Leben fürchten. Unter mehreren Todesarten wurde ihr, die sich gegen Steinigungen einsetzte, sogar mit Steinigung gedroht.

Steinigung!

Das sollten Politiker bedenken, wenn sie aus durchschaubaren niederen Beweggründen im Wahlkampf absurderweise behaupten, der Mohammedanismus, der sogenannte Islam, gehöre zu Deutschland. Sie sollten eher laut und deutlich die These vertreten, daß eine Religion, welche die sich von ihr Abwendenden mit dem Tode bedroht, deren Geistliche „Ehrenmorde“ rechtfertigen und sogar selbst zu Haß und Mord aufrufen und Hunderttausende wutbrüllend auf die Straßen hetzen, weil jemand satanische Verse schreibt oder Mohammed-Karrikaturen zeichnet oder in Satire-Zeitschriften veröffentlicht, während gleichzeitig ihre Priesterschaft und Schriftgelehrten angesichts der wahnsinnigsten Morde an „Ungläubigen“, grausam an wahllosen Opfern, und selbst an Kindern, schweigen, daß eine solche Religion weder zu Deutschland noch sonstwo zur zivilisierten Welt gehört.

Und nicht als friedlich gelten kann.

Wo sind die religiösen Führer des sogenannten friedlichen Islam, die das heimtückische Ermorden friedlicher Menschen bei den jeweils aktuellsten Morden mindestens ebenso vehement anprangern wie das Zeichnen von Mohammed-Karikaturen?

Wo sind ihre brüllenden Massen?

Der mohammedanische Mob?

Der Westen muß offensiv den mohammedanischen Märtyrerbegriff angreifen!

Und hierüber offensiv und stets aufs neue mohammedanische Autoritäten, insbesondere Theologen, öffentlich zur Stellungnahme herausfordern.

Nach jeder Untat und auch dazwischen!

Unermüdlich aufs neue. Man kann und muß sie auch einzeln namentlich ansprechen und sie einzeln namentlich zwingen zum Bekenntnis!

Auch wenn es noch so trivial erscheint, gerade deswegen muß überhaupt und immer wieder klar die eigentlich primitivste menschliche Selbstverständlichkeit ausgesprochen werden, daß es von erbärmlicher Feigheit und Heimtücke zeugt, wehrlose Menschen umzubringen.

Daß es unehrenhaft ist.

Die Unehrenhaftigkeit dieses mohammedanischen Packs muß permanent benannt, ihre menschenfeindliche Primitivität muß fortlaufend thematisiert werden!

Diese Mordtaten müssen mental entwürdigt werden. „Terrorist“ muß werden ein Synonym für „elender Versager“, für „feiger Idiot“.

Terror“ ist ein zu abstrakter Begriff, dessen barbarische Schändlichkeit muß der Westen immer aufs neue konkretisieren. Es gab einmal Zeiten mit bildungsnäheren Politikern und Journalisten, die noch andere Wörter kannten als „inakzeptabel“.

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Und es ging heraus ein anderes Pferd, das war rot. Und dem, der daraufsaß, ward gegeben, den Frieden zu nehmen von der Erde und daß sie sich untereinander erwürgten; und ward ihm ein großes Schwert gegeben.

Offenbarung 6

Hinter Zuchthausmauern

Dienstag, 3. Oktober 2023: Mephisto an Bellarmin

Die Kommunisten ließen mich in den Morgenstunden des 3. Oktober 1983 verhaften. Nachdem mich ein sozialistisches Gericht wegen „staatsfeindlicher Hetze im schweren Fall“ zu vier Jahren Haft verurteilt hatte, sperrten man mich in das berüchtigte Zuchthaus Brandenburg, in dem einst die Nationalsozialisten bereits meinen Vater inhaftiert hatten.

Mir gegenüber am sogenannten Band, also diesem riesigen Arbeitstisch, schuftete im Zuchthaus Brandenburg der Rainer bei der deutschen demokratischen Zwangsarbeit. Er mochte etwa Mitte dreißig sein und war wegen Militärspionage zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Seine Frau hatte man zu drei Jahren Haft verurteilt und auf die Burg Hoheneck gebracht. Ihre beiden Kinder, zwei Jungen, der ältere war vielleicht zehnjährig, hatte man in ein sozialistisches Kinderheim gesteckt. Doch der Zehnjährige war von dort ausgebrochen. Er hatte sich ganz allein durchgeschlagen zu den über achtzig Kilometer entfernt auf einem mecklenburgischen Dorf lebenden Eltern seines Vaters. Dadurch hatten die überhaupt erst erfahren können, wohin ihre Enkel verschleppt worden waren. Sie schafften es, auch den jüngeren, achtjährigen Sohn herauszupressen aus der Abrichtung zum sozialistischen Untertanen. Sie konnten es sogar noch durchsetzen, beide Kinder zu sich nehmen zu dürfen.

Ich erlebte es, als sein Vater starb, brachte man nicht die elementare Menschlichkeit auf, Rainers demütiges Gesuch um Teilnahme an der Beisetzung zu bewilligen.

Auch mit Rainer lernte ich einen sehr interessanten Menschen kennen. In seinem früheren Leben war der Rainer einerseits Sicherheitsinspektor in einer bedeutenden musealen Einrichtung des Staates gewesen. Andererseits jobbte er an Wochenenden an einer Tankstelle. Und notierte sich die Nummern von Fahrzeugen der Geheimpolizei. Einerseits war Rainer Mitglied der atheistischen Sozialistischen Einheitspartei Ostdeutschlands, der Partei mit der einzig richtigen, der wissenschaftlichen Weltanschauung. Andererseits hatte er sich, als tiefgläubiger Mensch, den Baptisten angeschlossen. Beiden Seiten verschwieg er die jeweils andere Mitgliedschaft.

Mir verkörperte Rainer in gewisser Weise die auf die Spitze getriebene Typisierung des „DDR“-Bürgers.

Doch warum notierte er sich die Autonummern der Geheimpolizei? Weil, Rainer wollte mit seiner Frau und den Kindern weg aus der Deutschen Demokratischen Republik. In der er sich, zum Beispiel in religiöser Hinsicht, unterdrückt fühlte. Er wollte in die Bundesrepublik, er wollte im anderen Teil Deutschlands leben. Aber wie? Als Sicherheitsinspektor konnte er keinen Ausreiseantrag stellen. Das heißt, ihn stellen, hätte er schon können. Aber als hochintelligenter Mensch rechnete er sich sogar Schlimmeres aus als keine Chance für eine Bewilligung seines Antrages. In seiner Verzweiflung war er nun der Idee verfallen, an die andere Seite des besseren Deutschlands heranzutreten und dabei vermeintlich wichtige Informationen anzubieten. Mit der Bitte um Unterstützung bei der Übersiedlung für sich und seine Familie.

Also unternahm er mit dem Auto eine Ferienreise nach Prag, samt Frau und Kindern. Dort suchte er die bundesdeutsche Botschaft auf, übergab die Liste mit den Autonummern und bat um Hilfeleistung für seine Bemühungen um Entlassung aus der ostdeutschen Staatsbürgerschaft.

Mich wunderte, daß Rainer nicht gleich bei der Rückreise verhaftet worden war. Doch sie kamen gut zu Hause an, und Rainer setzte seine Inspektionstätigkeit anscheinend unbehelligt fort.

Nun besaß seine Frau aber noch eine verheiratete Schwester, und diese und ihr Mann mochten ebenfalls nicht länger in dem Deutsche Demokratische Republik genannten Polizeistaat auf deutschem Boden weilen. Zum Zwecke des Abhebens hatten sie sogar ein Flugzeug konstruiert und eigenhändig zusammengehämmert. Während meines Verbrecherlebens war ich Ballonbauern, Taucherausrüstungsbauern und U-Bootbauern begegnet. Alles kluge Leute und geschickte Bastler, die meisten hinter Gittern. Und zwar weil sie unter schwierigsten Bedingungen ihre Maschinen heimlich und findig für eine einzige, alles entscheidende, lebensgefährliche und lebensverändernde Reise erbaut hatten. Doch ausgerechnet die war illegal. Also intelligente sensible Menschen fühlten sich in dem Staat, dessen Eingeborene über all die Jahrzehnte, ohne die Wahlkabine auch nur zu betreten, zu anscheinend neunundneunzig zwei drittel Prozent ihre Stimmzettel für die Kandidaten der Nationalen Front entgegennahmen, vor aller Augen zusammenfalteten und in die Urnen warfen, sich offenbar derart unwohl, daß sie alles daransetzten und unter bedrohlichen Umständen konspirativ komplizierte Ausbruchswerkzeuge erdachten und zusammenleimten, um unter Lebensgefahr zu fliehen aus der angeblich besten aller Welten, aus der Krönung der Menschheitsgeschichte. Warum also nicht auch mal Flugzeugbauer?

Im Privatleben war man Zierfischhändler.

Besagter Schwager befand sich ebenfalls in Brandenburg, allerdings in einem anderen Arbeitskommando. Ich sah ihn beim Gottesdienst. Die Schwägerin weilte inzwischen, wie ihre Schwester, auf Burg Hoheneck. Denn als das Fluggerät fertig war, hatte man vor dem Jungfernflug, der gleichzeitig der einzige Flug der Maschine werden sollte, erst noch einiges überprüfen müssen. Rainer und seine Frau unterstützten tatkräftig den Zierfischhändler und seine Frau beim Auf- und Abbau des Apparates. Bei jenem letzten Countdown waren die beiden Ehepaare dann plötzlich verhaftet worden. Vor Gericht erklärten Sachverständigengutachten ihre Maschine für „voll flugfähig“.

Weißt du“, erzählte Rainer mir, „wenn bei der Stasi Besuchszeit war, wenn meine Frau und ich uns endlich wiedersahen, dann haben sie uns das vorher nie gesagt. Immer wurde einer von uns durch die Gänge in einen Raum geführt, und dann ging die Tür auf, und da saß der andere schon mit dem Vernehmer am Tisch. Und dann saßen wir uns urplötzlich gegenüber, auf jeder Seite ein Vernehmer, und wir konnten uns nie etwas sagen. Weil wir nur geweint haben! Dann war die halbe Stunde vorbei, und wir wurden wieder abgeführt. Nicht ein einziges Mal hat man uns vorher gesagt, daß wir uns jetzt wiedersehen würden.“

In Brandenburg, im Strafvollzug, betraf es nicht wenige, bei denen gleichzeitig weibliche Familienangehörige im Zuchthaus Hoheneck inhaftiert worden waren. Zum überwiegenden Teil handelte es sich bei dieser Familienhaft wohl eher um ein Merkmal politischer Gefangener. Da sahen sich die Ehepaare alle halbe Jahre einmal. Nach meiner Erinnerung war das so geregelt: Während eines Kalenderjahres ging einmal ein Transport mit Ehemännern nach Hoheneck und einmal ein Transport mit Ehefrauen nach Brandenburg. Besuchszeit jeweils eine Stunde. Bei aller Großzügigkeit, selbstverständlich mußten die Transportkosten zuvor von den Gefangenen erarbeitet werden. Sie wurden im voraus vom Verdienst abgezogen.

Mein Verdienst während der Akkordarbeit für den VEB ELMO Wernigerode (ELMO für Elektromotoren) betrug, in besonderen Währungsscheinen, 14 bis 16 sogenannte Knastmark im Monat.

Plus kostenfreier Verpflegung plus mietfreiem Wohnen!

Von meinem Lohn bezahlte ich mit monatlich 12 Knastmark meinen täglichen Viertelliter Milch, den ich einem Schweißer abkaufte. Die Schweißer erhielten pro Tag einen Viertelliter Milch, und mein Schweißer brauchte sein sauer verdientes Geld dringend für seinen Tabak.

Fast täglich kam es zu Schlägereien in der Halle um Werkzeuge oder Material, um eine rare Drahtsorte vielleicht.

Aus Angst, die Norm nicht zu schaffen!

Damit wenigstens einer von zweien seine Arbeit fortführen könnte. Ächzend wälzte man sich auf den Beton- oder Stahlplatten des Bodens, stieß sich in die Genitalien oder versuchte, sich die Augen auszukratzen. Man biß, bespie und berotzte sich, um die Norm erfüllen zu können.

Der ideale sozialistische Wettbewerb!

Dennoch hatte einer der Zivilmeister aus dem VEB ELMO Wernigerode schon mal durch die Halle gebrüllt: „Rottweiler sollte man auf euch hetzen! Dann würdet ihr wenigstens arbeiten!“

Und, ebenfalls anläßlich eines monatlichen Lohnempfangs, hatte mich, weil ich die Norm permanent nicht erfüllte, jener alte Kommunist, der gesichtszerfurchte Unterleutnant Schlehan, vor sich stramm stehen lassen, um mich in Ruhe ausgiebig anbrüllen zu können: „Sie!! Sie betrügen unsern Staat! Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen! Die Zeit wird kommen, dafür sorgen wir! Laufen sie ab!“

Obwohl ich trotz der Akkordarbeit sowieso nur noch eine reduzierte, nämlich die sogenannte Nichtarbeiterverpflegung erhielt.

Also, die Transportkosten für den Besuch der Männer aus Brandenburg in Hoheneck und der Frauen aus Hoheneck in Brandenburg mußten zuvor erarbeitet werden.

Und natürlich und voller Wonne wurde der Besuch bei der kleinsten Unbotmäßigkeit abgebrochen. Einmal war zum Entsetzen aller Anwesenden, wie man mir berichtete, von den so genannten Wachteln eine vor Schmerz schreiende Gefangene aus Hoheneck unter Schlägen und Tritten an ihren Gliedmaßen aus dem Besuchsraum gezogen worden, wegen irgendeines Fehlverhaltens, eines angeblichen Fehlverhaltens. Der Besuch war beendet, bevor die ersten fünf Minuten vorbei waren.

Dieses lehrt, wie man Verbrecherinnen zu sozialistischen Staatsbürgerinnen „erzog“.

Ich saß auf meinem angeketteten Hocker am Ende des Bandes. Oder, je nach Standpunkt, an seinem Anfang. Zwischen den beidseitigen Bändern jener enormen Werkhalle befand sich rechts neben mir der Gang zu der unmittelbar hinter meinem Arbeitsplatz gelegenen Materialausgabe. Auf meiner linken Seite, aber am anderen Ende des Bandes, an der Hallenwand, arbeitete Öli. Ein dunkelhaariger, ruhiger, stets freundlicher und hilfsbereiter Mann. Öli hatte das Urteil „lebenslänglich“. Es stand zu vermuten, daß der staatliche Zorn ihn nie wieder herauslassen werde. Was hatte Öli getan? Er war zum Wehrdienst eingezogen worden. Und Öli war Katholik und hatte eines Tages seinen Vorgesetzten um die Erlaubnis eines sonntäglichen Freigangs ersucht, um an einem Gottesdienst teilnehmen zu können. Dies hatte man nicht nur abschlägig beschieden, sondern obendrein hatte man ihn unsäglich zu drangsalieren begonnen und ihn der Truppe zur allgemeinen Quälerei ausgeliefert. Kollektiverziehung.

Denn dazu waren sie ja da, die Kollektive.

Das hatte er nicht lange ausgehalten. Nach meiner Erinnerung war er gerade dabei gewesen, den letzten Grenzzaun zur Bundesrepublik zu überklettern. Er hing gewissermaßen bereits „in den Drähten“, als er unmittelbar hinter sich plötzlich das wohlbekannte Entsicherungsklicken einer Kalaschnikow vernahm. Nach einer Schrecksekunde sprang er kurzentschlossen rückwärts und landete tatsächlich auf einem um sich schlagenden Grenzer. Ich weiß nicht mehr die näheren Umstände, ob es sein Patrouillen-Begleiter war. Jedenfalls löste sich in dieser Gemengelage mindestens ein Geschoß und verletzte den Grenzer im Bauch. Öli hätte nun freie Bahn in den Westen gehabt. Doch Öli rannte in die andere Richtung und holte Hilfe.

Die Hilfe kam zu spät.

Öli erzählte mir, sie hätten ihn ein halbes Jahr lang gezwungen, in einer fensterlosen Zelle von morgens bis abends in vorgeschriebener Haltung an einem Tisch zu sitzen. Außer zu der zu erbittenden Verrichtung der Notdurft und zum Essen habe er sich nicht rühren dürfen. Das war durch einen Posten minutiös überwacht worden.

Öli versuchte, sich mit den Wärtern im Zuchthaus gut zu stellen. Öli im Zuchthaus und seine Eltern draußen kämpften inbrünstig darum, sein Lebenslänglich in eine Zeitstrafe umzuwandeln. Bisher vergeblich. Zu meiner Zeit freute Öli sich dennoch. Er hatte nämlich eine Schwester. Die hatte er noch nie gesehen. Aber sie schrieb ihm und war mittlerweile vierzehn. Und sie wollte ihren Bruder besuchen kommen. Und dieser Besuch schien gestattet zu werden. Es gab Hinweise, Anzeichen und Hoffnung auf Aussichten.

Wenn ich meine Maschine fertig gewickelt hatte, winkte ich immer den sogenannten Stempler heran, der mit Hammer und Prägemeißel durch einen kräftigen Schlag auf den „Ständer“ des Elektromotors ihn in seiner speziellen Wicklungsart kennzeichnete. Der Stempler war ein untersetzter Mann, neben „Kommunistenwilhelm“ einer der beiden einzigen Zeitlöhner mit einem politischen Paragraphen in der Halle. Denn er war unfähig, im Akkord zu arbeiten, aus gesundheitlichen Gründen. Einst sollte der Mann auch ein paar Zentimeter größer gewesen sein. Aber infolge einiger Verletzungen im Rückgratsbereich war er aus seinem natürlichen Wuchs sozusagen zusammengestaucht worden. Und zwar hatten er und seine Frau ihre beiden Kinder in einem Skoda auf der Rückbank verstaut und waren mit dem Fahrzeug in vollem Tempo auf die Paßkontrolle zugerast, an einem Grenzübergang Richtung Westen, ich glaube in der ČSSR, ohne sich durch etwaige Haltesignale oder Drohgebärden abbringen zu lassen vom Druck auf das Gaspedal. Selbst nicht, als in ganzen Feuerstößen scharf und gezielt auf sie geschossen worden war. Und solange nicht, bis vor ihnen aus der Betonpiste plötzlich eine künstliche Barriere aufstieg, gegen die sie unrettbar prallten. Auch die Frau des Stemplers soll schwer verletzt worden und in ihrer Körpergröße merklich reduziert worden sein. Ihre Kinder wenigstens blieben unverletzt.

Ihre Kinder hatte man ihnen weggenommen.

Links neben mir arbeitete ein Mann, den alle nur mit seinem Spitznamen „Fichte“ anredeten. Die Namensgebung sollte zurückgehen auf den alten Arbeitersportverein „Fichte“. Zum einen weil Fichte sonntags auf dem Pausenhof im weißen Unterhemd einige Turnübungen betrieben hatte. Zum anderen weil Fichte als über Sechzigjähriger seinen Mitgefangenen als uralter Mann galt. Fichte war ein Bankknacker der alten Schule. Das heißt ein Bankknacker, der lieber filigran mit Intelligenz und Werkzeug Tresore knackte als mit Sprengstoff. Und der seiner Intelligenz zum Trotz nun bereits mehr als die Hälfte seines Lebens hinter Zuchthausmauern verbracht hatte.

Du wirst fragen, ein Bankknacker im Sozialismus?

Seine besten Dinger hatte er freilich im Westen gedreht. Er stand eher auf harte Währung. Aber als ihm dort eines Tages der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, weil seine Verfolger ihm unmittelbar auf den Fersen waren, er anderweitig jedoch nicht mehr wegkonnte, meldete es sich kurzentschlossen an der Grenze des besseren Deutschlands. Mit der Anfrage, ob sie ihn nähmen. „Die haben mir tatsächlich erklärt, wir hätten ja dasselbe Ziel: ‚Auch wir kämpfen gegen das kapitalistische Bankkapital!’“

So konnte er sich dem Würgegriff der kapitalistischen Ausbeuter entziehen und als unbescholtener Staatsbürger in der Ost-Berliner Halbstadt Restpreußens und Sachsens siedeln. „Ich wollte ja, sobald sich drüben die erste Aufregung gelegt hätte, wieder zurück. Und nach Südamerika. Die Vorbereitungen waren gerade angelaufen, da haben sie plötzlich die Mauer hochgezogen!“

Aktuell hatten sie ihm fünfzehn Jahre verpaßt: „Lebend kommen Sie hier nicht wieder raus!“

Eines Nachts auf der Straße hätten bestimmte Typen seine Freundin belästigt, er wäre hinzugeeilt. Das hätte zu Handgreiflichkeiten geführt. Schließlich hätte er sich nicht anders mehr zu helfen gewußt, als seinen Revolver zu ziehen. Einer der Angreifer wäre verletzt worden mit einem glatten Wangendurchschuß. Und allein dies, in Verbindung mit seinem Waffenbesitz, hätte vor Gericht gegolten.

Daß Fichte als gefährlich galt, konnte ich schon daraus erkennen, weil er beim Besuch seiner fast neunzigjährigen Mutter, den sogenannten Sprecher, nur hinter Glas erhielt. Und daß er sich sogar einer Einzelzelle erfreute! Bis auf die unvermeidliche Zwangsarbeit wollte man ihn lieber nicht mit anderen Gefangenen zusammensperren. Mit all seiner Erfahrung aus West- und Ostknästen war er extrem schlau im Dinger drehen und genoß unter den Gefangenen den gebührenden Respekt.

Für mich war es ein Glück, ihn neben mir zu haben. Wir mochten uns. Und wir konnten über viele Dinge sprechen und langweilten uns nie während der eintönigen Arbeit. Mitunter forderte ich ihn heraus zu einem Knastvergleich zwischen den verschiedenen Systemen. Fichte erzählte. Häufig schwärmte er zum Beispiel, daß es im Westknast einen so genannten Lesezirkel gebe: „Also, du brauchst dir die Zeitschriften nicht zu kaufen! Du kriegst, was du willst. Wenn du etwas ausgelesen hast, gibst du es weiter. Dadurch kannst du praktisch umsonst lesen! Was du willst! Stell dir das mal vor, du sitzt im Knast und hast Zeit und kannst lesen!“

Mit verfänglichen Themen wie Systemvergleichen reizte ich ihn jedoch nicht zu oft. Denn vor allem in der Hitze des Sommers, bei einer Temperatur von 35° in der unbelüfteten Werkhalle, geschah es leicht, daß Fichte sich beim Vergleichen in eine unbändige Wut, ja in Tobsucht hineinsteigerte. Mich beschlich die Angst, ihn werde noch der Schlag treffen: Was sie hier mit den Menschen machten! Das habe er nirgendwo erlebt! Diese Zwangsarbeit! Diese einzigartige Szenerie mit den Schwulen! Überall gebe es Schwule, aber was die „Stasi“ hier in Brandenburg heranzüchte, solche Schweinerei gebe es nirgendwo anders! Und wie sie absichtsvoll die Menschen quälten! Von Staats wegen quälten! Diese Primitivität! Diese Degenerierung! „Guck dir doch an, wie sie sich hier in dem Dreck rumwälzen und sich die Schädel einschlagen und in die Ärsche ficken! Wir sind es doch hier, die nicht mehr als normal gelten! Diese Unmenschlichkeit! Diese Scheißkommunisten!“

Und an diesem Punkt brach es dann aus ihm hervor: Diese verfluchten Amis! Die haben nicht durchgesehen! Die hatten fünfundvierzig als erste und einzige die Bombe! „Kannst du mir sagen, warum sie erst gewartet haben, bis auch die Russen ihre Bombe fertig hatten? Sag es mir! Das war doch absehbar! Warum haben die Amis Moskau nicht sofort bombardiert? Die Amis hätten Moskau sofort bombardieren müssen! Dann wäre uns das hier erspart geblieben! Wie kann man all die Menschen an die Russen ausliefern! Wie kann man solche Schweinerei zulassen!“

Zum ersten Mal erlebte ich es, wie einem Menschen Schaum vor seinen Mund trat! Der troff auf die Maschine im Schraubstock unter ihm.

Was mich zusätzlich erschütterte: Früher hatte mein Freund und Studienkollege Lutz mich bisweilen mit illegaler Literatur versorgt, mit Biermanns „Drahtharfe“ und seinen „Mit Marx- und Engelszungen“, mit Orwells „Neunzehnhundertvierundachtzig“ und der „Farm der Tiere“, aber auch mit aufregenden Schriften des polnischen Systemkritikers Jacek Kuroń. Ebenso hatte er mir Solschenizyns „Archipel Gulag“ zugetragen. Und darin war ich seinerzeit auf eine Stelle gestoßen, bei der sich in den sowjetischen Straflagern die Gefangenen wünschten, die Amerikaner mögen die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken endlich bombardieren mit samt ihren Arbeitslagern.

Damit ihr Leiden ein Ende habe…

Doch bei aller Mühe, immer ließ es sich nicht vorhersehen, wann Fichte in Rage geriete. Einmal versuchte ich, mit ihm ein Gedankenexperiment zu starten über das Thema: In der „DDR“ kämen vernünftige Leute an die Macht und wollten die Mauer einreißen. Das hatte ich einst auch mit meinem Freund Lutz erörtert, während unseres Physik-Studiums an der Humboldt-Uni, im Anschluß an eines jener obligatorischen Marxismus-Leninismus-Seminare bei Frau Professor Pomp.

Wie sollte man das denn guten Willens zuwege bringen? Von einem Tag auf den anderen, gewissermaßen über Nacht zu erklären, die Mauer sei weg, ihr könnt euch frei bewegen, diese Vorgehensweise war uns als völlig unmöglich erschienen. Da liefen alle ja schlagartig davon! Weil sie das für eine einmalige Gelegenheit hielten. Zumal die Maueröffnung ja organisiert werden müßte und sich also kaum zur Gänze geheimhalten ließe. Es müßte ja zuvor auch ein innerer Wandel stattfinden, der das Leben in dem Zwergstaat lebenswert erscheinen ließe. So daß Auswanderung an Attraktivität verlöre. Indem die Menschen vergleichbare Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten wie im Westen erhielten.

Au contraire aber nach und nach und Stück für Stück die Mauer abzutragen, wie sollte das praktikabel sein? Man könnte den Menschen die Freizügigkeit kaum scheibchenweise zurückerstatten. Wie sollten die Menschen solchem Frieden trauen nach alldem? Warum sollten sie glauben, daß es nicht doch wieder anders käme? Daß die Grenzen nicht doch wieder geschlossen würden? Noch dazu wenn mehr und mehr von ihren gnädig genehmigten Westaufenthalten nicht zurückkehrten und jeder, einem seit den sechziger Jahren jahrzehntelang ewig aufgewärmten und ab 1989 seltsamerweise blitzartig vergessenen Witz zufolge, wenn jeder dann Angst bekäme, schließlich zum „’DDR‘ – Der Doofe Rest“ gehören zu müssen?

Als ich mit Fichte, es war dummerweise wieder sehr heiß in der Halle, darüber sprach, was denn wäre, wenn es die Mauer nicht mehr gäbe, begann der sich schon nach kurzer Zeit unaufhaltsam aufzupumpen. Er war einfach nicht mehr zu bremsen in seinem Toben, und schon bald trat ihm wieder der Schaum vor den Mund: Wenn die Mauer weg wäre? Was aus diesen Eingesperrten hier werden sollte? „Guck sie dir doch an! Die vertragen die Freiheit doch überhaupt nicht! Die wissen doch gar nicht, was Freiheit ist! Das haben die doch noch nie erlebt! Guck sie dir an! Das sind doch alles Zootiere! Die haben doch Angst vor der Freiheit! Weißt du denn nicht, was passiert, wenn man Zootiere in die freie Wildbahn setzt? Wenn man Käfigtiere auswildert? Das weiß man doch! Die gehn doch ein wie die Primeln, wenn man sie freisetzt! Die überleben doch die Freiheit nicht! Die haben doch keine Chance! Die woll’n doch zurück in ihren Käfig! Ja!! Die rennen zurück in den Zoo! Damit der Wärter sie füttert! Die sind doch armselig! Guck sie dir doch an, diese armseligen Nillen!“

Das letzte Mal habe ich Fichte gesehen am 27. Mai 1985.

An diesem Montagmorgen hatte man mir in der Zelle zu bleiben befohlen, als man die Gefangenen zur Frühschicht holte, und ich war nicht mehr in die Werkhalle gelassen worden. So wurden Abschiedsszenen verhindert. Aber das hieß in hoher Wahrscheinlichkeit, ich ginge „auf Transport“! Nachdem ich, in sicherer Erwartung der obligatorischen Leibesvisitationen, sämtliche Briefe und papierenen Aufzeichnungen kleinstmöglich zerrissen und portionsweise durchs Klo gespült und meinen heimlichen winzigen Transistorempfänger nebst Batterie und Kopfhörer aus waschlappengepolsterten Marmeladenglasdeckeln für einen Mitgefangenen eben noch rechtzeitig versteckt hatte als Erbmasse, hörte ich auch schon die Riegel scheppern, und der Schlüssel drehte sich im Schloß.

Und dann, auf dem Weg durch den zufällig gerade menschenleeren Zuchthausinnenhof mit den sich imposant über mir türmenden Zellentrakten, gab es da plötzlich jenen göttlichen kleinen unbeaufsichtigten Moment, in dem es mir noch einmal gelang, durch eines jener Gucklöcher mit verschiebbarer Sichtblende von außen heimlich einen allerdings wegen Entdeckungsgefahr nur kurzen Blick in die Arbeitshalle zu werfen. Ich sah ihn stehen vor seinem angeketten Hocker an seinem Schraubstock, neben dem von mir nun unbesetzten. Allein, aufrecht, in der dunkelbraun eingefärbten Vopo-Uniform mit dem gelben Streifen für Gefangene auf dem Rücken, Fichte, im Viertelprofil leicht nickend mit einem wissenden Blick, und ich werde wohl nie erfahren, wo, wie und ob er den Fall der Mauer noch erlebte.

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Dienstag, 3. Oktober 2023, TAGESSPIEGEL:

Der Tag der Deutschen Einheit ist zum Bilanztermin der vereinigten deutschen Erbsenzähler verkommen. Selbst die Hülsen werden verwertet. Mit traurigem Dackelblick verkünden die Verantwortlichen für den Zustand des Landes seit Jahren immer wieder das Gleiche. Obsessiv gesucht und betont wird im Durchschnittsvergleich das Trennende, das noch nicht Erreichte, das Rückständige. Dahinter verschwindet alles Gute, alles Besondere. Am Tag der Einheit werden die Unterschiede gepredigt. Diese paternalistische Attitüde hat politische Folgen: Wem mehr als dreißig Jahren lang von der Spitze des Staates in jedem Herbst neu bestätigt wird, benachteiligt zu sein und zu werden, verliert zwangsläufig Vertrauen in eben jene Spitze des Staates.

Über mangelnde Lebenserfahrung

Sonntag, 1. Oktober 2023: Bellarmin an Mephisto

Wie mehrmals im Jahr gerierte sich der sogenannte Ostbeauftrage der Bundesregierung vor ein paar Tagen erneut als zuverlässiges Sprachrohr für die Hetzpropaganda der populistischsten Partei Deutschlands, der Partei Der Spalter. Die gebürtige Nervensäge auf diesem Führungsposten heißt zur Zeit Carsten Schneider (SPD). Selbiger hat erneut eine Studie veranlaßt über deren Ergebnisse der Deutschlandfunk also am Mittwoch, dem 20. September 2023, meldete:

Menschen aus Ostdeutschland sind auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung in Leitungs- und Führungspositionen unterrepräsentiert.

Es gibt weiterhin wenige Ostdeutsche in Chefetagen.

Das geht aus einer Untersuchung der Universitäten Leipzig und Jena sowie der Hochschule Zittau hervor. Demnach lag der Anteil gebürtiger Ostdeutscher in leitenden Funktionen im vergangenen Jahr bei rund 12 Prozent. Es gebe zwar seit 2018 einen leichten Anstieg. Es sei aber zu früh, um von einem Trend zu sprechen. Der Anteil der Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung macht 20 Prozent aus.

Als Ursache wurden unter anderem die Nachwirkungen des DDR-Systems genannt, so etwa die fehlende Anerkennung für in der DDR erworbene akademische Abschlüsse. Zudem seien Englischkenntnisse ungleich verteilt. Für die Untersuchung wurden die Bereiche Politik, Wirtschaft, Medien, Justiz und Kultur betrachtet.

Du hast richtig gelesen. Zwei ganze Universitäten plus die Hochschule Zittau! Über die Kosten der Studie wurde nichts verlautbart. Immerhin scheint in den zwei ganzen Universitäten plus der Hochschule Zittau zum ersten Mal bei dem tatsächlich zum Problem aufgebauschten Popanz die Frage aufgetaucht zu sein nach den Ursachen. Also man hat nicht die unterschwellige Unterstellung der Partei Der Spalter quasi unkommentiert übernommen wie gewöhnlich die gebürtigen Nichtdenker, die bösen Wessis unterdrückten aus niederen Beweggründen die armen qualifizierten Ostdeutschen, um sich über die Besetzung von Spitzenpositionen widerrechtlich der Herrschaft Ostdeutschlands zu bemächtigen. Obwohl die gebürtigen Ostdeutschen doch so viel reicher wären an Lebenserfahrung als die an Lebenserfahrung armen „Westimporte“. „Nehmt den Wessis das Kommando!“ stand tatsächlich zu lesen auf Wahlplakaten der Partei Der Spalter.

Völlig unkommentiert von bundesdeutschen öffentlich-rechtlichen Medien oder gar von dem reinrassigen Carsten Schneider (SPD).

Allerdings scheint man bei der Ursachenforschung noch nicht auf die eigentlich offenbaren Selektionsmechanismen des von Politikern der Partei Der Spalter, wie beispielsweise dem gebürtigen Sohn eines „DDR“-Ministers, dem studierten Gregor Gysi, einst hochgelobten deutschen demokratischen Bildungssystems gestoßen zu sein. Es konnte eben nicht, wie in dem an Lebenserfahrung verarmten Westen, jeder der wollte und sich anstrengte, sein Abitur machen und studieren! Außerdem sank die Zulassungsquote für Schulen mit Abiturabschluß auch rein formal von 25 Prozent in den sechziger Jahren auf 10 Prozent in den achtzigern. Was, wie der gebürtige Ostbeauftragte leicht, ohne teure Studien zu veranlassen, hätte herausfinden können, zu einer minderen Anzahl lebenserprobter Ostdeutscher mit akademischen Abschlüssen zur Folge hatte als bei den schicksalsverhätschelten Westdeutschen. Und was in dem Zusammenhang wohl eine viel wichtigere Rolle spielt als „etwa die fehlende Anerkennung für in der DDR erworbene akademische Abschlüsse“.

Dem umtriebigen Ostbeauftragen ist es bisher nicht ein einziges Mal gelungen, auch nur einen Fall aufs Tapet zu bringen, bei dem einem Ostdeutschen ein Führungsposten allein deshalb verweigert wurde, weil er den falschen Geburtsort hatte.

Was hätte das auch für ein Geschrei gegeben!

Stattdessen also alle paar Monate unbeirrt die inszenierten Vorwürfe des lebenserfahrenen Carsten Schneider (SPD).

Schon am 25. Januar 2023 hatte uns, wie damals der Mitteldeutsche Rundfunk berichtete, der gebürtige Ostdeutsche (SPD) genervt mit ähnlichen Forderungen nach Geburtsnachweisen:

Mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall sind Ostdeutsche in Spitzenpositionen der Bundesbehörden weiter deutlich unterrepräsentiert. Das geht aus dem Bericht des Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, hervor. Danach sind nur 13,9 Prozent der Führungskräfte in obersten Bundesbehörden gebürtige Ostdeutsche.

Die Erhebung des Ostbeauftragten Carsten Schneider zeigt, dass es insbesondere in höheren Führungspositionen nur wenige Ostdeutsche gibt.

Bei einem Anteil von rund 20 Prozent der Bevölkerung haben gebürtige Ostdeutsche nur 13,5 Prozent der Führungspositionen in oberen und obersten Bundesbehörden. Nimmt man als Geburtsorte nur die fünf ostdeutschen Flächenländer ohne Berlin, sind es sogar nur 7,4 Prozent. Am Mittwoch brachte der SPD-Politiker eine Gegenstrategie ins Bundeskabinett ein.

Für die Studie wurde bei knapp 4.000 Führungskräften in 94 Bundesbehörden, vier Verfassungsorganen und der Richterschaft an den fünf Bundesgerichten der Geburtsort erhoben. In höheren Führungsebenen sind Ostdeutsche demnach seltener vertreten als in unteren Leitungspositionen.

In 30 Jahren Transformation in Ostdeutschland hätten die Menschen andere Erfahrungen gesammelt als in der solide gewachsenen Bonner Republik.

Dazu gehörten Umbruchserfahrungen, Arbeitslosigkeit und sich selbst wieder auf die Füße zu stellen. Hinzu komme mehr Sensibilität und Kenntnis des mittelosteuropäischen Raums. All das fehle in der Bundesregierung derzeit.

Schneider will nun mit „niedrigschwelligen Maßnahmen“ gegensteuern. So sollen zunächst die Daten systematischer erfasst werden. Bundesbehörden sollen mit Selbstverpflichtungen arbeiten. Auswahlgremien sollen vielfältiger besetzt, Führungskräfte gezielt auf ihre Aufgabe vorbereitet und Netzwerke gefördert werden. Nach einer Zwischenbilanz zum Ende der Legislatur sollen „bei Bedarf weitere Schritte“ eingeleitet werden.

Die Regierung wies allerdings auch auf statistische Unschärfen hin, da der Geburtsort nicht unbedingt eine Aussage darüber zulasse, wo jemand aufgewachsen ist. Auch Migration zwischen West-Berlin und dem übrigen früheren Bundesgebiet ist nicht berücksichtigt.

Linke fordert „Ost-Quote“ in Bundesbehörden.

Der Opposition sind die angekündigten Maßnahmen zu wenig. Der Linken-Ostbeauftragte Sören Pellmann forderte eine „Ost-Quote“ in Bundesbehörden und kritisierte die jetzige Situation als Verfassungsbruch. „Artikel 36 des Grundgesetzes verlangt eine faire Personalverteilung aus allen Bundesländern“, sagte Pellmann. Von allein würden die Zahlen nicht besser.

Doch!