Also der Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident, hat sich letzte Woche am Sonntag in der „Bild am Sonntag“ wieder zu Wort gemeldet mit seinen Gedankengängen. Mittlerweile hat das eine Vorgeschichte mit dem fast periodischen Hervorbrechen seiner Gedankengänge. Mit seinen Forderungen nach Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Dann mit dem Verlangen, Deutschland solle den russischen Impfstoff gegen Corona kaufen. Wie bei einem Quartalssäufer. Nur kommt bei Kretschmer der Anfall beinahe schon monatlich. Der letzte vor dem aktuellen, der packte den Mann ausgerechnet zusammen mit den sonst üblichen Lamentationen über offene Bringeschulden des Westens gegenüber Ostdeutschland unmittelbar vor dem Tag der deutschen Einheit.
Mittwoch, 28. September 2022, Deutschlandfunk:
Der sächsische Regierungschef betonte mit Blick auf die russische Invasion in der Ukraine, Deutschland müsse sich gemeinsam mit seinen Verbündeten dafür einsetzen, dass der der Krieg schnell ein Ende habe. Danach müsse auch wieder Gas durch die Pipelines fließen.
Also wie gesagt, das war bereits damals nicht der erste Anfall des nahezu triebhaften nicht Ansichthaltenkönnens seiner sächsischen Durchsicht. Bei dem mir regelmäßig Heines Replik auf die nutzlosen guten Ratschlägen des guten Freundes in seinem ironischen „Testament“ einfielen: „Jetzt, als Vermächtnis, rat ich ihm selber: Nimm eine Kuh und zeuge Kälber.“
In der KÖLNISCHEn RUNDSCHAU stand am Montag darauf, dem 3. Oktober, zu lesen:
Beim Thema Russland wird uns allen die Rechnung für eine Politik präsentiert, die von Helmut Kohl über Gerhard Schröder bis Manuela Schwesig auf privilegierte Beziehungen nach Moskau setzte, während man viel nähere Partner wie Polen, das Baltikum und, ja, auch die Ukraine überging. Bis heute hängt der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer der Illusion wärmender Gazprom-Lieferungen an. Das ist kein Problem einer unvollendeten Deutschen Einheit, sondern hier geht es um die im Osten besonders spürbaren Folgen von Selbstbetrug und verfehlter Europapolitik.
Und auch der Deutschlandfunk raffte sich auf, endlich eine Gegenstimme im Hinblick auf einen ostdeutschen Spitzenpolitiker zu zitieren:
Der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Ostbeauftrage der Bundesregierung, Wanderwitz, übt deutliche Kritik am russlandpolitischen Kurs von Sachsens Ministerpräsident Kretschmer:
„Wenn man als CDU-Politiker vom AfD-Bundesvorsitzenden Chrupalla und der Linken-Politikerin Wagenknecht namentlich gelobt werde, habe man etwas verkehrt gemacht, sagte Wanderwitz der „Leipziger Volkszeitung“.
Marco Wanderwitz übrigens zog sich anschließend aus der sächsischen CDU zurück mit der Begründung, er wolle nicht mehr „unter diesem Landesvorsitzenden dienen“.
Doch das nützte nichts, letzten Sonntag also erneut der kretschmersche Anfall seine genialen Ideen für alles Schöne und Gute der staunenden Weltöffentlichkeit präsentieren zu müssen:
Sonntag, 23. Oktober 2022, Deutschlandfunk:
Um den Krieg zu beenden, sollte die Bundesregierung gemeinsam mit anderen Staaten auf eine Verhandlungslösung drängen.
!
Aber, jetzt kommt’s:
Mögliche Friedensgespräche dürften laut Kretschmer aber nur unter bestimmten Bedingungen aufgenommen werden. So sei die territoriale Integrität der Ukraine nicht verhandelbar. Zudem müsse Russland die Kriegsschäden ausgleichen, Kriegsverbrecher müssten zur Verantwortung gezogen werden.
O wie schön!
Ein kluges Kerlchen!
Aber „Allzu klug ist dumm“ heißt ein deutsches Sprichwort, und am Folgetag lästerte die BADISCHE ZEITUNG westdeutsch herzlos und trocken:
Neu ist nur, dass Kretschmer dafür jetzt Voraussetzungen beschreibt: Die Ukraine solle auf keinen einzigen Quadratmeter ihres Staatsgebiets verzichten, Russland müsse Kriegsschäden ‚ausgleichen‘, und Kriegsverbrecher müssten zur Verantwortung gezogen werden. Warum sich Moskau auf diese Gedankenspiele einlassen sollte, sagt Kretschmer aber nicht. Dabei setzt Wladimir Putin nicht auf Friedenssignale – sondern ganz im Gegenteil darauf, die ukrainische Zivilbevölkerung noch grausamer zu terrorisieren. In seiner Realitätsferne ist Kretschmers Vorstoß also geradezu bizarr.
Professorin Ursula Schröder, Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg, am Samstag, dem 29. Oktober 2022, im Deutschlandfunk:
Aber die Frage ist natürlich, ab welchem Zeitpunkt Gespräche über Gespräche geführt werden. Die werden ja auch geführt, aber ab welchem Zeitpunkt die Zeit dafür reif ist, ernsthafter in eine Verhandlungslösung einzusteigen. Verhandlungen sind nicht immer gut. Das muss man auch wissen. Friedensverhandlungen können auch negative Konsequenzen haben. Friedensverhandlungen können auch zu taktischen Pausen in Kriegen führen, die dann dafür benutzt werden, dass der Krieg an anderer Stelle nochmal ausbricht. Friedensverhandlungen gehen häufig schief. Auch das ist normal. Und Friedensverhandlungen können natürlich auch einseitig den Interessen von einer Seite entgegenkommen. In diesem Fall wäre der Zwang zu Friedensverhandlungen für die Ukraine zur Zeit ein Entgegenkommen an die russischen Kriegsziele.
Es lastet auf dem Abend eine Schwere.
Die Masse einer dichten Wolkenschicht
Bedroht die Sonne, daß sie sie verzehre,
Und drückt sie immer tiefer mit Gewicht.
Die Sonne schmilzt in schmalen schrägen Strahlen,
Es sind die letzten vor dem Untergang,
Die alle schwachen Farben dunkler malen,
Sie machen aller Dinge Schatten lang.
Sie müssen an den grauen Mützen enden
Und an den roten Fahnen, die man trägt,
Und das wogt her und hin in den Geländen,
Es ist ein Wogen, das die Menge prägt.
Die trist zerbrechlich dünnen Strahlen geben
Die Schimmer einer drüstren Meeresflut,
Auf welcher viele rote Lachen schweben,
Wie dunkles Meer, das fleckig ist von Blut.
Ich steh erhöht und richte in Gedanken
Den Blick hinunter auf den Bebel-Platz.
Durchs Mikro höre ich die Stimme zanken,
Sie hallt, und ich verstehe keinen Satz.
Ich kann noch Humboldts schönen Ginkgo sehen,
Im Garten vor der Universität.
Ich seh die Bibliothek in Mauern stehen,
Vom letzten Krieg mit Narben übersät.
Ich kann noch sehn die Bäume Unter den Linden,
Darunter Fahrzeuge der NVA.
Davor kann ich den König Friedrich finden,
Bedeckt mit roten Fahnen sitzt er da.
Vor seines Pferds versteinertem Geschnaube
Marschiert man kommandiert im gleichen Trott
Und schwenkt im Zug Picassos Friedenstaube.
Ich kann das sehen, ich steh erhöht auf dem Schafott.