A N A B A S I S

Thalatta ! Thalatta !

Schlagwort-Archiv: Oskar Lafontaine

14.5.16 Mephisto an Sigmar

 

Der Revoluzzer

Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet

 

War einmal ein Revoluzzer,

im Zivilstand Lampenputzer;

ging im Revoluzzerschritt

mit den Revoluzzern mit.

 

Und er schrie: „Ich revolüzze!“

Und die Revoluzzermütze

schob er auf das linke Ohr,

kam sich höchst gefährlich vor.

 

Doch die Revoluzzer schritten

mitten in der Straßen Mitten,

wo er sonsten unverdrutzt

alle Gaslaternen putzt.

 

Sie vom Boden zu entfernen,

rupfte man die Gaslaternen

aus dem Straßenpflaster aus,

zwecks des Barrikadenbaus.

 

Aber unser Revoluzzer

schrie: „Ich bin der Lampenputzer

dieses guten Leuchtelichts.

Bitte, bitte, tut ihm nichts!

 

Wenn wir ihn‘ das Licht ausdrehen,

kann der Bürger nichts mehr sehen.

Laßt die Lampen stehn, ich bitt! –

Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!“

 

Doch die Revoluzzer lachten,

und die Gaslaternen krachten,

und der Lampenputzer schlich

fort und weinte bitterlich.

 

Dann ist er zu Haus geblieben

und hat dort ein Buch geschrieben:

nämlich, wie man revoluzzt

und dabei doch Lampen putzt.

 

(Erich Mühsam  6. April 1878, Berlin – 10. oder 11. Juli 1934, Konzentrationslager Oranienburg)

 

Der Niedergang der Sozialdemokratie

Traurig und sogar beklemmend traurig: Der Niedergang der Sozialdemokratie.

Personeller Grund: Die Jahrzehnte währende Unfähigkeit ihres Führungspersonals.

Grund dieser Unfähigkeit: In Deutschland vor allem, und zum Teil offenkundig, ist oft eine narzißtisch veranlagte Karrieregeilheit ihrer Berufspolitiker und der Funktionärsriege. Herausragende Beispiele: Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine.

Weiter: Prinzipienlose Kompromißbereitschaft zwecks Regierungsbeteiligung um jeden Preis.

Skrupellose Politikausrichtung nach Umfrageergebnissen.

Stetige Unterschätzung der Intelligenz des umworbenen Wählers.

Dümmliche, typisch spdämliche, also durchsichtigste Effekthascherei aus augenscheinlich niederen Beweggründen. Jüngst, als man sich im Fall des Scheinsatirikers und gekünstelt stilisierten künstlichen Kunstfreiheitskämpfers Böhmermann demonstrativ von der Kanzlerin absetzte. Um Stimmen zu fischen.

Und vor allem: Sozialklempnerei statt Sozialdemokratie.

Folge: Das größte Problem der Sozialdemokratie, jedenfalls der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, ist ein eklatanter Mangel an

G L A U B W Ü R D I G K E I T.

Das kann doch nicht so schwer sein: Die Welt hungert nach sozialer Demokratie!

 

Mephisto an Bellarmin

Nein, es ist unwahr, wenn der derzeitige SPD-Chef Sigmar Gabriel spdämlich, also spd-typischerweise, also mit schon intellektbeleidigend durchschaubar politischem Kalkül auf extreme Vergeßlichkeit oder Unkenntnis seiner Adressaten setzend behauptet, Egon Bahr wäre „Architekt der deutschen Einheit“ gewesen. Dabei offenkundig die auf Bahr zutreffende Ehrenbezeichnung „Architekt der Ostverträge“ geschichtsklitternd vorsätzlich verbiegend, also mit Halbwahrheiten lügend. Spdämlich auch deshalb, weil hier im Speziellen plumper Legendenbildung der beabsichtigten Wirkung, nämlich einer ungeschmälerten Würdigung der Verdienste dieses außerordentlichen Mannes, kontraproduktive Widerstände entgegenwachsen. Und das wahrlich ohne jede Not. Zugegebenermaßen hat seit dem Fall der Mauer in zunehmendem Maß Bahr selbst versucht, an jener unnötigen Legende mitzustricken.

In der SPD wähnt man ja immer noch, ihr permanentes Umfragetief hinge zusammen mit der Agenda 2010. Wähnen kommt von Wahn. Aber unter uns Pastorentöchtern will ich den Genossen ganz im Vertrauen raten, hinsichtlich der Ursachenforschung lieber einmal als gar nicht an mangelnde Glaubwürdigkeit und fehlende Authentizität zu denken. Und ohne mich jetzt beispielhaft über unseren Justizminister oder die Generalsekretärin der Partei oder andere unendliche Details zu verbreiten: Die Chamäleonhaftigkeit der einstigen Partei Willy Brandts offenbart sich vortrefflich in den wechselnden Verkleidungen ihres derzeitigen Vorsitzenden. Wie etwa, wenn er in Regenjacke zu Pegida schleicht, oder wenn er sich in Sichtweite eines Flüchtlingswohnheims mit einem Insassen parlierend vor den Kameras mitgereister Medien im Trainingsanzug inszeniert.

„Politische Führung gewinnt Respekt, wenn sie ihrer Überzeugung und nicht Meinungsumfragen folgt“, schrieb Egon Bahr anläßlich des machtgefährdenden Mißtrauensvotums 1972 im Hinblick auf die standhafte Haltung Willy Brandts.

Nein, Egon Bahr war nicht der Architekt der deutschen Einheit. Das widerspricht meiner Wahrnehmung. Wer Ende der siebziger und während der achtziger Jahre an Wiedervereinigung auch nur dachte, wurde sofort in die rechte Ecke gerückt und als ewig Gestriger diffamiert. Denn er störte den vertraglich abgesegneten Machtbereich der Russen und der Honecker-Clique. Also die Friedenspolitik. Sowie das Vertrauensverhältnis zwischen den „Kanälen“, wie Bahr die geheimdienstlichen Kontakte zwischen Bonn und Moskau bezeichnete. So konnte man bisweilen ein geradezu kumpaneihaft abgekartetes Spiel vermuten, wenn ungeheuerliche Vorgänge in der DDR auftragsartig wie auf Knopfdruck beschwichtigt oder gar schöngeredet wurden von sozialdemokratischen Honecker-Verstehern.

Selbstverständlich immer im Interesse des Weltfriedens.

Beispielsweise nach dem heimtückischen Einmarsch der keinen Krieg wollenden Russen in Afghanistan am zweiten Weihnachtsfeiertag 1979. Oder als es durch westliche Staaten wegen der Invasion zum Boykott der Olympiade in Moskau kam.

Für dessen Zustandekommen ich meine Daumen gedrückt hatte.

Bei der Eröffnungsveranstaltung der friedlichen, „unpolitischen“ Spiele formten plötzlich 1.600 sowjetische Soldaten im Stadion völlig unpolitisch ein riesiges Hammer-und-Sichel-Emblem.

Das symbolisierte die friedliebende russische Geschmacksresistenz.

Oder als im selben Jahr zwei Tage nach dem „Nationalfeiertag der DDR“ die illegitime Führung der Deutschen Demokratischen Republik den Zwangsumtausch schlicht verdoppelte: Gnadenlos mindestens 25 DM pro Besuchstag und Person mußten Einreisende (aus dem Westen) hinfort eins zu eins eindirektional umtauschen. Auf das Ansinnen der Rücknahme der unsozialen Erhöhung forderte Honecker mit deutscher demokratischer Logik zuvor die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft.

Oder als am 10. April 1982 am Grenzübergang Berlin-Drewitz der bundesdeutsche Reisende Rudolf Burkert an Herzversagen starb. Man vermutete als Ursache die Aufregung über die schikanöse Behandlung im ostdeutschen Grenzregime. Am 26. April starb dann, ebenfalls an Herzversagen, der Bundesdeutsche Heinz Moldenhauer am Grenzübergang Wartha-Herleshausen während der deutschen demokratischen Abfertigungsprozedur.

Dann konnte man, wie bestellt über irgendwelche „Kanäle“, die magengeschwürfördernden sozialdemokratischen Beschwichtigungseiertänze und Tatsachenzerredungen hören. Und nicht das geringste von deutscher Einheit.

Wenn Ostberlin die Abschaffung der Erfassungsstelle für DDR-Unrecht in Salzgitter verlangte, fiel das regelmäßig auf fruchtbaren Boden in der SPD, und die für Beibehaltung plädierenden Stimmen wurden als „politisch gestrig“ beschimpft. Heutzutage würde man dies wohl mit „politisch inkorrekt“ übersetzen. Also nicht die Verunglimpfung, sondern die Forderung nach Beibehaltung der Erfassungsstelle.

Jene Erfassungsstelle war gefürchtet beispielsweise bei übergriffigen Schließern in DDR-Zuchthäusern oder unter Grenzern, die unbewaffneten DDR-Flüchtlingen in den Rücken schossen. Ich begegnete solchen Exemplaren im Zuchthaus. Also nicht den Grenzern, sondern ihren Opfern.

Immerhin glaubte man also, die Registrierung „souveränen staatlichen Handelns“ als Menschenrechtsverletzungen fürchten zu müssen.

Nicht zuletzt fällt mir, damals noch SPD und dort hochrangig, der Oskar Lafontaine ein, der danach trachtete, die Forderung seines saarländischen Landsmannes Erich Honecker nach Anerkenntnis einer eigenen DDR-Staatsbürgerschaft durchzusetzen. Ein klügelnder Kopf, der Lafontaine, der selbst nach dem neunten November nicht begriffen hatte, daß die sogenannte Deutsche Demokratische Republik 1961 nicht mehr ohne und 1989 nicht mehr mit Mauer zu halten gewesen war, und wenn es nach seiner Logik gegangen wäre, wir wohl heute mit Wladimir Wladimirowitsch Putin die Einheit Deutschlands hätten verhandeln müssen.

Nein, von Wiedervereinigung war im Gefolge der Architektur der Ostverträge und des Grundlagenvertrags die Rede nicht auf Seiten der deutschen Sozialdemokratie. Eher gewann man den Eindruck, man versuche die bestehenden Verhältnisse zu konservieren und gemeinsam mit Honecker und Breshnew über die „Kanäle“ und Geheimdiplomatie zu sichern, also klassisch metternichsche Politik zu betreiben. Auch der renommierte Politologe Alfred Grosser, Weggefährte und Diskussionspartner Bahrs, bestätigte im Kulturkanal des Deutschlandradios: „Er war nicht für die Wiedervereinigung.“

Soweit zur völlig unnötigen und unwürdigen Legendenbildung.

In meinen Augen war Egon Bahr genial. Wer es nicht erlebt hatte, kann sich wahrscheinlich nur schwer die klimatischen Bedingungen vorstellen, unter denen er der an sich simplen Tatsache ins Auge zu sehen anfing, daß auch die Seite der Todfeinde aus Menschen besteht. Daß man angesichts der Overkill-Konfrontation die Dinge nicht bewegt oder eher verschlimmert, indem man wegen unvereinbarer Gegensätze im Haß verharrt. Vielleicht war es kein Zufall, wenn Bahr die Strategieformel „Wandel durch Annäherung“ ausgerechnet im Jahr der Kuba-Krise im Gefolge der kennedyschen Konfliktlösung prägte. Es bleibt genial. Und es blieb ja nicht allein bei der Idee in Zeiten der Hallstein-Doktrin. Die ja nicht schlecht war, sondern eben nur gewöhnlich, naheliegend, ungenial. Und leider nichts verbesserte. Aber im Schatten des Mauerbaus auf die Idee der Annäherung zu kommen und sie im Schatten der Breshnew-Doktrin und unmittelbar nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in Prag umzusetzen (heute jährt sich der unvergessene 21. August), noch dazu angesichts drohenden Verlustes der Regierungsfähigkeit und allen widrigen Anfeindungen einschließlich der Vorwürfe des Landesverrates zum Trotz – man nenne mir einen vergleichbaren Fall aus der Geschichte! Der Mann mit dem Habitus eines Bürokraten war ein verwegener Haudegen und zugleich der zäheste Diplomat und besonnenste Analytiker seiner Zeit. Und es ist so eine Fülle an Leistungen, von denen jede einzelne Vollbringung ein atemberaubendes Epos gäbe. In einem Interview hat er einmal das Wort vom Architekten der Ostverträge aufgegriffen und darauf verwiesen, „Ich war der Architekt, aber der Bauherr war Willy Brandt“. Zu Recht hat Willy Brandt den Friedensnobelpreis erhalten, aber mindestens ebenso hat Egon Bahr einen solchen verdient. Angefangen vom ersten Passierscheinabkommen und beharrlich und Schritt für Schritt vom Kleinen zum Großen, er hat tatsächlich unser aller Leben verbessert, dies weit über die Grenzen des wiedervereinten Deutschlands hinaus, und mit nicht zu unterschätzender Wahrscheinlichkeit sogar unser Überleben gerettet.

Mephisto an Bellarmin

Du schriebst mir am 25. letzten Monats von der wachsenden Vorkriegsverrohung und Inhumanität anhand der widerlichen Hetze gegen Wolfgang Schäuble. Hetze statt sachlicher Gegenargumente. In Tsipras Parteizeitung erschien jüngst eine Karikatur Schäubles mit dem Text: „Die Verhandlung hat begonnen: Wir bestehen darauf, Seife aus eurem Fett zu machen… wir diskutieren nur über Düngemittel aus eurer Asche.“

Genau das ist die Realität des europäischen Einigungsprozesses: Die Europäische Union.

Und die Philosophen schweigen im Walde… Nicht zu reden von den Journalistenverbänden.

Das ist beängstigend.

Auch wie dieser Regierungschef immer aufs neue Feindbilder aufbaut in seinen Reden vor dem Parlament. À la Wolfgang Schäuble, Angela Merkel, die Deutschen hätten Schuld an der griechischen Misere. Vielleicht kommt er bald wieder auf die Idee, das Goethe-Institut in Athen beschlagnahmen zu wollen zwecks Geldeintreibung.

In diesem irren Albtraum ist es gut, sich ab und zu zu vergegenwärtigen, worum es eigentlich geht all die Jahre. Der französische FIGARO bemerkte am Mittwoch:

Athens Programm besteht lediglich darin, öffentliche Gelder korrekt zu verwalten, wie andere Länder auch Steuern einzutreiben und kein Geld mehr aus dem Fenster zu werfen. Damit wird in Griechenland endlich die Grundlage einer modernen Wirtschaft gelegt, die eines europäischen Landes würdig ist.

Um zurückzukommen auf Geldeintreibung beim dieswöchigen Start der neuen Karussellumdrehung. In der Wiener Zeitung Die Presse stand ebenfalls am Mittwoch zu lesen:

Angenommen, Herr Griechenland geht in eine Bank und wünscht sich einen Kredit über 85 Milliarden Euro. Der Banker gibt das Geld her, obwohl noch eine alte Schuld über knapp 330 Milliarden offen ist, obwohl die bisher geforderten Restrukturierungen des Unternehmens Griechenland nicht stattgefunden haben, obwohl der Banker weiß, dass mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch künftige Sanierungsschritte nicht gemacht werden. Was würde mit diesem Banker passieren? Falsche Antwort: Er stünde wegen Untreue vor Gericht. Richtige Antwort: Nichts. Er wird den Kredit abschreiben und ihn der Allgemeinheit in Rechnung stellen.

Genau das passiert gerade in Athen. Und es ist mit Verblüffung festzustellen, mit welcher Geschwindigkeit und Stille das dritte Hilfspaket – ja fast schon abgenickt worden ist. Als ob nichts gewesen wär‘. Als ob die ganze Aufregung vor etwas mehr als einem Monat nie stattgefunden hätte. Das griechische Referendum, die Zerreißprobe innerhalb der Euroländer. All die Sorgen werden wieder zugedeckt. Mit ungedeckten Schecks – besser gesagt: mit von Steuerzahlern gedeckten Blankoschecks.

Warum geschieht das alles? Weil es für alle die bequemste Lösung ist. Das war schon damals so, als man Griechenland in die Eurozone ließ. Hätte man damals Griechenland infrage gestellt, hätte man auch die Euro-Tauglichkeit Italiens und Spaniens hinterfragen müssen. Und das wäre politisch äußerst unbequem gewesen. Und an dieser Einstellung hat sich offensichtlich nichts geändert.

Und gestern schrieb die KATHIMERINI aus Athen:

Wenn die Regierung in Athen das Reformprogramm eigentlich nicht will, dann gibt es auch wenig Grund zur Annahme, dass die staatliche Verwaltung die Maßnahmen umsetzt. Dies bedeutet aber, dass das Abkommen im Parlament nur zu dem Zweck durchgewinkt wird, dass Griechenland seine Schulden bei der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds zurückzahlen kann und somit einen Kollaps des eigenen Bankensystems vermeidet. Das Reformprogramm wird also ein Scheinprogramm bleiben, das das Schicksal seiner Vorgänger teilt: Frühere Maßnahmenkataloge wurden zwar verabschiedet, blieben dann aber ein Papier ohne Folgen.

Indessen meldete der Deutschlandfunk heute vor einer Woche über die linken griechischen Frohnaturen:

In der griechischen Syriza-Partei wollen die Gegner des vereinbarten Reformkurses einen eigenen Programmentwurf ausarbeiten. Das sagte einer ihrer Wortführer, der Abgeordnete Lapavitsas, dem „Tagesspiegel“ aus Berlin. Insgesamt hatte zuletzt knapp ein Viertel der Fraktion die geforderten Reformen nicht mitgetragen. Lapavitsas sagte, die Entscheidung, das Programm der Gläubiger zu akzeptieren, habe die Parteispitze den Abgeordneten aufgezwungen. Der Syriza-Politiker sprach von einem Gegenentwurf und schlug vor, Schulden abzuschreiben, die strikten Sparauflagen zu lockern, die Banken zu verstaatlichen und die Privatisierungen zu stoppen.

Tja Jungs und Mädels, dann fangt mal an auszuarbeiten, zu lockern und zu stoppen und schreibt die Schulden ab! Aber langsam, ganz langsam, nur nicht so schnell und nicht so hastig, die Sonne sticht, und ihr seid ja erst so kurz im Amt. Da kann man nicht erwarten, daß man bei Regierungsantritt gleich ein Programm mühselig aus der Tasche zerrt nach all den Wahlversprechen. Sonst wird einem ja schwindlig. Am besten ihr macht jetzt erst mal Neuwahlen und haltet dann so ein, zwei Referenden gegen eure künftige Politik ab, benennt revolutionär, nachdem ihr fleißig gegen die Troika gehetzt habt in eurem Lande, dieselbe in „Institutionen“ um, sprecht ebenso im Parlament statt von Reformprogramm von „Memorandum“ und ruht euch danach ein, zwei Monate aus, denn das ist wahrlich viel geleistet bis Weihnachten.

In der Zwischenzeit kann Yanis Varoufakis noch ein bißchen durch die Unionslande touren und sich von den üblichen Linken aller Länder mit Sinn für alles Gute und Schöne statt für Einnahmen- und Ausgabenrechnung als Drachenkämpferstar gegen den Neoliberalismus feiern lassen. Es heißt zudem, er wolle sich mit dem üblichen Oskar Lafontaine zusammentun und einen europäischen Verein bilden. Unklar scheint zunächst noch, ob sie sich als Union gescheiterter Finanzminister ausgeben oder als Selbsthilfegruppe für Menschen mit narzißtischer Persönlichkeitsstörung.

Mephisto an Bellarmin

Ja, Du hat recht, das Erschrecken ist groß über Pegida, und man grübelt tatsächlich über der Frage, was man denn da machen könne. Vielleicht kommt man sogar nicht umhin, endlich den Gedanken zu fassen, sich einmal sachlich und sachbezogen auseinanderzusetzen, statt die Menschen ständig als Dummlinge, Irregeleitete, Rassisten und Nazis zu dämonisieren. Wäre ja mal eine Idee. Das beste Mittel gegen Irregeleitete ist übrigens der Realitätsbezug.

Wovor hat man also mehr Angst?

Mit krampfartigen ständigen Gegendemos und mit Hilfe des Gazprom-Lobbyisten und selbsternannten Anständigen, dessen ehemaliger Partei- und einst heiliger Triumviratsfreund, der saarländische Intimfeind, sich im Wahlkampf gern mal gegen, wörtlich, „Fremdarbeiter“ (vornehmlich aus Polen) aussprach, was den süffisanten Grinser zu keinem Aufruf zur Anständigkeit veranlaßte, wird man das Problem wohl eher nicht lösen.

Am Folgetag des letzten Dresdner Marsches gab es in dem über die „Lügenpresse“-Rufe pikierten Deutschlandfunk ein Interview mit einer klugen, also einsamen Stimme. Möge sie trotz des ewigen Chores der politisch-korrekten Schwatzhälse auf Gehör und Nachdenklichkeit stoßen. Es ist die Stimme des Psychiaters Hans-Joachim Maaz, er ist Vorsitzender der Stiftung Beziehungskultur in Halle. Am 6. Januar fragte ihn die Moderatorin Christine Heuer im Deutschlandfunk:

Heuer: Okay. Sie haben die Politik angesprochen. Was kann die Politik in dieser Situation ganz konkret tun?

Maaz: Ganz konkret sich hinsetzen, Kontakte machen, Gespräche suchen, analysieren. Man kann Wissenschaftler ansetzen, Soziologen ansetzen, um die Themen herauszufiltern, die da transportiert werden, oder die auch verborgen sind in diesem allgemeinen Thema. Auf jeden Fall Kontakt machen, Gespräche suchen, analysieren, die Kritik aufnehmen und auf keinen Fall verteufeln. Das nur in die rechte Ecke zu stecken, halte ich für verhängnisvoll. Sicher gibt es Rechtsextreme und das ist furchtbar, aber das nun zu verteufeln. Ich habe zunehmend Protestanten, Demonstranten gehört, die gesagt haben, wir gehen jetzt deshalb dahin, weil wir nicht ernst genommen werden in unserem Protest, in unseren Ängsten. Das ist die Hauptaufgabe der Politik, auf keinen Fall einseitig abwerten und verteufeln, sondern versuchen zu verstehen, den Dialog, das Gespräch finden und analysieren, Wissenschaftler ansetzen, Soziologen, Psychologen ansetzen, die in der Lage sind, dieses differenzierte Protestpotenzial weiter auszudifferenzieren.

Heuer: Herr Maaz, ich selbst gehöre jetzt einem Berufsstand an, der von den Demonstranten da in Dresden gerne beleidigt wird, als Lügenpresse beschimpft wird. Machen die Medien Fehler in dieser Situation?

Maaz: Ja, wenn sie diese einseitige Verteufelung mitmachen. Ich denke, dass die Presse wirklich die Aufgabe hätte, genau das, was ich angesprochen habe, danach zu suchen, die differenziertere Analyse zu versuchen. Es sind doch sicher sehr verschiedene Menschen, die dort dabei sind. Und die genauer zu befragen, was sie bewegt, welche Motive, welche Themen, welche Ängste, welche Unsicherheiten, das wäre Aufgabe der Presse, auch der Politik zu helfen, eine differenziertere Wahrnehmung zu bekommen.

Heuer: Also wir sind gefordert, die Politik, die Medien, um zuzugehen auf diese Pegida-Demonstranten?

Maaz: Ja. Und wenn die Publizistik das auch immer nur in eine einseitige Ecke steckt, dann macht sie sich meiner Meinung nach mitschuldig, dass es so eine einseitige Abwertung gibt und ungenügende Klärung erfolgt.

Es ist ein deutsches Trauerspiel, daß die ureigensten Aufgaben der Presse ihr heute von einem Psychiater aufgezählt und die Jäger zum Jagen getragen werden müssen. Es gab mal einen Ludwig Börne, Heinrich Heine, Kurt Tucholsky, Egon Erwin Kisch, Sebastian Haffner… Es war einmal.