A N A B A S I S

Thalatta ! Thalatta !

Schlagwort-Archiv: Leonid Breshnew

Beweis der Nützlichkeit von Vorurteilen an diversen Beispielen sich bewahrheitender Prognosen

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Freitag, 1. September 2023: Bellarmin an Mephisto

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Heute vor sieben Jahren und sieben Tagen, genau also vor 2562 Tagen, schrieb ich Dir einst, nämlich am Freitag, dem 26. August 2016:

Ich glaube, es ist etwas dran an Deiner Aversion gegen unseren wackeren Steinmeier mit seiner sozialdemokratischen Brille im Hinblick auf die Russen und ihren Herrscher. Ich wunderte mich auch, daß man ausgerechnet Steinmeiers Parteifreund Erler zum Rußlandbeauftragen der Bundesregierung bestallt hatte, und daß von deutscher Seite unverdrossen sein Parteifreund Platzeck noch immer dieser ach so typisch russischen Propagandaveranstaltung wie dem sogenannten Petersburger Dialog vorsteht. Von dem durch Putin in ach so typischerweise eingewickelten Duzfreund Schröder mitinitiiert. Lauter Sozialdemokraten an Stellen, an denen es auf klare Kante ankäme statt auf Wachs und Watte. Die wirksamste Waffe gegen dieses traditionelle großrussische Gehabe ist nämlich das stete begriffliche Fassen und beharrliche Aussprechen der Wahrheit.

Also das genaue Gegenteil der russischen Staatsräson.

Und darum wie die Pest gefürchtet.

Ich finde über die Jahrhunderte kein treffenderes Symbol für Rußland als die Potemkinschen Dörfer. Deren Kulissenbauten, Ironie der Geschichte, der Fürst ja ausgerechnet auf der frisch eroberten Krim errichten ließ…

Es gibt nichts Neues unter der Sonne auch bei den Russen: Die Lüge und der Schein stehen über dem Sein.

Und die brutale Menschenverachtung und Destruktion.

Und beständig die bäuerliche Verwechslung von Quantität mit Qualität: Alles was groß ist und glänzt, ist gut. Und alles Viele und jedes Unmaß.

Bolschoi Theater und beileibe kein Zirkus.

Sondern Staatszirkus.

Nun rätselte der Westen, und Steinmeier schwieg, was denn Zar Wladimir Wladimirowitsch beabsichtigt haben mag mit der angeblichen Niederschlagung einer angeblichen Panzerattacke auf die Krim. Alle Welt war sich sicher, und Steinmeier schwieg, daß es sich hier um eine plumpe, also russische Inszenierung handele.

Aber zu welchem Zweck?

Man orakelte, und Steinmeier schwieg, Wladimir Wladimirowitsch, dessen russische Wirtschaft derzeit siecht zufälligerweise, wolle vor den anstehenden Wahlen zurückgreifen auf die probate Ablenkung mittels Volksaufhetzung gegen die angebliche Bedrohung durch und die Schuldzuweisung für jegliche Misere an einen äußeren Feind. Nämlich die „unrechtmäßigen“ „faschistischen“ Machthaber in Kiew. Welche hätten mit der vereitelten Attacke die Krim zurückerobern wollen.

Weniger Beachtung im Westen fand, daß Wladimir Wladimirowitsch jenen angeblichen Angriff als Grund anführte für die augenblicklich folgende Stationierung von Raketenabwehrsystemen auf der annektierten Halbinsel.

Wozu Steinmeier schwieg.

Jetzt werde auch ich Dir das Geheimnis verraten, was Wladimir Wladimirowitsch wirklich will. Wladimir Wladimirowitsch will, und es ist, wie ich glaube, kein allzu großes Wagnis zu behaupten, die Russen wollen es, die Russen wollen den Korridor zur Krim. Eher über kurz als über lang, zeitlich gesehen. Und eher lang als über kurz, räumlich gesehen.

Am liebsten gleich über Odessa durch bis Transnistrien.

Und wie unter Katharina unter dem Namen „Neurußland“, idiologisch, Pardon, ideologisch gesehen.

Allerdings könnten dazu, wie kürzlich also vorexerziert, noch ein paar neue russische Inszenierungen nötig werden.

À la „Fall Gleiwitz“.

Ich glaube Steinmeier muß verdammt aufpassen, daß er nicht eines Tages eingeht in der, Pardon, in die Geschichte, gefilmt als frohgemut mit dem Papier des Minsker Abkommens wedelnd aus einem Flugzeug kletternd. Wie einst Arthur Neville Chamberlain wedelnd mit dem Münchener Abkommen, meinend den „peace in our time“ (Chamberlain) gesichert zu haben.

DER SPIEGEL 34/2016 vom 20.8.16 unter den Überschriften: „Über die Hilflosigkeit der deutschen Russland-Diplomatie“ und „Deutsche Selbstaufgabe“:

Die russische Führung ist bar jeden Selbstzweifels, sie glaubt, mit ihrem Konfrontationskurs durchzukommen. De facto wird sie vom deutschen Außenminister darin bestärkt, weil der es vermeidet, Moskau auch öffentlich mit klaren Worten Grenzen aufzuzeigen.

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Und heute vor 2506 Tagen, nämlich am Freitag, dem 21. Oktober 2016, schrieb ich Dir:

Meinst du, die Russen woll’n,

Meinst du, die Russen woll’n,

Meinst du, die Russen wollen Krieg?

Man könne doch wohl kaum das russische Friedlieben in Frage stellen!

Oder?

Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ hatten sie irgend einen sowjetischen Agitprop-Einplattenbesinger auf Deutsch singen lassen, zu plärriger Estraden-„Abends-an-der-Moskwa“-Tanzewalnaja-Orchestra-Musik. Ich habe den Mann nie gesehen, doch stets glaubte ich bei seiner zufälligerweise pathetischen Darbietung, seine Glatze zu hören.

Meinst du, die Rus-sen woll’n,

Meinst du, die Rus-sen woll’n,

Meinst du, die Rus-sen wol-len Krieg?

Die Platte wurde vor dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in Prag in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik ausgiebigst aufgelegt. Doch all der Ostalgie zu Trotz wird sie heute nicht mehr gespielt, aus irgend einem Grund. Nicht einmal im Mitteldeutschen Rundfunk mag man sich an die russische, Pardon, an die sowjetische Friedensliebe erinnern! Wo dort doch fast jedem Mief eines Dedeärr-Furzes tränenreich nachgeschnuppert wird. Allerdings wie gesteuert selektiv, und das Wörtchen „fast“ ist durchaus berechtigt: Beispielsweise der seinerzeit die russische Propaganda unfreiwillig entlarvende zweiteilige Schulpflicht-Kinofilm „Das russische Wunder“ „vom Werden des ersten Landes des Kommunismus“ von Annelie und Andrew Thorndike ist bisher noch nicht wiederholt worden.

Der Mitteldeutsche Rundfunk erinnert auch damit fatal an einen Dedeärr-Sender: Wichtig war immer, welche Platte nicht aufgelegt wurde.

Welche und warum.

Als angesichts der russischen Brutalität der Bombardierungen in Syrien, auf Zivileinrichtungen, auf Krankenhäuser, selbst auf einen UNO-Hilfskonvoi, jüngst Forderungen laut wurden nach einer Verschärfung der Sanktionen, insbesondere gegen die Kriegspartei Rußland, meldeten sich natürlich sofort die üblichen Verdächtigen.

Wir kennen die Weise und wir kennen das Parteibuch.

Wir kennen den deutschen Außenminister und den deutschen Rußlandbeauftragten und wir kennen den unverwüstlichen Vorsitzenden des sogenannten Petersburger Dialogs… Und wir kennen den deutschen Wirtschaftsminister. Der die Wirtschaft, inklusive die ostdeutschen Käsefabrikanten, hinter sich weiß. Die profitgeile Wirtschaft, die stets unbeirrt glaubt, Rußland wäre ein sicherer Markt und ein zuverlässiger Partner. Und die zuverlässig völlig unerklärlicherweise alle paar Jahre aus allen Wolken fällt. Wo man sich es doch derart schön gedacht hatte mit dem Partner.

Also es meldeten sich die üblichen Geschichtsvergessenen, im Einklang übrigens mit den hochgehaltenen Tranparentaufschriften der vorgestern zur Begrüßung Wladimir Wladimirowitschs vor dem Berliner Kanzleramt aufmarschierten Claqueure.

Man solle doch lieber auf Dialog setzen!

Als würde der, insofern er nicht nur auf die typisch russische, also plumpe Propaganda und dümmlich suggestive Effekthascherei à la „Meinst du die Russen woll’n…“ hinausliefe, Rußland verweigert werden.

Aufgrund gewisser historischer und gewisser Lebenserfahrungen sollte man jedoch nicht glauben, daß sich Kriegsverbrecher und Auftraggeber von Auftragsmorden allein durch gutes Zureden bessern.

Und aus ebendenselben Gründen halte ich die Nachricht für äußerst wichtig, daß man nun endlich selbst in Brüssel darüber nachzudenken beginnt, ob Rußland noch ein „strategischer Partner“ wäre.

Denn Wladimir Wladimirowitschs faschistische Russentümelei ist kein Betriebsunfall russischer Geschichte.

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Wir Großrussen haben uns immer roh gegen unterworfene Völker benommen. Das einzige, was wir gekonnt haben, war, sie zu unterdrücken.

Wladimir Iljitsch Lenin (1870 – 1924)

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Und vor 1915 Tagen, nämlich am Montag, dem 4. Juni 2018, schrieb ich Dir über „Mord, Lüge und Heimtücke“:

Nun war ich gerade drauf und dran, den Mann auch einmal zu loben. Nämlich unseren ehemaligen Justiz- und aktuellen Außenminister. Denn im Gegensatz zu seiner früheren Erscheinung hat er in der jetzigen Position wirklich eine gute Figur abgegeben, sowohl in Israel als auch gegenüber Rußland.

Schon allein dadurch, daß er einfach sagte, was ist.

Im Bezug zu Rußland zum Beispiel (DER SPIEGEL 16/2018):

Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs wurden mitten in Europa geächtete chemische Waffen eingesetzt, Cyberangriffe scheinen zu einem Bestandteil russischer Außenpolitik zu werden, in einem so schwerwiegenden Konflikt wie in Syrien blockiert Russland den Uno-Sicherheitsrat – das alles trägt nicht zur Vertrauensbildung bei.

Oder:

Ich glaube zumindest nicht, dass irgendetwas besser wird, wenn wir den Eindruck erwecken, dass wir die schwierigen Entwicklungen einfach stillschweigend akzeptieren. Je komplizierter das Verhältnis, eine desto klarere Sprache brauchen wir.

Oder:

Es gibt klare Vereinbarungen, die vorsehen, dass Sanktionen erst abgebaut werden, wenn Russland seine Verpflichtungen erfüllt. Pacta sunt servanda, daran sollten wir uns halten.

Endlich!

Doch diese im Vergleich zu seinen Amtsvorgängern realistischere Position gegenüber Rußland wird, und dies von der Berichterstattung deutscher Medien ausnahmslos wie blöde kolportiert, permanent als „hart“ apostrophiert von seinen sozialdemokratischen Parteigenossen. Der rappelköpfige Unmut dieser Leute steigerte sich dermaßen, daß der Heiko Maas letzte Woche extra zu einer Sondersitzung vor ein Parteigremium einbestellt wurde.

Um ihn zurückzupfeifen!

Und die deutsche Außenpolitik in eine geistig eingeengte, also sozialdemokratisch genehme, zu verwandeln.

Ein eigentlich doch ungeheuerlicher Vorgang!

Dessen Dimension wieder einmal von deutschen Medien nicht im mindesten erfaßt wird!

Soweit durchdrang, soll auf jener Parteiveranstaltung zur sozialdemokratischen Festlegung der deutschen Außenpolitik die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles sogar von „deutsch-russischer Freundschaft“ gefaselt haben.

Das hätte ohne weiteres auch aus der Linkspartei kommen können.

Von ihrem Parteigenossen Gregor Gysi einst mit dem Spitznamen Klara Klarsicht belegt aus irgend einem Grund, macht sich die in den Medien stets überpräsente Sahra Wagenknecht derweil schon munter stark für einen europäischen Zusammenschluß mit Rußland für eine Einheitsfront gegen die USA.

Deshalb will ich mit meinem Lob doch erst einmal abwarten, ob sich der Zurückgepfiffene hat zurückpfeifen lassen.

Bislang knüpft die EU die Aufhebung der Sanktionen jedenfalls an eine vollständige Erfüllung der Minsker Vereinbarungen, die ein Ende der Gefechte und den Abzug schwerer Waffen von der Front in der Ostukraine vorsehen.

Ich will erst abwarten, ob Heiko Maas nun auch in seiner Genossen Geseier einstimmt vom Abbau der Sanktionen. Oder in das Geseier von der Dialogsuche mit Moskau.

Als hätte jemals jemand gefordert, nicht mehr mit den Russen zu reden!

Im Gegenteil!

Doch zu einem konstruktiven Dialog gehören immer zwei.

Wir müssen uns in der Russlandpolitik an den Realitäten orientieren. Russland hat sich selbst immer mehr in Abgrenzung und teilweise Gegnerschaft zum Westen definiert. Russland agiert leider zunehmend feindselig: der Giftgasanschlag in Salisbury, die Rolle in Syrien und der Ostukraine, Hackerangriffe, auch auf das Auswärtige Amt. Dennoch: Ich habe bei allem, was wir in den letzten Wochen getan haben, auch immer darauf hingewiesen, dass wir mit Russland im Dialog bleiben müssen. Wir brauchen Russland, nicht nur wenn wir den Syrienkonflikt lösen wollen.

Ich muss aber zur Kenntnis nehmen, dass die meisten unserer Partner mittlerweile einen sehr kritischen Blick auf Russland haben und zum Teil die Möglichkeit eines Dialogs bezweifeln. In der Vergangenheit waren sie zum Teil bereit, sich von Deutschland mitnehmen zu lassen, heute fragen sie: Was hat das gebracht?

(Originalton Heiko Maas, im erwähnten SPIEGEL, also noch vor der SPD-Parteisitzung)

Daß die „meisten unserer Partner mittlerweile einen“ realistischeren Blick auf Rußland gewonnen haben als ihre deutschen Kollegen Steinmeier und Gabriel und deren Parteigenossen, ist allerdings etwas beruhigend im Hinblick auf die künftige deutsche Außenpolitik.

Zur Sicherheit.

Denn noch immer hört man aus der SPD, man solle nun endlich zurückzukehren zur brandtschen Ostpolitik! Das klang auch an in dem SPIEGEL-Interview:

SPIEGEL: Die SPD hat eine lange Tradition des Dialogs mit Russland. Was ist für Sie die Lehre der Ostpolitik Willy Brandts?

Maas: Zur Ostpolitik gehört für mich nicht nur Russland, dazu gehören auch die osteuropäischen Staaten. Um die müssen wir uns mehr kümmern, als das manchmal in der Vergangenheit der Fall war.

Dem drängt es mich hinzuzufügen:

Das Verhältnis zu Rußland kann heute nicht gestaltet werden mit Mitteln der neuen Ostpolitik à la Willy Brandt und Egon Bahr, ihrer einstmaligen und heute leider schon wieder unterschätzten Genialität zum Trotze. Ein Grund ist die Verkennung des Interessenwandels der russischen Seite von damals zu heute.

Damals ging es der russischen Seite um die Sanktionierung der Grenzen ihres illegitimen Imperiums durch den Westen. Ihres sowjetisch genannten, also russischen, also menschenverachtenden Imperiums, das sie sich nicht zuletzt vermittels ihrer typischen, also verlogenen Doppelzüngigkeit auf der Konferenz in Jalta erworben hatte. Erinnert sei nur an die Zusage der Abhaltung freier Wahlen auf der Grundlage des allgemeinen und geheimen Wahlrechts in allen vom Faschismus befreiten Ländern („Erklärung über das befreite Europa”).

Beispielsweise in Polen.

Damals hing das Interesse der Sowjet-Union, also Rußlands, an einer Anerkennung der europäischen Nachkriegsordnung, insbesondere einer Sanktionierung der bestehenden Grenzziehung, also an der diplomatischen Absicherung ihrer Einflußsphäre. Übrigens inklusive einer Anerkennung des in mehrfacher Hinsicht doch eigentlich symptomatischen Hitler/Stalin-Paktes im Hinblick auf die russische Besetzung der baltischen Staaten!

Die sie vermittels der neuen Ostpolitik und der KSZE im Gefolge erhielt.

Heute handelt das russische Interesse jedoch von Veränderung bestehender Grenzen und von Beschneidung nachbarstaatlicher Souveränität. Es geht nicht um Bestätigung, sondern um Veränderung des Status quo.

Bei dem sogenannten Konflikt in der Ostukraine beispielsweise handelt es sich doch nicht um einen ukrainischen Bürgerkrieg mit Separatisten!

Sondern um eine kriegerische Aggression.

Die ohne Söldner, Waffen und Material aus Rußland augenblicklich ihr Ende fände.

Wie spdämlich verkleistert muß man eigentlich sein im Hirn, um das nicht zu erkennen?

Weiterhin geht die Fehleinschätzung immer noch aus von der illusorischen Sehnsucht nach einer Partnerschaft zwischen dem Westen und Rußland.

Man verkennt in gefährlicher Weise die Gegnerschaft!

So wird man Protagonist lobbyistisch untergrabender Propaganda und macht sich im leninschen Sinn zum nützlichen Idioten des russischen Chauvinismus. Folglich gibt man sich immer noch Illusionen hin bezüglich putinscher Absichten und glaubt, den Auftraggeber von Auftragsmorden beschwichtigen zu können wie einst Hitler mit dem Münchener Abkommen.

Für den „Konflikt“ gäbe es keine militärische Lösung, lautete geschichtsvergessen das gravitätisch dahergeschwätzte Mantra steinmeiernder Außenpolitik.

Nach dem Sieg der Alliierten über Hitlerdeutschland!

Ein Mantra, dessen Verabsolutierung jeglicher Aggression die Landesgrenzen öffnen würde und ihr zum Durchmarsch verhülfe.

Wie Hitler das Münchener Abkommen.

Wie Vergangenheit und Gegenwart aber lehren, gibt es auch „Konflikte“, also Aggressionen, die allen Hoffens und Wünschens zum Trotz sich nicht friedlich lösen lassen.

Und inzwischen führte der lupenreine Demokrat im Kreml mehrfach vor, wie sich „Konflikte“ durchaus militärisch lösen lassen.

Apropos Steinmeier… Das ist derselbe Mann, um nur bei einigem bei dem vielen, was zu sagen wäre, zu bleiben, das ist also derselbe Mann, der angesichts der russischen Aggressionen, beispielsweise die in der Ostukraine, mit all seinen Anstrengungen und Bemühungen zur Erlangung des Friedensnobelpreises bei jeder einzelnen vorhersagbar scheiterte. Der jedesmal, also bei weitem nicht nur in Genf und Minsk, an der Fehleinschätzung der durchaus üblichen und vorhersehbaren Verlogenheit der russischen Seite scheiterte! Der als nützlicher Idiot immer glaubte und mit seinen SPD-Epigonen noch immer glaubt, den „Konflikt“, also die Aggression, mit Mitteln der brandtschen Ostpolitik lösen zu können und bis heute den wesentlichen außenpolitischen Interessenunterschied nicht begriffen hat.

Der ehemalige deutsche Außenminister und heutige Bundespräsident, der Wladimir Wladimirowitsch ebensowenig durchschaute wie die jahrhundertalte Politik der chauvinistischen Russifizierung fremden Territoriums und unbekümmert den Abbau der Sanktionen fordert!

Gefährlicherweise.

Der sich von den Russen bedenkenlos den Begriff „Separatist“ aufdrängen ließ für russische Träger russischer Waffen.

Während bei alldem Euer wackerer Steinmeier und seine Epigonen sich immer fragten, was der gegenwärtige Herr aller Reußen denn ureigentlich wolle.

Und der, zeitweilig im 24-Stunden-Rhythmus, die NATO (!) und den Westen (!) warnte, tatsächlich, vor „lautem Säbelrasseln“ und, tatsächlich, vor „Kriegsgeheul“!

Und der dafür sehr gelobt wurde im Netz von Trollen, die nach Rubel stanken und nach Machorka.

Aber daß er den Auftraggeber, daß er den im Ergebnis der denkwürdigen Londoner Untersuchung über den Plutonium-Mord gleichzeitig als „vermutlichen“ Auftraggeber von Auftragsmorden Bezeichneten ebenfalls eines mahnenden Wortes gewürdigt hätte, wenigstens einmal, einmal wenigstens nach der Okkupation der Krim – nichts davon.

Wenn ein erster Preis für die scheinintelligenteste Frage zu vergeben wäre in Deutschland, sollte man ihn der amüsanten Grübelei widmen, was der Auftraggeber denn wolle mit all seinen Machinationen.

Die Frage abendländischer Logiker.

Zweiter Preis: Ob er noch die Kontrolle ausübe über die „Separatisten“. Wobei das Adverb „noch“ jenes Fragesatzes als besonderes Juwel ins Auge sticht. Und zur Beruhigung: Er hat sie.

Und er hatte sie.

Selbst wenn die manchmal so tun, als schössen sie von alleine weiter.

Tja, was mag er wohl wollen, unser verkniffen lächelnder Wladimir Wladimirowitsch, der sich, treffsicher auf das typische geistige Niveau seiner zu mehr als 80 Prozent hinter ihm stehenden russischen Anhängerschaft zielend, gern präsentiert mit heldisch freiem Oberkörper.

Wenn Ihr es nicht aus der russischen Geschichte herauszulesen wißt, den Wert russischer Bekundungen und Beteuerungen und russischer Zusagen solltet Ihr selbst bei Euch im russenfreundlichen Deutschland doch zwischenzeitlich etwas besser einzuschätzen gelernt haben.

Wenigstens das Kurzzeitgedächtnis anknipsen, bitte!

Wenn Du mir nun noch versprichst, es nicht weiter zu sagen, verrate ich Dir jetzt sogar die Antwort auf die Frage für den ersten Preis, ganz im Vertrauen. Tja, also der Wladimir, also was der will, das ist eigentlich ganz einfach:

Der Wladimir will russischen Frieden!

In welchem, wenigstens als dessen Vorstufe, transnistriesche Zustände verewigt werden.

Wie auch in Südossetien und Abchasien.

Wo Russen auf einem Fünftel georgischen Territoriums die geraubten Gebiete mit dem Ausbau von Grenzbefestigungen und mit provokativen Militärübungen absichern und gegen jedes Völkerrecht den georgischen Luftraum drohend mit ihren Kampfjets durchpfeifen.

Wer spdämlich glaubt, das gegenwärtige russische Gebaren wäre lediglich eine Folge der obamaischen Einstufung Rußlands als Regionalmacht, und die russische Politik wäre ohne diese scharfsichtige Beobachtung auch nur um ein Jota anders verlaufen, der hat die russische-Erde-Gewinnungspolitik seit Iwan dem Schrecklichen nicht begriffen.

Und wird auch künftig und regelmäßig mindestens alle paar Jahre erstaunt und unsanft aus allen sozialdemokratischen Wolken fallen.

Im mildesten, wenngleich nicht im milden Fall.

Einer wirksamen Politik der Eindämmung des typisch russischen Hegemonialstrebens statt seiner illusorischen Beschwichtigung könnten vornehmlich drei Grundsätze als Basis dienen:

1) Rußland sind international keinerlei Sonderrollen und Sonderrechte und besondere Mitspracherechte zuzubilligen!

Rußlands taktisches Bestreben ist beständig gerichtet auf die Beanspruchung von Sonderrollen und Sonderrechten gegenüber den Anrainerstaaten und global.

Beispiel:

Rußland gehörte und gehört nicht in die G7!

2) Rußland kämpft grundlegend gegen den Westen, gegen seine Werte und seine Kultur.

Es handelt sich um eine tolle Torheit, das zu verkennen!

Darum:

Rußland ist kein Partner!

Rußland ist Gegner!

Strategisch bedeutet dies beispielsweise: Statt soviel wie möglich Wirtschaftsbeziehungen mit Rußland so wenig wie nötig. Alles andere wird zum Übel.

Der von Wladimir Wladimirowitsch propagierte Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok würde für den Westen zum Übel.

3) Das Licht der Wahrheit und Öffentlichkeit scheut der Kreml wie der Teufel das Weihwasser. Das bedeutet: Gegenüber Rußland statt diplomatischer Kotaus stetig klare Ansage mit klaren Begriffen und deutliche und öffentliche Benennung von Fakten und Tatsachen.

Beispiel:

In Rußland herrscht ein faschistoides verbrecherisches Regime. Mit Mord, Lüge und Heimtücke.

Und wer das „lupenrein demokratisch“ nennt, macht sich mitschuldig.

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Der Kommunismus als Prinzip der Neuordnung der Klassenbeziehungen existiert ja gar nicht mehr. Der Kommunismus ist ja heute das Prinzip des Expansionsdranges eines Nationalstaats. Und heute ist die Frage ‚Kommunist oder Sozialdemokrat?‘ die Frage ‚Russe oder Deutscher‘.

Und wir sind die Deutschen!“

Kurt Schumacher (1895 – 1952), nach neun Jahren, neun Monaten und neun Tagen Haft in nationalsozialistischen Konzentationslagern im Nachkriegsdeutschland SPD-Parteivorsitzender, am 1. November 1947 in Berlin

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Heute vor 1734 Tagen, nämlich am Sonntag, dem 2. Dezember 2018, hatte ich Dir geschrieben darüber „Wie sich der Westen gefährlich verrechnet“:

Im Hinblick auf die jüngste der russischen Aggressionen gegen die hilflose Ukraine hat letzten Donnerstag die Kanzlerin gesteinmeiert, es werde keine militärische Lösung geben…

Jenial!

Hätte man das bloß schon ein paar Jahre früher gewußt!

Dann hätte der Westen schon 1938 in Minsk, Pardon, in München diese Weisheit dem Führer unter die Nase reiben können.

Was wäre der Menschheit erspart geblieben!

Ich komme richtig in Hochstimmung!

Ich glaube sogar, der Neville Chamberlain hatte auch schon derart weise gedacht.

Hätte er das Zauberwort nur rechtzeitig ausgesprochen!

Was sagst du?

Wie könne ich es wagen, Wladimir Wladimirowitsch Putin zu vergleichen mit Adolf Hitler?

Nun ja, weißt du, in gewissen Hinsichten halte ich es sogar für dringend angeraten, vergleichende Historie zu betreiben. Das kann sehr lehrreich sein. Und vergleichen heißt nicht gleichsetzen.

Es ist ein Irrtum zu glauben, Geschichte wiederhole sich nicht!

Beispielsweise halte ich beide kleingeistigen Emporkömmlinge für recht ähnliche Hasardeure. Die Schritt für Schritt ausprobieren, Pardon, die austesten, wie weit sie gehen können.

Damals wie heute: wie und inwieweit der Westen reagieren wird.

Und Hitler hatte sich dann ja auch erst ein knappes Jahr später verrechnet mit der felsenfesten Annahme, auch mit dem Einmarsch in Polen ginge es wieder ohne Kriegseintritt der Alliierten ab. Wie seinerzeit bei seinen Einmärschen in die entmilitarisierte Zone des Rheinlandes, in Wien und in Prag…

Es wird keine militärische Lösung geben“ – den Satz sollte man auszeichnen mit dem ersten Preis der Weisheiten, die zu nichts nützen.

Putin, Pardon, Hitler wollte den Korridor nach Kaliningrad, pardon, nach Königsberg…

Putin will das Asowsche Meer. Putin will über Mariupol den Korridor zur Krim. Putin will dann von der Krim über Odessa den Korridor nach Transnistrien.

So, und dann kommen die größeren Sachen…

Der Westen ist befangen in dem gefährlichen Irrtum, Putin denke und handle rational. Das tut der auch, allerdings nicht nach aristotelischer Logik.

Sondern nach jahrhundertalter russischer Bauernlogik mit dem historischen Hauptmerkmal fortwährender Verwechslung von Quantität mit Qualität: Alles was groß ist und viel und pompös und was glitzert und glänzt und protzt, hält man in Rußland für gut.

Bolschoi, bolschoi!

Wenn Rußland groß, dann Rußland gut!

Deshalb hält Putin den Zerfall der Sowjetunion (und natürlich auch des Ostblocks!), also die erfreuliche Wiedergewinnung der Souveränität vormals von Russen geknechteter Völker, für die größte Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts.

Also nicht etwa die Weltkriege!

Die russische Logik heißt tatsächlich: Weil Rußland das an Quadratkilometern größte Land ist, ist Rußland das beste und schönste Land der Erde.

Deshalb erntet Putin Beifall und wird immer Beifall ernten in Rußland mit der uralten Politik Iwans des Schrecklichen beim „Sammeln russischer Erde“.

Diese Denkweise erscheint dem Westen als zu primitiv, als daß man hier dächte, daß im 21. Jahrhundert ein verantwortlicher Politiker so dächte.

Und das ist eben das Gefährliche: Man grübelt immer, was Putin wirklich will, und die seltsamen Putinversteher in Deutschland kriegen feuchte Augen, wenn Wladimir Wladimirowitsch phantasiert über einen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok…

Deshalb wird der Westen immer wieder überrascht und findet keine Antwort.

Der Westen muß flacher denken lernen und sich etwas mehr auskennen in der jahrhundertlangen Geschichte des jahrhundertalten russischen Imperialismus und Chauvinismus und dem russischen Haßneid auf den Westen, wenn er sich hineinversetzen will in Wladimirs Schädel.

Meine Prognose seit 2014: Mit der Einverleibung der Krim ist es nicht abgetan und hört es nicht auf und ist der Krieg und die imperialistische Aggression Rußlands gegen die Ukraine keinesfalls beendet und wird auch nicht beendet werden vermittels gutem Zureden im Dialog beispielweise im sogenannten Normandie-Format oder durch das Minsker Abkommen.

Und es handelt sich übrigens um einen immensen Schwachsinn und eine illusorische Augenwischerei und um ein deutsches schuldbewußtes Wunschdenken par excellence, auf eine eventuelle künftige und eben noch nicht und schon gar nicht verbindlich gegebene Garantie Putins zu vertrauen, der für die Ukraine lebenswichtige Gastransfer durch die Ukraine werde einmal von dem Schröder-Projekt Nordstream und Nordstream 2 nicht beeinträchtigt werden, denn diese Beeinträchtigung ist exakt der strategische Zweck der Anlage!

Stop!

Genau das wäre ein wirksames Mittel des Westens gegen den russischen Imperialismus!

Neben beständig klarer Ansage.

Und was Putin hält von Recht und Vertragstreue hat er durch die vom Westen weitgehend unbeachtete Sperrung und die vollzogene Einverleibung des Asowschen Meeres samt seinen Bodenschätzen allein durch den Brückenbau über die Meerenge von Kertsch bewiesen.

Und, wie Hitler, infolge der inadäquaten westlichen Reaktionen wird Putin immer enthemmter!

Der britische GUARDIAN am Mittwoch, dem 28. November 2018:

Seit der Annexion der Krim haben wir den Abschuss von Flug MH17 durch moskautreue Rebellen erlebt, die gnadenlosen Bombenangriffe zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, den Giftanschlag auf die Skripals in Salisbury und immer neue Beweise für politische Einmischung.

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Am Brandenburger Tor hört eure Macht auf, ein für allemal in der Weltgeschichte.“

Ernst Reuter (1889 – 1953) in dieser Woche vor 70 Jahren am 27. November 1948 auf einer Wahlkundgebung der SPD im Berliner Titania-Palast

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Ein Jahr später, heute vor 1362 Tagen, nämlich am Montag, dem 9. Dezember 2019, schrieb ich Dir über „Das russische Muster“:

Zu Trick 17 aus der rhetorischen Mottenkiste zählt die Methode: Unterstelle der Gegenseite eine von ihr nichtbehauptete Behauptung und widerlege sie ausführlich! Hier als Paradebeispiel (nebst einer ergänzenden Zählung) vorgeführt mittels eines Interviews, das der Deutschlandfunk am Morgen des Nikolaustages zum zufälligerweise schon wieder an Rußland klebenden Thema „Mord“ mit der Folge der Ausweisung zweier russischer Diplomaten aus Deutschland führte:

Christoph Heinemann: Am Telefon ist Dietmar Bartsch, Co-Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag, Wahlkreis Rostock. Guten Morgen.

Dietmar Bartsch: Guten Morgen! – Ich grüße Sie.

Heinemann: Herr Bartsch, reichen zwei unerwünschte Diplomaten für einen mutmaßlichen Auftragsmord?

Bartsch: Ich glaube, das kann man so gegeneinander kaum aufwiegen. Natürlich ist das zunächst mal ein symbolischer Akt, der in der Sache nicht sonderlich weiterhilft. Auf der anderen Seite führt er natürlich auch erwartbar zu entsprechenden Reaktionen in Russland. Klar ist für mich: Moskau muss kooperieren mit den Strafverfolgungsbehörden, weil ansonsten logischerweise der Verdacht, dass dort irgendetwas nicht oder, sagen wir mal so, dass es doch staatlich gelenkt ist, der bleibt und deshalb ist das zu erwarten. Aber diese Ausweisung, die ist mehr symbolisch, weil die werden irgendwann auch wiederkommen.

Heinemann: Ist sie richtig?

Bartsch: Ich glaube, dass man zumindest einen solchen symbolischen Akt durchführen musste. Man kann das nicht auf sich beruhen lassen. Auf der anderen Seite muss das Ziel klar sein. Es gibt wenig Sinn, jetzt hier zu eskalieren, weil es gibt natürlich auch in absehbarer Zeit den Ukraine-Gipfel, der extrem wichtig ist, in Paris am Montag.

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Erste Abwieglung: Nicht eskalieren!

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Und da ist jegliche Eskalation, die ja dann immer auch zu anderen Auswirkungen führt, nicht sonderlich gut.

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Zweite Abwieglung: Nicht eskalieren!

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Aber klar ist, um das noch mal in großer Deutlichkeit zu sagen: Moskau muss kooperieren. Ich bin dagegen, dass man viele spekulative Fragen beantwortet.

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Dritte Abwieglung: Nicht spekulieren!

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Man muss die Ergebnisse des Generalbundesanwalts abwarten.

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Vierte Abwieglung: Abwarten!

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Und da ist notwendig, dass hier selbstverständlich von Russland kooperiert wird, damit es auch Ergebnisse gibt.

Heinemann: Sie warnen vor Eskalation. Wer eskaliert?

Bartsch: Nun ja. Der- oder diejenige, die dann diesen Auftragsmord – ich gehe jetzt davon aus, dass das, was mehrfach zu lesen war, eben in Ihrem Bericht zu hören war, dass das genauso stimmt. Aber ich will auch als Politiker raten, dass man hier die Ergebnisse abwartet.

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Fünfte Abwieglung: Abwarten!

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Denn es nutzt ja nichts, dass jetzt – und ich habe das ja mit Interesse gelesen, wer sich jetzt alles von meinen Kolleginnen und Kollegen extrem auskennt, das alles so genau weiß. Da rate ich zur Zurückhaltung.

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Sechste Abwieglung: Zurückhalten!

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Das Auswärtige Amt hat eine klare Positionierung vorgenommen.

Die Bundeskanzlerin hat sich im Übrigen auch in der gebotenen Zurückhaltung geäußert, aber auch klargemacht, was sie erwartet.

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Siebente Abwieglung: Zurückhalten!

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Ich glaube, dass das der Weg ist und dass wir jetzt nicht jeder noch mal ein Stück weit Öl ins Feuer gießen müssen.

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Achte Abwieglung: Kein Öl ins Feuer gießen!

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Wenn sich das bestätigen sollte – es gibt ja ähnliche Fälle –, dann muss entsprechend auch gehandelt werden. Aber noch steht das nicht fest. Deswegen: Ich habe auch mit Interesse gelesen, was in Russland gesagt wird. Dort wird das alles natürlich vehement zurückgewiesen. Das wundert mich nicht. Es wäre ja schlimm, wenn jetzt gesagt werden würde, doch, doch, das waren wir schon. Aber deswegen: Ermittlungen abwarten, dann Schlussfolgerungen ziehen.

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Neunte Abwieglung: Abwarten!

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Heinemann: Wen meinten Sie gerade? Wer kennt sich aus?

Bartsch: Ich sehe von Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,…

Heinemann: Wer denn?

Bartsch: Ich will jetzt keine Namen nennen. Das kann man in den Medien ja nachlesen.

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??

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Heinemann: Warum nicht?

Bartsch: Das sind vor allen Dingen Kollegen der Unionsfraktion, wo die Bundeskanzlerin deutlich einen anderen Akzent gesetzt hat, die gesagt haben, Russland, man müsse jetzt handeln und man müsse sofort. – Das ist in einem Rechtsstaat unüblich, sondern da hat man dann Ergebnisse und dann zieht man Schlussfolgerungen. Deswegen ist dieser – ich wiederhole das – symbolische Akt der zwei Diplomaten, der mit Sicherheit nach sich ziehen wird, dass zwei deutsche Diplomaten gehen werden, das ist richtig. Das ist das, was man auf dieser Ebene tut. Aber am Ende des Tages ist diese Reaktion eine zurückhaltende, und das ist richtig so.

Heinemann: Dann nenne ich mal einen Namen. Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster sagt: „Sollte sich russischer Staatsterrorismus auf deutschem Boden herausstellen, dann müsse die Spionageabwehr und dann müsse die Auslandsaufklärung gegen Russland deutlich ausgeweitet werden.“ – Ist das richtig?

Bartsch: Ja. Er hat ja seinen Satz begonnen mit „sollte“, und genau das rate ich dann auch Herrn Schuster, dieses „sollte“ abzuwarten.

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Zehnte Abwieglung: Abwarten!

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Wenn das denn so ist, dann muss es selbstverständlich Schlussfolgerungen geben. Die müssen von Bundesregierung, gegebenenfalls auch in den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages – dafür haben wir…

Heinemann: Und zwar im Sinne von Herrn Schuster?

Bartsch: Wenn das so sein sollte – ich sage auch dieses „wenn“ –, dann muss man über Schlussfolgerungen beraten. Was man dann tut, das würde ich jetzt mal nicht aus der Hüfte beantworten, sondern dann muss es entsprechende Schlussfolgerungen geben. Ich will aber noch mal in großer Klarheit sagen: Es ist nicht erwiesen. Was ich jetzt lese, Putins Tiergartenmörder, ich glaube, dass das eine spekulative Äußerung ist.

Da sollte man zurückhaltend sein.

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Elfte Abwieglung: Zurückhalten!

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Das ist auch Aufgabe von Politik. Da, noch mal, haben wir entsprechende Behörden. Das ist der Generalbundesanwalt. Der hat entsprechend des Anfangsverdachts seine Ermittlungen aufgenommen. Das ist richtig so. Und ich rate Herrn Schuster und anderen, bis dahin dann Zurückhaltung an den Tag zu legen.

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Zwölfte Abwieglung: Zurückhalten!

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Heinemann: Welche Schlagzeile würden Sie formulieren?

Bartsch: Meine Schlagzeile wäre, Generalbundesanwalt ermittelt, Verdachtsmomente bestehen. Aber ich bin ja nicht im journalistischen Bereich tätig, sondern als Politiker, und da, glaube ich, ist es angemessen, auch als Oppositionspolitiker, da der Bundeskanzlerin mit ihrer angemessenen und zurückhaltenden Positionierung Unterstützung zuzubilligen.

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Dreizehnte Abwieglung: Zurückhalten!

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Und dass sie nicht vor den Scharfmachern in ihrer Fraktion oder aus anderen dann einknickt und ähnlich verschärfend agiert.

Heinemann: Wo, bitte schön, sind die Scharfmacher? Sie haben gerade gesagt, sollte sich das so erweisen, wären Sie ja durchaus auch für die schusterschen Schlussfolgerungen.

Bartsch: Scharfmacher sind diejenigen, die von Wortgruppen wie Putins Tiergartenmörder sprechen, für die jetzt schon feststeht, dass wahrscheinlich sogar Herr Putin selbst unterschrieben hat und gesagt hat, der ist umzubringen. Ich glaube, das ist unzulässig. So geht man mit Menschen nicht um. Das bedient Vorurteile. Deswegen: Das sind für mich Scharfmacher. Deswegen: Das Maß an Zurückhaltung der Bundeskanzlerin unterstütze ich.

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Vierzehnte Abwieglung: Zurückhalten!

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Heinemann: Herr Bartsch, wie sollte die russische Regierung zur Aufklärung beitragen?

Bartsch: Das, was Strafverfolgungsbehörden erwarten, nämlich dass kooperiert wird. Genau das sollte geschehen. Das ist offensichtlich nicht der Fall gewesen und das ist deutlich zu kritisieren. Das geht so nicht! Wenn es einen Mord gibt, einen Mord an einem Georgier in Deutschland, wo es Anfangsverdachtsmomente gibt, dann muss voll umfänglich kooperiert werden. So wie Deutschland das macht, muss das Russland genauso machen. Alles andere ist inakzeptabel.

Heinemann: Gab es einen solchen Beitrag in den Fällen Skripal oder Litwinenko?

Bartsch: Das kann ich schwerlich einschätzen. Aber offensichtlich hat dort die russische Seite nur sehr begrenzt mitgewirkt, und das ist dann auch zu kritisieren, ganz klar und eindeutig.

Heinemann: Was raten Sie Widersachern der russischen Regierung, die im Ausland leben?

Bartsch: Ich kann da nur, wenn ich überhaupt einen Rat gebe – ich will der Bundeskanzlerin dort keinen Rat geben, aber sie trifft am Montag Wladimir Putin. Da geht es um andere Dinge. Da geht es um die Ukraine zu allererst, und das ist einer der größten Krisenherde, die wir weiterhin haben. Aber das wird sicherlich die Gelegenheit sein, hier auch zu agieren, und ich bin ziemlich sicher, dass es danach Schlussfolgerungen geben wird, auch in Russland.

Heinemann: Sollte man wegen dieser Gespräche den mutmaßlichen Mordfall tieferhängen?

Bartsch: Ich glaube, dass das bisher so seitens der Bundeskanzlerin, seitens des Auswärtigen Amtes geschehen ist. Ich glaube, dass das Agieren hier – ich kritisiere die Bundesregierung gerne und häufig. Hier kritisiere ich die Verantwortlichen nicht, sondern eher diejenigen, die versuchen, Öl ins Feuer zu gießen.

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Fünfzehnte Abwieglung: Kein Öl ins Feuer gießen!

Fazit: Du sollst nicht denken, du sollst das Denken gefälligst der Regierung überlassen!

Damit könnte der Herr Bartsch durchaus eine steile Karriere machen in Rußland!

Im Staatszirkus.

Als Eiertänzer.

Was gegenüber Rußland die ewigen Eiertänze der Linken, insonderheit der deutschen, betrifft: Ich bin sehr dafür, endlich Öl ins Feuer zu gießen. Das Gegenteil von Scharfmacher ist nämlich Stumpfmacher. Und das Gegenteil von Scharfsinn ist Schwachsinn. Schwachsinnig ist es beispielsweise, Vorurteile als schlecht zu verdammen. Wie Sprichwörter das Gegenteil beweisen, als die gesammelte Weisheit der Völker.

Überwiegend sind Vorurteile auch vorteilhafter als Nachurteile!

Der Mensch ist überhaupt nur Mensch geworden kraft seines Vermögens, Vorurteile zu fällen. Vorurteile sind Zeichen seiner Intelligenz: Ein Vorurteil ist ja nichts anderes als die Fähigkeit, vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen. Und von jenem Allgemeinen vorausschauend auf das kommende Besondere. Genau die Gabe, die unsere Gattung erhoben hat über tierische Zustände.

Insofern erwartete ich bereits zu Beginn des Interviews mit dem Co-Vorsitzenden der per se rußlandfreundlichen Putinversteherpartei DIE LINKE zum Thema „Serienmord an Abtrünnigen“ nichts weiter als einen beschwichtigenden Eiertanz.

Und siehe da! Mein Vorurteil wurde wieder einmal bestätigt.

Wobei mir anläßlich einer vorhersehbaren Nichtenttäuschung meines Vorurteils natürlicherweise so gut wie immer auch Rußland einfällt. Denn in Wahrheit ist Rußland unschwer berechenbar bei seiner beständigen Verwechslung von Quantität mit Qualität: Alles was groß ist und glitzert und glänzt ist gut.

Pompös, pompöser, am pompösesten!

Bolschoi-Theater und Staatszirkus!

Nämlich: Da Rußland ein großes Land ist, ist Rußland ein gutes Land.

Je größer desto guter.

Das schlimmste Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts ist für den obersten Russen die Auflösung der großen ruhmredigen „Sowjetunion“. Und nicht etwa der von Hitlerdeutschland industriell betriebene Massenmord und die in deutschem Namen auch am russischen Volk verübten Verbrechen.

„Sowjetunion“ hieß ja das verlogene Hüllwort für russisches Imperium. Dessen Größe vornehmlich basierte auf Lüge und Heimtücke russischer Politik, seit Iwan der Schreckliche seine berüchtigten Opritschniki „russische Erde sammeln“ ließ.

Verlogene russische Politik: Da fallen mir ein Potemkinsche Dörfer als treffendstes Sinnbild für Rußland.

Auch beispielsweise unter anderen Lügen die Lüge von Jalta, auf der Grundlage des allgemeinen und geheimen Wahlrechts freie Wahlen in allen von Hitlerdeutschland befreiten Gebieten abhalten zu lassen laut alliierter „Erklärung über das befreite Europa“.

Nächsten 11. Februar übrigens feiert allein diese russische Lüge mit ihren enormen Folgen auf das Leben und die Freiheit von Millionen Osteuropäern ihren 75. Jahrestag. Getreu dem westlich naiven Glaubensmuster hatte schon in der Nacht auf den 12. Februar 1945 die BBC freudig das Verhandlungsergebnis im Hinblick auf Polen verkündet:

„Die gegenwärtige provisorische Regierung in Polen [sie war von den Russen als Gegenregierung zur Londoner Exilregierung etabliert worden] soll durch den Eintritt anderer demokratischer Führer aus Polen oder dem Exil auf eine breitere Basis gestellt werden. Es werden so bald wie möglich freie Wahlen auf der Grundlage des allgemeinen und geheimen Wahlrechts ausgeschrieben werden.“

Wetten, daß nächsten Februar der Westen des doch so lehrreichen Gedenkens dieser musterhaft russischen Lüge vergißt?

Aus der man im Zusammenhang mit den russischen Panzern 1953 in Berlin, mit den russischen Panzern 1956 in Ungarn, mit den russischen Panzern 1968 in Prag, mit der Breschnew-Doktrin, mit dem russischen Einmarsch in Afghanistan und im Zusammenhang mit Transnistrien, Tschetschenien, Südossetien, Abchasien, der Ostukraine und der Krim und der vom Westen bis heute noch nicht begriffenen Sperrung des Asowschen Meeres doch wertvolle Vorurteile ableiten könnte und sollte für Gegenwart und Zukunft?

Immerhin, wenigstens nach den allerjüngsten Morden und Mordversuchen, beginnt man endlich von einem „russischen Muster“ zu sprechen. Im aktuellen SPIEGEL steht der bemerkenswerte Satz, es ginge „jetzt darum zu ermitteln, ob der Tiergartenfall zum russischen Muster gehöre, übergelaufene Agenten und andere Staatsfeinde im Ausland umzubringen“.

Und Staatsfeinde in Rußland!

Was willst Du auch von unserem amnesischen Gegenwartsjournalismus erwarten?

Der sich, wie ich beobachten konnte, in bundesdeutschen Medien, bis auf eine Ausnahme, gerade mal bis an den „Fall Skripal“ zurückerinnern kann!

Hauptsache keine Vorurteile!

Es gab schon wesentlich bessere Zeiten deutscher Journalistik. Früher hätte man sich erinnert gefühlt an Leo Trotzki, Willi Münzenberg und Andreij Alexejewitsch Amalrik.

Beispielsweise.

Oder an das Attentat auf den polnischen Papst.

Oder hätte auch der Opfer jüngster Morde gedacht an kritischen Journalisten in Rußland und sie in Zusammenhänge gesetzt.

Oder eben an Alexander Walterowitsch Litwinenko, den ehemaligen russischen Geheimdienstoffizier. Es sollte eigentlich nicht zu lange her sein, sich zu erinnern für einen seriösen Journalismus, wie der mutige Mann 1998 zusammen mit anderen, aus Angst zum Teil maskierten Kollegen in Moskau vor die Presse trat, um als Informanten, also im modernen Journalistendeutsch als „Wisselbloas“, die Weltöffentlichkeit zu unterrichten, daß sie von der Führung ihrer Organisation, das bedeutet vom russischen Machtapparat, den Auftrag erhalten hätten, Boris Beresowski, damals Sekretär des Staatssicherheitsrates, zu ermorden.

Jener Boris Beresowski wurde übrigens 2013 in seinem Londoner Exil erhängt an einem Kaschmirschal aufgefunden. Ebenfalls kamen acht Menschen seines Umfeldes unter mysteriösen Umständen um ihr Leben.

In Deutschland unbeachtet.

Nach mehrmaligen Verhaftungen und Entlassung nur mit Unterschrift einer erpresserischen Verpflichtung, nicht aus Rußland auszureisen, fühlte Litwinenko sich in der Folge jedoch selber derart bedroht vom russischen Geheimdienst, daß er mit seiner Familie nach England floh.

Und dort, als wahrhaft politisch Verfolgter, Asyl erhielt.

Im britischen Exil verfaßte der Mann zusammen mit einem Historiker das Buch „Eiszeit im Kreml. Das Komplott russischer Geheimdienste“. Darin die vom bundesdeutschen Journalismus bemerkenswert unbemerkte bemerkenswerte wisselbloische Behauptung, 1999, Du erinnerst Dich, die Sprengstoffattentate auf Wohnhäuser in russischen Städten, die seien statt von tschetschenischen Terroristen vom russischen Geheimdienst FSB selbst verübt worden!

Um als „Fall Gleiwitz“ den zweiten Tschetschenienkrieg zu rechtfertigen.

Etwa 300 Menschen waren damals allein bei den Anschlägen auf die Wohnhäuser umgekommen…

300 Kinder, Frauen und Männer.

Vom Juli 1998 bis August 1999 hieß der Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB übrigens Wladimir Wladimirowitsch Putin.

Der im Anschluß zum Ministerpräsidenten aufstieg und dergestalt am 1. Oktober 1999 den Einmarschbefehl nach Tschetschenien erließ zur, nach seinen Worten, „zur Bekämpfung von 2000 Terroristen“.

Litwinenko war in London dann Anfang November 2006 vergiftet worden.

In seinem Urin fanden Ärzte in großer Menge das radioaktive Polonium 210.

Ende November starb Litwinenko an der Strahlenkrankheit.

Wenige Stunden bevor er für immer sein Bewußtsein verlor, offenbarte er das Vorurteil, vom Kreml vergiftet worden zu sein.

Die Umstände seines Ablebens wurden wenige Tage später denn auch von den britischen Behörden eingestuft als Mord. Als Tatverdächtige wurden identifiziert zwei russische Geschäftsmänner, die nachweislich ihrem Opfer in einem Hotel poloniumhaltigen Tee verabreicht hatten. Bei ihrem Aufenthalt in London hatten sie an zahlreichen Stellen, zum Beispiel an der Teekanne, an ihren Handtüchern im Hotel, am Abfalleimer, teilweise geradezu extreme radioaktive Spuren hinterlassen. An einem Ort lagen sie über dem Meßbereich des Instrumentes.

Das nachgewiesene Polonium hatte laut Untersuchung einen Marktwert von mehreren Millionen Euro besessen. Da die USA russisches Polonium importieren, gelang es, dieses zu vergleichen mit jenem, mit welchem Litwinenko umgebracht worden war. Was dazu führte, exakt eben jenen Reaktor als russischen zu identifizieren, in dem und sogar mit welchem Datum es produziert worden war.

In seinem Abschlußbericht befand Richter Sir Robert Owen:

Unter Berücksichtigung aller mir zur Verfügung stehenden Beweise und Analysen stelle ich fest, daß die Operation des FSB, Herrn Litvinenko zu ermorden, wahrscheinlich von Herrn Patruschew und auch von Präsident Putin gebilligt wurde.“

Während Putins Paladin Lawrow den Bericht als politisch motiviert und als „nicht transparent“ (auf deutsch: „unklar“) ablehnte, will ich wiederum Öl ins Feuer gießen: Kannst Du Dir vorstellen, daß ausgerechnet in Rußland, dem obrigkeitsorientiertesten Staat seit dem Alten Reich der Ägypter (Grabinschrift: „Lache, wenn er lacht!“), irgendein Untertan sich selbstermächtigte, einen unautorisierten Befehl des Inhaltes zu verantworten, sich aus staatlichen Beständen für einen Mord ein radioaktives Metall und nach diesem entdeckten Mord dann noch einmal für einen anderen Mord ein geheim entwickeltes Nervengift zu beschaffen, um vermittels risikoreicher Operationen auf ausländischem Territorium einen Gegner des Herrn aller Reußen umzubringen?

Gewissermaßen selbstherrlich?

Auf eigene Faust in vorauseilender Gefälligkeit?

Sich auf derart sensiblem Felde außenpolitisch betätigend ohne die Rückversicherung eines obersten Auftraggebers von Auftragsmorden?

Willst Du mein Vorurteil wissen?

Gut: Der Kampf gegen die Lebensart der Westler, der Kampf gegen die Europäisierung Rußlands ist durch die Jahrhunderte kein neuer Zug. Doch heute bekriegt der russische Imperialismus expansiv auch die westliche Zivilisation als solche. Weil man sie für dekadent, schädlich und bedrohlich und demgegenüber das Russentum für gesund und überlegen hält. Und Rußland als chauvinistisch gegen westliche Kultureinflüsse kämpfender Staat ist semifaschistisch ausgerichtet auf die Entindividualisierung seiner letztendlich als leibeigen betrachteten Bürger.

Rußland kämpft gegen das Individuum!

Du bist nichts, dein Volk ist alles!

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Den Moskowitern ist es unter keinen Umständen erlaubt, ins Ausland zu fahren, ausgenommen diejenigen, welche auf Befehl des Zaren und des Handels wegen mit Passierscheinen geschickt werden. Und selbst wenn Kaufleute ihrer Geschäfte wegen ins Ausland reisen, so zieht man von vornehmen und angesehenen Personen schriftlich beglaubigte Urkunden ein, worin die Unterzeichner sich dafür verbürgen, daß jene Kaufleute samt ihren Waren nicht in den fremden Ländern bleiben, sondern wieder zurückkehren werden. Und sollte irgendeiner, und wäre er ein Fürst oder Bojar oder sonstwer, sich selbst heimlich, ohne des Zaren Erlaubnis in ein fremdes Land begeben oder seinen Sohn oder seinen Bruder hinschicken, so würde man ihm das als Hochverrat anrechnen, und man würde ihm sein Vermögen und seine Besitzungen und seine Leibeigenen zuhanden des Zaren wegnehmen. Und wenn jemand selbst verreisen sollte, und es fänden sich in Rußland Verwandte von ihm, so würde man auch sie foltern, um zu erfahren, ob sie von seiner Absicht Kenntnis gehabt hätten. Und wenn jemand seinen Sohn, seinen Bruder oder seinen Neffen ins Ausland schicken sollte, so würde man auch ihn foltern, um herauszubekommen, wozu er jenen in ein fremdes Land geschickt habe, ob er nicht fremde Heere gegen das Moskowiterreich heranführen lasse, um sich der Staatsgewalt zu bemächtigen, oder ob er sonst ein Schelmenstück im Schilde führe, und durch wen er dazu angestiftet worden war.“

Grigorij Karpowitsch Kotoschichin: „Geschichte der öffentlichen Sittlichkeit in Rußland; Kultur, Aberglaube, Sitten und Gebräuche. Eigene Ermittelungen und Gesammelte Berichte.“ (1666/67)

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Und heute vor 1166 Tagen, nämlich am Montag, dem 22. Juni 2020, schrieb ich Dir über die heutzutage wie gleichgeschaltet wirkenden bundesdeutschen öffentlich-rechtlichen Medien:

Letzten Donnerstag sah man sich tatsächlich gezwungen in den bundesdeutschen Medien, da kam man einfach nicht umhin! Es ist ein Jammer aber auch, manchmal kommt man beim besten Willen nicht herum um die Fakten – also da mußten unsere „klassischen Medien“ plötzlich, und ohne ein einziges Mutmaßlich!, melden:

Die Bundesanwaltschaft hat im Zusammenhang mit dem Mord an einem Georgier vor einem Jahr in Berlin Anklage gegen einen Russen erhoben. Sie geht davon aus, dass der Verdächtige die Tat im Auftrag der russischen Regierung ausführte. … Staatliche Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation hätten dem Angeklagten den Auftrag erteilt, den Georgier Tornike K. zu liquidieren. … Die Bundesregierung beklagte, dass Moskau keine Bereitschaft zeige, zur Aufklärung beizutragen, und wies im Dezember 2019 zwei russische Diplomaten aus. Daraufhin wurden auch zwei deutsche Diplomaten aus Russland ausgewiesen.

Bundesaußenminister Maas sagte in Wien, die Bundesregierung behalte sich weitere Maßnahmen ausdrücklich vor.

(Deutschlandfunk, Donnerstag, 18. Juni 2020)

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Ausdrücklich…

Der Wadim Krasikow, so heißt laut Bellingcat, The Insider und The Dossier Center der Mann mit ungefälschten falschen russischen Papieren auf den Namen Sokolow, Wadim Krasikow hatte voriges Jahr am 23. August nach dem heimtückischen Mord das Mountainbike, mit dem der Auftragskiller von hinten an sein Opfer herangepirscht war, und Kleidung, Perücke und Pistole mit Schalldämpfer, mit der er professionell drei Schüsse in Brust und Kopf des Zelimkhan Khangoschwili abgab, in der Spree versenkt. An der herausgefischten Hose fand sich seine DNA. Krasikow war erst einen Tag zuvor in Deutschland eingereist, mußte zur Tatausführung jedoch genau unterrichtet worden sein über terminliche Gepflogenheiten und Zeiten und Wege des Khangoschwili, und es war ihm für die Flucht bereits am Vortag ein Roller in Tatortnähe bereitgestellt worden.

Also ein zum Himmel schreiender Vorgang, den die Bundesanwaltschaft allerdings für derart belegbar hält, daß sie sich in der Lage sieht, Anklage zu erheben gleich unter Nennung der Auftragsgeber des Auftragsmörders.

Zudem handelt es sich ja, wie jeder weiß, beileibe um keine Singularität!

Seit der Annexion der Krim haben wir den Abschuss von Flug MH17 durch moskautreue Rebellen erlebt, die gnadenlosen Bombenangriffe zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, den Giftanschlag auf die Skripals in Salisbury und immer neue Beweise für politische Einmischung.

Der britische GUARDIAN am Mittwoch, des 28. November 2018 in einer freilich nicht vollständigen Aufzählung, die neben den Cyberangriffen die vom Westen noch immer nicht wahrgenommene und in ihrer Bedeutung richtig erfaßte Sperrung des Asowschen Meeres außer acht läßt.

Zum Beispiel.

Doch was soll ich Dir sagen?

Am nächsten Tag darüber in den öffentlich-rechtlichen Medien kein Sterbenswörtchen mehr!! Sämtliche Vöglein schwiegen im Walde. Kein Bericht, nicht die geringste Erörterung, kein Kommentar darüber, keine Analyse, kein Interview. Beispielsweise mit einem der ordinären Putinversteher und Rußlandgesundbeter wie Matthias Platzeck.

Und nach dem vom Deutschlandfunk wiedergegebenen Pressespiegel des Folgetages der Karlsruher Anklageerhebung möchte man meinen, keine einzige deutsche Zeitung beschäftigt sich mit diesem Thema!

Nichts!

Kein Kommentar!

Als wären die Medien gleichgeschaltet!

Wie in vorauseilendem Gehorsam!

Das ist unheimlich!

Das ist gefährlich!

Das wird sich rächen!

Der Westen ist befangen in dem gefährlichen Irrtum, Putin denke und handle rational. Das tut der auch, allerdings nicht nach aristotelischer Logik.

Sondern nach jahrhundertalter russischer Bauernlogik mit dem historischen Hauptmerkmal fortwährender Verwechslung von Quantität mit Qualität: Alles was groß ist und viel und pompös und was glitzert und glänzt und protzt, hält man in Rußland für gut.

Primitive Motivationen ordinärer Verbrecher: Größe, Glitzer, Gold, Protz und penetrantes Parfüm.

Diese Denkweise erscheint dem Westen als zu primitiv, als daß man hier dächte, daß im 21. Jahrhundert ein verantwortlicher Politiker so dächte.

Und das ist eben das Gefährliche: Man grübelt immer, was Putin wirklich will, und die seltsamen Putinversteher in Deutschland und Ostdeutschland kriegen feuchte Augen, wenn Wladimir Wladimirowitsch phantasiert über einen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok…

Deshalb wird der Westen immer wieder überrascht und findet keine Antwort.

Der Westen muß flacher denken lernen und sich etwas mehr auskennen in der jahrhundertlangen Geschichte des jahrhundertalten russischen Imperialismus und Chauvinismus und dem russischen Haßneid auf den Westen, wenn er sich hineinversetzen will in Wladimir Wladimirowitschs Schädel.

Stop!

Genau das wäre ein wirksames Mittel des Westens gegen den russischen Imperialismus!

Neben beständig klarer Ansage.

Sagen, was ist!

Und das Licht der Öffentlichkeit ist in Rußland übrigens die gefürchtetste aller Waffen!

Doch, wie Hitler, infolge der inadäquaten westlichen Reaktionen wird Putin, der den Ermordeten als „blutrünstigen Menschen“ beschimpfte, immer enthemmter!

Auf die Zahmheit der deutschen Außenpolitik kann sich Staatschef Wladimir Putin bis jetzt verlassen. Um des Profits bilateraler Wirtschaftsbeziehungen willen macht sich Berlin klein gegenüber dem Kremlherrn. Den Bau einer zweiten russischen Gaspipeline durch die Ostsee lässt die Regierung allen Bedenken ihrer Partner in Europa zum Trotz fortsetzen. Diese deutsche Russlandpolitik muss auf den Prüfstand. Ein Akt des Staatsterrorismus, begangen von Putins Geheimdienst, verlangt eine harte Antwort. Politische wie wirtschaftliche Sanktionen sind angezeigt. Schiebt die deutsche Regierung dem Treiben russischer Agenten keinen Riegel vor, ermuntert sie diese nur zu neuen Taten.

Die gestrige Neue Zürcher Zeitung, Hervorhebung von mir

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Ein wichtiges Datum!

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Montag, 21. August 2023: Bellarmin an Mephisto

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Heute ist der 21. August. Ein extrem wichtiges Datum unserer Zeit. Zumal wenn man sie richtig verstehen will, unsere Zeit. Doch nichts davon, soweit ich es mitbekam, in unseren Medien…

Auch in der bundesdeutschen Politik: Kein Erinnern…

Nicht das geringste.

Diese Ignoranz der gegenwärtig agierenden Politikergeneration, ihre Geschichtsunkundigkeit, ihre Blindheit im Hinblick auf elementare historische Zusammenhänge, das rächt sich Tag um Tag!

Vor 55 Jahren, am 21. August 1968, marschierten die Russen, getarnt als Operation des Warschauer Paktes, ein in die wehrlose Tschechoslowakei.

Heimtückisch, verlogen, völkerrechtswidrig, menschenverachtend, brutal, also russisch.

Wie immer!

Seit Jahrhunderten!

Da wir gerade sind bei russisch brutal, also typisch, ich kann mir zum Beispiel vorstellen, daß ein Auftraggeber von Auftragsmördern ohne weiteres auch sein kann ein Auftraggeber von Brandstiftern.

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Der gewöhnliche russische Imperialismus an einem einzigen Beispiel

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Samstag, 17. Juni 2023: Bellarmin an Mephisto

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Ungeheuerlich: Stell Dir das Ausmaß an geistiger Verflachung vor in Deutschland! Es ist nicht eine einzige Stimme zu hören von einem Politiker, einem Historiker, einem Politikwissenschaftler, einem Denkfabrikdenker, die anläßlich des siebzigsten Jahrestages des 17. Juni etwa einen Zusammenhang herstellte beispielsweise zwischen 1953, 1956, 1968, der Breshnew-Doktrin oder Transnistrien, Tschetschenien, Südossetien, Abchasien, der Ukraine…

etc. etc. etc.

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Donnerstag, 28 Mai 1953:

Der Ministerrat der DDR faßte laut ADN folgende Beschlüsse:

1. Erhöhung der Arbeitsnormen

Der Ministerrat beschloß, im Sinne der Ankündigung bei der Tagung des ZK der SED die Arbeitsnormen mit den Erfordernissen der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Senkung der Selbstkosten in Übereinstimmung zu bringen und bis zum 30. Juni 1953 zunächst eine Erhöhung der für die Produktion entscheidenden Arbeitsnormen im Durchschnitt von mindestens 10 % sicherzustellen. Die zuständigen Ministerien und Staatssekretariate haben für jeden Betrieb Kennziffern für die Erhöhung der Arbeitsnormen festzulegen, die von den Werkleitungen für die Betriebsabteilungen des jeweiligen Werkes aufzuteilen sind. In Übereinstimmung mit den Zentralvorständen der entsprechenden Gewerkschaften haben die zuständigen Minister und Staatssekretäre sofort die allgemeine Überprüfung der Arbeitsnormen für die ihnen unterstehenden Betriebe anzuordnen. Die Betriebsleiter haben die Überprüfung der Arbeitsnormen in ihren Betrieben bis zum 3. Juni 1953 in Übereinstimmung mit den Betriebsgewerkschaftsleitungen zu veranlassen. Entsprechend den Ergebnissen der Überprüfung der Arbeitsnormen sind die neuen erhöhten Arbeitsnormen so festzusetzen, daß die festgelegten Kennziffern in jedem Betrieb mindestens erreicht werden. Im Rahmen der für die Erfüllung und Übererfüllung der erhöhten Arbeitsnormen notwendigen Maßnahmen ist in jeder Betriebsabteilung unter der aktiven Mitwirkung aller Arbeiter ein Plan technischer und organisatorischer Aufgaben aufzustellen. Dieser Plan muß sich vor allem auf die Verbesserung der Arbeitsorganisation, auf die Qualifizierung der Arbeiter, auf die Veränderung der technischen Bedingungen, auf die Beseitigung von Verlustzeiten und auf die verbesserte Instruktion durch Meister und Brigadiere erstrecken.

2. Wiederzuerkennung entzogener Lebensmittelkarten

Der Ministerrat beschloß die Bewilligung von Lebensmittelkarten ab 1. Juli 1953 an einen großen Teil derjenigen Personen, die nach der Verordnung vom 9. April 1953 vom Bezug der Lebensmittelkarten ausgeschlossen waren.

Archiv der Gegenwart. Bd. 1, S. 947 ff.

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Montag, 1. Juni 1953:

Das Präsidium des Ministerrates der DDR faßte laut Tägliche Rundschau folgenden Beschluß über die Reorganisation der Volkskontrolle:

»Mit der Bildung und Festigung der Ständigen Kommissionen der örtlichen Organe der Staatsgewalt und ihrer Aktivs, mit der Wahl Haus- und Straßenvertrauensleuten und der Schaffung der Einrichtung von freiwilligen Helfern der Volkspolizei sowie mit der Organisierung der gewerkschaftlichen Arbeiterkontrolle über Handel und Versorgung wurden die bisherigen Aufgaben der Volkskontrollausschüsse von diesen Organen der Werktätigen übernommen. Diese breitere Mitarbeit der werktätigen Massen bei der Kontrolle macht die Reorganisation der Volkskontrolle und die Einbeziehung der Mitglieder, der bisherigen Volkskontrollausschüsse in die neugeschaffenen Organe notwendig.« Mit der Durchführung der Reorganisation wurden die Rate der Bezirke und Kreise beauftragt.

Archiv der Gegenwart. Bd. 1, S. 949 ff.

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Mittwoch, 10. Juni 1953:

Das Presseamt beim Ministerpräsidenten der DDR veröffentlichte laut ADN folgendes Communiqué über eine Besprechung von Vertretern des Ministerrates, geführt vom Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, mit Vertretern der Evangelischen Landeskirchen in der DDR, geführt vom Bischof Otto Dibelius, Ratsvorsitzenden der EKD:

»Gegenstand der Besprechung war die Überprüfung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik. In der vom Geiste gegenseitiger Verständigung getragenen Verhandlung wurde für die Wiederherstellung eines normalen Zustandes zwischen Staat und Kirche weitgehende Übereinstimmung erzielt. Die einmütige Auffassung daß die Herbeiführung der Einheit unseres Vaterlandes und die Schaffung eines Friedensvertrages heute das dringendste Anliegen aller Deutschen ist erfordert die Überwindung der Gegensätze, die dieser Entwicklung entgegenstehen. Darum wurde staatlicherseits die Bereitwilligkeit erklärt, das kirchliche Eigenleben nach den Bestimmungen der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik zu gewährleisten. Die Vertreter der Kirche erklärten ihrerseits, auf verfassungswidrige Eingriffe und Einwirkungen in das wirtschaftliche und politische Leben zu verzichten. Auf der Grundlage dieser Übereinstimmung sind folgende Anordnungen getroffen

1. Es sind keinerlei weitere Maßnahmen gegen die sogenannte »Junge Gemeinde« und sonstige kirchliche Einrichtungen einzuleiten. Das Amt für Jugendfragen beim Stellvertreter des Ministerpräsidenten, W. Ulbricht, wird beauftragt, unter Teilnahme von Vertretern der Kirche, der ›Jungen Gemeinde‹ und der Freien Deutschen Jugend eine Klärung über alle strittigen Fragen in bezug auf die ›Junge Gemeinde‹ herbeizuführen.

2. Alle im Zusammenhang mit der Überprüfung der Oberschüler und der Diskussion über die Tätigkeit der Jungen Gemeinde aus den Oberschulen entfernten Schüler sind sofort wieder zum Unterricht zuzulassen. Es ist ihnen die Möglichkeit zu geben, die versäumten Prüfungen nachzuholen. Wegen Wiedereinstellung der aus dem gleichen Anlaß entlassenen Lehrer hat das Ministerium für Volksbildung eine sofortige Prüfung und Entscheidung durchzuführen.

3. Alle im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zur Evangelischen Studentengemeinde oder sonstigen Studentengemeinden ausgesprochenen Exmatrikulationen sind sofort vom Staatssekretäriat für Hochschulwesen zu überprüfen und bis zum 20. Juni 1953 zu entscheiden.

4. Das Ministerium für Volksbildung hat Richtlinien über die Abhaltung des Religionsunterrichtes in den Schulgebäuden sofort auszuarbeiten Die seit dem 1. Januar 1953 erfolgten Einschränkungen der Abhaltung des Religionsunterrichtes in den Schulgebäuden sind zu über prüfen und zu beseitigen.

5. Die beschlagnahmten Einrichtungen und Anstalten kirchlichen Charakters sind an die früheren Verwaltungen zurückzugeben. Das betrifft die Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg, die Neinstedter Anstalten in Neinstedt und das Altersheim Seyda Kreis Jessen-Elster. Das Schloß Mansfeld bleibt dagegen in der Verwaltung des Kombinats Mansfeld und dient als Kulturhaus und Erholungsheim für Bergarbeiter des Kombinats Mansfeld.

6. Wegen der Belegung und Verteilung der Ferienplätze in den kirchlichen Heimen an der Ostsee wird die Durchführung und Entscheidung dem Staatssekretäriat für Innere Angelegenheiten übertragen.

7. Die Urteile der Gerichte sind zu überprüfen und ungerechte Härten zu beseitigen.

8. Die Verordnung über die Anmeldepflicht von Veranstaltungen vom 29. März 1951 ist zu überprüfen und Härten sind auszugleichen.

9. Die staatlichen Zuschüsse an die Kirchen werden nach den vereinbarten Regeln zur Auszahlung gebracht.

Archiv der Gegenwart. Bd. 1, S. 955 ff.

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Freitag, 12. Juni 1953:

1. Communiqué des Politbüros der SED über Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenshaltung und Stärkung der Rechtssicherheit.

Das Politbüro des ZK der SED veröffentlichte laut Tägliche Rundschau am 11. Juni folgendes Communiqué:

»Das Politbüro des Zentralkomitees der SED hat in seiner Sitzung vom 9. Juni 1953 beschlossen, der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik die Durchführung einer Reihe von Maßnahmen zu empfehlen, die der entschiedenen Verbesserung der Lebenshaltung aller Teile der Bevölkerung und der Stärkung der Rechtssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik dienen. Das Politbüro des ZK der SED ging davon aus, daß seitens der SED und der Regierung der DDR in der Vergangenheit eine Reihe von Fehlern begangen wurde, die ihren Ausdruck in Verordnungen und Anordnungen gefunden haben, wie z.B. Der Verordnung über die Neuregelung der Lebensmittelkartenversorgung, über die Übernahme devastierter landwirtschaftlicher Betriebe, in außerordentlichen Maßnahmen der Erfassung, in verschärften Methoden der Steuererhebung usw. Die Interessen solcher Bevölkerungsteile wie der Einzelbauern, der Einzelhändler, der Handwerker, der Intelligenz wurden vernachlässigt. Bei der Durchführung der erwähnten Verordnungen und Anordnungen sind außerdem ernste Fehler in den Bezirken, Kreisen und Orten begangen worden. Eine Folge war, daß zahlreiche Personen die Republik verlassen haben. Das Politbüro hat bei seinen Beschlüssen das große Ziel der Herstellung der Einheit Deutschlands im Auge, welches von beiden Seiten Maßnahmen erfordert, die die Annäherung der beiden Teile Deutschlands konkret erleichtern. Aus diesen Gründen hält das Politbüro des ZK der SED für nötig, daß in nächster Zeit im Zusammenhang mit Korrekturen des Plans der Schwerindustrie eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt werden, die die begangenen Fehler korrigieren und die Lebenshaltung der Arbeiter, Bauern, der Intelligenz, der Handwerker und der übrigen Schichten des Mittelstandes verbessern. Auf der Sitzung am 9. Juni hat das Politbüro Maßnahmen auf dem Gebiet des Handels und der Versorgung, auf landwirtschaftlichem Gebiet und auch hinsichtlich der Erleichterung des Verkehrs zwischen der DDR und Westdeutschland festgelegt. Um die Erzeugung von Waren des Massenbedarfs zu vergrößern die von kleinen und mittleren Privatbetrieben hergestellt werden, und um das Handelsnetz zu erweitern, wird vorgeschlagen, den Handwerkern, Einzel- und Großhändlern, privaten Industrie, Bau- und Verkehrsbetrieben in ausreichendem Umfange kurzfristige Kredite zu gewähren. Die Zwangsmaßnahmen zur Betreibung von Rückständen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, die bis zum Ende des Jahres 1951 entstanden sind, sollen für Klein-, Mittel und Großbauern, Handwerker, Einzel- und Großhändler, private Industrie-, Bau und Verkehrsbetriebe, d.h. in der gesamten privaten Wirtschaft, ausgesetzt werden. Wenn Geschaftseigentümer, die in letzter Zeit ihre Geschäfte geschlossen oder abgegeben haben, den Wunsch äußern, diese wiederzueröffnen so ist diesem Wunsche unverzüglich Rechnung zu tragen. Außerdem soll die HO zur besseren Versorgung der Bevölkerung sofort Agenturverträge mit dem privaten Einzelhandel abschließen.

Das Politbüro schlägt ferner vor, daß die Verordnungen über die Übernahme devastierter landwirtschaftlicher Betriebe aufgehoben werden und die Einsetzung von Treuhändern wegen Nichterfüllung der Ablieferungspflichten oder wegen Steuerrückständen untersagt wird. Die Bauern, die im Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Weiterführung Ihrer Wirtschaft ihre Höfe verlassen haben und nach Westberlin oder nach Westdeutschland geflüchtet sind (Kleinbauern, Mittelbauern, Großbauern), sollen die Möglichkeit erhalten, auf ihre Bauernhöfe zurückzukehren. Ist das in Ausnahmefällen nicht möglich, so sollen sie vollwertigen Ersatz erhalten. Es soll ihnen mit Krediten und landwirtschaftlichem Inventar geholfen werden, ihre Bauernwirtschaften zu entwickeln. Strafen die wegen Nichterfüllung von Ablieferungsverpflichtungen oder Steuerverpflichtungen ausgesprochen wurden, sollen überprüft werden. Dabei wird vorgeschlagen, den Minister für Land- und Forstwirtschaft zu beauftragen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Interessen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gewahrt bleiben. Das Politbüro schlägt weiter vor, daß alle republikflüchtigen Personen, die in das Gebiet der DDR und den demokratischen Sektor von Berlin zurückkehren, das auf Grund der Verordnung vom 17. Juli 1952 zur Sicherung von Vermögenswerten beschlagnahmte Eigentum zurückerhalten. Ist in Einzelfallen die Rückgabe nicht möglich, so soll Ersatz geleistet werden. Zurückkehrenden Republikflüchtigen darf aus der Tatsache der Republikflucht keine Benachteiligung entstehen. Sie sollen durch die zuständigen Organe der Räte der Bezirke und Kreise entsprechend ihrer fachlichen Qualifikation wieder in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eingegliedert werden und ihre vollen Bürgerrechte erhalten. (Deutscher Personalausweis, Lebensmittelkarte usw.) Für die Rückkehrer sind Auskunftsstellen einzurichten, die ihnen in allen Fragen Rat und Auskunft erteilen. Das Politbüro ist ferner der Auffassung, daß die Frage der Aufenthaltsgenehmigungen für Westdeutsche und Westberliner sowie die Frage der Ausstellung von Interzonenpässen im Sinne der Erleichterung des Verkehrs zwischen Ost- und Westdeutschland neu geregelt werden müssen. Bei Antrag auf Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen für Westdeutsche und Westberliner sind familiäre Gründe anzuerkennen, ebenso bei Anträgen auf Ausstellung von Interzonenpässen. Insbesondere ist Wissenschaftlern und Künstlern die Teilnahme an Tagungen in Westdeutschland zu ermöglichen, ebenso ist Künstlern aus Westdeutschland die Teilnahme an Tagungen in der DDR zu ermöglichen.

Das Politbüro schlägt ferner vor, daß alle im Zusammenhang mit der Überprüfung der Oberschüler und der Diskussion über die Tätigkeit der Jungen Gemeinde aus den Oberschulen entfernten Schüler sofort wieder zum Unterricht zuzulassen sind, und daß ihnen die Möglichkeit gegeben wird, die versäumten Prüfungen nachzuholen. Ebenso sollen die im Zusammenhang mit der Überprüfung der Oberschulen ausgesprochenen Kündigungen und Versetzungen von Lehrern rückgängig gemacht werden. Die in den letzten Monaten ausgesprochenen Exmatrikulationen an Hochschulen und Universitäten sollen sofort überprüft und bis zum 20. Juni 1953 entschieden werden. Bei Immatrikulationen an den Hochschulen und Universitäten dürfen befähigte Jugendliche aus den Mittelschichten nicht benachteilig werden. Ferner empfiehlt das Politbüro der Regierung der DDR, die Justizorgane zu beauftragen, diejenigen Verurteilten sofort zu entlassen, die nach dem Gesetz zum Schutz des Volkseigentums zu 1 bis 3 Jahren verurteilt worden sind, mit Ausnahme der Fälle, in denen schwere Folgen eintraten. Ebenso empfiehlt es, diejenigen Untersuchungshäftlinge sofort zu entlassen, gegen die ein Verfahren nach dem Gesetz zum Schutz des Volkseigentums anhängig gemacht wurde und bei denen keine höheren Strafen als die gesetzlichen Mindeststrafen von 1 bis 3 Jahren zu erwarten sind.

Das Politbüro hat schließlich beschlossen, der Regierung der DDR zu empfehlen, daß ab 1. Juli 1953 wieder an alle Bürger der DDR und des demokratischen Sektors von Groß-Berlin Lebensmittelkarten entsprechend den gesetzlich festgelegten Tätigkeitsmerkmalen ausgegeben werden. Es wird weiter vorgeschlagen, die im April 1953 durchgeführten Preiserhöhungen für Marmelade, Kunsthonig und andere Süß- und Backwaren mit Wirkung vom 15. Juni 1953 rückgängig zu machen, die Fahrpreisermäßigung in Höhe von 50 Prozent ab 1. Juli 1953 bei Arbeiterrückfahrkarten auf alle berechtigten Personen ohne Rücksicht auf die Hohe ihres Einkommens auszudehnen, die Fahrpreisermäßigungen für Schüler und Lehrlinge und auch bestimmte Schichten der Arbeiter wiederherzustellen und auch die Fahrpreisermäßigungen für Schwerbeschädigte, Kleingärtner usw. sowie die Erstattung von Fahrgeld durch die Sozialversicherung beim Besuch bei Fachärzten wiedereinzuführen.«

2. Beschlüsse des Ministerrates der DDR über Maßnahmen zur Korrektur begangener Fehler und zur Verbesserung des Lebenshaltung

Der Ministerrat faßte laut ADN folgende Beschlüsse, die als Einleitung eines aus den gegenwärtigen Engpässen herausführenden Entwicklungsprozesses bezeichnet werden der Veränderungen des Fünfjahrplanes folgen sollen, welche eine weitere Verbesserung der Lebenshaltung ermöglichen würden:

»Die Beschränkungen für die Ausgabe von Lebensmittelkarten werden aufgehoben. Ab 1. Juli 1953 werden an alle Bürger der DDR und des demokratischen Sektors von Groß-Berlin wieder Lebensmittelkarten wie früher ausgegeben. Bei der Handelsorganisation (HO) werden die Preise für zuckerhaltige Erzeugnisse, wie Süßwaren, Dauerbackwaren, Feinbackwaren sowie Kunsthonig mit 10 Prozent Bienenhonig, auf den Stand zurückgeführt, der für diese Preise am 19. April 1953 gegeben war. Das gleiche gilt für den Preis für Marmelade aller Art, Kunsthonig und Fruchtsirup. Die Preisherabsetzung tritt mit dem 15. Juni 1953 in Kraft. In der gesamten Wirtschaft, bei Klein-, Mittel- und Großbauern Handwerkern, Einzel- und Großhändlern, privaten Industrie-, Bau- und Verkehrsbetrieben sind Zwangsmaßnahmen zur Beitreibung von Rückständen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, die aus der wirtschaftlichen Tätigkeit in der Zelt bis zum Ende des Jahres 1950 entstanden sind, auszusetzen. Handwerker, Einzel- und Großhändler, private Industrie-, Bau- und Verkehrsbetriebe erhalten auf Antrag ihre Betriebe zurück. Kurzfristige Kredite sind zu gewähren. Ab 1. Juli 1953 ist die Fahrpreisermäßigung in Höhe von 50 Prozent bei Arbeiterrückfahrkarten auf alle berechtigen Personen ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens auszudehnen. Darüber hinaus ist die bis zum 1. April 1953 gewährte Fahrpreisermäßigung für Schwerbeschädigte, Schüler, Studenten, Lehrlinge und Kleingärtner wieder einzuführen. Ebenso ist die bis zum 1. April 1953 gewährte Fahrpreisermäßigung für Sonntagsrückfahrkarten, Schichtarbeiterrückfahrkarten und Gesellschaftsfahrten ab 1. Juli 1953 wieder einzuführen. Härten bei der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge werden beseitigt und die Leistungen werden auf den ursprünglichen Stand gebracht. Landwirtschaftliche Betriebe, deren Eigentümern auf Grund einer Verordnung vom 19. Februar 1953 die weitere Bewirtschaftung untersagt wurde, werden zurückgegeben.

Republikflüchtige Personen, die in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und den demokratischen Sektor von Berlin zurückkehren, erhalten ihr Eigentum zurück. Die Rückkehrer sind in ihre vollen Bürgerrechte einzusetzen und entsprechend ihrer Qualifikation in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben einzugliedern. Bauern, die im Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Weiterführung ihrer Wirtschaft ihre Höfe verlassen haben und republikflüchtig geworden sind, können auf ihre Höfe zurückkehren. Wenn in Ausnahmefällen die Rückgabe ihres landwirtschaftlichen Besitzes nicht möglich ist, so erhalten die vollwertigen Ersatz. Das Justizministerium und der Generalstaatsanwalt haben alle Verhaftungen, Strafverfahren und Urteile zur Beseitigung etwa vorliegender Härten sofort zu überprüfen. Der Ministerrat nahm zustimmend von den Vereinbarungen Kenntnis, die der Ministerpräsident mit den Vertretern der Kirche getroffen hat

3. Korrektur begangener Fehler gegenüber Groß- und Mittelbauern

Das Presseamt des Ministerpräsidenten gab laut ADN am 12. Juni bekannt:

»Die Regierung der DDR stellt fest, daß in letzter Zeit eine Reihe Fehler gegenüber Großbauern und sogar Mittelbauern begangen worden sind. Das hat seinen Ausdruck in einer Reihe von Verordnungen gefunden, zum Beispiel in den Verordnungen über devastierte Betriebe, über Kreditgewährung, in außerordentlichen Maßnahmen der Erfassung, in verschärften Methoden der Steuererhebung sowie in der Vernachlässigung der Einzelbauern durch die Maschinen- Traktoren Stationen. Bei der Durchführung dieser Verordnungen und Anordnungen sind ernste Fehler in den Bezirken, Kreisen und Orten begangen worden. Die Folge ist das Verlassen von Bauernhöfen durch ihre Besitzer. Die Regierung der DDR hat angeordnet, daß solche Verordnungen, die die Entwicklung der Bauernwirtschaften hindern, aufgehoben werden. In Übereinstimmung mit den Vorschlägen, die auf der gemeinsamen Konferenz der Vertreter der werktätigen Bauern, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und der Maschinen Traktoren-Stationen und der Vertreter des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands angeregt wurden, hat die Regierung folgendes veranlaßt:

1. Die Verordnung vom 19. Februar 1953 betreffend Übernahme devastierter Betriebe wird aufgehoben. Es wird untersagt, in landwirtschaftlichen Betrieben wegen Nichterfüllung der Ablieferungsverpflichtungen oder wegen Steuerrückständen Treuhänder einzusetzen. Die Bauern, die im Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Weiterführung ihrer Wirtschaft ihre Höfe verlassen haben und nach Westberlin oder Westdeutschland gefluchtet sind (Kleinbauern, Mittelbauern und Großbauern), können auf ihre Bauernhöfe zurückkehren. Wenn das in Ausnahmefällen nicht möglich ist, so erhalten sie vollwertigen Ersatz. Es wird ihnen mit Krediten und landwirtschaftlichem Inventar geholfen, ihre Wirtschaften welterzuführen.

2. Die Kreditrichtlinien der Deutschen Bauernbank vom 6. Dezember 1952 werden aufgehoben. Die Bauernbank ist ermächtigt, an alle Bauernwirtschaften kurzfristige Kredite zu gewähren, mit deren Hilfe die Entwicklung der Bauernwirtschaften möglich ist. Auf Antrag können sowohl werktätige Bauern wie Großbauern auch langfristige Kredite erhalten.

3. Die Erfassungsorgane und Steuerbehörden sind verpflichtet, die Ablieferung bzw. Steuererhebung so durchzuführen, daß die Weiterführung der betreffenden Wirtschaften gewährleistet ist. Strafen die im Zusammenhang mit der Nichterfüllung von Ablieferungsverpflichtungen oder Steuerverpflichtungen ausgesprochen wurden, sind von den Justizbehörden zu überprüfen.

4. Die Maschinen Traktoren Stationen werden verpflichtet, den Einzelbauern weitgehend Hilfe bei der Durchführung ihrer Arbeiten zu leisten. Den Maschinen Traktoren-Stationen wird untersagt, private Traktoren, landwirtschaftliche Maschinen und Geräte in Anspruch zu nehmen. Der Minister für Land und Forstwirtschaft und der Staatssekretär für Erfassung und Aufkauf sind beauftragt, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Interessen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gewahrt werden.«

4. Kein Ausweiszwang mehr in Gaststätten und bei Dienstleistungen in Ostberlin

Die Abteilung Handel und Versorgung des Magistrats von Groß-Berlin teilte laut ADN mit:

»In Gaststätten, Hotels, Imbißstuben, Kiosken, im sonstigen und ambulanten Handel dürfen ab sofort Speisen und Getränke sowie Genußmittel zum sofortigen Verzehr ohne Vorlage des Deutschen Personalausweises, des Stammabschnittes der Lebensmittelkarte oder des Betriebsausweises für den Einkauf abgegeben werden (der Ausweiszwang war im Februar eingeführt worden, um die Westberliner von der Abgabe auszuschließen). Das dienstleistende Handwerk und Industriebetriebe dürfen ab sofort Auftragsleistungen aus der Bevölkerung ohne Vorlage des Deutschen Personalausweises, des Stammabschnittes der Lebensmittelkarte oder des Betriebsausweises für den Einkauf annehmen und ausführen.«

Archiv der Gegenwart. Bd. 1, S. 956 ff.

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Freitag, 19. Juni 1953:

1. Demonstrationen in Ostberlin gegen erhöhte Arbeitsnormen

Am 16. Juni fanden laut Neue Zeitung in Ostberlin Protestdemonstrationen der Arbeiterschaft gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen um 10 % statt, wobei gleichzeitig die Forderung nach freien geheimen Wahlen und nach einem Regimewechsel geäußert wurde.

Die Demonstrationen wurden durch die Arbeitsniederlegung der Bauarbeiter in der Stalinallee (Frankfurter Allee) ausgelöst, die in geschlossenen Zügen zum Stadtzentrum marschierten und andere Arbeiter, aber auch sonstige Passanten aufforderten, sich anzuschließen. Als sich vor dem früheren Reichsluftfahrtministerium die Massen stauten, zeigten sich der stellvertretende Ministerpräsident Heinrich Rau (SED) und Bergbauminister Fritz Selbmann (SED) am Fenster. Selbmann, der eine Ansprache hielt, wurde durch Rufe nach Ulbricht und Grotewohl unterbrochen. Auf seine Feststellung, daß er auch ein Arbeiter sei, wurde ihm erwidert: »Das hast Du aber vergessen!« In Sprechchören wurden freie Wahlen und der Rücktritt der Regierung gefordert, sowie die Generalstreikparole ausgegeben.

2. Rückgängigmachung der Arbeitsnormenerhöhung und Warnung vor feindlichen Provokateuren durch Politbüro

Das Politbüro des ZK der SED veröffentlichte laut ADN am 16. Juni folgende Erklärung:

1. Der Aufbau eines neuen Lebens und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter sowie der gesamten Bevölkerung sind einzig und allein auf der Grundlage der Erhöhung der Arbeitsproduktivität und der Steigerung der Produktion möglich. Nur die Verwirklichung der alten Losung unserer Partei ›Mehr produzieren – besser leben!‹ hat zur Wiederherstellung und zur schnellen Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR nach dem Kriege geführt. Dieser Weg war und bleibt der einzig richtige Weg. Deshalb ist das Politbüro der Auffassung, daß die Initiative der fortgeschrittensten Arbeiter, die freiwillig zur Erhöhung der Arbeitsnormen übergegangen sind, ein wichtiger Schritt auf dem Wege zum Aufbau eines neuen Lebens ist, der dem gesamten Volk den Ausweg aus den bestehenden Schwierigkeiten weist. Das Politbüro ist dabei der Meinung, daß eine der wichtigsten Aufgaben der Betriebsleiter, der Partei und Gewerkschaftsorganisationen darin besteht, Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Produktion zu ergreifen, damit in der nächsten Zeit der Lohn der Arbeiter, die ihre Normen erhöht haben, gesteigert werden kann.

2. Das Politbüro hält es zugleich für völlig falsch, die Erhöhung der Arbeitsnormen in den Betrieben der volkseigenen Industrie um 10 Prozent auf administrativem Wege durchzuführen. Die Erhöhung der Arbeitsnormen darf und kann nicht mit administrativen Methoden durchgeführt werden, sondern einzig und allein auf der Grundlage der Überzeugung und der Freiwilligkeit.

3. Es wird vorgeschlagen, die von den einzelnen Ministerien angeordnete obligatorische Erhöhung der Arbeitsnormen als unrichtig aufzuheben. Der Beschluß der Regierung vom 28. Mai 1953 ist gemeinsam mit den Gewerkschaften zu überprüfen. Das Politbüro fordert die Arbeiter auf, sich um die Partei und um die Regierung zusammenzuschließen und die feindlichen Provokateure zu entlarven, welche versuchen, Unstimmigkeiten und Verwirrung in die Reihen der Arbeiterklasse hineinzutragen.«

3. Demonstrationen verschärfen sich zu Kundgebung gegen Regime; Generalstreikparole teilweise befolgt; Ausnahmezustand durch Sowjet-Stadtkommandanten erklärt; Eingreifen Sowjetpanzer und Volkspolizei; Regierungsaufruf

Am 17. Juni entwickelten sich die Ereignisse in Ostberlin laut Neue Zeitung wie folgt: Die Arbeiter und Angestellten zahlreicher Betriebe befolgten die am Vorabend ausgegebene Generalstreikparole und erschienen nicht an ihren Arbeitsplätzen. Schon in den frühen Morgenstunden formierten sich Demonstrationszüge, die zum Stadtzentrum marschierten. Im Laufe des Vormittags mußten Straßen und U-Bahnen im Sowjetsektor ihren Verkehr einstellen, gleichzeitig wurde die von Ostberlin geleitete S-Bahn im gesamten Berliner Stadtgebiet stillgelegt. Gegen Mittag fielen vor dem Ostberliner Regierungsgebäude in der Leipziger Straße die ersten Schüsse sowjetischer Soldaten und Volkspolizisten. Nach 12 Uhr hatten sowjetische Truppen mit Hilfe von mindestens 20 Panzern vom Typ T 34 und zahlreichen Panzerspähwagen so wie anderen mit Maschinengewehren und Pakgeschützen bestückten vollbesetzten Mannschaftswagen begonnen, die Straßen um das Regierungsgebäude östlich des Potsdamer Platzes zu räumen. Hinter den Panzern, die gegen die Demonstranten anfuhren, marschierten in Schützenkette Volkspolizisten, die wiederholt mit Karabinern in die Menge schossen. Augenzeugen berichten, daß die sowjetischen Soldaten im allgemeinen, soweit man beobachten konnte bei ihrem angeordneten Vorgehen, in die Luft schossen. Die Demonstranten setzten trotzdem am Potsdamer Platz einen T 34 außer Gefecht, in dem sie Balken zwischen die Kettenglieder steckten und die Ketten brachen. Andere Demonstranten steckten Holzpfähle in die Rohre der Geschütze oder versuchten, große Steine zwischen die Ketten zu werfen. Zwei Jugendliche holten vom Brandenburger Tor die Rote Fahne herunter.

Der Befehl des sowjetischen Stadtkommandanten, Generalmajor Dibrowa, über die Verhängung des Ausnahmezustandes der um 13 Uhr 30 verkündet und ständig wiederholt wurde, lautete: »Für die Herbeiführung einer besseren öffentlichen Ordnung im sowjetischen Sektor von Berlin wird befohlen:

1. Ab 13 Uhr des 17. Juni wird im sowjetischen Sektor von Berlin der Ausnahmezustand verhängt.

2. Alle Demonstrationen, Versammlungen, Kundgebungen und sonstige Menschenansammlungen über drei Personen werden auf Straßen und Plätzen wie auch in öffentlichen Gebäuden verboten.

3. Jeglicher Verkehr von Fußgängern und der Verkehr von Kraftfahrzeugen und Fahrzeugen wird von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens verboten.

4. Diejenigen, die gegen dieses Verbot verstoßen, werden nach den Kriegsgesetzen bestraft.«

Ministerpräsident Otto Grotewohl forderte in einer Regierungserklärung die Bevölkerung auf, die Maßnahmen zur sofortigen Wiederherstellung der Ordnung in der Stadt zu unterstützen und die Bedingung für eine normale und ruhige Arbeit in den Betrieben zu schaffen. Die Schuldigen an den Unruhen würden zur Verantwortung gezogen und streng bestraft werden. Die Unruhen, zu denen es gekommen sei, seien das Werk von Provokateuren und faschistischen Agenten ausländischer Mächte und ihrer Helfershelfer aus deutschen kapitalistischen Monopolen.

4. Ostberlin wird abgeriegelt; Westberliner von Sowjets standrechtlich erschossen; Kundgebungen auch in Magdeburg und anderen Städten

Am 18. Juni entwickelte sich die Lage wie folgt:

Sowjetische Truppen in mindestens Divisionsstärke sowie kasernierte Volkspolizei-Einheiten, die zum Teil aus der Zone herangeführt wurden, haben den östlichen Teil Berlins hermetisch abgeriegelt. An den Sektorengrenzen patrouillieren Panzer und feldmarschmäßig ausgerüstete Sowjetsoldaten und Volkspolizisten. Die Demonstrationen der Berliner Arbeiter haben inzwischen auch auf die Zone übergegriffen. Aus zahlreichen Gebieten, so aus Gera, Leipzig, Dessau, Dresden, Chemnitz und Stralsund, werden Arbeitsniederlegungen und Protestkundgebungen gemeldet. Interzonenreisende berichteten, daß in Magdeburg die Demonstranten das Gefängnis gestürmt und zahlreiche Gefangene befreit hätten. Die Zahl der Toten in Ostberlin wurde mit mindestens 16 angegeben; in den Westberliner Krankenhäusern liegen 200 Verwundete. Der sowjetische Militärkommandant Dibrowa gab bekannt, daß der Westberliner Bürger Willi Göttling zum Tode durch Erschießen verurteilt worden ist. Das Urteil sei vollstreckt. Gottling habe in ausländischem Auftrag gehandelt er sei einer der Provokateure der banditenhaften Ausschreitungen. Der stellvertretende Ministerpräsident der DDR Otto Nuschke, der am 17. Juni von Demonstranten in den Westsektor abgedrängt und auf das Polizeipräsidium gebracht worden war, wurde am 19. Juni in den Ostsektor entlassen.

5. Verhaftungen und standrechtliche Erschießungen in der Sowjetzone.

Am 19. Juni wurde u.a. gemeldet:

Infolge der Ausdehnung der Demonstrationen und Unruhen auf die Sowjetzone wurde laut Neue Zeitung der Ausnahmezustand auf die gesamte Sowjetzone ausgedehnt. In verschiedenen Orten seien insgesamt 17 Personen standrechtlich erschossen worden. Gleichzeitig habe eine Verhaftungswelle eingesetzt. Demonstrationen und Unruhen seien auch aus Magdeburg, Leipzig, dem sächsischen Urangebiet, den Leunawerken bei Merseburg, dem Bunawerk sowie in Zschopau, Dresden und Görlitz gemeldet werden. Laut Die Welt seien die eingeleiteten Massenverhaftungen streikender Arbeiter auf sowjetische Anordnung hin gestoppt und zum Teil wieder rückgängig gemacht worden.

6. Regierungserklärung Adenauer zu den Ereignissen in Berlin

Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer gab laut Bulletin am 17. Juni vor dem Bundestag folgende Regierungserklärung zu den Ereignissen in Berlin ab:

»Die Ereignisse in Berlin haben in der deutschen Öffentlichkeit und darüber hinaus in der Welt starken Widerhall gefunden. Die Bundesregierung erklärt zu den Vorgängen: Wie auch die Demonstrationen der Ostberliner Arbeiter in ihren Anfängen beurteilt werden mögen, sie sind zu einer großen Bekundung des Freiheitswillens des deutschen Volkes in der Sowjetzone und Berlin geworden. Die Bundesregierung empfindet mit den Männern und Frauen, die heute in Berlin Befreiung von Unterdrückung und Not verlangen. Wir versichern ihnen, daß wir in innerster Verbundenheit zu ihnen stehen. Wir hoffen daß sie sich nicht durch Provokationen zu unbedachten Handlungen hinreißen lassen, die ihr Leben und die Freiheit gefährden könnten. Eine wirkliche Änderung des Lebens der Deutschen in der Sowjetzone und in Berlin kann nur durch die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit erreicht werden. Der Weg hierzu ist, wie der Bundestag in seinem Beschluß vom 10. Juni erneut bekräftigt hat. Die Bundesregierung wird nach diesen Grundsätzen handeln und sich darüber hinaus bemühen, daß bald wirksame Erleichterungen im Interzonenverkehr und in der Verbindung zwischen Berlin und der Bundesrepublik verwirklicht werden, die der wiedererstehenden Einheit den Weg bahnen. Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklung der Ereignisse mit größter Aufmerksamkeit; sie steht mit den Vertretern der Westmächte in ständiger enger Verbindung. In dieser bedeutsamen Stunde wollen wir alle ohne Unterschied politischer Auffassungen für das große gemeinsame Ziel zusammenstehen.«

7. Zwei Erklärungen der DDR-Regierung zu den Berliner Ereignissen

Die Agentur TASS veröffentlichte am 18. Juni folgende Mitteilung unter dem Titel »Zusammenbruch des Abenteuers ausländischer Sendlinge in Berlin«:

Gestern fanden in einigen Betrieben des demokratischen Sektors Berlins Verzögerungsaktionen statt, insbesondere unter den Bauarbeitern. Als Anlaß zur Einstellung der Arbeit diente die in den letzten Tagen in einigen Unternehmungen durchgeführte zehnprozentige Erhöhung der Arbeitsnormen, die jedoch von der Regierung der DDR am 16. Juni rückgängig gemacht wurde. Die Erhöhung der Normen war aber nur ein Vorwand für die Provokateure aus der Menge der ausländischen Agenten, die sich in Westberlin eingenistet haben, um Verzögerungsaktionen in den Betrieben und Ausschreitungen in den Straßen Berlins zu organisieren. Im Zusammenhang damit hat die Regierung der DDR am 17. Juni mittags eine Erklärung veröffentlicht, in der es heißt: ,Auf die Maßnahmen der Regierung der DDR zur Verbesserung der Lage der Bevölkerung haben faschistische und andere reaktionäre Elemente Westberlins mit Provokationen und ernsten Ruhestörungen im demokratischen Sektor Berlins geantwortet. Diese Provokationen sollen die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands erschweren. Der Vorwand für die Arbeitsniederlegung der Bauarbeiter in Berlin ist infolge des gestrigen Beschlusses in der Normenfrage hinfällig geworden. Die vorgekommenen Unruhen sind das Werk von Provokateuren und faschistischen Agenten ausländischer Mächte und ihrer Helfershelfer aus den deutschen kapitalistischen Monopolen. Diese Kräfte sind mit den demokratischen Behörden der Deutschen Demokratischen Republik, die eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung durchführen, nicht zufrieden. Die Regierung fordert die Bevölkerung auf:

1. Das Maßnahmen zur unverzüglichen Wiederherstellung der Ordnung in der Stadt zu unterstützen und Verhältnisse für die normale und ruhige Arbeit in den Unternehmungen zu schaffen.

2. Die Schuldigen an den Unruhen werden zur Rechenschaft gezogen und streng bestraft. Arbeiter und alle ehrlichen Bürger werden aufgefordert, die Provokateure festzunehmen und sie den Staatsorganen auszuliefern.

3. Es ist unerläßlich, daß Arbeiter und die technische Intelligenz in Zusammenarbeit mit den Staatsorganen selbst die nötigen Maßnahmen zur Herstellung des normalen Arbeitsganges ergreifen.’

Diese Erklärung der Regierung der DDR an die Bevölkerung ist vom Ministerpräsidenten Otto Grotewohl unterzeichnet. Am Abend des gleichen Tages veröffentlichte die Regierung der DDR eine Erklärung über den Zusammenbruch des Abenteuers ausländischer Söldlinge in Berlin. In dieser Erklärung heißt es: ,Währenddem die Regierung der DDR alle ihre Bemühungen darauf richtet, mittels Durchführung neuer wichtiger Maßnahmen eine Verbesserung der materiellen Lage der Bevölkerung zu erreichen, und ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiterschaft lenkt, versuchten käufliche Elemente, Agenten ausländischer Staaten und ihre Helfershelfer aus den Kreisen deutscher Monopolisten, die Regierungsmaßnahmen zu torpedieren. Es ist festgestellt worden, daß die Streiks, die gestern in einigen Betrieben stattgefunden haben, und auch die provokatorischen Ausschreitungen einzelner Gruppen faschistischer Agenten in den Straßen des demokratischen Sektors Berlins nach einem einheitlichen, in Westberlin ausgearbeiteten und im gegebenen Moment durchzuführenden Plan sich abspielten. Die Ausschreitungen endeten mit einem völligen Zusammenbruch des unternommenen Abenteuers, da sie auf den Widerstand des Großteils der Bevölkerung und der Staatsorgane gestoßen sind. In den Unternehmungen wird die normale Arbeit wiederhergestellt. In den Straßen wird die Ordnung aufrechterhalten. Es werden keine Ausschreitungen von Provokateuren und verbrecherischen Elementen geduldet. Zusammengebrochen sind die niederträchtigen Versuche ausländischer Agenten, die Durchführung wichtiger Regierungsmaßnahmen zu stören, welche auf eine Besserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung gerichtet sind. Zusammengebrochen sind die Versuche, Verwirrung zu stiften, um neue Hindernisse auf dem Wege zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu schaffen. Die Regierung der DDR wird entschiedene Maßnahmen treffen, damit die Urheber der Unruhen streng bestraft werden. Provokateure dürfen nicht auf Gnade rechnen!’«

8. Zwei Stellungnahmen der Westalliierten Kommandatur und sowjetische Antwort

Die alliierte Kommandatur in Berlin veröffentlichte laut AFP am 17. Juni folgendes Communiqué:

Die französischen, britischen und amerikanischen Stadtkommandanten sind am Mittwochvormittag mit den Westberliner Stadtbehörden zusammengekommen. Sie prüften gemeinsam die Lage. Die Kommandanten und die Berliner Behörden waren sich einig über die Notwendigkeit, in den Westsektoren Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Sie nahmen Kenntnis von gewissen Behauptungen, nach welchen die Demonstrationen im Sowjetsektor von Westberliner Agenten angezettelt worden seien. Derartige Behauptungen können Anlaß geben zu ernsthaften Mißverständnissen hinsichtlich des Ursprungs der erwähnten Demonstrationen. Die französischen, britischen und amerikanischen Kommandanten erklären deutlich daß weder die alliierten Behörden noch die Westberliner Behörden derartige Manifestationen mittelbar oder unmittelbar hervorriefen oder begünstigten.«

Die alliierte Kommandatur in Berlin übermittelte laut UP am 19. Juni der Sowjetkommandatur folgendes Schreiben:

Im Namen der Alliierten Hochkommissionen und der drei Kommandanten der westlichen Sektoren Berlins habe ich die Ehre, Ihnen unseren Standpunkt zur augenblicklichen Lage darzulegen. Wir sind der Ansicht, daß bereits zu viel Blut geflossen ist und daß die normale Lebensweise wiederhergestellt werden sollte. Wir fordern Sie auf, keine weiteren Hinrichtungen im Gefolge der Urteile der Militärgerichte vorzunehmen und den Sowjettruppen und der Volkspolizei den Gebrauch von Feuerwaffen zu verbieten. Wir wünschen, daß in Berlin so rasch wie möglich wieder freier Verkehr geschaffen wird, damit die Bevölkerung normale Lebensmittelzufuhren empfangen kann. Jede Haltung, die dem Geiste dieser Forderungen widersprechen würde, könnte nur zu einer Verschlechterung der Lage führen, die wir, zweifellos in voller Übereinstimmung mit Ihnen, wieder auf den normalen Stand zurückgebracht sehen wollen.«

Der sowjetische Militärkommandant von Berlin General Dibrowa wies in einer Note vom 20. Juni den Protest der westlichen Stadtkommandanten zurück. In der Note wird ausgeführt, daß die sowjetischen Besatzungsbehörden nicht abseits stehen konnten, da Westberliner Agenten Unruhen in der russischen Zone angestiftet hätten. Die angeordneten Maßnahmen einschließlich der Proklamierung des Ausnahmezustandes, seien eine absolute Notwendigkeit gewesen, um den Brandstiftungen und anderen Ausschreitungen eine Ende zu bereiten. Die Westkommandanten hatten die Ereignisse im Widerspruch mit den Tatsachen beurteilt. Der Protest der Westkommandanten müsse daher mangels jeder Begründung zurückgewiesen werden. Es sei beobachtet worden, daß die aus Westberlin entsandten Agitatoren mit Waffen, Rundfunksendern und Instruktionen ausgerüstet waren. Die Ausschreitungen seien von Westberliner Provokateuren und faschistischen Agenten durchgeführt worden. Der Protest der Westkommandanten könne daher nur als schwacher Versuch angesehen werden, sich der Verantwortlichkeit für kriminelle Akte bezahlter Kriegstreiber zu entziehen. Diese Agitatoren würden vor Gericht gestellt und streng bestraft werden. Als Beweis für die Anstiftung von Agenten aus Westberlin werden Dokumente über ein Geständnis eines verhafteten Westberliners Werner Kalkovski beigelegt, der Instruktionen erhalten habe, die Menge zu Plünderungen und Brandlegungen anzustiften. Die Sowjetbehörden hatten Agenten dieser Art nicht freie Hand lassen können. General Debrova erklärt abschließend, daß er kein Hindernis für die Wiederaufnahme der Verbindungen zwischen Ost- und Westberlin sehe, jedoch unter der Bedingung, daß die drei Westkommandanten notwendige Schritte zur Sicherstellung unternehmen, daß die Entsendung von Provokateuren und anderer krimineller Elemente nach Ostberlin aufhören.

Archiv der Gegenwart. Bd. 1, S. 958 ff.

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Die Ausnahme und die Regel

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Samstag, 3. September 2022: Serapion an Mephisto

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Es ist mittlerweile schon einige Jahre her, da wurde in Deutschland selbst von seriösen Medien vermeldet, im internationalen Maßstab habe man eine Umfrage veranstaltet in zahlreichen Ländern über die Frage nach der Beliebtheit der Völker in den Augen der anderen. Und als Ergebnis wurde nun regelrecht frohgemut verkündet, wir, die Deutschen, stünden in der Liste ganz weit oben, ich weiß nicht mehr auf welchem Platz. Gut möglich, daß es sogar der erste war. Auffällig rasant folgte darauf jedoch ein erschrockenes Schweigen, und nie mehr war von jener Hitliste der Völkerbeliebtheit die Rede, kein öffentliches Nachdenken, keinerlei Begründungsversuche, kein Kommentar. Denn urplötzlich muß den verantwortlichen Nachrichtenredakteuren wohl nachträglich die simple Tatsache in ihr Bewußtsein gedrungen sein, daß es bei solcherlei Wahl auch einen Letztplazierten gegeben haben müsse. Und ich glaube mich zu erinnern, bei meiner nachmaligen Recherche auf dem letzten Platz in der Beliebtheit aller anderen Völker dort die Russen gefunden zu haben…

Was ich sagen wollte, daß am 24. Februar insbesondere deutsche Politiker reihenweise aus allen Wolken fielen, war schon enorm erstaunlich.

Denn in Wahrheit ist Rußland und russisches Gebaren unschwer vorausberechenbar. Schon allein aufgrund der beständigen Verwechslung von Quantität mit Qualität: Alles was groß ist und glitzert und glänzt ist gut.

Pompös, pompöser, am pompösesten!

Bis hin zur Idiotie!

Nämlich: Wenn Rußland, diese Mischung aus Wodka, Lüge und Tand, ein großes Land ist, ist Rußland ein gutes Land.

Je größer desto guter.

Bolschoi-Theater und Staatszirkus!

Das schlimmste Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts ist für den aktuell in Rußland herrschenden Auftraggeber von Auftragsmorden die Auflösung der großen ruhmredigen „Sowjetunion“. Und nicht etwa der von Hitlerdeutschland industriell betriebene Massenmord und die in deutschem Namen auch am russischen Volk verübten Verbrechen.

Konrad Adenauer und Kurt Schumacher hatten recht, statt von „Sowjetunion“ unbeirrbar zu sprechen von „Sowjetrußland“.

„Sowjetunion“ hieß ja das verlogene Hüllwort für „russisches Imperium“. Dessen Größe vornehmlich basierte auf Lüge und Heimtücke russischer Politik, seit Iwan der Schreckliche seine berüchtigten Opritschniki „russische Erde sammeln“ ließ.

Verlogenheit: Da fallen mir neben dem Hitler-Stalin-Pakt ein die Potemkinschen Dörfer als treffendstes Sinnbild für Rußland.

Auch beispielsweise unter der unendlichen Anzahl an Lügen über die Jahrhunderte die musterhaft russischen Lüge von Jalta, auf der Grundlage des allgemeinen und geheimen Wahlrechts freie Wahlen in allen von Hitlerdeutschland befreiten Gebieten abhalten zu lassen laut alliierter „Erklärung über das befreite Europa“.

Auf der Grundlage jener Lüge ganz Osteuropa von den Russen unterjocht wurde.

Mit russischer Brutalität, mit Heimtücke, Mord und Totschlag.

Woraus man im Zusammenhang mit den russischen Panzern 1953 in Berlin, mit den russischen Panzern 1956 in Ungarn, mit den russischen Panzern 1968 in Prag, mit der Breschnew-Doktrin, mit dem russischen Einmarsch in Afghanistan und im Zusammenhang mit Transnistrien, Tschetschenien, Südossetien, Abchasien, der Ukraine und der Krim und der vom Westen bis heute noch nicht begriffenen Sperrung des Asowschen Meeres doch wertvolle Kenntnisse hätte ableiten können und fürderhin ableiten sollte.

Für die Gegenwart und für die Zukunft.

Und auch der Kampf gegen die dem Russentum von jeher gefährlich erscheinende Lebensart der Westler, der Kampf gegen die Europäisierung Rußlands, ist kein neuer Zug. Rußlands Imperialismus und sein Krieg gegen den Westen, der dauert schon Jahrhunderte!

Doch heute bekriegt der russische Imperialismus expansiv auch die gesamte westliche Zivilisation als solche. Weil man sie für dekadent, schädlich und mit ihrem Hang zum Ideal der Gedankenfreiheit bedrohlich und demgegenüber das Russentum für gesund und überlegen hält.

Rußland als chauvinistisch gegen westliche Kultureinflüsse kämpfender Staat ist semifaschistisch ausgerichtet auf die Entindividualisierung seiner letztendlich als leibeigen betrachteten Bürger.

Rußland kämpft gegen das Individuum!

Darum laßt endlich die Illusionen fahren und wartet nicht auf bessere Zeiten!

Nicht der gegenwärtig in Rußland herrschende Auftraggeber von Auftragsmorden ist die Ausnahme!

Die regelbestätigende Ausnahme war der heute zu Grabe getragene Michail Gorbatschow.

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Die Russen muss man mit der Knute oder mit dem Glauben nehmen.“

Alexander Zipko, ehemaliger Vertrauter Gorbatschows, zitiert im aktuellen DER SPIEGEL

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§ 323c StGB

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18. Februar 2022: Bellarmin an Mephisto

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Mir fällt ein, was unseren geschichtskenntnisfreien Journalisten in Deutschland nicht einfällt, daß nämlich vor dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei am 21. August 1968 es wochenlang umfangreiche Truppenaufmärsche zwecks Abhaltung von Manövern an den Grenzen des Nachbarlandes gab. Und mir fällt ein, daß man ebenfalls vor dem Einmarsch in die Tschechoslowakei aus der Tschechoslowakei ein paar linientreue Kommunisten fein säuberlich hat um Hilfe rufen lassen. Mir fällt auch ein, daß sowohl vor als auch nach dem Einmarsch der Russen von den Russen in den Ländern ihres Einflußbereiches das Rechtfertigungsnarrativ verbreitet worden war, der Westen hätte in der Tschechoslowakei mittels Konterrevolutionären das Land aus dem sozialistischen Block lösen und die Macht dort übernehmen wollen.

Zum Beispiel auch durch „die revanchistischen Kräfte“ der sudetendeutschen Landsmannschaften in der Beärrde.

Und angesichts der einmalig gesendeten und im Lande der „Ukraine-Konflikt“-Sager nie diskutierten Meldung des Deutschlandfunks vom 10. Januar 2022 des Wortlauts „Angesichts der Unruhen in Kasachstan hat der russische Staatschef Putin betont, sein Land werde keine Revolutionen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zulassen“, fällt mir prompt ein und wieder im Gegensatz zu den geschichtskenntnisfreien Journalisten Deutschlands: die Breshnew-Doktrin.

Womit der russische Einmarsch sowohl in die Tschechoslowakei als auch der russische Einmarsch in Afghanistan nachträglich „gerechtfertigt“ worden war.

Daß nämlich die Länder im Einflußbereich der Russen lediglich nur über eine beschränkte Souveränität verfügen sollten.

Wenn man geschichtskenntnisfrei nichts weiß, kann man auch keine Analogien bilden und 1 + 1 nicht zusammenzählen und kann Transnistrien, Abchasien, Südossetien, die Krim und den Donbaß nicht zusammenrechnen und ist dem Geschehen, also den Russen, in chaotischer Weise ausgeliefert.

Albert Einstein, der 1914 im Zusammenhang mit der Kriegsbegeisterung insbesondere seiner deutschen Wissenschaftskollegen von „Großhirnamputierten“ sprach, sich in der Folge für absolute Kriegsdienstverweigerung einsetzte, der „Internationale der Kriegsdienstverweigerer“ seine Mitarbeit anbot, der Gründung einer „Internationalen Einstein-Kriegsdienstverweigerer-Stiftung“ zustimmte und noch 1929 auf eine Zeitschriftenanfrage erwidert hatte: „Ich würde alle Kriegsdienste uneingeschränkt verweigern und würde auf meine Freunde einwirken, dasselbe zu tun, ganz gleichgültig, welcher Grund für den Krieg auch angegeben ist“, soll nach 1933, als er von belgischen Kriegsdienstverweigerern gefragt wurde, wie sie sich im Fall eines deutschen Angriffs denn nun verhalten sollten, geantwortet haben, dann müsse jeder, so gut er könne, für die Freiheit seines belgischen Vaterlandes kämpfen.

Apropos Nobelpreisträger, die preisgekrönt gedächtnisbegabte Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch und die preisgekrönt gedächtnisbegabte Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller haben dem gedruckten DER SPIEGEL vom 5. Februar die Ehre eines Interviews gegeben, noch dazu eines mit einer für deutsche Verhältnisse nahezu atemberaubenden Klarheit („Transparenz“ auf journalistischem Dummdeutsch):

Müller: … Er hat die Krim völkerrechtswidrig annektiert. Er hat einen Teil des Donbass faktisch besetzt, ohne Putin gäbe es die Separatisten doch gar nicht. Er hat die Ukraine zerstückelt. Alle reden jetzt immer von der Krise. Was für eine Krise? Wir haben doch längst Krieg in der Ukraine. Seit acht Jahren!

Warum wollten die Rumänen und Polen in die Nato aufgenommen werden? Doch nicht um Russland anzugreifen, sondern um sich zu schützen.

Alexijewitsch: Er steckt das Geld ins Militär.

Müller: Wir kaufen sein Gas und sein Öl, und er baut mit unserem Geld seine Waffen und probiert sie in Syrien aus. Und jetzt braucht er sie für Europa.

Müller: Putin kann nicht anders, als in alten Mustern denken. Er kommt aus dem sowjetischen Geheimdienst. Er bezeichnet die Leute im eigenen Land nach Belieben als ausländische Agenten. Er ist kriminell sozialisiert und kennt keine anderen Mittel, als zu lügen, zu fälschen, zu erpressen. Und es geht auch um Morde, Anna Politkowskaja und Boris Nemzow. Die Morde wurden nicht wirklich aufgeklärt. Was kann er denn anderes bieten als eine Diktatur? Das ist ja das Problem der Diktatoren. Sie begehen so viele Verbrechen, dass sie wissen: Wenn sie nicht mehr Diktatoren wären, käme die Justiz.

SPIEGEL: Ist es richtig, Putin Diktator zu nennen?

Müller: Was soll er denn sonst sein? Er schickt Oppositionelle ins Gefängnis oder ins Lager. Stalins Lagersystem wirkt in Russland bis heute. Gerade wurde die Menschenrechtsorganisation Memorial aufgelöst, weil die Erinnerungen an die Verbrechen im Gulag tabu sind.

SPIEGEL: Auch Westdeutsche äußern Verständnis für Putins Sorge vor einer Bedrohung durch die Nato.

Müller: Oh ja, wir haben einen ehemaligen Kanzler, der sich zur Hofschranze Putins macht. Gerhard Schröder ist doch der größte Lobbyist Europas. Und mir scheint, seine Partei hat dazu keine Meinung.

SPIEGEL: Putin und sein Außenminister Sergej Lawrow wollen jetzt Garantien, dass die Nato keine Soldaten in Ländern der ehemaligen Sowjetunion stationiert und die Ukraine nicht Mitglied wird. Fühlt Russland sich zu Recht umzingelt?

Müller: Die Nato kann Russland gar nicht umzingeln. Und kein Land der Nato hat jemals Russland bedroht. Sondern umgekehrt. Die Sicherheitsforderungen drehen die Tatsachen um und sind geopolitischer Größenwahn.

SPIEGEL: Nazideutschland hat fürchterliches Leid über die Länder des Ostens gebracht. Können Sie verstehen, warum die deutsche Regierung auf Diplomatie setzt und keine Waffen in die Ukraine schicken möchte?

Müller: Das ist doch eine Ausrede, mit der man jetzt nicht kommen sollte. Was haben wir denn in den Neunzigerjahren in Ex-Jugoslawien gemacht, aus guten Gründen? Wir haben militärisch ausgeholfen. Gerade die Deutschen mit ihrer Geschichte müssen der Ukraine helfen. Was wollen die deutschen Politiker jetzt der Ukraine schicken? Helme? Das ist doch eine Blamage vor der ganzen Welt! Wollen sie vielleicht als Nächstes Fencheltee schicken? Oder Särge für die gefallenen ukrainischen Soldaten?

SPIEGEL: Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagt: »Wer redet, schießt nicht.«

Müller: Was für ein dummer, abgenutzter Satz. Geredet wird immer, auch wenn geschossen wird. Es ist schrecklich, wie sich unsere Politiker jetzt äußern. Lars Klingbeil von der SPD kommt sich ja schon mutig vor, wenn er Russland als den Verursacher der Eskalation benennt. Wie kann man denn so feige sein? Und was hat er noch gesagt? »Wir müssen jetzt den Frieden organisieren.« Als könnte man so etwas »organisieren«. Ich finde es schlimm, dass diese Leute die Tragweite ihrer Aussagen gar nicht mehr übersehen. Deswegen schauen ja jetzt alle auch so besorgt auf Deutschland. Die Ukrainer müssen sich verteidigen können.

….

Müller: Es ist ein Fluch, mit Russland benachbart zu sein.

Doch zurück zur immerhin strafrechtlich verfolgbaren unterlassenen Hilfeleistung. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, fangen die heutigen, demnach die geschichtsvergessenen Deutschen tatsächlich an zu überlegen, ob ein Schutzgitter helfen könnte: „Wenn Russland die Ukraine überfällt, müssen wir über Waffenexporte nachdenken.“ (Reinhard Bütikofer, Bündnis 90 / Die Grünen am 12. Februar 2022 im DER SPIEGEL).

Ein schöner Zug.

Wahrlich, ein schöner Zug.

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Dem guten Freund, der mit gutem Rat

Mir immer riet und nie was tat,

Jetzt, als Vermächtnis, rat ich ihm selber:

Nimm eine Kuh und zeuge Kälber.

Heinrich Heine (1797 – 1856)

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Die Zerstörung des öffentlichen Diskursklimas

 

6. März 2021: Bellarmin an Mephisto

 

Eine der drei elementaren Regeln kommunikativer Dialektik läßt sich etwa so formulieren: Ich mache meinem Gegner, mit dem ich jedoch irgendwie ins Gespräch kommen möchte oder muß, und infolgedessen er wohl oder übel mein Kommunikationspartner wird, nur derartige Gesprächsangebote, die jener auch akzeptieren kann. Meinem strategischen, also meinem übergeordneten Interesse an jenem Dialog, sei es zwecks grundlegender Verständigung, sei es zwecks Situations- oder Positionsklärung, sei es überhaupt nur zwecks eines „ins erste Gespräch kommen“, ordne ich alle meine Vorurteile unter und erst recht alle Unsachlichkeiten. Was bedeutet, ich scheide genau das aus, was dem Selbstverständnis meines Gegenübers widerspräche und ihm somit den Eintritt in einen sachlichen Dialog verwehren könnte.

Früher gab es das. Da konnten sich Bahr mit Barzel, Brandt mit Breshnew unterhalten.

Es war einmal…

Es war also Anfang Mai 2016 seitens des Zentralrates der Muslime, nämlich höchstpersönlich von ihrem Vorsitzenden Mazyek, die AfD in die Nähe der NSDAP gerückt worden. Dann hat selbiger die AfD-Spitzenvertreter unter propagandistischem Tamtam für ein Gespräch zu sich gebeten. Die Einladung trug allerdings bereits den Ruch einer Einbestellung. Am sonntäglichen Vorabend des geplanten Diskurses bekräftigte Mazyek seine Vorwürfe. Am Montag meldeten dann die Gazetten im Einklang mit den öffentlich-rechtlichen Medien triumphierend, die Zusammenkunft sei „von der rechtspopulistischen AfD“ nach kurzer Zeit abgebrochen worden mit der Begründung, Vertreter des Zentralrates hätten die Partei in die Nähe des Dritten Reiches gerückt.

Dieser Begründung des Gesprächsabbruchs wurde vom Zentralrat in keiner Weise widersprochen.

Am letzten Sonntag im Mai 2016 folgte dann die Inszenierung „Gauland hätte geäußert, er wolle Boateng nicht als Nachbarn haben.“

In der Mittagsinformationssendung des Deutschlandfunks vermeldet anfänglich ein aufgeregter Journalist, der Alexander Gauland von der AfD habe Jérôme Boateng beleidigt! Gauland hätte geäußert, er wolle Boateng nicht als Nachbarn haben. Erst am Schluß der Sendung klang das dann etwas anders: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zitiere Gauland unter der Überschrift „Gauland beleidigt Boateng“ mit den beiden Sätzen: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“

Diese beiden aus jedem weiteren Kontext gelösten Sätze wurden nun unentwegt von sämtlichen Medien, ohne erneute wörtliche Zitierung, in einen Strom der Entrüstung gestellt, vielfach in einem Atemzug mit der Wiederholung, Gauland habe Boateng beleidigt! Meist mit der triumphierenden Einleitung: „Boateng ist Deutscher, Nationalspieler, engagiert sich für soziale Projekte. Er ist in Berlin geboren, Vater Ghanaer, Mutter Deutsche.“ (Bild)

Über Twitter, dem Medium der inkompetenten Inkontinenten, meldeten prompt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann und Linken-Chef Bernd Riexinger fast wortgleich, Gauland sei ein Rassist!

Ohne das geringste anderweitig als sonst so politisch korrekt empfundene und jedem Mörder zugebilligte „Mutmaßlich“.

Und natürlich fügte die unvermeidliche Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckard ihren Senf hinzu, ihr sei Boateng in der Nachbarschaft viel lieber als Gauland. Ebenfalls fast wortgleich mit der Landesvorsitzenden der CDU in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner.

Der seinerzeitige Vizekanzler, also ein Regierungsvertreter, Sigmar Gabriel meinte sagen zu müssen: „Gauland ist nicht nur gegen Fremde, sondern auch gegen das Gute an Deutschland“!

Und der damalige Rechtspfleger und Rechtshüter, Justizminister Heiko Maas, den man offensichtlich vergaß bei seinen juristischen Studienabschlüssen zu examinieren über die Unschuldsvermutung, der Heiko Maas also, ein Regierungsvertreter, nannte „Gaulands Äußerung“ „niveaulos und inakzeptabel“.

Der Deutschlandfunk frohlockte: „Im Internet schwillt unter dem Schlagwort ‚Nachbar‘ die Empörung über AfD-Vize Alexander Gauland zum Shitstorm an.“

Unverhohlene Freude eines öffentlich-rechtlichen Mediums über fremdsprachlich verklausulierte Fäkaliensprache gegenüber einem deutschen Oppositionspolitiker!

Und meldete nachrichtlich: „Bundeskanzlerin Merkel hat die Äußerung von AfD-Vizechef Gauland im Zusammenhang mit dem Fußballnationalspieler Jérôme Boateng verurteilt. Der Satz, der gefallen sei, sei niederträchtig und traurig, sagte Merkels Sprecher Seibert in Berlin.“

Die Regierungschefin!

Niederträchtig und traurig“.

Indessen muss ich traurig zugeben, dass meine Kenntnisse aristotelischer Logik und mathematischer Schlußweise nicht ausreichen, aus den beiden Sätzen „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“, wenn sie denn so gefallen sein sollten, eine „Beleidigung“ Boatengs oder einen „Rassisten“ Gauland zu folgern.

Und über das „Richtig“ oder „Falsch“ dieser Thesen eventueller Befindlichkeiten der deutschen Bevölkerung (und eben nicht der Gauland unterstellten!) wäre früher in einer Sonntagsrunde des „Frühschoppen“ bei Werner Höfer in der ARD völlig normal debattiert worden.

Als interessantes und wichtiges Diskussionsthema.

Doch stattdessen erweckten die Reaktionen den Anschein einer konzertierten Inszenierung mit dem Zweck der unbedingten Nachweisführung einer nazistischen Gesinnung.

Und erinnerte wieder an die des Chefkommentators der „Deutschen Demokratischen Republik“, also an Sudel-Edes Inszenierung von Hetzkampagnen gegen eine unterstellte „revanchistische“ Gesinnung der „Beärrdee“.

Um mich nicht noch weiter in die Vergangenheit zurückzudenken.

Um das Wort „faschistoide Stimmungsmache“ noch einmal zurückzuhalten.

Der gesamte Staat totalitär gegen ein Individuum!

Gauland = Rassist!

AfD = rassistische Partei!

Keine einzige journalistische Stimme, die den Rufmord Rufmord nannte! Und noch heute wird kolportiert, Gauland hätte gesagt, er würde Boateng nicht zum Nachbarn haben wollen.

Erbärmlich!

Widerlich!

Beängstigend!

Nur ganz vereinzelt blieb ein allerdings folgenloses Quäntchen Vernunft (Hervorhebungen von Bellarmin):

 

Montag, 30. Mai 2016, Deutschlandfunk:


Müller: Viele Fans finden die „ausländischen Spieler“, die Migrantenspieler, sehr, sehr gut, aber in der politischen, gesellschaftlichen Realität haben sie massive Vorurteile?


Eilenberger: Ja! Das glaube ich, dass es da eine kognitive Dissonanz gibt, auch gerade bei vielen Fußballfans, auch aus dem mutmaßlichen Wählerpool der AfD. Ich denke, wir müssen uns einfach eingestehen, dass es ein hohes Maß an Alltagsrassismus in Deutschland nach wie vor gibt. Darauf hat Herr Gauland auch angespielt. Und ich glaube, wenn es eine Deskription war, dass viele Menschen nicht neben farbigen Mitbürgern leben wollen, dann ist das leider nicht falsch. Das Interessante ist, dass Herr Gauland das nicht bedauert, sondern einfach festhält und daraus politisches Kapital schlagen will, und das ist die Unverantwortlichkeit im Diskurs. Und wenn Sie mich fragen, ob viele Fußballfans vielleicht Herrn Boateng bejubeln und andererseits aber sagen, na ja, so neben ihm wohnen wollte ich nicht, dann ist das eine sehr hässliche Wahrheit. Aber ich glaube, es ist deskriptiv nicht falsch und trifft auf 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung immer noch zu.



Müller: Jetzt müssen wir, Herr Eilenberger, auch nochmal diesen Einwurf zumindest machen, wir haben vor gut einer Stunde auch mit unserem Korrespondenten Stephan Detjen in Berlin darüber gesprochen, dass das ja offenbar gar nicht so klar ist, was Alexander Gauland nun definitiv, also wortwörtlich gesagt hat. Die beiden Reporter, Korrespondenten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ haben es eben so zitiert, und er hat gesagt, er weiß gar nicht, ob er Boateng genannt hat, aber vielleicht doch. Ist für Sie alles Taktik und keine legitime Erklärung, Entschuldigung?


Eilenberger: Soweit ich über diesen Fall informiert bin, hat Herr Gauland das im Bereich eines weiten Gesprächs, das er nicht eigens autorisieren ließ, gesagt. Und ich muss sagen, ich bin mit der Skandalisierung der „FAS“-Kollegen sehr unzufrieden. Ich finde auch wirklich schäbig, dass man dann zu den Nachbarn von Herrn Boateng geht und da eigens eine Umfrage startet. Das ist auch eine Form von Skandalisierung, die ich journalistisch nicht befürworten kann und die sehr viel zur Zerstörung des öffentlichen Diskursklimas beiträgt. Ich muss sagen, der journalistische Umgang der „FAS“-Kollegen mit diesem Faktum, der lässt mich auch sehr unzufrieden zurück.

 

Müller: Es hilft jetzt der AfD?


Eilenberger: Es wird sicher die Stammwählerschaft der AfD nicht verschrecken, sondern bestätigen, und es bringt ein neues Thema in einer sehr hässlichen und sehr sachfernen Form in den öffentlichen Diskurs, das eigentlich wichtig ist und dem wir alle offenen Auges entgegensehen sollten.


Müller: Der Philosoph Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des Philosophie-Magazins.

 

Dienstag, 19. April 2016, STUTTGARTER NACHRICHTEN:

Derzeit geht es allzu oft darum, Sätze von AfD-Größen zu skandalisieren, auch um eine Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz herbeizureden. Die jüngste Aussage der AfD, der Islam sei unvereinbar mit dem Grundgesetz, ist aber wahrlich nichts Neues. Das sagen selbst Rechtsexperten seit vielen Jahren. Auch das von der AfD angestrebte Verbot von Minaretten oder Burkas ist noch kein Grund, sich an Hitler-Deutschland erinnert zu fühlen, wie dies der Zentralrat der Muslime tat. Es sei denn, man würde Länder wie Frankreich, Belgien oder die Schweiz ebenfalls als Nazi-Diktaturen bezeichnen wollen. Dort gibt es nämlich schon solche Verbote.

 

 

In der Tat muss man kein AfD-Anhänger sein, um das Vorgehen des Verfassungsschutzes fragwürdig zu finden.“
Samstag, 6. März, 2021, SÜDKURIER

 

4.6.16 Mephisto an Bellarmin

Eine der drei elementaren Regeln kommunikativer Dialektik läßt sich etwa so formulieren: Ich mache meinem Gegner, mit dem ich jedoch irgendwie ins Gespräch kommen möchte oder muß, und infolgedessen er wohl oder übel mein Kommunikationspartner wird, nur derartige Gesprächsangebote, die jener auch akzeptieren kann. Meinem strategischen, also meinem übergeordneten Interesse an jenem Dialog, sei es zwecks grundlegender Verständigung, sei es zwecks Situations- oder Positionsklärung, sei es überhaupt nur zwecks eines „ins erste Gespräch kommen“, ordne ich alle meine Vorurteile unter und erst recht alle Unsachlichkeiten. Was bedeutet, ich scheide genau das aus, was dem Selbstverständnis meines Gegenübers widerspräche und ihm somit den Eintritt in einen sachlichen Dialog verwehren könnte.

Früher gab es das. Da konnten sich Bahr mit Barzel, Brandt mit Breshnew unterhalten.

Es war einmal…

Es war also Anfang Mai seitens des Zentralrates der Muslime, nämlich höchstpersönlich von ihrem Vorsitzenden Mazyek, die AfD in die Nähe der NSDAP gerückt worden. Dann hat selbiger die AfD-Spitzenvertreter unter propagandistischem Tamtam für ein Gespräch zu sich gebeten. Die Einladung trug allerdings bereits den Ruch einer Einbestellung. Am sonntäglichen Vorabend des geplanten Diskurses bekräftigte Mazyek seine Vorwürfe. Am Montag meldeten dann die Gazetten im Einklang mit den öffentlich-rechtlichen Medien, die Zusammenkunft sei „von der rechtspopulistischen AfD“ nach kurzer Zeit abgebrochen worden mit der Begründung, Vertreter des Zentralrates hätten die Partei in die Nähe des Dritten Reiches gerückt. Dieser Begründung des Gesprächsabbruchs wurde vom Zentralrat in keiner Weise widersprochen.

Letzten Sonntag der nächste Eklat. In der Mittagsinformationssendung des Deutschlandfunks vermeldete anfänglich ein aufgeregter Journalist, der Alexander Gauland von der AfD habe Jérôme Boateng beleidigt! Gauland hätte geäußert, er wolle Boateng nicht als Nachbarn haben. Erst am Schluß der Sendung klang das etwas anders. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zitiere Gauland unter der Überschrift „Gauland beleidigt Boateng“ mit den beiden Sätzen: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Diese beiden aus jedem weiteren Kontext gelösten Sätze wurden nun unentwegt von sämtlichen Medien in einen Strom der Entrüstung gestellt, vielfach in einem Atemzug mit der Wiederholung, Gauland habe Boateng beleidigt. Meist mit der triumphierenden Einleitung: „Boateng ist Deutscher, Nationalspieler, engagiert sich für soziale Projekte. Er ist in Berlin geboren, Vater Ghanaer, Mutter Deutsche.“ (Bild)

Über Twitter, dem Medium der Inkontinenten, meldeten prompt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann und Linken-Chef Bernd Riexinger fast wortgleich, Gauland sei ein Rassist. Und natürlich unvermeidlich fügte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckard ihren Senf hinzu, ihr sei Boateng in der Nachbarschaft viel lieber als Gauland. Ebenfalls fast wortgleich mit der Landesvorsitzenden der CDU in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner. Vizekanzler, also ein Regierungsvertreter, Sigmar Gabriel meinte sagen zu müssen: „Gauland ist nicht nur gegen Fremde, sondern auch gegen das Gute an Deutschland“. Und natürlich unser oberster Rechtspfleger und Rechtshüter, der ebenso stets unvermeidliche Justizminister Heiko Maas, den man offensichtlich vergaß bei seinen juristischen Studienabschlüssen, über die Unschuldsvermutung zu examinieren, über die Unschuldsvermutung unter anderem, der Heiko Maas also, ein Regierungsvertreter, nannte „Gaulands Äußerung“ „niveaulos und inakzeptabel“. Der Deutschlandfunk frohlockte am Montag: „Im Internet schwillt unter dem Schlagwort ‚Nachbar‘ die Empörung über AfD-Vize Alexander Gauland zum Shitstorm an.“ Und meldet nachrichtlich: „Bundeskanzlerin Merkel hat die Äußerung von AfD-Vizechef Gauland im Zusammenhang mit dem Fußballnationalspieler Jérôme Boateng verurteilt. Der Satz, der gefallen sei, sei niederträchtig und traurig, sagte Merkels Sprecher Seibert in Berlin.“

Die Regierungschefin!

„Niederträchtig und traurig“.

Indessen muß ich traurig zugeben, daß meine Kenntnisse aristotelischer Logik und mathematischer Schlußweise nicht ausreichen, aus den beiden Sätzen „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“, wenn sie denn so gefallen sein sollen, eine „Beleidigung“ Boatengs oder einen „Rassisten“ Gauland zu folgern.

Ich bin zu dumm dafür.

Andererseits, ich kann mir nicht helfen, erinnerte mich die Hysterie letzten Sonntag und Montag verdammt an die Hetzkampagnen, wie sie seinerzeit vom Chefkommentator des Fernsehfunks der DDR, Karl Eduard von Schnitzler, unseligen Angedenkens, inszeniert wurden.

Um mich nicht noch weiter in die Vergangenheit zurückzudenken.

Um das Wort „faschistoide Stimmungsmache“ noch einmal zurückzuhalten.

Der Staat gegen Gauland!

Es ist beängstigend.

 

Montag, 30. Mai 2016, Deutschlandfunk:

Müller: Viele Fans finden die „ausländischen Spieler“, die Migrantenspieler, sehr, sehr gut, aber in der politischen, gesellschaftlichen Realität haben sie massive Vorurteile?

Eilenberger: Ja! Das glaube ich, dass es da eine kognitive Dissonanz gibt, auch gerade bei vielen Fußballfans, auch aus dem mutmaßlichen Wählerpool der AfD. Ich denke, wir müssen uns einfach eingestehen, dass es ein hohes Maß an Alltagsrassismus in Deutschland nach wie vor gibt. Darauf hat Herr Gauland auch angespielt. Und ich glaube, wenn es eine Deskription war, dass viele Menschen nicht neben farbigen Mitbürgern leben wollen, dann ist das leider nicht falsch. Das Interessante ist, dass Herr Gauland das nicht bedauert, sondern einfach festhält und daraus politisches Kapital schlagen will, und das ist die Unverantwortlichkeit im Diskurs. Und wenn Sie mich fragen, ob viele Fußballfans vielleicht Herrn Boateng bejubeln und andererseits aber sagen, na ja, so neben ihm wohnen wollte ich nicht, dann ist das eine sehr hässliche Wahrheit. Aber ich glaube, es ist deskriptiv nicht falsch und trifft auf 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung immer noch zu.

Müller: Jetzt müssen wir, Herr Eilenberger, auch nochmal diesen Einwurf zumindest machen, wir haben vor gut einer Stunde auch mit unserem Korrespondenten Stephan Detjen in Berlin darüber gesprochen, dass das ja offenbar gar nicht so klar ist, was Alexander Gauland nun definitiv, also wortwörtlich gesagt hat. Die beiden Reporter, Korrespondenten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ haben es eben so zitiert, und er hat gesagt, er weiß gar nicht, ob er Boateng genannt hat, aber vielleicht doch. Ist für Sie alles Taktik und keine legitime Erklärung, Entschuldigung?

Eilenberger: Soweit ich über diesen Fall informiert bin, hat Herr Gauland das im Bereich eines weiten Gesprächs, das er nicht eigens autorisieren ließ, gesagt. Und ich muss sagen, ich bin mit der Skandalisierung der „FAS“-Kollegen sehr unzufrieden. Ich finde auch wirklich schäbig, dass man dann zu den Nachbarn von Herrn Boateng geht und da eigens eine Umfrage startet. Das ist auch eine Form von Skandalisierung, die ich journalistisch nicht befürworten kann und die sehr viel zur Zerstörung des öffentlichen Diskursklimas beiträgt. Ich muss sagen, der journalistische Umgang der „FAS“-Kollegen mit diesem Faktum, der lässt mich auch sehr unzufrieden zurück.

Müller: Es hilft jetzt der AfD?

Eilenberger: Es wird sicher die Stammwählerschaft der AfD nicht verschrecken, sondern bestätigen, und es bringt ein neues Thema in einer sehr hässlichen und sehr sachfernen Form in den öffentlichen Diskurs, das eigentlich wichtig ist und dem wir alle offenen Auges entgegensehen sollten.

Müller: Der Philosoph Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des Philosophie-Magazins.

 

Dienstag, 19. April 2016, STUTTGARTER NACHRICHTEN:

Derzeit geht es allzu oft darum, Sätze von AfD-Größen zu skandalisieren, auch um eine Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz herbeizureden. Die jüngste Aussage der AfD, der Islam sei unvereinbar mit dem Grundgesetz, ist aber wahrlich nichts Neues. Das sagen selbst Rechtsexperten seit vielen Jahren. Auch das von der AfD angestrebte Verbot von Minaretten oder Burkas ist noch kein Grund, sich an Hitler-Deutschland erinnert zu fühlen, wie dies der Zentralrat der Muslime tat. Es sei denn, man würde Länder wie Frankreich, Belgien oder die Schweiz ebenfalls als Nazi-Diktaturen bezeichnen wollen. Dort gibt es nämlich schon solche Verbote.

 

„O Urteil, du entflohst zum blöden Vieh!“

William Shakespeare (1564 – 1616)

 

Mephisto an Bellarmin

Nein, es ist unwahr, wenn der derzeitige SPD-Chef Sigmar Gabriel spdämlich, also spd-typischerweise, also mit schon intellektbeleidigend durchschaubar politischem Kalkül auf extreme Vergeßlichkeit oder Unkenntnis seiner Adressaten setzend behauptet, Egon Bahr wäre „Architekt der deutschen Einheit“ gewesen. Dabei offenkundig die auf Bahr zutreffende Ehrenbezeichnung „Architekt der Ostverträge“ geschichtsklitternd vorsätzlich verbiegend, also mit Halbwahrheiten lügend. Spdämlich auch deshalb, weil hier im Speziellen plumper Legendenbildung der beabsichtigten Wirkung, nämlich einer ungeschmälerten Würdigung der Verdienste dieses außerordentlichen Mannes, kontraproduktive Widerstände entgegenwachsen. Und das wahrlich ohne jede Not. Zugegebenermaßen hat seit dem Fall der Mauer in zunehmendem Maß Bahr selbst versucht, an jener unnötigen Legende mitzustricken.

In der SPD wähnt man ja immer noch, ihr permanentes Umfragetief hinge zusammen mit der Agenda 2010. Wähnen kommt von Wahn. Aber unter uns Pastorentöchtern will ich den Genossen ganz im Vertrauen raten, hinsichtlich der Ursachenforschung lieber einmal als gar nicht an mangelnde Glaubwürdigkeit und fehlende Authentizität zu denken. Und ohne mich jetzt beispielhaft über unseren Justizminister oder die Generalsekretärin der Partei oder andere unendliche Details zu verbreiten: Die Chamäleonhaftigkeit der einstigen Partei Willy Brandts offenbart sich vortrefflich in den wechselnden Verkleidungen ihres derzeitigen Vorsitzenden. Wie etwa, wenn er in Regenjacke zu Pegida schleicht, oder wenn er sich in Sichtweite eines Flüchtlingswohnheims mit einem Insassen parlierend vor den Kameras mitgereister Medien im Trainingsanzug inszeniert.

„Politische Führung gewinnt Respekt, wenn sie ihrer Überzeugung und nicht Meinungsumfragen folgt“, schrieb Egon Bahr anläßlich des machtgefährdenden Mißtrauensvotums 1972 im Hinblick auf die standhafte Haltung Willy Brandts.

Nein, Egon Bahr war nicht der Architekt der deutschen Einheit. Das widerspricht meiner Wahrnehmung. Wer Ende der siebziger und während der achtziger Jahre an Wiedervereinigung auch nur dachte, wurde sofort in die rechte Ecke gerückt und als ewig Gestriger diffamiert. Denn er störte den vertraglich abgesegneten Machtbereich der Russen und der Honecker-Clique. Also die Friedenspolitik. Sowie das Vertrauensverhältnis zwischen den „Kanälen“, wie Bahr die geheimdienstlichen Kontakte zwischen Bonn und Moskau bezeichnete. So konnte man bisweilen ein geradezu kumpaneihaft abgekartetes Spiel vermuten, wenn ungeheuerliche Vorgänge in der DDR auftragsartig wie auf Knopfdruck beschwichtigt oder gar schöngeredet wurden von sozialdemokratischen Honecker-Verstehern.

Selbstverständlich immer im Interesse des Weltfriedens.

Beispielsweise nach dem heimtückischen Einmarsch der keinen Krieg wollenden Russen in Afghanistan am zweiten Weihnachtsfeiertag 1979. Oder als es durch westliche Staaten wegen der Invasion zum Boykott der Olympiade in Moskau kam.

Für dessen Zustandekommen ich meine Daumen gedrückt hatte.

Bei der Eröffnungsveranstaltung der friedlichen, „unpolitischen“ Spiele formten plötzlich 1.600 sowjetische Soldaten im Stadion völlig unpolitisch ein riesiges Hammer-und-Sichel-Emblem.

Das symbolisierte die friedliebende russische Geschmacksresistenz.

Oder als im selben Jahr zwei Tage nach dem „Nationalfeiertag der DDR“ die illegitime Führung der Deutschen Demokratischen Republik den Zwangsumtausch schlicht verdoppelte: Gnadenlos mindestens 25 DM pro Besuchstag und Person mußten Einreisende (aus dem Westen) hinfort eins zu eins eindirektional umtauschen. Auf das Ansinnen der Rücknahme der unsozialen Erhöhung forderte Honecker mit deutscher demokratischer Logik zuvor die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft.

Oder als am 10. April 1982 am Grenzübergang Berlin-Drewitz der bundesdeutsche Reisende Rudolf Burkert an Herzversagen starb. Man vermutete als Ursache die Aufregung über die schikanöse Behandlung im ostdeutschen Grenzregime. Am 26. April starb dann, ebenfalls an Herzversagen, der Bundesdeutsche Heinz Moldenhauer am Grenzübergang Wartha-Herleshausen während der deutschen demokratischen Abfertigungsprozedur.

Dann konnte man, wie bestellt über irgendwelche „Kanäle“, die magengeschwürfördernden sozialdemokratischen Beschwichtigungseiertänze und Tatsachenzerredungen hören. Und nicht das geringste von deutscher Einheit.

Wenn Ostberlin die Abschaffung der Erfassungsstelle für DDR-Unrecht in Salzgitter verlangte, fiel das regelmäßig auf fruchtbaren Boden in der SPD, und die für Beibehaltung plädierenden Stimmen wurden als „politisch gestrig“ beschimpft. Heutzutage würde man dies wohl mit „politisch inkorrekt“ übersetzen. Also nicht die Verunglimpfung, sondern die Forderung nach Beibehaltung der Erfassungsstelle.

Jene Erfassungsstelle war gefürchtet beispielsweise bei übergriffigen Schließern in DDR-Zuchthäusern oder unter Grenzern, die unbewaffneten DDR-Flüchtlingen in den Rücken schossen. Ich begegnete solchen Exemplaren im Zuchthaus. Also nicht den Grenzern, sondern ihren Opfern.

Immerhin glaubte man also, die Registrierung „souveränen staatlichen Handelns“ als Menschenrechtsverletzungen fürchten zu müssen.

Nicht zuletzt fällt mir, damals noch SPD und dort hochrangig, der Oskar Lafontaine ein, der danach trachtete, die Forderung seines saarländischen Landsmannes Erich Honecker nach Anerkenntnis einer eigenen DDR-Staatsbürgerschaft durchzusetzen. Ein klügelnder Kopf, der Lafontaine, der selbst nach dem neunten November nicht begriffen hatte, daß die sogenannte Deutsche Demokratische Republik 1961 nicht mehr ohne und 1989 nicht mehr mit Mauer zu halten gewesen war, und wenn es nach seiner Logik gegangen wäre, wir wohl heute mit Wladimir Wladimirowitsch Putin die Einheit Deutschlands hätten verhandeln müssen.

Nein, von Wiedervereinigung war im Gefolge der Architektur der Ostverträge und des Grundlagenvertrags die Rede nicht auf Seiten der deutschen Sozialdemokratie. Eher gewann man den Eindruck, man versuche die bestehenden Verhältnisse zu konservieren und gemeinsam mit Honecker und Breshnew über die „Kanäle“ und Geheimdiplomatie zu sichern, also klassisch metternichsche Politik zu betreiben. Auch der renommierte Politologe Alfred Grosser, Weggefährte und Diskussionspartner Bahrs, bestätigte im Kulturkanal des Deutschlandradios: „Er war nicht für die Wiedervereinigung.“

Soweit zur völlig unnötigen und unwürdigen Legendenbildung.

In meinen Augen war Egon Bahr genial. Wer es nicht erlebt hatte, kann sich wahrscheinlich nur schwer die klimatischen Bedingungen vorstellen, unter denen er der an sich simplen Tatsache ins Auge zu sehen anfing, daß auch die Seite der Todfeinde aus Menschen besteht. Daß man angesichts der Overkill-Konfrontation die Dinge nicht bewegt oder eher verschlimmert, indem man wegen unvereinbarer Gegensätze im Haß verharrt. Vielleicht war es kein Zufall, wenn Bahr die Strategieformel „Wandel durch Annäherung“ ausgerechnet im Jahr der Kuba-Krise im Gefolge der kennedyschen Konfliktlösung prägte. Es bleibt genial. Und es blieb ja nicht allein bei der Idee in Zeiten der Hallstein-Doktrin. Die ja nicht schlecht war, sondern eben nur gewöhnlich, naheliegend, ungenial. Und leider nichts verbesserte. Aber im Schatten des Mauerbaus auf die Idee der Annäherung zu kommen und sie im Schatten der Breshnew-Doktrin und unmittelbar nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in Prag umzusetzen (heute jährt sich der unvergessene 21. August), noch dazu angesichts drohenden Verlustes der Regierungsfähigkeit und allen widrigen Anfeindungen einschließlich der Vorwürfe des Landesverrates zum Trotz – man nenne mir einen vergleichbaren Fall aus der Geschichte! Der Mann mit dem Habitus eines Bürokraten war ein verwegener Haudegen und zugleich der zäheste Diplomat und besonnenste Analytiker seiner Zeit. Und es ist so eine Fülle an Leistungen, von denen jede einzelne Vollbringung ein atemberaubendes Epos gäbe. In einem Interview hat er einmal das Wort vom Architekten der Ostverträge aufgegriffen und darauf verwiesen, „Ich war der Architekt, aber der Bauherr war Willy Brandt“. Zu Recht hat Willy Brandt den Friedensnobelpreis erhalten, aber mindestens ebenso hat Egon Bahr einen solchen verdient. Angefangen vom ersten Passierscheinabkommen und beharrlich und Schritt für Schritt vom Kleinen zum Großen, er hat tatsächlich unser aller Leben verbessert, dies weit über die Grenzen des wiedervereinten Deutschlands hinaus, und mit nicht zu unterschätzender Wahrscheinlichkeit sogar unser Überleben gerettet.