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Thalatta ! Thalatta !

Kategorie-Archiv: Zeitgeschehen

Expert*innen von Amnesty International zu „russischen Vergeltungsschlägen“

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13. August 2022: Bellarmin an Mephisto

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Hier die Übersetzung der englischen Pressemitteilung von Amnesty International vom Donnerstag, dem 4. August 2022, unter dem Titel

UKRAINE: KAMPFTAKTIK DER UKRAINISCHEN ARMEE GEFÄHRDET ZIVILPERSONEN

Ukrainische Kampftaktik bringt Zivilbevölkerung in Gefahr

  • Wohngebiete, Schulen und Krankenhäuser dienen als Militärstützpunkte
  • Angriffe aus dicht besiedelten zivilen Gegenden provozieren Vergeltungsschläge
  • Diese Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht rechtfertigen allerdings nicht die wahllosen Angriffe Russlands mit zahllosen zivilen Opfern

Ukrainische Truppen gefährden Zivilpersonen, indem sie im Kampf gegen die russische Invasion in besiedelten Wohngebieten, unter anderem in Schulen und Krankenhäusern, Stützpunkte einrichten und von dort Waffensysteme einsetzen. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International auf der Grundlage umfassender Recherchen.

Solche Taktiken verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht und gefährden das Leben von Zivilpersonen, da dadurch zivile Objekte als militärische Ziele ins Fadenkreuz geraten. Bei darauffolgenden russischen Angriffen auf diese Wohngebiete wurden Zivilpersonen getötet und zivile Infrastruktur zerstört.

„Wir sehen hier ein Muster, mit dem die ukrainischen Truppen bei ihren Einsätzen aus Wohngebieten heraus die Zivilbevölkerung in Gefahr bringen und das humanitäre Völkerrecht verletzen“, so Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International. „Dass sich die Ukraine in einer Verteidigungsposition befindet, entbindet das ukrainische Militär nicht von der Pflicht, sich an humanitäres Völkerrecht zu halten.“

Nicht alle russischen Angriffen, die Amnesty International dokumentiert hat, folgten jedoch dem oben geschilderten Ablauf. An einigen Orten, an denen Russland nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation Kriegsverbrechen begangen hat, fanden sich keine Hinweise auf eine Präsenz ukrainischer Truppen in den rechtswidrig durch Russland attackierten zivilen Gegenden – so zum Beispiel in einigen Gegenden in Charkiw.

Zwischen April und Juli verbrachten Expert*innen von Amnesty International einige Wochen damit, russische Angriffe in den Regionen Charkiw und Mykolajiw und im Donbass zu untersuchen. Sie untersuchten Orte, an denen Angriffe stattgefunden hatten, sprachen mit Überlebenden, Zeug*innen und Angehörigen der Opfer, und führten Fernerkundungen und Waffenanalysen durch.

Bei diesen Untersuchungen fanden die Amnesty-Mitarbeiter*innen in 19 Städten und Dörfern dieser Regionen Belege dafür, dass ukrainische Truppen aus dicht besiedelten Wohngebieten heraus Angriffe durchführten und Stützpunkte in zivilen Gebäuden einrichteten. Das „Crisis Evidence Lab“ von Amnesty International hat einige dieser Geschehnisse zusätzlich durch die Auswertung von Satellitenaufnahmen bestätigt.

Die meisten der als Stützpunkte genutzten Wohngebiete befanden sich mehrere Kilometer hinter der Front. Es wären tragfähige Alternativen verfügbar gewesen, die keine Gefahr für die Zivilbevölkerung bedeutet hätten – wie zum Beispiel nahegelegene Militärstützpunkte oder Waldstücke oder andere weiter entfernte Gebäude. In den von Amnesty International dokumentierten Fällen liegen keine Hinweise darauf vor, dass das ukrainische Militär die Zivilpersonen in den Wohngegenden aufgefordert oder dabei unterstützt hätte, Gebäude in der Nähe der Stützpunkte zu räumen. Dies bedeutet, dass nicht alle möglichen Vorkehrungen zum Schutz der Zivilbevölkerung getroffen wurden.

Angriffe aus besiedelten zivilen Gegenden

Überlebende und Zeug*innen russischer Angriffe im Donbass und um Charkiw und Mykolajiw berichteten Amnesty-Vertreter*innen, dass das ukrainische Militär zum Zeitpunkt der Angriffe in der Nähe ihrer Häuser aktiv war, was diese Gegenden zur Zielscheibe russischer Vergeltungsschläge machte. Die Expert*innen von Amnesty International konnten dieses Muster an zahlreichen Orten beobachten.

Das humanitäre Völkerrecht verpflichtet alle Konfliktparteien, militärische Ziele – soweit praktisch möglich – nicht innerhalb oder in der Nähe dicht bevölkerter Gebiete anzulegen. Es gibt zudem weitere Verpflichtungen zum Schutz von Zivilpersonen vor den Folgen möglicher Angriffe, zum Beispiel durch Evakuieren der Umgebung oder wirksame Warnung vor Attacken, die sich auf die Zivilbevölkerung auswirken könnten.

Amnesty International sprach mit der Mutter eines 50-jährigen Mannes, der am 10. Juni 2022 in einem Dorf südlich von Mykolajiw bei einem Raketenangriff getötet wurde: „Das Militär hatte sich in einem Nachbarhaus eingerichtet und mein Sohn brachte den Soldat*innen oft Mahlzeiten. Ich habe ihn mehrmals angefleht, sich von dort fernzuhalten, weil ich Angst um ihn hatte. Am Nachmittag des Angriffs hielt sich mein Sohn im Hof auf und ich war im Haus. Er war sofort tot. Sein Körper wurde in Stücke gerissen. Unser Haus wurde teilweise zerstört.“ Ermittler*innen von Amnesty International fanden in dem Nachbarhaus militärische Ausrüstung und Uniformen.

Mykola wohnt in einem Stadtteil von Lysychansk (Donbass) in einem Hochhaus, das mehrfach von russischen Angriffen getroffen wurde. Mindestens ein älterer Mann wurde dabei getötet. Mykola sagte Amnesty International: „Ich verstehe nicht, warum unser Militär von den Städten und nicht den Feldern aus feuert.“ Ein 50-jähriger Mann, der ebenfalls in dem Hochhaus wohnt, sagte: „In der Nachbarschaft kommt es definitiv zu militärischen Aktivitäten. Wenn in die andere Richtung geschossen wird, hören wir danach Schüsse in unsere Richtung.“ Amnesty-Vertreter*innen sahen, wie Soldat*innen ein Wohnhaus nutzten, das etwa 20 Meter von dem Eingang zu einem unterirdischen Bunker entfernt lag, der von den Bewohner*innen genutzt wurde und in dessen Nähe der ältere Mann getötet wurde.

Am 6. Mai 2022 nahmen russische Truppen in einer Stadt im Donbass eine Wohngegend, aus der ukrainische Streitkräfte Artillerie abfeuerten, mit Streumunition ins Visier. Streumunition kann – wie der Name schon sagt – aufgrund der Streuung unterschiedslos sowohl Zivilpersonen als auch Soldat*innen treffen und ist daher weithin verboten. Granatsplitter beschädigten das Haus, in dem die 70-jährige Anna mit ihrem Sohn und ihrer 95-jährigen Mutter lebt.

Anna berichtete: „Granatsplitter flogen durch die Türen. Ich war im Haus. Die ukrainischen Geschütze waren in der Nähe meines Feldes (…) Die Streitkräfte waren hinter dem Feld, hinter dem Haus (…) Seit Ausbruch des Krieges habe ich sie immer mal wieder gesehen (…) Meine Mutter ist (…) gelähmt, daher konnte ich nicht fliehen.“

Anfang Juli wurde ein Landarbeiter verletzt, als die russischen Streitkräfte ein Lagerhaus in der Gegend um Mykolajiw angriffen. Wenige Stunden nach dem Angriff beobachteten Mitarbeiter*innen von Amnesty International ukrainische Militärangehörige und -fahrzeuge in dem Getreidelager. Zeug*innen bestätigten, dass das Lagerhaus, das gegenüber einem bewohnten Bauernhof lag, von der Armee als Stützpunkt genutzt worden war.

Während Amnesty-Vertreter*innen entstandene Schäden an Wohnhäusern und angrenzenden öffentlichen Gebäuden in Charkiw und in Dörfern im Donbass und östlich von Mykolajiw untersuchten, hörten sie Schüsse aus ukrainischen Militärstellungen in der Nähe.

In Bachmut berichteten mehrere Anwohner*innen, dass das ukrainische Militär ein Gebäude als Stützpunkt genutzt hatte. Es lag keine 20 Meter von einem zivilen Hochhaus entfernt. Am 18. Mai 2022 schlug eine russische Rakete in die Fassade des Gebäudes ein, zerstörte fünf Wohnungen teilweise und beschädigte benachbarte Gebäude. Kateryna, eine überlebende Bewohnerin, sagte: „Ich verstand nicht, was vor sich ging. [Da waren] zerbrochene Fenster und eine Menge Staub in meiner Wohnung (…) Ich bin hier geblieben, weil meine Mutter nicht weg gehen wollte. Sie hat gesundheitliche Probleme.“

Drei Anwohner*innen berichteten, dass die ukrainischen Streitkräfte vor dem Angriff ein Gebäude gegenüber dem bombardierten Wohnhaus genutzt hatten, und dass zwei Militärfahrzeuge vor einem anderen Haus geparkt waren, das beim Einschlag der Rakete ebenfalls beschädigt wurde. Amnesty International fand innerhalb und außerhalb des Gebäudes Anzeichen für eine Militärpräsenz, zum Beispiel in Form von Sandsäcken und schwarzen Plastikplanen zum Verdunkeln der Fenster sowie neue, in den USA hergestellte Erste-Hilfe-Ausrüstung.

„Wir können nicht bestimmen, was das Militär tut, aber den Preis dafür zahlen wir“, sagte ein Anwohner, dessen Haus bei dem Einschlag beschädigt wurde.

Militärstützpunkte in Krankenhäusern

Mitarbeiter*innen von Amnesty International konnten an fünf Orten beobachten, wie ukrainische Streitkräfte Krankenhäuser faktisch als Militärstützpunkte nutzten. In zwei Städten wurden Krankenhäuser von Dutzenden Soldat*innen dazu genutzt, sich auszuruhen bzw. sich dort aufzuhalten und Mahlzeiten zu sich zu nehmen. In einer anderen Stadt feuerte das Militär aus der Nähe des Krankenhauses Geschosse ab.

Am 28. April wurden in einem Vorort von Charkiw bei einem russischen Luftangriff zwei Mitarbeiter*innen eines medizinischen Labors verletzt, nachdem die ukrainischen Streitkräfte auf dem Gelände einen Stützpunkt eingerichtet hatten.

Die Nutzung von Krankenhäusern für militärische Zwecke ist ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.

Militärstützpunkte in Schulen

Auch Schulen werden in verschiedenen Städten und Dörfern im Donbass und in der Gegend um Mykolajiw von ukrainischen Streitkräften regelmäßig als Stützpunkte genutzt. Die Schulen sind seit Beginn des Konflikts zwar vorübergehend geschlossen, doch in den meisten Fällen befinden sich die Schulgebäude in der Nähe von bewohnten zivilen Vierteln.

In 22 der 29 von Amnesty-Vertreter*innen besuchten Schulen wurden die Räumlichkeiten entweder gerade von Streitkräften genutzt oder es fanden sich Belege für aktuelle oder frühere militärische Aktivitäten wie etwa Militärkleidung, verbrauchte Munition, Essensrationen und Militärfahrzeuge.

Das russische Militär griff zahlreiche der von den ukrainischen Streitkräften genutzten Schulen an. In mindestens drei Städten zogen ukrainische Soldat*innen nach russischem Beschuss in andere Schulen in der Nähe um, sodass die umliegenden Stadtteile der Gefahr ähnlicher Angriffe ausgesetzt waren.

In einer Stadt östlich von Odessa beobachtete Amnesty International ein Schema, nach dem ukrainische Streitkräfte zivile Gebiete als Unterkünfte und Bereitstellungsräume nutzten. So wurden beispielsweise Panzerfahrzeuge unter Bäumen in Wohngebieten abgestellt und zwei Schulen in dicht besiedelten Wohngegenden militärisch genutzt. Zwischen April und Ende Juni schlugen in der Nähe dieser Schulen mehrmals russische Geschosse ein, die mehrere Zivilpersonen verletzten oder töteten. Darunter auch ein Kind und eine ältere Frau, die am 28. Juni ums Leben kamen, als ihr Haus von einer Rakete getroffen wurde.

In Bachmut nutzten die ukrainischen Streitkräfte ein Universitätsgebäude als Stützpunkt, das am 21. Mai 2022 bei einem russischen Angriff getroffen wurde. Berichten zufolge wurden dabei sieben Soldat*innen getötet. Die Universität grenzt an ein Mehrparteienhaus, das bei dem Angriff beschädigt wurde, sowie an weitere zivile Wohnhäuser in etwa 50 Metern Entfernung. Amnesty International fand ein zerstörtes Militärfahrzeug im Innenhof des bombardierten Universitätsgebäudes.

Das humanitäre Völkerrecht verbietet es Konfliktparteien nicht ausdrücklich, sich in Schulen einzuquartieren, die nicht in Betrieb sind. Streitkräfte sind jedoch verpflichtet, Schulen, die sich in der Nähe von zivilen Häusern bzw. Wohngebäuden befinden, nach Möglichkeit nicht zu nutzen, es sei denn, es besteht eine zwingende militärische Notwendigkeit. Wenn dies der Fall ist, haben sie die Zivilbevölkerung zu warnen und den Menschen gegebenenfalls bei der Evakuierung zu helfen. Dies scheint in den von Amnesty International untersuchten Fällen nicht geschehen zu sein.

In bewaffneten Konflikten wird das Recht von Kindern auf Bildung ernsthaft beeinträchtigt. Die militärische Nutzung von Schulen kann zu Schäden an den Schulen führen, die das Recht auf Bildung auch nach Beendigung des Krieges weiter beeinträchtigen. Die Ukraine gehört zu den 114 Ländern, die die Erklärung zum Schutz von Schulen in bewaffneten Konflikten unterzeichnet haben. Diese Erklärung erlaubt den Konfliktparteien die Nutzung verlassener oder evakuierter Schulen nur dann, wenn es keine umsetzbare Alternative gibt.

Wahllose Angriffe der russischen Streitkräfte

Viele der russischen Angriffe, die Amnesty International in den vergangenen Monaten dokumentiert hat, wurden mit unterschiedslos wirkenden Waffen, einschließlich international geächteter Streumunition, oder anderen explosiven Waffen mit großflächiger Wirkung durchgeführt. Bei manchen Angriffen wurden Fernlenkwaffen mit unterschiedlicher Zielgenauigkeit eingesetzt; in einigen Fällen waren die Waffen präzise genug, um bestimmte einzelne Objekte ins Visier zu nehmen.

Die Praxis des ukrainischen Militärs, zivile Objekte für militärische Zwecke zu nutzen, rechtfertigt in keiner Weise die wahllosen russischen Angriffe. Alle Konfliktparteien müssen jederzeit zwischen militärischen Zielen und zivilen Objekten unterscheiden und alle realisierbaren Vorkehrungen treffen, um den Schaden für die Zivilbevölkerung zu minimieren. Hierzu zählt auch die Auswahl der geeigneten Waffen. Wahllose Angriffe, bei denen Zivilpersonen getötet oder verletzt oder zivile Objekte beschädigt werden, sind Kriegsverbrechen.

„Die ukrainische Regierung sollte unverzüglich dafür sorgen, dass ihre Streitkräfte nicht in bewohnten Gebieten stationiert werden. Sie sollte Zivilpersonen aus Gebieten evakuieren, in denen das Militär operiert. Streitkräfte dürfen Krankenhäuser nicht zur Kriegsführung nutzen. Schulen und zivile Wohnhäuser dürfen lediglich als letztes Mittel militärisch genutzt werden, wenn es keine anderen gangbaren Alternativen gibt“, so Agnès Callamard.

Amnesty International kontaktierte das ukrainische Verteidigungsministerium am 29. Juli 2022 und legte die Ergebnisse der Untersuchung vor. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung am 4. August 2022 hatte das Ministerium noch nicht darauf reagiert.

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Zur entwirrenden Erinnerung wovon hier die Rede ist: Nicht Ukrainer schießen auf russischem Staatsgebiet auf Russen, sondern Russen schießen auf ukrainischem Staatsgebiet auf Ukrainer!

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Sonntag, 7. August 2022, KLEINE ZEITUNG:

Die Londoner Zentrale hatte dem ukrainischen Militär vorgeworfen, ohne Not Zivilisten zu gefährden, indem es sich in einigen Fällen in Wohngebieten verschanzt habe. Auch Präsident Selenskyj kritisierte den Bericht. Die russische Propaganda verbreitete ihn begeistert. Die souveräne Reaktion Kiews wäre gewesen, kühl eine Prüfung anzuordnen. Menschenrechte gelten universell; auch Opfer, die sich verteidigen, haben sie zu respektieren. Dass die Ukrainer empört sind, wird dennoch nicht verwundern. Immer wieder wurde versucht, Zivilisten zu evakuieren; eine waidwunde Nation, die zusehen muss, wie ukrainische Kriegsgefangene vor laufender Kamera gefoltert und verstümmelt, wie Zivilisten, auch Kinder, bombardiert, vergewaltigt, deportiert werden, während in Moskau das Leben weitergeht, als wäre nichts, schreit auf, wenn Westler vom sicheren Schreibtisch aus erklären, dass sie beim Überlebenskampf besser aufpassen soll.

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Dienstag, 9. August 2022, VERDENS GANG:

Russland hat während des gesamten Krieges zivile Ziele angegriffen. Wenn Amnesty den Russen jetzt auch noch eine Rechtfertigung dafür bietet, ist das schlimm.

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Bleib erschütterbar – doch widersteh.

Peter Rühmkorf (1929 – 2008)

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Es wieder wagen, das Offensichtliche zu sagen

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30. Juli 2022: Hans Christian an Mephisto

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Des Kaisers neue Kleider

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Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser, der so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, daß er all‘ sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein. Er kümmerte sich nicht um seine Soldaten, kümmerte sich nicht um Theater, und liebte es nicht, in den Wald zu fahren, außer um seine neuen Kleider zu zeigen. Er hatte einen Rock für jede Stunde des Tages, und ebenso wie man von einem König sagt, er ist im Rat, so sagte man hier immer: „Der Kaiser ist in der Garderobe!“

In der großen Stadt, in welcher er wohnte, ging es sehr munter her. An jedem Tage kamen viele Fremde an, und eines Tages kamen auch zwei Betrüger, die gaben sich für Weber aus und sagten, daß sie das schönste Zeug, was man sich denken könne, zu weben verständen. Die Farben und das Muster seien nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider, die von dem Zeuge genäht wurden, sollten die wunderbare Eigenschaft besitzen, daß sie für jeden Menschen unsichtbar seien, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei.

„Das wären ja prächtige Kleider,“ dachte der Kaiser; „wenn ich solche hätte, könnte ich ja dahinter kommen, welche Männer in meinem Reiche zu dem Amte, das sie haben, nicht taugen, ich könnte die Klugen von den Dummen unterscheiden! Ja, das Zeug muß sogleich für mich gewebt werden!“ Er gab den beiden Betrügern viel Handgeld, damit sie ihre Arbeit beginnen sollten.

Sie stellten auch zwei Webstühle auf, thaten, als ob sie arbeiteten, aber sie hatten nicht das Geringste auf dem Stuhle. Trotzdem verlangten sie die feinste Seide und das prächtigste Gold, das steckten sie aber in ihre eigene Tasche und arbeiteten an den leeren Stühlen bis spät in die Nacht hinein.

„Nun möchte ich doch wissen, wie weit sie mit dem Zeuge sind!“ dachte der Kaiser, aber es war ihm beklommen zu Mute, wenn er daran dachte, daß der, welcher dumm sei oder schlecht zu seinem Amte tauge, es nicht sehen könne. Nun glaubte er zwar, daß er für sich selbst nichts zu fürchten brauche, aber er wollte doch erst einen andern senden, um zu sehen, wie es damit stehe. Alle Menschen in der ganzen Stadt wußten, welche besondere Kraft das Zeuge habe, und alle waren begierig zu sehen, wie schlecht oder dumm ihr Nachbar sei.

„Ich will meinen alten, ehrlichen Minister zu den Webern senden,“ dachte der Kaiser; „er kann am besten beurteilen, wie das Zeug sich ausnimmt, denn er hat Verstand, und keiner versieht sein Amt besser als er!“

Nun ging der alte, gute Minister in den Saal hinein, wo die zwei Betrüger saßen und an den leeren Webstühlen arbeiteten. „Gott behüte uns!“ dachte der alte Minister und riß die Augen auf. „Ich kann ja nichts erblicken!“ Aber das sagte er nicht.

Beide Betrüger baten ihn näher zu treten, und fragten, ob es nicht ein hübsches Muster und schöne Farben seien. Dann zeigten sie auf den leeren Stuhl und der arme, alte Minister fuhr fort die Augen aufzureißen, aber er konnte nichts sehen, denn es war nichts da. „Herr Gott,“ dachte er, „sollte ich dumm sein? Das habe ich nie geglaubt, und das darf kein Mensch wissen! Sollte ich nicht zu meinem Amte taugen? Nein, es geht nicht an, daß ich erzähle, ich könne das Zeug nicht sehen!“

„Nun, Sie sagen nichts dazu?“ fragte der eine von den Webern.

„O, es ist niedlich, ganz allerliebst!“ antwortete der alte Minister und sah durch seine Brille. „Dieses Muster und diese Farben! – Ja, ich werde dem Kaiser sagen, daß es mir sehr gefällt!“

„Nun, das freut uns!“ sagten beide Weber, und darauf benannten sie die Farben mit Namen und erklärten das seltsame Muster. Der alte Minister merkte gut auf, damit er dasselbe sagen könne, wenn er zum Kaiser zurückkomme, und das that er auch.

Nun verlangten die Betrüger mehr Geld, mehr Seide und mehr Gold, um es zum Weben zu gebrauchen. Sie steckten alles in ihre eigenen Taschen, auf den Webstuhl kam kein Faden, aber sie fuhren fort, wie bisher an den leeren Stühlen zu arbeiten.

Der Kaiser sandte bald wieder einen anderen tüchtigen Staatsmann hin, um zu sehen, wie es mit dem Weben stehe und ob das Zeug bald fertig sei; es ging ihm aber gerade wie dem ersten, er sah und sah; weil aber außer dem Webstuhle nichts da war, so konnte er nichts sehen.

„Ist das nicht ein hübsches Stück Zeug?“ fragten die beiden Betrüger und zeigten und erklärten das prächtige Muster, welches gar nicht da war.

„Dumm bin ich nicht,“ dachte der Mann; „es ist also mein gutes Amt, zu dem ich nicht tauge! Das wäre seltsam genug, aber das muß man sich nicht merken lassen!“ Daher lobte er das Zeug, welches er nicht sah, und versicherte ihnen seine Freude über die schönen Farben und das herrliche Muster. „Ja, es ist ganz allerliebst!“ sagte er zum Kaiser.

Alle Menschen in der Stadt sprachen von dem prächtigen Zeuge. Nun wollte der Kaiser es selbst sehen, während es noch auf dem Webstuhl sei. Mit einer ganzen Schar auserwählter Männer, unter welchen auch die beiden ehrlichen Staatsmänner waren, die schon früher dagewesen, ging er zu den beiden listigen Betrügern hin, die nun aus allen Kräften webten, aber ohne Faser oder Faden.

„Ja, ist das nicht prächtig?“ sagten die beiden ehrlichen Staatsmänner. „Wollen Ew. Majestät sehen, welches Muster, welche Farben?“ und dann zeigten sie auf den leeren Webstuhl, denn sie glaubten, daß die andern das Zeug wohl sehen könnten.

„Was!“ dachte der Kaiser; „ich sehe gar nichts! Das ist ja erschrecklich! Bin ich dumm? Tauge ich nicht dazu, Kaiser zu sein? Das wäre das Schrecklichste, was mir begegnen könnte. O, es ist sehr hübsch,“ sagte er; „es hat meinen allerhöchsten Beifall!“ und er nickte zufrieden und betrachtete den leeren Webstuhl; er wollte nicht sagen, daß er nichts sehen könne. Das ganze Gefolge, was er mit sich hatte, sah und sah, aber es bekam nicht mehr heraus, als alle die andern, aber sie sagten gleichwie der Kaiser: „O, das ist hübsch!“ und sie rieten ihm, diese neuen prächtigen Kleider das erste Mal bei dem großen Feste, das bevorstand, zu tragen. „Es ist herrlich, niedlich, ausgezeichnet!“ ging es von Mund zu Mund, und man schien allerseits innig erfreut darüber. Der Kaiser verlieh jedem der Betrüger ein Ritterkreuz, um es in das Knopfloch zu hängen, und den Titel Hofweber.

Die ganze Nacht vor dem Morgen, an dem das Fest statthaben sollte, waren die Betrüger auf und hatten über sechszehn Lichte angezündet. Die Leute konnten sehen, daß sie stark beschäftigt waren, des Kaisers neue Kleider fertig zu machen. Sie thaten, als ob sie das Zeug aus dem Webstuhl nähmen, sie schnitten in die Luft mit großen Scheren, sie nähten mit Nähnadeln ohne Faden und sagten zuletzt: „Sieh, nun sind die Kleider fertig!“

Der Kaiser mit seinen vornehmsten Beamten kam selbst und beide Betrüger hoben den einen Arm in die Höhe, gerade, als ob sie etwas hielten, und sagten: „Seht, hier sind die Beinkleider! hier ist das Kleid! hier der Mantel!“ und so weiter. „Es ist so leicht wie Spinnewebe; man sollte glauben, man habe nichts auf dem Körper, aber das ist gerade die Schönheit dabei!“

„Ja!“ sagten alle Beamte, aber sie konnten nichts sehen, denn es war nichts.

„Belieben Ew. kaiserliche Majestät Ihre Kleider abzulegen,“ sagten die Betrüger, „so wollen wir Ihnen die neuen hier vor dem großen Spiegel anziehen!“

Der Kaiser legte seine Kleider ab, und die Betrüger stellten sich, als ob sie ihm ein jedes Stück der neuen Kleider anzögen, welche fertig genäht sein sollten, und der Kaiser wendete und drehte sich vor dem Spiegel.

„Ei, wie gut sie kleiden, wie herrlich sie sitzen!“ sagten alle. „Welches Muster! welche Farben! Das ist ein kostbarer Anzug!“ –

„Draußen stehen sie mit dem Thronhimmel, welche über Ew. Majestät getragen werden soll!“ meldete der Oberceremonienmeister.

„Seht, ich bin ja fertig!“ sagte der Kaiser. „Sitzt es nicht gut?“ und dann wendete er sich nochmals zu dem Spiegel; denn es sollte scheinen, als ob er seine Kleider recht betrachte.

Die Kammerherren, welche die Schleppe tragen sollten, griffen mit den Händen gegen den Fußboden, als ob sie die Schleppe aufhöben, sie gingen und thaten, als hielten sie etwas in der Luft; sie wagten es nicht, es sich merken zu lassen, daß sie nichts sehen konnten.

So ging der Kaiser unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: „Wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich! Welche Schleppe er am Kleide hat! Wie schön sie sitzt!“ Keiner wollte es sich merken lassen, daß er nichts sah; denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt, oder wäre sehr dumm gewesen. Keine Kleider des Kaisers hatten solches Glück gemacht als diese.

„Aber er hat ja gar nichts an!“ sagte endlich ein kleines Kind. „Hört die Stimme der Unschuld!“ sagte der Vater; und der eine zischelte dem andern zu, was das Kind gesagt hatte.

„Aber er hat ja gar nichts an!“ rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn das Volk schien ihm recht zu haben, aber er dachte bei sich: „Nun muß ich aushalten.“ Und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.

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Hans Christian Andersen (1805 -1875)

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Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

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24. Juli 2022: Bellarmin an Mephisto

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Vom pythagoräischen Lehrsatz

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Die Wahrheit, sie besteht in Ewigkeit,

Wenn erst die blöde Welt ihr Licht erkannt;

Der Lehrsatz, nach Pythagoras benannt,

Gilt heute, wie er galt zu seiner Zeit.

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Ein Opfer hat Pythagoras geweiht

Den Göttern, die den Lichtstrahl ihm gesandt;

Es taten kund, geschlachtet und verbrannt,

Einhundert Ochsen seine Dankbarkeit.

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Die Ochsen seit dem Tage, wenn sie wittern,

Daß eine neue Wahrheit sich enthülle,

Erheben ein unmenschliches Gebrülle;

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Pythagoras erfüllt sie mit Entsetzen;

Und machtlos, sich dem Licht zu widersetzen,

Verschließen sie die Augen und erzittern.

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Adelbert von Chamisso (1781 – 1831)

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Der Unterschied von heute zu damals, also von den bundesrepublikanischen Verhältnissen des 21. Jahrhunderts zu den Zeiten früherer Jahrhunderte, wie etwa denen der Aufklärung beispielsweise, ist eindeutig der, daß das heutige Rindvieh Deutschlands ebenso bei der Enthüllung und bisweilen sogar schon bei der bloßen Benennung selbst alter und ältester Wahrheiten sein unmenschliches Gebrülle erhebt.

So geschehen erneut am Samstag dem 2. Juli in Berlin an der Humboldt-Universität. Nämlich als dort die Biologin Marie-Luise Vollbrecht sich veranlaßt sah aus irgend einem ihren gewissen Gewissensgründen zugrunde liegenden Grunde, in einem Vortrag im Rahmen einer Veranstaltungsreihe unter dem mutmaßlich nicht unbegründeten Namen „Lange Nacht der Wissenschaft“ auf die ja beileibe nicht nur und nicht erst seit heute wissenschaftlich anerkannte Tatsache hinzuweisen, daß es „in der Biologie“, also demnach naturwissenschaftlich in der Natur, „nur zwei Geschlechter gibt“…

Selbige Reminiszenz mochten deutsche Rindviecher des 21. Jahrhunderts nicht tolerieren.

Sie mobilisierten.

Sie drohten: „Wir sehen uns auf der Straße!“

Vor jenen „radikalen gewaltbereiten Aktivisten, die kein Verständnis von Biologie haben“ (Marie-Luise Vollbrecht) knickte man seitens der Humboldt-Universität ein. (Übrigens, jene blökenden Rindviecher des 21. Jahrhunderts bezeichneten sich als „Gender-Aktivisten“. Ich liebe Vorurteile, denn vernünftige Vorurteile stammen ja aus der Erfahrung, und somit hege ich das Vorurteil, daß es sich bei den „Gender-Aktivisten“ um sich für tolerant haltende Linksradikale handelt… Also um die ordinären ideologiegeleiteten Nichtdenker. Man kennt sie.)

Seitens der Humboldt-Universität, von der sich einst Studenten, Forscher und Lehrende abgrenzten, um in Berlin die Freie Universität zu gründen, knickte man ein vor den blökenden „Gender-Aktivisten“.

Man sagte den Vortrag ab.

Wegen Krankheit“.

Wie auf Klebezetteln zu lesen stand.

Nach Meldungen in der Presse und empörten Äußerungen aus verschiedenen Richtungen sah sich selbst der Deutschlandfunk an dem dem Samstag folgenden Dienstag veranlaßt zu melden:

Nach Vortrags-Absage Kritik an Humboldt-Universität

Die Humboldt-Universität in Berlin steht nach der Absage eines Vortrags zum Thema Geschlechter in der Kritik.

Die Biologin Marie-Luise Vollbrecht vertritt die Position, dass es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt.

Die Universität habe der Wissenschaftsfreiheit einen Bärendienst erwiesen, sagte der Präsident des Deutschen Hochschulverbands, Bernhard Kempen, der Deutschen Presse-Agentur. „Die Universität hätte stattdessen Rückgrat beweisen sollen und alles daran setzen müssen, dass der Vortrag stattfinden kann“, so Kempen.

Die Hochschule hatte nach der Ankündigung von Protesten den Vortrag „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“ der Biologin Marie-Luise Vollbrecht abgesagt. Vollbrecht hatte eigentlich während der Langen Nacht der Wissenschaft am vergangenen Samstag reden sollen.

Differenzen zu Andersdenkenden seien im argumentativen Streit auszutragen, forderte Kempen. „Boykott, Bashing, Mobbing oder gar Gewalt dürfen keinen Erfolg haben.“

Bundesbildungs- und Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger von der FDP sagte der „Bild“-Zeitung, es dürfe nicht in der Hand von Aktivisten liegen, welche Positionen gehört werden dürfen und welche nicht: „Wissenschaft lebt von Freiheit und Debatte. Das müssen alle aushalten.“

Zur gefälligen Beachtung empfehle ich Dir speziell die gegenwartsjournalistische Satzbildung:

Die Biologin Marie-Luise Vollbrecht vertritt die Position, dass es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt.“!

Das entlarvt die Position des öffentlich-rechtlichen Journalismus als kongruent mit der Position der „Gender-Aktivisten“.

Was demnach bedeutet, die Andersdenkende wäre die in Deutschland lebende Biologin Marie-Luise Vollbrecht! Welche also allein auf der Welt die abartige „Position“ vertritt, daß es in der Natur nur zwei Geschlechter gäbe!

Soweit ist es im Lande der selbst bei alten Wahrheiten blökenden Rindviecher gekommen!

Die Situation erinnert verdammt an das andersensche Märchen, in welchem im Gegensatz zu sämtlichen Erwachsenen endlich ein Kind die Wahrheit ausspricht über die von allen bewundernd hochgelobten neuen Kleider des Kaisers: „Aber er hat ja gar nichts an!“

Stell Dir einmal vor, was für ein weltweites Aufsehen es auch gäbe, wenn eines Tages die Gazetten in balkengroßen Lettern verkündeten, was der Aufmerksamkeit der Menschheit in hunderttausenden von Jahren ihrer Entwicklungsgeschichte nebst der sämtlicher Zivilisationen sämtlicher Kontinente entgangen wäre:

„WISSENSCHAFTLICHE SENSATION: ES GIBT MEHR ALS ZWEI GESCHLECHTER !“

Oder kannst Du Dich erinnern an eine solche markerschütternde Meldung?

Und gar nicht zu reden von ihren anthropologischen, sozialen, philosophischen, politischen und künstlerischen Folgen in der Menschheitsgeschichte?

Zu der nun gegensätzlich plötzlich eine weltweit singuläre Biologin aus Deutschland die abartig reaktionäre „Position“ vertritt, es gebe nur zwei Geschlechter?

Wogegen dann prompt Berliner Studenten gewaltbereit protestieren?

Obwohl die deutsche Elite es für vernünftig hält, gutmeinend zu mahnen, man müsse selbst diese Position einer Andersdenkenden „aushalten“?!

Das sind die Sorgen der Republik“ hatte Otto Reutter einst gesungen…

In den seligen Zeiten, als das Rindvieh noch gegen die Enthüllung lediglich der neuen Wahrheiten blökte, waren Studenten in Deutschland gegen den Vietnamkrieg auf die Straße gegangen.

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Montag, 18. Juli 2022, Bild:

Trans-Insassin schwängert zwei Gefangene

Die Transfrau Demi Minor (27) wurde zu 30 Jahren Gefängnis wegen Totschlag verurteilt

Trenton – Eigentlich sitzen ausschließlich weibliche Knackis im „Edna Mahan“- Gefängnis für Frauen ein – doch jetzt sind zwei von ihnen schwanger! Wie geht denn so was? Kurioser Fall im US-Bundesstaat New Jersey. Die wegen Totschlags verurteilte Demi Minor (27) ist eine Transfrau, also aus biologischer Sicht ein Mann. Untergebracht wurde sie aber in einem Gefängnis für Frauen. Dies ist aufgrund eines 2021 in New Jersey erlassenen Gesetzes für Transgender-Personen möglich, sofern sich Verurteilte einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. ABER: Weil Minor zwei ihrer Mithäftlinge schwängerte, wurde sie nun in ein anderes Gefängnis gebracht. Dort ist sie jetzt die einzige Frau.

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Ein Gedicht aus Deutschland

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16. Juli 2022: Serapion an Mephisto

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Die unmögliche Tatsache

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Palmström, etwas schon an Jahren,

wird an einer Straßenbeuge

und von einem Kraftfahrzeuge

überfahren.

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Wie war (spricht er, sich erhebend

und entschlossen weiterlebend)

möglich, wie dies Unglück, ja –:

daß es überhaupt geschah?

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Ist die Staatskunst anzuklagen

in Bezug auf Kraftfahrwagen?

Gab die Polizeivorschrift

hier dem Fahrer freie Trift?

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Oder war vielmehr verboten

hier Lebendige zu Toten

umzuwandeln – kurz und schlicht:

Durfte hier der Kutscher nicht –?

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Eingehüllt in feuchte Tücher,

prüft er die Gesetzesbücher

und ist alsobald im klaren:

Wagen durften dort nicht fahren!

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Und er kommt zu dem Ergebnis:

Nur ein Traum war das Erlebnis.

Weil, so schließt er messerscharf,

nicht sein kann, was nicht sein darf.

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Christian Morgenstern (1871 – 1914)

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Infopoint

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9. Juli 2022: Beob an Mephisto

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Ich denk, ich krieg einen Börnaut! Stell Dir vor, bei uns in Deutschland, die sind völlig ausgebrannt, die freien demokratischen Hirne! Die wollen als Heileit Englisch als zweite Sprache einführen! Diese Gämchänjer! Und als brennpunktmäßigen Hotts-Pott haben sie sich für den Höhepunkt ausgerechnet wen erkoren? Wie als wären sie vollkommen transparent inakzeptabel emotionsfrei, diese liberalen Hirne?

Die deutschen Amtsstuben!

Unsere deutschen Beamten, Beamtinnen und Diversen als Versuchskarnickel!

Die Idee hat ihnen sicher heimarbeitend irgendein kissenpupender Hohmoffiswisselbloa oder eine kissenpupende Hohmoffiswisselbloain oder ein(?) kissenpupend(?) divers(?) Hohmoffiswisselbloa(?) geautet!

Nein, das ist keine Fäknju, denn im Radio brachten sie es leif erlebt ohne das geringste Körnchen „mutmaßlich“ während der Njus:

Die FDP plädiert dafür, Englisch als zusätzliche Verwaltungssprache in deutschen Behörden einzuführen.

Damit sollten Migranten Behördengänge erleichtert werden, heißt es in einem Bericht des „Handelsblatts“. Die Zeitung beruft sich auf ein Papier zur Einwanderungspolitik, das von Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger und dem stellvertretenden FDP-Chef Vogel erarbeitet wurde. Es soll heute vom Parteipräsidium verabschiedet werden.

Neben Englisch als zusätzlicher Sprache in Ämtern wollen die Freien Demokraten auch die Deutschförderung für Fachkräfte und deren Familien ausbauen sowie die Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse erleichtern.

Montag, 4. Juli 2022, Deutschlandfunk

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Und, was soll ich Dir sagen, am nächsten Tag stand prompt und frech in der bösen Bild zu lesen:

Beamte sollen Englisch lernen

Es ist ein ehrgeiziger Plan: Die FDP will Englisch „als zusätzliche Verwaltungssprache“ in deutschen Behörden einführen – um ausländischen Zuwanderern den Gang zum Amt zu erleichtern.

BILD begrüßt den Vorstoß, liefert hier schon mal die Anleitung für unsere Beamten, um zentrale Begriffe der deutschen Bürokratie zu übersetzen:

Nicht zuständig

not competent/responsible

[nott kompätänt/räsponseböl]

Zuweisungsbescheid

assignment notice

[Ässainment Notiss]

Lohnsteuerjahresausgleich

Annual payroll tax adjustment

[Ännjuell Päirol Täcks Ädschastment]

Niederlassungserlaubnis

permanent residence permit

[Pörmönent Räsidänts Pörmit]

Doppelbesteuerungsabkommen

double tax treaty

[dabbel Täcks Trietie]

Ehegattenbesteuerung

Spousal taxation

[Spausel Täcksäischän]

Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz

Cattle Beef Labeling Surveillance Task Transfer Act

[Kättel Bief Läibelling Sörväijens Taask Träns för Äkt]

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Dürfen die das? Ist das korrekt? Ist das nicht diskriminierend?

Doch selbst der Beamtenbund reagierte unbehäbig fuchtig:

Der Deutsche Beamtenbund hat sich gegen den Vorstoß der FDP ausgesprochen, künftig Englisch als zweite Verwaltungssprache in Behörden zu etablieren.

Wenn es um Verordnungen und Gesetze gehe, gelte hierzulande schon aus Gründen der Rechtssicherheit die Amtssprache und die sei Deutsch, sagte Verbandssprecherin Ibald dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Künftig auch auf Englisch zu kommunizieren, führe zu Mehraufwand. Zugleich betonte der DBB, man setzte bereits bei der Personalgewinnung im öffentlichen Dienst auf interkulturelle Kompetenz und dort, wo es geboten sei, auch auf Mehrsprachigkeit.

Dienstag, 5. Juli 2022, Deutschlandfunk

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Und im DER SPIEGEL von heute zieht sogar der Deutsche Städtetag verschnupft hinterher:

Städtetag gegen Englisch im Amt

KOMMUNEN Der Deutsche Städtetag hat den Vorstoß der FDP kritisiert, Englisch als zweite Verwaltungssprache in Behörden einzuführen. Der Vorschlag sei »jenseits allen Realitätssinns«, sagte Vizepräsident Burkhard Jung (SPD). »Um alle Menschen in den Verwaltungen in verhandlungssicherem Englisch weiterzubilden, Gesetze, Verfahren und unzählige Dokumente zu übersetzen, wäre der Aufwand riesig.« Zudem hätten bereits heute »alle großen Städte englischsprachige Angebote für Fachkräfte, Geflüchtete und Schutzsuchende«. Hinzu kämen Informationen in weiteren Sprachen wie Türkisch, Spanisch, Arabisch oder Russisch sowie die Möglichkeit, sich von Dolmetschern helfen zu lassen. Im Hinblick auf dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland fordert Jung, wie auch die FDP, die Beschleunigung von Visaverfahren und die schnellere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Die Liberalen hatten am Montag Ideen zur Einwanderungspolitik und zum Fachkräftemangel vorgelegt. Durch die Einführung von Englisch als Verwaltungssprache wollen sie ausländischen Fachkräften Behördengänge erleichtern. Vor dem Städtetag hatte bereits der Beamtenbund den FDP-Vorschlag abgelehnt.

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Also Gäme ower!

Aber wie hieß das doch gleich?

Neben Englisch als zusätzlicher Sprache in Ämtern wollen die Freien Demokraten auch die Deutschförderung für Fachkräfte und deren Familien ausbauen“?

Wie wäre es denn zuvörderst mal mit der Idee, die Deutschförderung in Deutschland für Politiker und Journalisten auszubauen?

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Woran ist Chamberlain gescheitert?

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1. Juli 2022: Bellarmin an Mephisto

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Erneut hat eine Gruppe deutscher Intellektueller in ehrlich großer Sorge den Westen aufgefordert, den „Ukraine-Krieg“ durch Verhandlungen zu beenden: „Die Verfasser dieses Appells fordern den Westen auf, den Ukraine-Krieg durch Verhandlungen zu beenden.“ (Die Zeit)

Sie haben sehr klug und vernünftig geschlußfolgert nach westlicher Logik. Weil alles andere, zumal auf Dauer, als ein Stillstand der Waffen ist ja schlimmer:

Europa steht vor der Aufgabe, den Frieden auf dem Kontinent wiederherzustellen und ihn langfristig zu sichern. Dazu bedarf es der Entwicklung einer Strategie zur möglichst raschen Beendigung des Krieges.

Die Ukraine hat sich unter anderem dank massiver Wirtschaftssanktionen und militärischer Unterstützungsleistungen aus Europa und den USA bislang gegen den brutalen russischen Angriffskrieg verteidigen können. Je länger die Maßnahmen fortdauern, desto unklarer wird allerdings, welches Kriegsziel mit ihnen verbunden ist. Ein Sieg der Ukraine mit der Rückeroberung aller besetzten Gebiete einschließlich der Oblaste Donezk und Luhansk und der Krim gilt unter Militärexperten als unrealistisch, da Russland militärisch überlegen ist und die Fähigkeit zur weiteren militärischen Eskalation besitzt.

Die westlichen Länder, die die Ukraine militärisch unterstützen, müssen sich deshalb fragen, welches Ziel sie genau verfolgen und ob (und wie lange) Waffenlieferungen weiterhin der richtige Weg sind. Die Fortführung des Krieges mit dem Ziel eines vollständigen Sieges der Ukraine über Russland bedeutet Tausende weitere Kriegsopfer, die für ein Ziel sterben, das nicht realistisch zu sein scheint.

Die Folgen des Krieges sind zudem nicht mehr auf die Ukraine begrenzt. Seine Fortführung verursacht massive humanitäre, ökonomische und ökologische Notlagen auf der ganzen Welt. In Afrika droht eine Hungerkatastrophe, die Millionen von Menschenleben kosten kann. Rasant gestiegene Preise, Energie- und Nahrungsmangel haben in vielen Ländern bereits zu Unruhen geführt. Auch die Düngemittelknappheit wird sich, wenn der Krieg über den Herbst hinaus fortdauert, global auswirken. Es ist mit hohen Opferzahlen und einer Destabilisierung der globalen Lage zu rechnen. Auch auf internationaler politischer Ebene (G7, UN) werden diese drohenden dramatischen Folgen thematisiert.

Der Westen muss sich Russlands Aggression in der Ukraine und weiteren revanchistischen Ansprüchen geeint entgegenstellen. Doch ein Fortdauern des Kriegs in der Ukraine ist nicht die Lösung des Problems. Die aktuellen Entwicklungen um den Bahntransit in die russische Exklave Kaliningrad sowie Putins Ankündigung, atomwaffenfähige Raketensysteme an Belarus zu liefern, zeigen, dass die Eskalationsgefahr zunimmt. Der Westen muss alles daransetzen, dass die Parteien zu einer zeitnahen Verhandlungslösung kommen. Sie allein kann einen jahrelangen Abnutzungskrieg mit seinen fatalen lokalen und globalen Folgen sowie eine militärische Eskalation, die bis hin zum Einsatz nuklearer Waffen gehen kann, verhindern.

Verhandlungen bedeuten nicht, wie manchmal angenommen wird, der Ukraine eine Kapitulation zu diktieren. Einen Diktatfrieden Putins darf es nicht geben. Verhandlungen bedeuten auch nicht, etwas über den Kopf der Beteiligten hinweg zu entscheiden. Die internationale Gemeinschaft muss vielmehr alles dafür tun, Bedingungen zu schaffen, unter denen Verhandlungen überhaupt möglich sind. Dazu gehört die Bekundung, dass die westlichen Akteure kein Interesse an einer Fortführung des Krieges haben und ihre Strategien entsprechend anpassen werden.

Dazu gehört auch die Bereitschaft, die Bedingungen einer Waffenruhe sowie die Ergebnisse von Friedensverhandlungen international abzusichern, was hohes Engagement erfordern kann. Je länger der Krieg andauert, desto mehr internationaler Druck ist erforderlich, um zur Verhandlungsbereitschaft beider Seiten zurückzufinden. Der Westen muss sich nach Kräften bemühen, auf die Regierungen Russlands und der Ukraine einzuwirken, die Kampfhandlungen auszusetzen. Wirtschaftliche Sanktionen und militärische Unterstützung müssen in eine politische Strategie eingebunden werden, die auf schrittweise Deeskalation bis hin zum Erreichen einer Waffenruhe gerichtet ist.

Bislang ist kein konzertierter Vorstoß der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der großen westlichen Akteure, erfolgt, um Verhandlungen auf den Weg zu bringen. Solange dies nicht der Fall ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Verständigung unmöglich ist und insbesondere Putin nicht verhandeln will. Dass Kriegsparteien Maximalforderungen stellen oder Friedensgespräche ausdrücklich ablehnen, ist kein ungewöhnlicher Ausgangspunkt in festgefahrenen Konflikten. Der bisherige Verlauf der Verhandlungsversuche zeigt eine anfängliche Verständigungsbereitschaft beider Seiten unter Annäherung der Zielvorstellungen. Nur eine diplomatische Großoffensive kann aus der momentanen Sackgasse herausführen.

Die Aufnahme von Verhandlungen ist keine Rechtfertigung von Kriegsverbrechen. Wir teilen den Wunsch nach Gerechtigkeit. Verhandlungen sind indes ein notwendiges Mittel, um Leid vor Ort und Kriegsfolgen auf der ganzen Welt zu verhindern. Angesichts drohender humanitärer Katastrophen sowie des manifesten Eskalationsrisikos muss der Ausgangspunkt für die Wiederherstellung von Stabilität schnellstmöglich gefunden werden. Nur eine Aussetzung der Kampfhandlungen schafft die dafür notwendige Zeit und Gelegenheit. Die Bedeutung des Ziels verlangt, dass wir uns dieser Herausforderung stellen und alles tun, damit ein baldiger Waffenstillstand und die Aufnahme von Friedensverhandlungen möglich werden – und alles unterlassen, was diesem Ziel entgegensteht.

Jakob Augstein (Publizist), Richard A. Falk (Professor für Völkerrecht), Svenja Flaßpöhler (Philosophin), Thomas Glauben (Professor für Agrarökonomie), Josef Haslinger (Schriftsteller), Elisa Hoven (Professorin für Strafrecht), Alexander Kluge (Filmemacher und Autor), Christoph Menke (Professor für Philosophie), Wolfgang Merkel (Professor für Politikwissenschaft), Julian Nida-Rümelin (Philosoph), Robert Pfaller (Philosoph), Richard D. Precht (Philosoph), Jeffrey Sachs (Professor für Ökonomie), Michael von der Schulenburg (ehemaliger UN-Diplomat), Edgar Selge (Schauspieler), Ilija Trojanow (Schriftsteller), Erich Vad (General a. D., ehemaliger Militärberater von Angela Merkel), Johannes Varwick (Professor für internationale Politik), Harald Welzer (Sozialpsychologe), Ranga Yogeshwar (Wissenschaftsjournalist), Juli Zeh (Schriftstellerin)

Was habe ich Dir gesagt? Klingt das nicht verdammt klug? Und haben die Leute nicht Recht?

Es gibt schon Stimmen, die Angela Merkel als Vermittlerin vorschlagen.

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Wer möchte nicht in Fried und Eintracht leben?

Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!“

Bertolt Brecht (1898 – 1956)

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Politisch korrekte Verrenkung

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19. Juni 2022: Sehmann an Mephisto

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Sprachliche Begrifflichkeit ist die Brille, durch die wir die Welt sehen. Und mehr noch, mittels jener Begrifflichkeit schenkt uns ja einzig die „Sprache, die für dich dichtet und denkt“ (Schiller) überhaupt erst das Vermögen zu denken. Die Begriffe sind es, die die Möglichkeiten und die Richtung unseres Denkens vorherbestimmen.

Nun soll kommende Woche auf Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen die(?) Politolog(?)in(?) Ferda Ataman zur Leiter(?)in der Antidiskriminierungsstelle der Bundesrepublik Deutschland ernannt werden. In der heute abgerufenen Wikipedia ist über die(?) Frau(?) Ataman zu lesen [um Himmels Willen, ich will der Antidiskriminierungsbeaftragten in spe natürlich nicht zu nahe treten und er sie es und so weiter diskriminieren, nehme mir aber, wie andere auch, die Freiheit heraus, das weibliche Geschlecht anzunehmen!]:

Im Juni 2018 schrieb Ataman für eine Publikation der Amadeu Antonio Stiftung: „Politiker, die derzeit über Heimat reden, suchen in der Regel eine Antwort auf die grassierende ‚Fremdenangst‘. Doch das ist brandgefährlich. Denn in diesem Kontext kann Heimat nur bedeuten, dass es um Blut und Boden geht: Deutschland als Heimat der Menschen, die zuerst hier waren.“ Ein Heimatministerium sei vor allem „Symbolpolitik für potenzielle rechte Wähler“.

Horst Seehofer sagte daraufhin als erster Bundesinnenminister seine Teilnahme am Integrationsgipfel ab. Er wolle nicht teilnehmen, wenn mit Ataman „eine Teilnehmerin meine Strategie für Heimat in einem Artikel […] mit dem Heimat-Begriff der Nationalsozialisten in Verbindung bringt“.

Der ehemalige ARD-Korrespondent Werner Sonne, der gemeinsam mit Ataman den Mediendienst Integration aufgebaut hatte, kritisierte im Spiegel, es sei zwar„Unfug“, ihr die Absage Seehofers „in die Schuhe zu schieben“, doch habe sie „den Streit mit Angela Merkel immer weiter“ eskaliert und verlange die Abschaffung des Begriffs Migrationshintergrund, weil Menschen mit diesem Hintergrund in Deutschland „doch längst in der Mehrheit“ seien. Diese Behauptung Atamans würde „ausdrücklich die vielen Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge“ einbeziehen, „die als Folge des Zweiten Weltkriegs ihre alte Heimat verlassen mussten“. Dies sei ein absurder Versuch, „diese Menschen mit Zuwanderern gleichzusetzen, die unbestreitbar aus anderen Kulturkreisen nach Deutschland gekommen sind“ und sei „Wasser auf die Mühlen derjenigen, die dieses Land spalten wollen“.

Ataman hatte mit einer Spiegel-Kolumne 2020 für Debatten gesorgt, als sie die Bezeichnung „Kartoffel“ für Deutsche ohne Migrationshintergrund verteidigte. Als Reaktion auf diese Aussage wurde ihr vorgeworfen, sie würde selbst einen angeblich diskriminierenden Jargon verwenden.

Der Autor Ahmad Mansour wirft Ferda Ataman vor, es gehe ihr um „Ideologie und wenig um den Abbau von Rassismus oder Diskriminierung“, und beklagt sich über ihr „abstruses Weltbild“, das impliziere: „Rassist ist, wer alt, weiß und männlich ist“.

Dem bliebe Mannigfaltiges und noch einiges mehr hinzuzufügen und Ergänzendes zu sagen, und der Eintrag an sich ist natürlich eine wahre Fundgrube. Aber Zeit ist kostbar, und darum will ich mich hier nur pars pro toto beschränken. Dafür sei zur Verdeutlichung noch zitiert aus einer Meldung des Deutschlandfunks von gestern:

Die Debatte über die geplante Ernennung der Publizistin und Politologin Ferda Ataman zur Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat sich fortgesetzt.

Der Politologin werden unter anderem verbale Ausfälle gegenüber Menschen ohne Migrationshintergrund vorgeworfen.

Also in der sich fortgesetzt habenden Debatte werden der in Deutschland wahrscheinlich schwer unter Diskriminierung gelitten habenden Politologin(?), die(?) Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Moderner vorderer Orient und Migration an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und dem Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin studiert und das Studium 2005 mit dem Diplom abgeschlossen hatte, „verbale Ausfälle gegenüber Menschen ohne Migrationshintergrund vorgeworfen“.

Die merken gar nichts mehr!

Menschen ohne Migrationshintergrund“…

Was für eine verschrobene Verrenkung!

Könnte es sein, daß der politisch korrigierte Journalismus dieses Landes damit Menschen meint, die nicht zugewandert sind?

Um zu sprechen in der Landessprache?

Um klar und deutlich deutsch zu reden?

Und könnte es sogar sein, daß „Menschen ohne Migrationshintergund“ dieses Landes Deutsche sind?

Wie in Frankreich Franzosen, in Spanien Spanier, in Italien Italiener und in der Ukraine Ukrainer?

Könnte es sein, daß der Satz in der Landessprache hieße:

Der Politologin werden unter anderem verbale Ausfälle gegenüber Deutschen vorgeworfen.“?

Könnte es also sein, daß neben der „Bevölkerung“ hierzulande mit einer wunderschönen Sprache sogar ein Volk existiert?

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Kopf gut schütteln vor Gebrauch!“

Erich Kästner (1899 – 1974)

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Fortgesetztes Biedermeier

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11. Juni 2022: Bellarmin an Mephisto

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Am Dienstag gab es ein Foto, das ging um die Welt: Aus den Kulissen vor rotem Theatervorhang mit leuchtendem Antlitz tauchte hervor unsere deutsche Kanzlerin a. D..

Nach der wir uns noch zurücksehnen würden.

Auf der tatsächlichen Theaterbühne des Berliner Ensembles trat sie heraus aus den Kulissen.

Wie man meldete, vor „ausverkauftem“ Hause…

Für ein Interview!

Vor „ausverkauftem“ Hause!

Für ein Interview!

Für das erste Interview nach ihrem Ausscheiden!

Aus dem Amt!

Vor „ausverkauftem“ Hause!

Um sich dort vor versammeltem zahlenden Publikum anderthalb lange Stunden den Fragen eines (in Worten: eines!) Journalisten zu stellen. Selbiger war bereits vor dem Gespräch zitierbar mit der Eloge: „Meine Kanzlerin wird sie sowieso immer bleiben.“

Da bleibt kein Auge trocken…

Also ich stelle mir den Abend und ihn vor mit seinen Fragen wie all die Jahre die sogenannten Berliner Sommerpressekonferenzen der Kanzlerin im Zeitalter des merkelschen Biedermeier: allgemeines wohlgefälliges Wohlgefallen, garniert mit scherzender Heiterkeit.

Und das anschließend weltweit Aufmerksamkeit heischende Interview kam völlig überraschend! Die Tage vorher schien, soweit ich mitbekam, es nicht die geringste ankündigende Ankündigung in ein überregionales Medium geschafft zu haben.

Auch die öffentlich-rechtlichen Medien schienen zuvor nichts mitbekommen zu haben…

Also die Kanzlerin a. D. erschien regelrecht überfallartig.

Und vor Sprachlosigkeit fiel auch danach anscheinend keinem Journalisten mindestens die Frage ein: Was war denn das nun eigentlich für ein Publikum?

Wer hatte die Leute wie eingeladen?

Gab es eine Plakataktion?

Konnte da jeder kommen?

Oder hatte ein Beauftragter, und wenn ja welcher, die Teilnehmer, und wenn ja, welche, nach bestimmten Kriterien ausgewählt?

Ähnlich wie etwa seinerzeit zur huldvollen Versammlung mit Angela Merkel die 500 geladenen Stadtbürger von Chemnitz?

Nach der Messerstecherei mit tödlichem Ausgang?

Und welchem Zweck dienen die Einnahmen?

Nicht daß Du nun wieder denkst, ich weine hier leise vor mich hin, weil ich es versäumte, einem derartig weltweit beachtetem Interview beiwohnen zu können.

Dem strahlenden Auftauchen unserer Kanzlerin a. D. aus der Versenkung!

Nein, aus den Theaterkulissen.

Nach all dem dröhnenden Schweigen.

Ich denke, bei dem Angebot einer Eintrittskarte, also einem Eintrittsticket auf Deutsch, hätte ich eine(n) A(Ä)rztIn oder eine(n) ApothekerIn oder ein(?) divers(?) A(Ä)rz(?) oder ein(?) divers(?) Apotheker(?) aufgesucht.

Ob er, sie, es vielleicht ein Mittel hätten.

Gegen anderweitig unstillbare Lachkrämpfe.

Wenn die eigentlichen Themen des ausverkauften Interviews nicht so traurig gewesen wären…

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Donnerstag, 9. Juni 2022, NEUE ZÜRCHER ZEITUNG:

Es wäre schön gewesen, wenn Angela Merkel bei ihrem ersten größeren Auftritt seit dem Ende ihrer langen Amtszeit einen Gesprächspartner gehabt hätte, der sie nicht anhimmelt. Der Zuschauer, der von dieser Veranstaltung etwas anderes erwartet hat als wohlige Gefühle, fragt sich, was für eine politische Operette da aufgeführt wird.

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Donnerstag, 9. Juni 2022, RZECZPOSPOLITA:

Kaum jemand hätte von der ehemaligen Kanzlerin erwartet, dass sie mit solchem Eifer argumentieren würde, dass sie sich nichts vorzuwerfen habe und auch keine Notwendigkeit für eine kritische Analyse ihrer Russland-Politik sehe. Ist das Festhalten an einer solchen Linie nicht ein Kardinalfehler oder zumindest sträfliche Naivität, zumal wir hier von dem politisch und wirtschaftlich mächtigsten Land Europas sprechen? Aus Merkels Erklärungen lässt sich schließen, die Ukraine könne dankbar sein, dass sie sieben Jahre Zeit hatte, sich auf die Abwehr der russischen Aggression vorzubereiten.

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Donnerstag, 9. Juni 2022, LIDOVÉ NOVINY:

Die Kanzlerin a.D. sah keinen Grund, sich für irgendetwas zu entschuldigen, schon gar nicht für ihre früheren diplomatischen Bemühungen. Nach der Annexion der Krim habe sie sich gemeinsam mit Frankreich bemüht, eine weitere Verschärfung der Situation in der Ostukraine zu verhindern, was zum Minsker Abkommen führte. Daher habe die Ukraine sieben relativ ruhige Jahre für die eigene Entwicklung gehabt. In Kiew sieht man das genau umgekehrt – als sieben vergeudete Jahre, in denen sich der Westen unter der Führung von Deutschland und seiner Kanzlerin von Putin an der Nase hat herumführen lassen.

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Donnerstag, 9. Juni 2022, DE STANDAARD:

Deutschland ist eines der wichtigsten Länder in der EU und Merkel war die Russlandversteherin schlechthin: Sie konnte mit Putin auf Russisch und Deutsch reden, beide gehörten zur selben Generation und waren in ähnlichen Regimen aufgewachsen. Am Ende ihrer Amtszeit war Merkel die einzige, die Putin seit dem Beginn seiner Karriere kannte. Deshalb folgte ihr die EU auch, als sie befand, Europa müsse mit Russland im Gespräch bleiben. Es stellt sich die Frage, wie die Ukraine heute aussehen würde, wenn Merkel vor zehn Jahren klare Kante gezeigt hätte.

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Ich habe lange Jahre darum gebeten, den Bau von Nord Stream 2 zu stoppen. Ohne Erfolg. Ich habe ihr [Merkel] die Position unseres Teils von Europa geschildert. Wir haben dafür appelliert, diese Investition zu stoppen. Wir haben versucht ihr zu sagen, dass das eine imperiale russische Strategie ist, und die Waffe war das Gas.

Der Präsident unseres Nachbarlandes Andrzej Duda

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Das ewige Holliwutszenario

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28. Mai 2022: Bellarmin an Mephisto

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Familien unternehmen Ausflug ans Meer!

Delphine spielen mit kleinen Kindern!

Däddies erklären kleinen Kindern, daß man ein Versprechen immer halten müsse!

Däddies verabschieden sich von ihren liebevollen Frauen!

Kleine Kinder verabschieden sich weinend von ihren Däddies!

Däddies versprechen ihren Kindern, bis Ostern wieder daheim zu sein!

Familienväter von kleinen Kindern kommen herzzerreißend um!

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Liebespaare kommen durch!

Er ist zwanzigjähriger athletischer hochkarätiger Spezialist für bedrohliche Sauriereier!

Er verabscheut Gerichtsmedizinerinnen!

Sie rettet ihm sein weltweit anerkanntes Spezialistenleben anläßlich eines zufälligen Busunglücks!

Sie ist eine zwanzigjährige attraktive, weltweit geschätzte Gerichtsmedizinerin!

Sie ist ein Mädel wie du und ich!

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US-Präsidenten glauben es erst gar nicht!

Gerichtsmedizinerinnen überzeugen US-Präsidenten!

Schurkische Präsidentenberater wandeln sich kurz vor ihrem redlich verdienten bitteren Ableben in einen guten Menschen um!

US-Präsidenten retten die Welt!

Von kleinen Kindern dressierte Delphine (Du erinnerst Dich?) retten US-Präsidenten!

Die Welt erfährt unverhofft vom stillen Heldentum ihrer US-Präsidenten!

Nach einer hochdramatischen Auto-Verfolgungsjagd gerade noch rechtzeitig im letzten Moment in der Gerichtsverhandlung eintreffend kämpft die Gerichtsmedizinerin den zu Unrecht angeklagten Spezialisten für bedrohliche Sauriereier frei.

Das Liebespaar küßt sich vor dem Grabmal des bekannten Familienvaters!

Ein Saurierei bleibt übrig! (Für die Fortsetzung!)

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Film spielt die Drehkosten von zwölf Milliarden Dollar bei der Premiere wieder ein!

Zwölfjährige Schülerinnen wollen Gerichtsmedizinerin studieren!

Komponist erhält Oscar für herzergreifendste Filmmusik!

Komponist schluchzt herzergreifend, es gar nicht erwartet zu haben!

Der begeisterte ganze Saal klatscht herzergreifend gerührt zu seiner Bescheidenheit!

Drehbuchautor erhält Oscar für originellstes Drehbuch!

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Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!

Bertolt Brecht (1898 – 1956) Dreigroschenoper

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Opfer der eigenen Meinungsmache

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14. Mai 2022: Sehmann an Mephisto

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Wenn man nicht schon Kummer gewöhnt wäre, hätte einem in den vergangenen Tagen schlecht werden können in Deutschland.

Weil: Deutschland ist ein rassistisches Land!

Ja!

Ohne Wenn und Mutmaßlich!

Das hat man monitoringt.

Ich kriegte erst einen Schreck, aber dann erfuhr ich: Also man hat Menschen befragt und auch angedroht, das in Zukunft wieder zu tun.

Mir fiel ein Stein vom Herzen! Also nur eine Umfrage. Umfragen zu Meinungen sind ja seit längerem ein inflationär gängiges Mittel öffentlich-rechtlicher Medien, Faktenmeldungen über die wirklich wahre Realität zu umgehen.

Insbesondere wenn diese, wie gewöhnlich, sich unkorrekt gebärdet.

Die Realität.

Nur heißt diese Meinungsumfrage hier „dauerhaftes Monitoring“.

Oder auch: Der „neue Rassismusmonitor“.

Tatsächlich!

Aufgeregt wurde nun direkt kolportiert, Deutschland sei ein rassistisches Land!

Mitunter gleich als einleitender Satz der nachrichtlichen Meldung.

Und das habe ein „Monitoring“ festgestellt.

Erst wenn man sich die Zeit nahm und genauer hinhörte, konnte man, wenn auch nicht in allen Sendeanstalten in der nötigen Ausführlichkeit, eventuell entnehmen, daß die Hälfte der Befragten einer „Aussage“ (demnach einer vorgelegten These) „Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft“ zustimme.

Also dann muß es ja stimmen!

Gewählt ist gewählt!

Zum Glück fanden sich des dem „Rassismusmonitoring“ folgenden Tages doch noch etwas nachdenklichere Stimmen!

So zum Beispiel die MÄRKISCHE ODERZEITUNG:

Was genau wird unter Rassismus verstanden – waren es Gewalttaten, Beschimpfungen, oder wurden zum Beispiel ungeschickte Fragen gestellt? In der Studie wird unter Rassismus aufgelistet, was eigentlich in unterschiedliche Kategorien fällt. Dabei wäre es wichtig, die Befragten genau zwischen eher harmlos und beleidigend beziehungsweise gewalttätig unterscheiden zu lassen.

Jedenfalls haben die Begriffe Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus hierzulande zur Zeit Hochkonjunktur um anzuklagen, zu welcher Verworfenheit Deutschland inzwischen verkommen ist. Und in dem Chore der Ankläger mitzusingen verleiht natürlich auch das schöne Gefühl der Zugehörigkeit zur Gruppe der Anständigen, wie Gerhard Schröder sich und die üblichen Bescheidwisser und Richtigdenker zu benennen beliebte.

Die Anständigen!

Ich gehöre nicht dazu. Denn es widerspricht meiner Erfahrung und meiner Wahrnehmung, daß wir in einer rassistischen Gesellschaft leben.

Allerdings leben wir in einer Gesellschaft, in der leider auch, wie in anderen Gesellschaften unserer Hemisphäre, zum Beispiel Idioten, Rassisten, Antisemiten, Rechtsextremisten und Nazis herumlaufen.

Aber zum Glück gibt es in Deutschland wenigstens keine Linksextremisten!

Wenn in Hamburg während regelrechter Straßenschlachten ganze Straßenzüge verwüstet und in Berlin, Rigaer Straße, über 60 Polizisten bei einer Brandschutzkontrolle zusammengeschlagen und zum Teil schwer verletzt werden, dann heißen die Täter in den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien „Autonome“.

Im schlimmsten Fall „Linksradikale“.

Und die Staatsanwaltschaft wird nicht tätig.

Und die Journalisten auch nicht.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Schuster, rät jüdischen Bürgern, in bestimmten Gegenden keine Kippa zu tragen. Er sagte im RBB Hörfunk, sie sollten sich zwar nicht aus Angst verstecken. Die Frage sei aber, ob es angesichts zunehmender antisemitischer Straftaten sinnvoll sei, sich in Wohnvierteln mit einem hohen muslimischen Anteil als Jude zu erkennen zu geben.

Das war eine Nachricht am Donnerstag, dem 26. Februar 2015.

Kurz zuvor noch hatten deutsche Politiker und Medienvertreter vereint mutig im Chore getönt: „Wir sind alle Charlie!“

Nach dem entsetzlichen Attentat in Paris, bei dem mehrere Journalisten der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ grausam ermordet worden waren von mohammedanischen Attentätern.

Doch nun?

Hörte man gar nichts!

Angesichts einer plötzlichen Zunahme…

Welche Journalisten hatten denn vor oder nach dem Ratschlag des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland in welchen Print- und Onlinemedien oder auf welchen Sendern über welche der „bestimmten“ Wohnviertel „mit einem hohen muslimischen Anteil“ von antisemitischen Straftaten berichtet?

Welche Zahlen wurden genannt, damit man sich ein realistisches Bild hätte machen können über die Zunahme jener Straftaten und über ihre Dynamik?

Und über das Umfeld der Täter!

Um was für Straftaten handelte es sich denn eigentlich?

Wo befinden sich die „bestimmten“ Wohnviertel, in denen es gefährlich ist für jüdische Mitbürger? Ist es nicht die Pflicht, sie beim Namen zu nennen?

Sollten Kippaträger erst irgendwo anrufen müssen, um sich zu erkundigen?

Wie wurden und werden die Täter von den Medien eingeordnet?

Zählen sie diese zum sogenannten friedlichen Islam oder zum sogenannten radikal islamischen Islam oder zum so genannten islamistischen Islam?

Gelten sie gar als „integrierte Muslime“?

Ein neues Problem, urplötzlich aus heiterstem integriertem deutschem Himmel?

Kann es sein, dass das Problem in Wahrheit gar nicht neu war?

Wenn ja, welchen Grund hatte es, dass man davon erst aus dem Munde eines Betroffenen hörte?

Ist das nicht beschämend?

Wurde nicht schon im Jahr zuvor auf dem generell, also vorhersehbar antisemitischen al-Quds-Marsch von einem mohammedanischen Mob „Juden ins Gas gebrüllt“?

Auf deutschen Straßen?

Wie haben denn unsere, auf ihren Pressekodex stolzen Medien in der Folge sich nun darum gekümmert?

Und was haben sie über den „Lifestyle“, also die Lebensart jenes antisemitischen Pöbels, in Erfahrung gebracht?

Wäre das nicht mindestens eine abendfüllende Sendung wert gewesen im Lande der besonderen Verantwortung?

Es gibt doch nicht etwa eine Tabuisierung des mohammedanischen Antisemitismus in deutschen Medien?

Und all die üblichen tapferen Kerlchen und KerlInnenchen: wo waren und sind die permanent Empörten?

Wo sind sie denn plötzlich geblieben?

All die Anständigen!

Die Vögelein schwiegen und schweigen.

In den öffentlich-rechtlichen Medien…

Seit der Asylwelle in den Jahren 2015 und 2016 hat die Zahl der judenfeindlichen Demonstrationen mit muslimischen Teilnehmern sicher nicht abgenommen. In Deutschland lebende Juden fühlen sich laut eigener Aussage von radikalen Muslimen bedroht. Die Zahl der antisemitischen Straftaten liegt so hoch wie schon lange nicht mehr.

Muslimischer Antisemitismus ist in Deutschland verbreitet. Das belegt eine repräsentative Umfrage, die das American Jewish Committee Berlin (AJC) beim Allensbach-Institut in Auftrag gegeben hat. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass antisemitische Einstellungen bei in Deutschland lebenden Muslimen viel häufiger vorkommen als in der übrigen Bevölkerung.

Interessant sind nicht nur die Ergebnisse der Befragung, sondern auch die Tatsache, dass es in Deutschland bisher kaum empirische Untersuchungen zu diesem Thema gab. Nach der antisemitischen Demonstration im Winter 2017 vor dem Brandenburger Tor hätte vieles dafürgesprochen, das Phänomen von staatlicher Seite aus mit einer solchen Befragung untersuchen zu lassen.

Möglicherweise wollte man es aber gar nicht genau wissen. Wenn die Rede auf Antisemitismus kommt, dauert es nicht lange, bis deutsche Politiker dafür den Rechtsextremismus verantwortlich machen.

In vielen Staaten mit hohem islamischem Bevölkerungsanteil dominiert ein problematisches Judenbild. Der Antisemitismus korreliert nicht zwangsläufig mit dem Islam als Religion, ist aber gerade in einigen Ländern des Nahen Ostens so ausgeprägt wie fast nirgendwo sonst auf der Welt. Das passt allerdings nicht in das Bild, das deutsche Politiker gerne von Muslimen zeichnen.

Auch weil es immer mehr muslimische Wähler gibt, versuchen sie, den Islam zu umarmen. Vertreter von CDU und SPD überbieten sich zum Beispiel mit öffentlichen guten Wünschen zu Beginn des Fastenmonats Ramadan. Auf die Spitze trieb es aber im Jahr 2015 der damalige deutsche Justizminister Heiko Maas: Nach dem Terroranschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ besuchte er umgehend eine Moschee. Man hätte meinen können, Muslime wären Opfer und nicht die Täter gewesen.

In anderen europäischen Staaten, wie zum Beispiel Dänemark, hat ein Umdenken eingesetzt. Hier wird von der Regierung die Frage gestellt, wie viel muslimische Zuwanderung einer liberalen Demokratie guttut. Neben judenfeindlichen Einstellungen bringen Migranten aus islamisch geprägten Regionen oft auch weitere problematische Überzeugungen mit – zum Beispiel ein groteskes Frauenbild oder die Ansicht, gleichgeschlechtliche Liebe sei verdammenswert.

Solche Einstellungen können sich mit der Zeit genauso ändern wie ein gesellschaftlich tradierter Antisemitismus. Es wäre aber naiv, hier auf den kollektiven Gesinnungswandel bei in Deutschland lebenden Muslimen zu hoffen. Stattdessen müssten die verantwortlichen Politiker das Problem endlich beim Namen nennen und sich ein Beispiel an Staaten wie Dänemark nehmen.

11. Mai 2022, Neue Zürcher Zeitung

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