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Thalatta ! Thalatta !

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Die Legende vom subjektiven individuellen Recht auf Asyl








Freitag, 14. Februar 2025: Der Sehmann an Mephisto

Freitag, 14. Februar 2025, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:

Nicht einmal eine Woche ist es her, dass sich mehr als 250.000 Münchner auf der Theresienwiese versammelten, mit Plakaten und bei Sonnenschein, um einander und der ganzen Republik zu versichern: Wir wollen eine offene Stadt sein.

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Freitag, 14. Februar 2025, FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

Humanitäre Verpflichtungen stoßen an ihre Grenzen, wenn ihre Protagonisten zum Opfer ihrer selbst werden.

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DER SPIEGEL, 7/2025:

Die These vom subjektiven individuellen Asylrecht widerspricht den Absichten der Verfassungsschöpfer.

Dieses begründet kein subjektives individuelles Recht auf Asyl, das ein Flüchtling vor deutschen Gerichten einklagen kann, so wie es heute der Fall ist.

Der Staat kann demnach selbst festlegen, wem er Schutz gewährt. Einen Rechtsanspruch des Einzelnen gibt es nicht.

Das institutionelle Recht basiert auf dem völkerrechtlichen Prinzip des »non-refoulement«, das die Auslieferung von politisch Verfolgten an einen Verfolgerstaat verbietet. Eine Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze zu einem demokratischen Nachbarstaat ist erlaubt.

Die Legende vom subjektiven individuellen Recht auf Asyl setzte sich nach der Verabschiedung des Grundgesetzes durch, weil sie dem (isolierten) Wortlaut des Artikels 16 entsprach, in der Rechtsprechung bestätigt wurde und dem bundesdeutschen Kollektiv-Ego schmeichelte: dem Gefühl, aus der Unrechtserfahrung der Jahre 1933 bis 1945 die richtigen Schlüsse gezogen, aus der eigenen Geschichte gelernt zu haben. Gepflegt wurde diese Lesart von der einzigartigen Lernbereitschaft der Bundesrepublik vor allem von den christlichen Kirchen, zahlreichen Nichtregierungsorganisationen, den Grünen, der SPD und nicht zuletzt vom »Merkel-Flügel« der CDU.

Wer die faktische Umwandlung des deutschen Asylrechts in ein Einwanderungsrecht effektiv beenden will, muss das subjektive durch das institutionelle Asylrecht ersetzen. Nur so lassen sich Sinn und Zweck des Asylrechts bewahren.

Für die Bundeskanzlerin besaß Priorität nicht das Bemühen, einer zutiefst illiberalen, nationalistischen und fremdenfeindlichen Partei den Weg in den Bundestag zu verlegen, sondern der Wunsch, der Welt »in Notsituationen ein freundliches Gesicht« zu zeigen. In ihren Memoiren und ihrer jüngsten Kritik an der Asylpolitik von Friedrich Merz hat sie sich nochmals ausdrücklich zu diesem Standpunkt bekannt. Angela Merkel möchte, unterstützt von einer Minderheit der CDU, frei nach Goethe ihr Bild in der Seele der Deutschen gerettet wissen – und auch in den Geschichtsbüchern. Um dieses Zieles willen nimmt sie billigend in Kauf, dass aus der Niederlage des Kanzlerkandidaten ihrer Partei bei der Bundestagsabstimmung über den asylpolitischen Gesetzentwurf der Union als einzige Partei die AfD Nutzen ziehen kann.

Richtig bleibt der Satz von Merz, das Richtige werde nicht dadurch falsch, dass auch die Falschen es für richtig halten. Wäre es anders, könnte die AfD monopolartig bestimmen, was richtig und was falsch ist. Verzichten die demokratischen Parteien auf eigene, für notwendig erachtete Vorstöße nur, weil auch die AfD ihnen zustimmen könnte, lähmen sie sich politisch selbst.

Ein Recht auf Asyl in einem bestimmten Land ist den Vätern und Müttern des Grundgesetzes niemals in den Sinn gekommen. Es wäre praktisch auf ein allgemeines Recht auf Einwanderung hinausgelaufen. Ein solches Recht gibt es in keinem Staat, auch nicht in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 oder der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951.

Einen deutschen Sonderweg in Sachen Asylrecht wollte 1948/49 in Bonn niemand einschlagen.

Es ist unhistorisch und unpolitisch, heute immer wieder das Jahr 1933 oder den »Antifaschismus« zu beschwören … Es ist ein positivistisches und letztlich unpolitisches Verständnis von Politik, wenn man ständig, auch aus dem Munde des Bundeskanzlers, das Argument hört, dies oder jenes gebiete die Rechtslage und deshalb dürfe man nicht anders entscheiden. Mit rechtsstaatlichen Mitteln auf die Änderung von Rechtslagen hinzuwirken, ist eine der vordringlichsten Aufgaben von Politik.

Heinrich August Winkler, Historiker, SPD-Mitglied seit 63 Jahren

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DER SPIEGEL, 28/2018: „Es gibt keine moralische Pflicht zur Aufnahme aller Flüchtlinge

Miller: Wirtschaftsmigranten können ihr Aufnahmebegehren nicht zu einem moralischen Anspruch oder einer Gerechtigkeitsfrage machen. Zur Fürsorgepflicht gegenüber Flüchtlingen gehört es dagegen, sie dem Grundsatz der Nichtzurückweisung entsprechend nicht an den gefährlichen Ort zurückzuschicken, aus dem sie geflohen sind. Daraus ergibt sich für den einzelnen Ankunftsstaat jedoch noch keine moralische Pflicht zur Aufnahme aller Flüchtlinge, die sich an seiner Grenze präsentieren.

Miller: … Die Regierung muss sich vergewissern, dass die Mehrheit der Bevölkerung in dieser gravierenden Frage hinter ihr steht. Das schuldet sie dem Prinzip der nationalen Selbstbestimmung.

SPIEGEL: Während des großen Flüchtlingsstroms im Herbst 2015 hat die Bundeskanzlerin eine solche Konsultation unter Berufung auf die Dringlichkeit der humanitären Notlage bekanntlich unterlassen. War das ein politischer oder auch ein moralischer Fehler?

Miller: Ich denke, beides. Politisch, weil die negativen Folgen für Frau Merkel inzwischen offenkundig geworden sind. Aber es war außerdem ein moralischer Fehler, weil sie nicht nur die Haltung der deutschen Staatsbürger außer Acht ließ, sondern auch die absehbaren Auswirkungen ihrer Entscheidung auf andere EU-Staaten überging. Unter Rückgriff auf Max Webers grundlegende Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik muss ich sagen, dass Merkel in diesem Fall nicht einer Ethik der Verantwortung folgte.

SPIEGEL: Aber gilt die moralische Verpflichtung eines Staates zum Schutz der Menschenrechte und zur Abwendung einer humanitären Katastrophe nicht unbedingt und unbefristet, muss er nicht notfalls auch im Alleingang handeln?

Miller: Sicherlich, wenn ankommende Flüchtlinge sich in Lebensgefahr befinden. Man kann sie selbstverständlich nicht einfach zurück aufs Meer zwingen. Aber sie haben kein unbeschränktes Recht darauf, sich für einen bestimmten Wohnort zu entscheiden. Hier kommt es lediglich darauf an, ein ausreichendes Maß an Schutz sicherzustellen. Diese Einschränkung kennzeichnet Menschenrechte überhaupt. So gibt es ein Recht auf medizinische Versorgung für jedermann, aber nicht durch den teuersten und brillantesten Chefarzt.

Miller: Sie müssen immer von den zwei erwähnten Prämissen ausgehen: erstens, der Unterscheidung zwischen wirklichen Flüchtlingen und anderen Migranten; zweitens, der kollektiven und geteilten Verantwortung für die Flüchtlingspolitik. Daraus lässt sich das Recht auf Grenzkontrollen, Einreisebeschränkungen und im Extremfall sogar die Schließung der Grenze ableiten, um einen unbeherrschbaren Zustrom zu verhindern.

Miller: Demokratische Gesellschaften müssen ausführlich darüber debattieren, wie viele und welche Menschen sie aufnehmen sollen und können, welche Auswahlkriterien verwendet werden, wo sie die Prioritäten setzen, was von den Einwanderern als Beitrag zu ihrer Integration erwartet wird. Die Scheu davor, solche Fragen politisch zu diskutieren, entspringt der Angst, sich sofort moralischen Vorwürfen des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit auszusetzen. Sie zu umgehen oder ihnen auszuweichen trägt erst recht zur Verkrampfung bei. Reizbegriffe lassen sich versachlichen. So mag jede Festsetzung einer Obergrenze willkürlich erscheinen. Aber es gibt nun mal Unterschiede in der Aufnahmefähigkeit etwa zwischen Kanada und Neuseeland oder Deutschland. Wenn die Bürger die Einwanderungspolitik ihrer Staaten mittragen sollen, dann muss ihnen glaubwürdig versichert werden können, dass sie auch effektiv durchgesetzt wird.

Miller: Es gibt keine einheitliche Einwanderungspolitik, die nach Maßgabe der politischen Philosophie als die für alle Demokratien gerechte oder moralisch richtige ausgewiesen werden könnte. Trotzdem muss sie sich an vier Werten orientieren, auch wenn deren Gewichtung von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen mag: Schutzpflicht gegenüber Flüchtlingen, nationale Selbstbestimmung der Einheimischen, Fairness der Staaten untereinander sowie Integration der Einwanderer als gesellschaftliches Ziel.

David Miller, Professor für Politische Theorie in Oxford

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Stell dir vor, es geht, und keiner kriegts hin.

Wolfgang Neuss (1924 – 1989)

 

Politisch korrekte Verrenkung

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19. Juni 2022: Sehmann an Mephisto

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Sprachliche Begrifflichkeit ist die Brille, durch die wir die Welt sehen. Und mehr noch, mittels jener Begrifflichkeit schenkt uns ja einzig die „Sprache, die für dich dichtet und denkt“ (Schiller) überhaupt erst das Vermögen zu denken. Die Begriffe sind es, die die Möglichkeiten und die Richtung unseres Denkens vorherbestimmen.

Nun soll kommende Woche auf Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen die(?) Politolog(?)in(?) Ferda Ataman zur Leiter(?)in der Antidiskriminierungsstelle der Bundesrepublik Deutschland ernannt werden. In der heute abgerufenen Wikipedia ist über die(?) Frau(?) Ataman zu lesen [um Himmels Willen, ich will der Antidiskriminierungsbeaftragten in spe natürlich nicht zu nahe treten und er sie es und so weiter diskriminieren, nehme mir aber, wie andere auch, die Freiheit heraus, das weibliche Geschlecht anzunehmen!]:

Im Juni 2018 schrieb Ataman für eine Publikation der Amadeu Antonio Stiftung: „Politiker, die derzeit über Heimat reden, suchen in der Regel eine Antwort auf die grassierende ‚Fremdenangst‘. Doch das ist brandgefährlich. Denn in diesem Kontext kann Heimat nur bedeuten, dass es um Blut und Boden geht: Deutschland als Heimat der Menschen, die zuerst hier waren.“ Ein Heimatministerium sei vor allem „Symbolpolitik für potenzielle rechte Wähler“.

Horst Seehofer sagte daraufhin als erster Bundesinnenminister seine Teilnahme am Integrationsgipfel ab. Er wolle nicht teilnehmen, wenn mit Ataman „eine Teilnehmerin meine Strategie für Heimat in einem Artikel […] mit dem Heimat-Begriff der Nationalsozialisten in Verbindung bringt“.

Der ehemalige ARD-Korrespondent Werner Sonne, der gemeinsam mit Ataman den Mediendienst Integration aufgebaut hatte, kritisierte im Spiegel, es sei zwar„Unfug“, ihr die Absage Seehofers „in die Schuhe zu schieben“, doch habe sie „den Streit mit Angela Merkel immer weiter“ eskaliert und verlange die Abschaffung des Begriffs Migrationshintergrund, weil Menschen mit diesem Hintergrund in Deutschland „doch längst in der Mehrheit“ seien. Diese Behauptung Atamans würde „ausdrücklich die vielen Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge“ einbeziehen, „die als Folge des Zweiten Weltkriegs ihre alte Heimat verlassen mussten“. Dies sei ein absurder Versuch, „diese Menschen mit Zuwanderern gleichzusetzen, die unbestreitbar aus anderen Kulturkreisen nach Deutschland gekommen sind“ und sei „Wasser auf die Mühlen derjenigen, die dieses Land spalten wollen“.

Ataman hatte mit einer Spiegel-Kolumne 2020 für Debatten gesorgt, als sie die Bezeichnung „Kartoffel“ für Deutsche ohne Migrationshintergrund verteidigte. Als Reaktion auf diese Aussage wurde ihr vorgeworfen, sie würde selbst einen angeblich diskriminierenden Jargon verwenden.

Der Autor Ahmad Mansour wirft Ferda Ataman vor, es gehe ihr um „Ideologie und wenig um den Abbau von Rassismus oder Diskriminierung“, und beklagt sich über ihr „abstruses Weltbild“, das impliziere: „Rassist ist, wer alt, weiß und männlich ist“.

Dem bliebe Mannigfaltiges und noch einiges mehr hinzuzufügen und Ergänzendes zu sagen, und der Eintrag an sich ist natürlich eine wahre Fundgrube. Aber Zeit ist kostbar, und darum will ich mich hier nur pars pro toto beschränken. Dafür sei zur Verdeutlichung noch zitiert aus einer Meldung des Deutschlandfunks von gestern:

Die Debatte über die geplante Ernennung der Publizistin und Politologin Ferda Ataman zur Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat sich fortgesetzt.

Der Politologin werden unter anderem verbale Ausfälle gegenüber Menschen ohne Migrationshintergrund vorgeworfen.

Also in der sich fortgesetzt habenden Debatte werden der in Deutschland wahrscheinlich schwer unter Diskriminierung gelitten habenden Politologin(?), die(?) Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Moderner vorderer Orient und Migration an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und dem Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin studiert und das Studium 2005 mit dem Diplom abgeschlossen hatte, „verbale Ausfälle gegenüber Menschen ohne Migrationshintergrund vorgeworfen“.

Die merken gar nichts mehr!

Menschen ohne Migrationshintergrund“…

Was für eine verschrobene Verrenkung!

Könnte es sein, daß der politisch korrigierte Journalismus dieses Landes damit Menschen meint, die nicht zugewandert sind?

Um zu sprechen in der Landessprache?

Um klar und deutlich deutsch zu reden?

Und könnte es sogar sein, daß „Menschen ohne Migrationshintergund“ dieses Landes Deutsche sind?

Wie in Frankreich Franzosen, in Spanien Spanier, in Italien Italiener und in der Ukraine Ukrainer?

Könnte es sein, daß der Satz in der Landessprache hieße:

Der Politologin werden unter anderem verbale Ausfälle gegenüber Deutschen vorgeworfen.“?

Könnte es also sein, daß neben der „Bevölkerung“ hierzulande mit einer wunderschönen Sprache sogar ein Volk existiert?

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Kopf gut schütteln vor Gebrauch!“

Erich Kästner (1899 – 1974)

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Opfer der eigenen Meinungsmache

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14. Mai 2022: Sehmann an Mephisto

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Wenn man nicht schon Kummer gewöhnt wäre, hätte einem in den vergangenen Tagen schlecht werden können in Deutschland.

Weil: Deutschland ist ein rassistisches Land!

Ja!

Ohne Wenn und Mutmaßlich!

Das hat man monitoringt.

Ich kriegte erst einen Schreck, aber dann erfuhr ich: Also man hat Menschen befragt und auch angedroht, das in Zukunft wieder zu tun.

Mir fiel ein Stein vom Herzen! Also nur eine Umfrage. Umfragen zu Meinungen sind ja seit längerem ein inflationär gängiges Mittel öffentlich-rechtlicher Medien, Faktenmeldungen über die wirklich wahre Realität zu umgehen.

Insbesondere wenn diese, wie gewöhnlich, sich unkorrekt gebärdet.

Die Realität.

Nur heißt diese Meinungsumfrage hier „dauerhaftes Monitoring“.

Oder auch: Der „neue Rassismusmonitor“.

Tatsächlich!

Aufgeregt wurde nun direkt kolportiert, Deutschland sei ein rassistisches Land!

Mitunter gleich als einleitender Satz der nachrichtlichen Meldung.

Und das habe ein „Monitoring“ festgestellt.

Erst wenn man sich die Zeit nahm und genauer hinhörte, konnte man, wenn auch nicht in allen Sendeanstalten in der nötigen Ausführlichkeit, eventuell entnehmen, daß die Hälfte der Befragten einer „Aussage“ (demnach einer vorgelegten These) „Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft“ zustimme.

Also dann muß es ja stimmen!

Gewählt ist gewählt!

Zum Glück fanden sich des dem „Rassismusmonitoring“ folgenden Tages doch noch etwas nachdenklichere Stimmen!

So zum Beispiel die MÄRKISCHE ODERZEITUNG:

Was genau wird unter Rassismus verstanden – waren es Gewalttaten, Beschimpfungen, oder wurden zum Beispiel ungeschickte Fragen gestellt? In der Studie wird unter Rassismus aufgelistet, was eigentlich in unterschiedliche Kategorien fällt. Dabei wäre es wichtig, die Befragten genau zwischen eher harmlos und beleidigend beziehungsweise gewalttätig unterscheiden zu lassen.

Jedenfalls haben die Begriffe Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus hierzulande zur Zeit Hochkonjunktur um anzuklagen, zu welcher Verworfenheit Deutschland inzwischen verkommen ist. Und in dem Chore der Ankläger mitzusingen verleiht natürlich auch das schöne Gefühl der Zugehörigkeit zur Gruppe der Anständigen, wie Gerhard Schröder sich und die üblichen Bescheidwisser und Richtigdenker zu benennen beliebte.

Die Anständigen!

Ich gehöre nicht dazu. Denn es widerspricht meiner Erfahrung und meiner Wahrnehmung, daß wir in einer rassistischen Gesellschaft leben.

Allerdings leben wir in einer Gesellschaft, in der leider auch, wie in anderen Gesellschaften unserer Hemisphäre, zum Beispiel Idioten, Rassisten, Antisemiten, Rechtsextremisten und Nazis herumlaufen.

Aber zum Glück gibt es in Deutschland wenigstens keine Linksextremisten!

Wenn in Hamburg während regelrechter Straßenschlachten ganze Straßenzüge verwüstet und in Berlin, Rigaer Straße, über 60 Polizisten bei einer Brandschutzkontrolle zusammengeschlagen und zum Teil schwer verletzt werden, dann heißen die Täter in den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien „Autonome“.

Im schlimmsten Fall „Linksradikale“.

Und die Staatsanwaltschaft wird nicht tätig.

Und die Journalisten auch nicht.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Schuster, rät jüdischen Bürgern, in bestimmten Gegenden keine Kippa zu tragen. Er sagte im RBB Hörfunk, sie sollten sich zwar nicht aus Angst verstecken. Die Frage sei aber, ob es angesichts zunehmender antisemitischer Straftaten sinnvoll sei, sich in Wohnvierteln mit einem hohen muslimischen Anteil als Jude zu erkennen zu geben.

Das war eine Nachricht am Donnerstag, dem 26. Februar 2015.

Kurz zuvor noch hatten deutsche Politiker und Medienvertreter vereint mutig im Chore getönt: „Wir sind alle Charlie!“

Nach dem entsetzlichen Attentat in Paris, bei dem mehrere Journalisten der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ grausam ermordet worden waren von mohammedanischen Attentätern.

Doch nun?

Hörte man gar nichts!

Angesichts einer plötzlichen Zunahme…

Welche Journalisten hatten denn vor oder nach dem Ratschlag des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland in welchen Print- und Onlinemedien oder auf welchen Sendern über welche der „bestimmten“ Wohnviertel „mit einem hohen muslimischen Anteil“ von antisemitischen Straftaten berichtet?

Welche Zahlen wurden genannt, damit man sich ein realistisches Bild hätte machen können über die Zunahme jener Straftaten und über ihre Dynamik?

Und über das Umfeld der Täter!

Um was für Straftaten handelte es sich denn eigentlich?

Wo befinden sich die „bestimmten“ Wohnviertel, in denen es gefährlich ist für jüdische Mitbürger? Ist es nicht die Pflicht, sie beim Namen zu nennen?

Sollten Kippaträger erst irgendwo anrufen müssen, um sich zu erkundigen?

Wie wurden und werden die Täter von den Medien eingeordnet?

Zählen sie diese zum sogenannten friedlichen Islam oder zum sogenannten radikal islamischen Islam oder zum so genannten islamistischen Islam?

Gelten sie gar als „integrierte Muslime“?

Ein neues Problem, urplötzlich aus heiterstem integriertem deutschem Himmel?

Kann es sein, dass das Problem in Wahrheit gar nicht neu war?

Wenn ja, welchen Grund hatte es, dass man davon erst aus dem Munde eines Betroffenen hörte?

Ist das nicht beschämend?

Wurde nicht schon im Jahr zuvor auf dem generell, also vorhersehbar antisemitischen al-Quds-Marsch von einem mohammedanischen Mob „Juden ins Gas gebrüllt“?

Auf deutschen Straßen?

Wie haben denn unsere, auf ihren Pressekodex stolzen Medien in der Folge sich nun darum gekümmert?

Und was haben sie über den „Lifestyle“, also die Lebensart jenes antisemitischen Pöbels, in Erfahrung gebracht?

Wäre das nicht mindestens eine abendfüllende Sendung wert gewesen im Lande der besonderen Verantwortung?

Es gibt doch nicht etwa eine Tabuisierung des mohammedanischen Antisemitismus in deutschen Medien?

Und all die üblichen tapferen Kerlchen und KerlInnenchen: wo waren und sind die permanent Empörten?

Wo sind sie denn plötzlich geblieben?

All die Anständigen!

Die Vögelein schwiegen und schweigen.

In den öffentlich-rechtlichen Medien…

Seit der Asylwelle in den Jahren 2015 und 2016 hat die Zahl der judenfeindlichen Demonstrationen mit muslimischen Teilnehmern sicher nicht abgenommen. In Deutschland lebende Juden fühlen sich laut eigener Aussage von radikalen Muslimen bedroht. Die Zahl der antisemitischen Straftaten liegt so hoch wie schon lange nicht mehr.

Muslimischer Antisemitismus ist in Deutschland verbreitet. Das belegt eine repräsentative Umfrage, die das American Jewish Committee Berlin (AJC) beim Allensbach-Institut in Auftrag gegeben hat. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass antisemitische Einstellungen bei in Deutschland lebenden Muslimen viel häufiger vorkommen als in der übrigen Bevölkerung.

Interessant sind nicht nur die Ergebnisse der Befragung, sondern auch die Tatsache, dass es in Deutschland bisher kaum empirische Untersuchungen zu diesem Thema gab. Nach der antisemitischen Demonstration im Winter 2017 vor dem Brandenburger Tor hätte vieles dafürgesprochen, das Phänomen von staatlicher Seite aus mit einer solchen Befragung untersuchen zu lassen.

Möglicherweise wollte man es aber gar nicht genau wissen. Wenn die Rede auf Antisemitismus kommt, dauert es nicht lange, bis deutsche Politiker dafür den Rechtsextremismus verantwortlich machen.

In vielen Staaten mit hohem islamischem Bevölkerungsanteil dominiert ein problematisches Judenbild. Der Antisemitismus korreliert nicht zwangsläufig mit dem Islam als Religion, ist aber gerade in einigen Ländern des Nahen Ostens so ausgeprägt wie fast nirgendwo sonst auf der Welt. Das passt allerdings nicht in das Bild, das deutsche Politiker gerne von Muslimen zeichnen.

Auch weil es immer mehr muslimische Wähler gibt, versuchen sie, den Islam zu umarmen. Vertreter von CDU und SPD überbieten sich zum Beispiel mit öffentlichen guten Wünschen zu Beginn des Fastenmonats Ramadan. Auf die Spitze trieb es aber im Jahr 2015 der damalige deutsche Justizminister Heiko Maas: Nach dem Terroranschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ besuchte er umgehend eine Moschee. Man hätte meinen können, Muslime wären Opfer und nicht die Täter gewesen.

In anderen europäischen Staaten, wie zum Beispiel Dänemark, hat ein Umdenken eingesetzt. Hier wird von der Regierung die Frage gestellt, wie viel muslimische Zuwanderung einer liberalen Demokratie guttut. Neben judenfeindlichen Einstellungen bringen Migranten aus islamisch geprägten Regionen oft auch weitere problematische Überzeugungen mit – zum Beispiel ein groteskes Frauenbild oder die Ansicht, gleichgeschlechtliche Liebe sei verdammenswert.

Solche Einstellungen können sich mit der Zeit genauso ändern wie ein gesellschaftlich tradierter Antisemitismus. Es wäre aber naiv, hier auf den kollektiven Gesinnungswandel bei in Deutschland lebenden Muslimen zu hoffen. Stattdessen müssten die verantwortlichen Politiker das Problem endlich beim Namen nennen und sich ein Beispiel an Staaten wie Dänemark nehmen.

11. Mai 2022, Neue Zürcher Zeitung

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In beängstigend lehrreichen Zeiten

 

7. November 2020: Sehmann an Mephisto

Ich höre gerade, rund 70 Millionen Amerikaner haben bei diesen Wahlen für den skrupellos selbstverliebten Donald Trump gestimmt!

Noch einmal: 70 Millionen Amerikaner haben gestimmt für diese offensichtliche Kreuzung Benito Mussolinis mit Hermann Göring!

Und das nach vier Jahren seiner Amtszeit!

Da geben 70 Millionen Amerikaner also bewußt diesem verlogenen Twitterer und twitternden Lügner ihre Stimme mit all seinen alternativen Fakten, Falschnachrichten und sogar Feknjus.

70 Millionen abstiegsverängstigte, modernisierungsskeptische, fremdenfeindliche, islamophobe, rassistische, abgehängte, weiße alte Männer!

Und dann, habe ich mir gemerkt, gibt es auch noch in Großbritannien mehr als die Hälfte der Eingeborenen dummer, von Populisten verführte Brexitiers!

Wo kommen die bloß alle her?

Das sind ganz schön viele!

Obwohl sich alle Anständigen samt ihren Medien mit sorgenvoller Stirn so viel Mühe geben.

Diesem Pack eine jendagerechte Sprache und die politisch korrigierten Umbenennungen beizubringen. Beispielsweise von „Studentenvertreter“ in „Studierendevertreter“ und „Studierendevertreterin“…

 

 

Donnerstag, 5. November 2020, TAGESZEITUNG:

Wir wissen offenbar insgesamt sehr viel weniger über Stimmungen und grundsätzliche Einstellungen eines großen Teils der Bevölkerung, als wir glauben.

 

Donnerstag, 5. November 2020, HANDELSBLATT:

All jene, die mit einem deutlichen Sieg Bidens gerechnet haben, müssen sich nun fragen, ob sie das Land wirklich kennen – allen voran jene hier in Europa, wo auch vor vier Jahren die Abneigung gegenüber Trump den klaren rationalen Blick auf die realen Verhältnisse vernebelte.

 

11. Oktober 1950, heute vor 70 Jahren

 

11. Oktober 2020: Sehmann an Mephisto

 

Die drei westlichen Hochkommissare haben laut Neue Zeitung in drei gleichlautenden Schreiben an den Chef der sowjetischen Kontrollkommission General Wassilij Tschuikow Protest gegen die für den 15. Oktober angesetzten Wahlen im sowjetischen Besatzungsgebiet eingelegt. Den Protestschreiben lag eine Abschrift eines Briefes des Bundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer an den vorsitzenden Hochkommissar bei.

In den Schreiben der Hochkommissare wird auf das Schreiben der drei Hochkommissare der Westmächte vom 25. Mai verwiesen, auf das keine Antwort eingelangt sei. Zu dem beiliegenden Schreiben Adenauers wird bemerkt, daß die Bundesregierung als eine vom Volk freigewählte Regierung berechtigt sei, im Namen Deutschlands zu sprechen. Es wird ferner auf das Deutschlandscommuniqué der New Yorker Außenminister-Konferenz vom 19. September 1950 verwiesen und bemerkt, daß Wahlen auf Grund einer Einheitsliste nicht demokratisch sind. Es heißt sodann:

Das Verfahren für die Durchführung dieser Wahlen steht im krassen Gegensatz zu den traditionellen Voraussetzungen für freie demokratische Wahlen. Aus diesem Grund können weder meine Regierung noch die Bundesrepublik, noch das deutsche Volk anerkennen, daß diese Wahlen dem ostdeutschen Regime rechtliche Sanktionierung verleihen, oder Ansprüche auf die Vertretung derjenigen Deutschen, die zur Zeit in Ostdeutschland leben, gewähren. Infolge des großen Interesses, welches die Öffentlichkeit am Inhalt dieser Mitteilung gezeigt hat, werde ich, nach dem sie Ihnen zugegangen ist der Presse eine Abschrift zur Verfügung stellen.“

In dem beiliegenden Brief des Bundeskanzlers wird auf den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 14. September Bezug genommen und betont, daß zur Wiederherstellung der politischen und verwaltungsmäßigen Einheit Deutschlands die Einberufung einer verfassungsgebunden Deutschen Nationalversammlung unerläßliche Voraussetzung ist. Für solche Wahlen sollten die vier Besatzungsmächte ein Wahlgesetz erlassen, die Wahlen sollten sich unter der Kontrolle von Kommissionen aus Vertretern der vier Besatzungsmächte oder der UNO zusammensetzen. Aufgabe der Nationalversammlung wäre die Ausarbeitung einer deutschen Verfassung. Voraussetzung für die Durchführung deutscher Wahlen bilde die Garantie der persönlichen und politischen Bewegungs- und Betätigungsfreiheit in allen Zonen, insbesondere: Betätigungsfreiheit für alle Parteien in ganz Deutschland und Verzicht aller Besatzungsmächte, die Bildung und Betätigung politischer Parteien zu beeinflussen. Die persönliche Sicherheit und der Schutz vor wirtschaftlichen Benachteiligungen aller für politische Parteien tätigen Personen müsse von allen Besatzungsmächten und deutschen Behörden vor und nach der Wahl gewährleistet sein. Zulassung und Vertriebsfreiheit für alle Zeitungen in ganz Deutschland. Freiheit des Personenverkehrs innerhalb ganz Deutschlands und Fortfall des Interzonenpasses sei erforderlich.

 

Archiv der Gegenwart. Deutschland 1949 bis 1999, Bd. 1, S. 380 ff., Siegler Verlag GmbH, Sankt Augustin, 2000