Erinnerung kann in Zeiten üppigen Elends vor zunehmender Verblödung schützen. Ich entnehme dem Band 3.1 „Deutsche Geschichte von Tag zu Tag“ von Manfred Overesch und Friedrich Wilhelm Saal, 1986 im Droste Verlag Düsseldorf erschienen, manches Bedenkenswertes für den heutigen Tag.
Aus Gründen des Mangels mußten heute vor 70 Jahren in der amerikanisch besetzten Zone Deutschlands die Lebensmittelrationen gekürzt werden. Und zwar mit Beginn der vierwöchigen 87. Zuteilungsperiode von 1550 auf 1275 Kalorien pro Tag. Jugendliche durften immerhin bis zum 28. April verzehren 8000 g Brot, 600 g Fleisch, 650 g Fett, 62,5 g Käse, 125 g Quark, 2000 g Nährmittel, 500 g Zucker, 450 g Marmelade, 125 g Kaffee-Ersatz, und sie kamen somit auf täglich 1471 Kalorien.
Jeder Zuteilungsberechtigte durfte bis zu 20 Eier erwerben pro Jahr. Brauereien und Brennereien wurde ein Vermälzungsverbot auferlegt. Zur Sicherung der Brotversorgung.
In der „Neuen Presse“ schrieb heute vor 70 Jahren Heinz Piontek zur Lage der Jugend in Deutschland:
„Mit aufgerissenen Augen taumeln Jungen und Mädchen, durch Nöte und Gefahren der Kriegszeit älter und stiller geworden, in ein neues, unbekanntes Leben. Verständnislos hören und lesen sie über Ränke und Intrigen einer schamlosen Politik, über Blutgier, Brutalität und Größenwahnsinn ihrer Führer und glauben zu träumen, wenn man ihnen Zug um Zug beweist, daß alle Ideale, die man ihnen einst gegeben, einem überheblichen und gewissenlosen Hirn entsprungen, nicht einen Pfifferling wert sind.“
Heute vor 70 Jahren erschien in den USA die letzte Ausgabe der Zeitschrift „Der Ruf. Zeitung der deutschen Kriegsgefangenen in USA“. Darin wurden auch die Erfahrungen von Kriegsgefangenen bei der Begnung mit Literatur thematisiert, insbesondere in der vom Fischer-Verlag in den USA herausgegebenen „Bücherreihe Neue Welt“ (z. B. Joseph Roth: „Radetzkymarsch“; Carl Zuckmayer: „Der Hauptmann von Köpenick“; Thomas Mann: „Achtung, Europa! Aufsätze zur Zeit“; Erich Maria Remarque: „Im Westen nichts Neues“; Heinrich Heine: „Meisterwerke in Vers und Prosa“…)
Ein 22jähriger schrieb darüber: „Ach, hätten wir das doch früher lesen können! Unsere Einstellung zum Leben, zum Krieg und zur ganzen Politik wäre eine andere gewesen.“
Heute vor 70 Jahren wurde der später in Deutsche Demokratische Republik umbenannte Staat Preußen für aufgelöst erklärt.
Apropos Deutsche Demokratische Republik. Da fällt mir gleich der von der Linkspartei heute hochverehrte Diktator Walter Ulbricht ein. (Unter dem wäre das nicht passiert…) Gestern vor 70 Jahren war Sonntag. Da konnten in den westlichen Sektoren Berlins die Sozialdemokraten darüber abstimmen, ob sie sich mit den Kommunisten zu einer Partei vereinigen wollten. Im sowjetrussisch besetzten Teil hatten die „Sowjetische Militäradministration in Deutschland“ und die Kommunisten selbige Abstimmung jedoch verhindert.
Neben der Frage nach etwaiger Zustimmung zur Vereinigung von SPD und KPD hieß eine zweite, gewissermaßen alternative Frage „Bist Du für ein Bündnis beider Parteien, welches gemeinsame Arbeit sichert und den Bruderkampf ausschließt?“
Auf die grundsätzliche erste Frage, der zur Vereinigung, stimmten von den in freien Sektoren 33247 stimmberechtigten Parteimitgliedern der SPD 23755 mit NEIN. Das sind 82%. 2937 stimmen mit JA. Demnach waren nur magere 12% der Stimmberechtigten für die Vereinigung mit der KPD. Der zweiten Frage, der nach einer Zusammenarbeit, stimmen 14663 SPD-Mitglieder zu. Dagegen stimmten 5568.
Wie gesagt, in Ostberlin war die Abstimmung mit massiven Mitteln verhindert worden. In ihrem Tagebuch notierte die Herausgeberin Ruth Andreas-Friedrich heute vor 70 Jahren: „Die Würfel sind gefallen. Mit zweiundachtzigeinhalb Prozent haben sich die sozialdemokratischen Wähler Berlins gegen die Verschmelzung entschieden … Bis zur letzten Wahlminute währte der Widerstand unseres Parteivorstands. Es hat ihm nichts genützt. Wider Gewalt, Bedrohung und Propaganda siegte der Wille zur Selbstbestimmung, wenn auch nur in zwölf unter zwanzig Bezirken. Im russischen Sektor wurde die Wahlgenehmigung nicht erteilt. ‚Wegen technischer Schwierigkeiten‘, wie die Begründung lautet. Die gleichen ‚technischen Schwierigkeiten‘ scheinen veranlaßt zu haben, daß vor einigen Wahllokalen dieses Besatzungsgebiets am Frühnachmittag russische Wachposten aufzogen.“
Was den erwähnten linksparteilich also hochverehrten Strippenzieher Ulbricht nicht hinderte, jene Bekundung, wenn sie schon nicht verschwiegen werden konnte, kommunistisch zu analysieren: „In der Urabstimmung wurden an die Mitglieder die verwirrenden Fragen gestellt, ob sie für die sofortige Verschmelzung oder für ein Bündnis mit der KPD seien. Trotz dieser raffinierten Fragestellung entschied sich die Mehrheit der Berliner Sozialdemokraten für die sofortige Vereinigung. Von 66246 Mitgliedern lehnten nur 19529 die sofortige Vereinigung ab. Aber von diesen 19529 forderten in einer anderen getrennten Abstimmung 14636 ein Bündnis beider Parteien, welches gemeinsame Arbeit sicherte und den Bruderkampf ausschloß. Von mehr als 66000 organisierten Berliner Sozialdemokraten wandten sich gegen die Vereinigung, beziehungsweise das Bündnis tatsächlich nur 5568, also nur etwa acht Prozent der damaligen Berliner Mitgliedschaft.“ (Walter Ulbricht: „Geschichte der neuesten Ehe“)
Von der Sowjetunion lernen, heißt lügen lernen: Ulbricht hatte seiner Analyse verlogener Weise die Anzahl aller SPD-Mitglieder von Groß-Berlin zugrunde gelegt.
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