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Thalatta ! Thalatta !

Kategorie-Archiv: Medien

Mephisto an Bellarmin

Der aus seinem Amt scheidende langjährige Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), hat letzten Sonntag im Deutschlandfunk ein Interview gegeben. Hier setze ich, als Hetzer im Zinksarg, für Dich einen Auszug her:

 …

Heinemann: Wenn Sie ein Beispiel herausnehmen sollten, wie hat sich Neukölln in Ihrer Amtszeit verändert, was ist das Herausragende, was Ihnen sofort einfällt?

Buschkowsky: Es gibt da nicht nur ein Beispiel. Es gibt einen Satz, der es beschreibt: Das Neukölln des Jahres 2015 hat mit dem Neukölln des Jahres 1960/1970 nichts zu tun!

Heinemann: Was hat sich geändert?

Buschkowsky: Es ist eine völlig andere Stadt geworden, mit einem völlig anderen öffentlichen Design. Die Menschen sind andere geworden. Die Bevölkerungsstruktur hat sich völlig verändert. Wir sind heute eine Einwandererstadt. Zwei Drittel der Kinder, die jährlich unsere Schulen verlassen, sind Kinder von Einwanderern. Es ist eine völlig neue Lebenswelt in diese Stadt gekommen – der Islam als neue Religion, mit einem völlig anderen Wertegerüst, als ich es kenne, als ich aufgewachsen bin hier. Und die Menschen haben eine andere Kleidung, als sie in Mitteleuropa üblich ist. Wenn sie hier aus dem Fenster schauen, dann sehen sie plötzlich traditionell gekleidete Frauen und Männer, die Sie normalerweise in ihrem Gedankengerüst niemals nach Mitteleuropa versetzen würden. Also das ist alles etwas völlig anderes, als das alte Arbeiterquartier. Neukölln ist ja nie der Ort der Schönen und Reichen gewesen, sondern hier wohnten und wohnen zum Teil noch handfeste Menschen mit klaren Vorstellungen, was man tut und was man nicht tut und was man seinen Kindern beizubringen hat. Also: „Wenn du was haben willst, dann musst du was dafür tun.“ „Wenn du in der Straßenbahn oder im Autobus sitzt und ein älterer Mensch kommt rein, dann stehst du gefälligst auf.“ „Warum denn? Ich will auch sitzen!“ – „Weil es sich so gehört!“ Das sind Dinge, die ich heute nur noch schwer wiederfinde.

Heinemann: Das haben Sie beschrieben unter anderem in Ihren beiden Bestsellern – Ihr Thema: die Integration. Was kann man in Neukölln lernen über gelungene oder gescheiterte Integration?

Buschkowsky: Man muss ja damit beginnen, sich zu bekennen: Ja, wir sind ein Einwanderungsland! Das wird ja von vielen Politikern der ersten Liga heute immer noch bestritten.

Heinemann: Es sind nur noch wenige.

Buschkowsky: Ja, aber Unverbesserliche gibt es immer. Und wir sind sogar gezwungen, ein Einwanderungsland zu bleiben.

Heinemann: Sie sagen doch: „So wie bisher, geht Einwanderung nicht weiter!“

Buschkowsky: Ja, natürlich sage ich das. Ich sage ja erst mal nur: Wir sind ein Einwanderungsland; wir müssen eins bleiben, weil unsere Geburtenfaulheit dafür gesorgt hat, dass unsere Gesellschaft sich nicht mehr aus sich selbstständig regenerieren kann. So, und dann ist eben halt die Frage, dass die, die neu ins Land kommen, dass die in das Land kommen und Teil des Landes und der Lebensregeln werden wollen und nicht ihr eigenes Ding machen.

Heinemann: Sie beschreiben auf hunderten Seiten, dass genau das nicht klappt – warum nicht?

Buschkowsky: Da ist der Punkt, das nenne ich Integration. Nicht irgendwo ankommen, irgendwo Teil zu werden und zu sagen: ‚Ja, ich bin in euer Land gekommen, um mit euch zusammen zu leben‘, sondern dass wir Erscheinungsformen haben: ‚Wir sind in dieses Land gekommen, aber wir machen weiter wie zu Hause‘, obwohl die Leute zu Hause nicht vor lauter Wohlstand weggelaufen sind, sondern weil das Leben für sie unwirtlich war. Und da sage ich: Das geht nicht!

Heinemann: Was ist da schief gegangen?

Buschkowsky: Der Bösewicht heißt „Ignoranz“ – einfach zu sagen: ‚Tja, das ruckelt sich schon von alleine und wir gucken mal. Je länger die Leute hier sind, desto besser integrieren die sich selbst.‘ Da hat übrigens der erste Ausländerbeauftragte, Heinz Kühn, 1979 schon gesagt: ‚Das ist ein Irrweg. Ihr müsst gucken, dass ihr die Kinder aus den bildungsfernen Familien, dass ihr die ausbildet, dass ihr ihnen in der Schule etwas beibringt, was man in einer modernen Leistungsgesellschaft haben muss: nämlich Kompetenzen – Wissenskompetenzen und soziale Kompetenzen‘. Aber es hat keiner hingehört. Dann gab es eine Süssmuth-Kommission 2000/2001, die hat gesagt: ‚Wir müssen weg von der Zufallseinwanderung, wir brauchen eine Konzeption!‘ ‚Nein‘, haben wieder andere gesagt, ‚wir sind kein Einwanderungsland, dann brauchen wir auch keine Konzeption.‘ Und so sind ganze Generationen entstanden von jungen Leuten, die für sich in dieser Gesellschaft, für sich überhaupt keine Perspektive sehen, die die Grundrechenarten nicht beherrschen, die keinen Satz in deutscher Sprache mit vernünftigem Anfang und Ende bilden können. So, und die transferieren wir bis heute nahtlos aus der Schule ins Jobcenter. Jetzt sagen viele: ‚Na, hören Sie doch auf, alles schwarzzumalen. In meinem Bekanntenkreis gibt es viele, viele, viele gelungene Integrationskarrieren.‘ Na klar, gibt es die, aber wenn sie die Verkehrssicherheit einer Kreuzung untersuchen sollen, zählen Sie da die Autos, die unfallfrei rübergefahren sind oder werten Sie das Unfallgeschehen aus? Ich sage Ihnen, dass wir durchaus ein Riesenproblem haben, was im Wesentlich auch gespeist wird durch eine andere Werteordnung.

Heinemann: Aber wie heißt genau das Problem? Wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen, dann ist es doch gleichgültig, ob sie die Scharia oder das Privatfernsehprogramm vergöttern. Das heißt, ist das Problem nicht ein soziales? Haben wir nicht ein Unterschichtenproblem – egal, was für ein kultureller Hintergrund dahinter steht?

Buschkowsky: Also, ich weiß nicht, was die Vier-Frauen-Ehe mit einem Sozialproblem zu tun hat. Ich weiß nicht, was eine unterschiedliche Wertstellung weiblicher und männlicher Lebewesen mit einer sozialen Problemstellung zu tun hat. Wir haben hier Fahrschulen nur mit weiblichen Fahrlehrerinnen, weil eine Frau nicht mit einem Mann alleine in einem Auto sitzen darf. Was hat das bitte alles mit sozialem Status zu tun? Wir haben es hier schon mit einer anderen Werteordnung zu tun. Wir haben es auch mit einer Religion zu tun, die Menschen auffordert, sich in einem bestimmten Verhalten zu üben, und dieses Verhalten steht zur westlichen Welt in einem Spannungsverhältnis. Und wer eben sagt: ‚Mit dieser Gesellschaft will ich gar nichts zu tun haben, die ist mir zu sündig, die ist mir zu verdorben‘, aber gleichzeitig der Auffassung ist, dass diese Gesellschaft meinen Lebensstandard sicherzustellen hat und zwar in der Art, wie ich mir das vorstelle, da sage ich immer: Dieser Mensch sollte einfach mal überlegen, ob er wirklich an der richtigen Stelle aus dem Zug gestiegen ist.

Heinemann: Sie kritisieren, dass in Neukölln arabisch-stämmige junge Männer etwa die Hälfte aller Straftaten begehen – das haben Sie geschrieben in Ihrem Buch – und gleichzeitig kritisieren Sie die Justiz, der Staat, die Justiz sei zu nachgiebig. Ist das Hilflosigkeit oder falsch verstandene Toleranz?

Buschkowsky: Dem zugrunde liegt ein falscher Begriff von Integration. Weil ich glaube, Integration heißt nicht, Aufgabe der Lebensregeln der Gesellschaft auf dem Altar der Beliebigkeit.

Heinemann: Wo tut er das?

Buschkowsky: Zum Bespiel in den Fällen zu sagen: Wenn Sie drei, vier Ehefrauen haben wollen, das gehört zur kulturellen Identität. Zur kulturellen Identität gehört auch, dass der Patriarch in der Familie als Herrscher über Leben und Tod Gewalt anwendet. Rabatte in Strafprozessen – Dutzende von Beispielen. Das berühmte „Frankfurter Urteil“, dass die Scheidungsklage einer Frau ablehnt, weil ihr Mann sie immer verdrischt, mit der Begründung: Dort, wo der Mann her kommt, ist das allgemeine Übung. Die Frau ist das Eigentum des Mannes. Er hat kein Unrechtsbewusstsein. Scheidungsbegehren abgelehnt. Ich glaube nicht, dass so ein Urteil heute nochmal möglich ist, weil es führte ja damals zu einem Aufschrei. Aber es gibt viele, viele Stellen, wo wir sagen: ‚Ach, mein Gott, nun lass sie doch, ist doch nicht so schlimm.‘ Das halte ich eben für falsch. Ich glaube schon, dass insbesondere die Wertstellung einzelner Menschen, die Ächtung der Gewalt, die Gleichheit der Geschlechter, dass das unverhandelbar ist. Und deswegen glaube ich, dass hier die Gesellschaft etwas unmissverständlicher sein dürfte, sein müsste, um klar zu machen: Du bis hier herzlich willkommen, wir möchten auch, dass du ein Teil von uns bist und deswegen hätten wir gerne, dass du dich unserer Art und Weise, wie wir leben, anschließt.

Heinemann: Gilt Ihre Kritik auch für das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das ja entschieden hat oder eine Entscheidung veröffentlicht hat in diesem Monat, dass ein Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen an Schulen nicht pauschal gelten darf?

Buschkowsky: Also bei diesem Thema muss ich aufpassen, dass mir die Formulierungen nicht entgleisen. Ich beginne mal mit dem Guten. In einem hat das Urteil recht: Ich kann nicht Kruzifixe an die Wand hängen und gleichzeitig das Kopftuch verbieten – das geht nicht. Es muss uns auch schon jede Religion gleichviel wert sein. Das ist das Eine. Dann hört aber mein Verständnis auf. Die, die dieses Urteil gefällt haben, haben keine Ahnung – null -, wie es in Gebieten, in Stadtlagen wie Neukölln zugeht oder in Mannheim oder in Kiel-Gaarden oder in Hamburg-Veddel oder in Duisburg oder in Dortmund oder wo immer Sie auch wollen, weil es ist die falsche Botschaft. Es ist die völlig falsche Botschaft, weil es wird hier weiter geprägt die alt überlieferte Form: Die Frau hat zu gehorchen, sie hat rein und devot zu sein und sie ist das Eigentum ihres Mannes. Und die Botschaft ist: Oma trägt Kopftuch, die Tanten tragen Kopftuch, Mutter trägt Kopftuch und die Lehrerin trägt es auch. Der soziale Druck im Wohngebiet auf die säkularen, auf die liberalen Muslime nimmt immens zu. Und die haben nur eine Entscheidungsalternative, wegziehen oder mit den Wölfen zu heulen. Und was das Gericht da gemacht hat, es hat eine Säule unserer Gesellschaft ohne Not geschleift: Staatliches Handeln hat wertneutral zu sein! Dieser Grundsatz ist aufgegeben worden. Das Gericht hat gesagt: Die Wertneutralität staatlichen Handelns übt keine normative Funktion aus, sondern ist eher eine offene Haltung. Können Sie mir das mal erklären? Ich verstehe es nicht. Ich kleiner, dummer Neuköllner verstehe es nicht, was Wertneutralität für eine offene Haltung ist. Ich empfehle jedem, wenn er ein bisschen seine Kontenance wahren will und wieder Kraft schöpfen will, das Minderheitenvotum der Richter zu lesen. Also ich habe noch nie in so barschen und deutlichen Worten gelesen, wie einige Verfassungsrichter ihre Mehrheitskollegen abwatschen. Dieses Urteil ist ein weiteres Einknicken vor, ich sage mal, denen, die wie Lautsprecher durch das Land gehen und immer einfordern, dass sie benachteiligt sind, dass sie Opfer sind. Ich sage Ihnen aber mal eines: Für mich ist ein Einwanderer und seine Kinder, das sind keine Patienten, das sind Staatsbürger, wie alle anderen auch, und sie haben sich auch, wie alle anderen auch, zu benehmen. Unsere Lebensregeln gelten für alle.

Heinemann: Sie sind in der Integrationsfrage ja ähnlich mit Ihrer eigenen Partei überkreuz. Sie haben sich gerade in der Wochenzeitung „Die Zeit“ mit Generalsekretärin Fahimi gestritten, der sie „Einwandererkitsch“ vorwerfen. Was heißt das?

Buschkowsky: Wenn Sie das ganze Interview gelesen haben, fanden Sie, dass Frau Fahimi mir sehr viel Substanz entgegenzuhalten hatte? Ich fand das nicht. Ich fand, dass sie eigentlich zu allentscheidenden Fragen mir ausgewichen ist oder mit dem charmanten Halbsatz geantwortet hat: „Da hast du Recht, Heinz.“

Heinemann: Ist das typisch für die SPD?

Buschkowsky: Ich glaube, ja. Die weiß nämlich gar nicht, wo sie hin will.

Heinemann: Warum nicht?

Buschkowsky: Weil es innerhalb der SPD halt auch ein Sammelsurium an Grundüberzeugungen gibt. Es gibt weite Teile der SPD, die nenne man Basis. Wenn ich dort auftrete und spreche, verlasse ich immer von Wohlgefühl getragen den Saal. Es gibt andere Bereich der SPD, das ist meist so die verfasste Funktionärsschaft, da gibt es schon so ein klammheimliches Denken: ‚Ach, der schon wieder – nur ein toter Buschkowsky ist ein guter Buschkowsky!‘

Heinemann: Geht das so weit?

Buschkowsky: Also, ich meine, die Bandbreite bei Buschkowsky ist wirklich: Zum einen wurde ich verglichen mit dem norwegischen Massenmörder Breivik und zum anderen hat man mir den Gustav-Heinemann-(Bürger)Preis angeklebt. Die SPD weiß eigentlich nicht ganz genau: Was machen wir mit dem nun eigentlich? Das geht aber meinem Vorsitzenden Sigmar Gabriel genauso. Der ist nach Dresden gefahren und hat mit PEGIDA diskutiert. Ich fand das klasse, aber was ist über ihm ausgekübelt worden; Boah ey, hat der abgekriegt. Aber der Mann hat doch recht. Die Menschen demonstrieren dort, weil sie Angst haben, und die Aufgabe der Politik ist es, den Menschen die Angst zu nehmen und nicht darüber nachzudenken, wie ich sie ganz schnell mundtot mache, indem ich sie als Schande bezeichne oder Ähnliches.

Heinemann: Sie haben in dem Zusammenhang in Ihrem Buch gesprochen von dem „Gehässigkeitsfaktor“ und von dem „Schweigegebot“ in Deutschland. Wie haben Sie das erlebt?

Buschkowsky: Na ja, immer wenn sie irgendwas sagen, wo sie hinterher schieben können: ‚Wissen Sie, das können Sie alles selbst feststellen. Gehen Sie einfach mit offenen Augen und offenen Ohren durch die Welt, dann werden Sie das sehen‘. Also gerade das, was Sie vorhin angesprochen haben: ‚Arabische junge Männer haben bei mir hier einen Anteil von neun Prozent an der Bevölkerung, sie stehen aber für 50 Prozent aller Straftaten‘. So, das ist schon wieder rassistisch. Weil ich habe gesagt „arabische junge Männer“. Ich hätte eigentlich korrekt sagen müssen: Es gibt bei uns junge Männer, die reziprok oder sonst wie zu ihrem Bevölkerungsanteil Straftaten begehen. Sie hätten zwar nicht gewusst, worüber ich rede, aber es wäre politisch korrekt gewesen. Ich mache Ihnen ein weiteres Beispiel. Schüler in den Schulen, die andere verdreschen, ihnen auf den Kopf treten, die die Lehrer bespucken, also früher waren das Rowdys oder Krawalltypen, heute nennen wir sie „verhaltensoriginelle Schüler“. Da weiß auch keiner mehr, was ist. Jemand, der im Sozialtransfer steht, der ist im Jobcenter plötzlich ein Kunde und der hat nicht massive Vermittlungshemmnisse, sondern der hat eine komplexe Profillage. Also unsere Sprache wird so verballhornt, dass sie eigentlich die wahren Dinge verdeckt. Also darüber sollte mal einer promovieren. Also teilweise hat das richtig komödiantische Züge. Wenn sie jetzt sagen – und bei mir ist das so – im statistischen Durchschnitt sind muslimische Eltern weiter von einem normalem Verhältnis zum Bildungserwerb ihrer Kinder entfernt als zum Beispiel polnische Eltern oder asiatische, also Sie, da kriegen sie richtig ausgekübelt. Und wenn sie zum Beispiel sagen: Ich erwarte von jedem Einwanderer als Bringschuld, dass er die Bereitschaft zur Integration mitbringt, dann sind sie ein deutschtümelnder alter Mann. Wenn sie sagen: Also es gibt bestimmte Teile des Islam, die sind eigentlich mit einer modernen Welt nicht kompatibel, das ist ein klarer Beweis dafür, dass sie islamophob sind. So gibt es Dinge, wo sie beigebracht kriegen: ‚Du redest über Sachen, wie man nicht reden sollte, mein Lieber. Und wenn du das nicht sein lässt, dann müssen wir dich ein bisschen ächten. Hast du verstanden!‘ Und so wurden es immer weniger, die gewagt haben, den Kopf aus der Masse herauszuheben, weil keiner hat Lust zum Gegenstand von „Management by Champignon“ zu werden: Wer den Kopf rausstreckt, kriegt ihn abgehauen! Und denken Sie mal nach, wie viele Namen fallen Ihnen noch ein von Menschen, die über gesellschaftliche Fehlentwicklungen reden, so dass man es versteht, so, wie sie es sehen? Weil ich sage immer wieder: Wissen Sie – wenn mir vorgehalten wird, das hat was mit Hybris zu tun: Neukölln ist überall -, ich sage: Wissen Sie, das ist die Botschaft an die Leute, die im Sessel sitzen und sagen: ‚Gell Mama, gut, dass wir da nicht leben.‘ Und ich sage: ‚Hey, nimm mal den Hintern hoch, geh mal in das Nachbarwohnviertel in deiner eigenen Stadt, da wirst du eventuell das gleiche Milieu treffen, wie ich es beschreibe.‘ Weil es ist auch so, quer durch die Bundesrepublik, von Norden bis Süden. Ich habe Hunderte von Vorträgen in Deutschland gehalten und was meinen Sie, wie oft ich den Satz gehört habe: ‚Alles, was Sie erzählen, das ist ja, als ob Sie hier bei uns leben würden.‘ Und ich bin einmal von einer Staatskanzlei eingeladen worden zu einem Vortrag und dann habe ich vor dem Mittagessen gefragt: ‚Sagen Sie mal, ich werde doch mit Sicherheit nichts erzählen, was Sie nicht wissen. Können Sie mir mal beantworten, warum Sie mich aus Berlin, mehrere hundert Kilometer einfliegen, damit ich das hier vortrage?‘ Da war die Antwort: ‚Das ist ganz einfach, weil sich das hier keiner zu sagen traut, was Sie sagen.‘

Das Unwort par excellence, das Hüllwort für Hüllwörter, das Metahüllwort, definiert mein elektrisches DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH aus dem Verlagshaus DUDEN als: „Political Correctness, die; – – (engl. political correctness, eigtl. = politische Korrektheit): von einer bestimmten (linken, liberalen) Öffentlichkeit als richtig eingestufte Gesinnung, die dazu führt, dass bestimmte Wörter, Handlungen o. Ä. vermieden werden, die als diskriminierend od. pejorativ empfunden werden könnten„.

Da sollten alle Alarmschrillen glocken! Von einer bestimmten(!) Öffentlichkeit(!)… als richtig(!) eingestuft(!)… Gesinnung(!!)… vermieden werden… hätte, könnte(!), würde…

Das heißt, die Gesinnung einer elitären Gruppe gerechter Linksgläubiger (in jedem Krieg steht Gott ja auf Seiten der Gerechten… folglich auf unserer Seite!), also die infolge Linksgläubigkeit gerechte Gesinnung einer sich Kompetenz anmaßenden „Öffentlichkeit“ „führt“ dazu, daß „vermieden“ werde… also man zensuriert, schreibt vor, diktiert dem dummen, pardon, dem bildungsfernen Volk zwangsläufig Ersetzungen des aus konjunktionalen Erwägungen Vermiedenen. Euphemismus statt Pejorativ. Jobcenter statt Arbeitslosenzentrum.

Schöne neue Welt. „Vermeintliche Probleme der Kommunen“ statt „Probleme“. „Gefühlte Bedrohung“ durch Kriminalität statt „Bedrohung“. „Möglicher Sozialmissbrauch“ durch Zuwanderer aus EU-Staaten statt „Sozialmißbrauch“. Und Unpassendes lasse man in den Nachrichten am besten gleich ganz weg! Zum Beispiel über Ausländerkriminalität. Oder über Bewilligungszahlen von Asylanträgen von Antragsstellern bestimmter Herkunftsländer. Oder sogar Zahlen rechtsextremer Gewalttaten, differenziert nach Bundesländern. Damit die Leute nicht auf unrichtige Gedanken kommen.

Früher, in Zeiten, in welchen unsere Journalisten noch über Geschichtskenntnisse verfügten und ein wenig deutsch sprechen und mitunter sogar schreiben konnten, hieß Political Correctness, um nur einige Stationen zu nennen, in kontinuierlicher Praxis Pharisäertum, Bigotterie, doppelplusgutes Neusprech oder Parteilinie. Osten erglüht, China ist jung, rote Sonne grüßt Mao Tse Tung. In der Deutschen Demokratischen Republik, was ja auch ein schönes Wort war für „Sowjetische Besatzungszone“, hieß die politische Korrektur „sozialistisches Bewußtsein“. Wenn man also „Russe“ sagte statt „Sowjetmensch“, wurde man tadelnd zurechtgewiesen, tatsächlich, mit „Mensch, was haben Sie denn für ein sozialistisches Bewußtsein!?“ Günstigstenfalls.

Seltsamerweise jedoch hat es sich jüngst gerade wieder herausgestellt, daß es besser ist, auch skrupellos das wahrzunehmen, was die Augen zeigen, und Russen immer Russen zu nennen.

Indessen, wenn ich mich weiter erinnere, in der DDR gab es noch nicht einmal „vermeintliche Probleme“. Versorgungsprobleme „unserer“ „volkseigenen“ Betriebe? Das waren doch alles „RIAS-Enten“, um den Sozialismus zu diskriminieren. Lügenmärchen des Rundfunks im amerikanischen Sektor. Hinter dem antifaschistischen Schutzwall.

Eine Ausnahme bildete allerdings das Wohnungsproblem. Da es im Staat der unmöglichen Begrenztheiten keine Kasernen mehr gab, sondern höchstens „Objekte“ für „unsere“ „bewaffneten Organe“, existierten natürlich auch keine Mietskasernen mehr. Dafür schöne neue „Wohnobjekte“ in gepriesener Plattenbauweise. Bevorzugt natürlich für „Werktätige“, die nicht RIAS hörten und nicht von „Russen“, „Mietskaserne“ oder „Mauer“ sprachen. Die kriegten, da es Zimmer und demzufolge „Anderthalbzimmerwohnungen“ nicht mehr gab, eine schicke Zweiraumwohnung zugewiesen von der „Kommunalen Wohnraumlenkung“(!)… Freilich erst nach einer gewissen Wartezeit. Anfang der siebziger Jahre erklärte man den Wohnungssuchenden aber freudestrahlend: „Das Wohnungsproblem wird bis 1990 gelöst!“

Ein schönes Beispiel dafür, daß linke Rechtgläubige recht behalten!

Zurück zum derzeitigen Mehltau für Gehirne und die inquisitorische Steilvorlage für die elektrische Lynchjustiz beißender Rudel selbstgerechter Nichtdenker gegen Andersdenkende. Anständige Leute müssen Knigge nicht gelesen haben, um zu wissen, daß man Menschen nicht im Gang umknickt. Anständige Leute benötigten bis ins neue Jahrtausend hinein keine politische Korrektur. Und Nazis sind Nazis und halten sich sowieso nicht an Korrekturen einer „bestimmten Öffentlichkeit“. Der WAHRIG der neunziger Jahre kennt keine „Political Correctness“, wohl aber „Politikaster“. (Das sind zum Beispiel die, die heutzutage am virtuellen Stammtisch des Internets sich über vermeinliches Stammtischgerede nichtvirtueller Nichtanonymi aufregen.) Die Vorgabe eines politisch korrigierten Sagens und Meinens ist also günstigstenfalls sinnlos. Jedoch welch erhebendes Gefühl, wie tut das gut, aus einem Rudel linker Rechtgläubiger blökend und bellend seine Anständigkeit präsentierend einen Unkorrekten zur Strecke zu bringen! Wie sollte man denn auch nicht recht haben, wenn außer einem Gedankenverbrecher alle derselben Meinung sind?

In Zeiten, als es noch Dumme gab auf Erden, soll der Bildungsnäheren vielleicht noch nicht gänzlich unbekannte Nobelpreisträger Bertrand Russel gesagt haben: „Es ist der Jammer dieser Welt, daß die Weisen sich ihrer Sache immer so sicher und die Dummen so voller Zweifel sind.“ Da ich faul bin, zitierte ich lieber aus dem Gedächtnis, und es kann sein, daß ich in dem Zitat die Reihenfolge der Weisen und Dummen vertauscht habe. Aber man kann ja nicht alles im Kopf behalten, und woran sollte man die richtige Reihenfolge auch so leicht erkennen können? Der Satz ist heut eh unkorrekt. Man kann nur hoffen, daß künftigen Geschlechtern, pardon, Gendern, das Wort „Dumme“ erspart bleibe und sie sowas Barbarisches gar nicht mehr kennen und sie empfindsame bildungsferne Seelen fürderhin mit dummen, pardon, mit bildungsfernen Wörtern nicht mehr belästigen können.

Ich halte PEGIDA für eine direkte Folge politischer Korrektur. Der Gründungsprofessor des Instituts für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden und dortige Inhaber des Lehrstuhls für politische Systeme und Systemvergleich, Werner J. Patzelt, schrieb am 21. Januar unter dem Titel „Edel sei der Volkswille“ im Mittwochfeuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

 …

Wirklich gute Gründe haben uns in Deutschland dazu veranlasst, solchen Denk-, Rede- und Handlungsweisen möglichst keinen Raum zu überlassen, die mit altem oder neuem Nazitum zusammenhängen könnten. Das macht alles Sprechen und Tun verdächtig, das nicht links oder mittig ist, sondern von rechts daherkommt. Und die Macht zu deuten, was rechts wäre, haben wir denen überlassen, die sich links oder mittig geben. Was einmal als „rechts von der Mitte“ gilt, sehen wir schon in Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus, Faschismus abrutschen. Der aber war und bleibt schlecht. Zweifellos verdient er nichts als Ausgrenzung und Bekämpfung. Gut ist hingegen, wer – und was – den Faschismus bekämpft. So entstand ein gefühlt klarer Kanon dessen, was an Betrachtungsweisen, Begriffen, Sprachformeln und Argumenten in Deutschland „geht“ oder eben „nicht geht“. Wer sich daran hält, darf am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Wer sich gegen diesen Kanon vergeht, ist auszugrenzen – und sei es als ein „Latenznazi“, der einfach nicht weiß, was er wirklich ist.

Besonders einflussreiche Schiedsrichter öffentlicher Diskurse sind Journalisten. Tatsächlich haben, ausweislich einschlägiger Studien, Journalisten eine im Durchschnitt linkere Einstellung als die Bevölkerung. Politiker wiederum tun gut daran, sich im Konfliktfall der Schiedsrichterrolle von Journalisten zu unterwerfen. Und an der ist unter den wünschenswerten Bedingungen von Pressefreiheit auch gar nicht zu rütteln. Die Folge: Seit die Achtundsechziger ihren „Marsch durch die Institutionen“ vollendet haben, sind sowohl der öffentliche Diskurs als auch das von ihm geprägte Parteiensystem im Vergleich zu dem nach links gerückt, was sich demoskopisch als reale Meinungsverteilung der Bevölkerung ermitteln lässt. Tatsächlich sind die Wortführer öffentlicher Meinung immer wieder entsetzt darüber, wie große Anteile rechten Denkens die Demoskopen regelmäßig im Volk entdecken. Für normal hält man derlei natürlich nicht, sondern ist enttäuscht, dass im realen Meinen eben doch nicht verschwindet, was man so umsichtig aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt hat. Anscheinend bleibt selbst strikte Diskurshygiene ohne umfassende Erziehungswirkung. Und was ursprünglich an zivilisierenden Geboten politischer Korrektheit durchaus nicht repressiv gemeint war, nimmt dann eben doch diese Rolle an, sobald sich diskursivem Erzogenwerden verweigert, wer in die Öffentlichkeit geht.

Solcher Rückzug tatsächlichen Meinens oder Sprechens ins Nichtöffentliche löst aber keinerlei Spannungen. Vielmehr unterbleibt dann gerade das, was doch ein entscheidender Vorteil repräsentativer Demokratie ist. Der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel, in den Gründungsjahren unseres Landes sehr einflussreich, nannte ihn einst die „Veredelung des empirisch vorfindbaren Volkswillens“. Sie besteht darin, dass im öffentlichen Diskurs Publizisten und Politiker in rationale, unanstößige, diskursiv anschlussfähige Sprache überführen, was sich an Denkweisen oder Interessensbekundungen an den Stammtischen und auf den Internetseiten der Nation ausdrückt, und zwar mit oft ganz unzulänglichen, ja primitiven Mitteln, die ihrerseits manch hetzerische Dynamik entfalten. Unterbleibt dann eine „Veredelung“ des so Vorgebrachten, wie sie gerade Publizisten und Intellektuelle leisten könnten, so wird den von ihren Eliten alleingelassenen einfachen Leuten bald eine akzeptable Sprache fehlen, in der sie ihre Sicht und ihre Anliegen unanstößig ausdrücken könnten. Auf diese Weise entsteht im rechten Bereich des politischen Meinungsspektrums eine Repräsentationslücke. Erst mit der AfD entstand eine Partei, die immerhin verspricht, vom Grundkonsens unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus diese Repräsentationslücke rechts der Union zu füllen.

Tatsächlich haben wir es so weit gebracht, dass es für Leute, die sich rechts der Mitte artikulieren wollen, in unseren Talkshows nur noch die Rolle des Krokodils im Kasperltheater gibt: Man akzeptiert sie dafür, zum Gaudium der Wohlmeinenden verprügelt zu werden – teils mit der Klatsche ethischer Empörung, teils mit dem Rohrstock der Satire. Solche Krokodile müssen weg. Solche Feinde zu bekämpfen ist aber nicht nur wichtig, sondern auch gut und schön. Wie weiland edle Ritter auf âventiure bekämpfen die Anständigen nun mit hohem Mut Mischpoke, Mob und Ratten. In Dresden reinigt man nach deren Auftritt sogar die von ihnen „beschmutzten“ Straßen und Plätze. So folgt der Kommunikationshygiene zwar nicht Klassen- oder Rassenhygiene, sehr wohl aber die Massenhygiene.

Und kann derlei Ausgrenzung überhaupt gut ausgehen? Lässt sich wohl dauerhaft jene Repräsentationslücke verriegeln, die gewiss in guter Absicht herbeigeführt wurde, unter der nun aber vielerlei unterdrücktes Empfinden, Wollen und Denken nach Ausdruck drängt? Anscheinend drängt das Magma unrepräsentierten Volksempfindens und unveredelten Volkswillens allenthalben in Deutschland nach oben. Freilich lagert sich darüber im Westen jene feste Kruste, welche erfahrungsbewährtes Systemvertrauen, jahrzehntelang problemlose Sozialstaatlichkeit und der institutionenbesetzende Aufstieg der Achtundsechziger geschaffen haben. Also dringt nur mittelbar und in kleinen Geysiren nach oben, was unterschwellig auch da brodelt. Doch anders verhält es sich im Osten, wo seit der Wiedervereinigung demoskopische Umfragen zeigen, um wie viel dünner dort das Deckgebirge repräsentativer Demokratie ist. In Dresden kamen bloß einige besondere Umstände zusammen – und ließen einen Vulkan ausbrechen.

Falls diese Diagnose stimmt, wird im Umgang mit Pegida der traditionelle Therapieversuch nicht viel fruchten. Er besteht darin, die Unanständigen einfach zu verscheuchen, idealerweise durch einen „Aufstand der Anständigen“. Das Deckgebirge unserer politischen Deutungskultur wird im Generationswechsel weg von den Achtundsechzigern porös, während jene tektonischen Geschiebekräfte zunehmen, die der Wandel unseres Landes zu einer multikulturellen Einwanderergesellschaft aufbaut. Unterdrücken wird sich solcher Vulkanismus auf Dauer nicht lassen.

Richtiger wäre es deshalb, auf die Bauprinzipien unserer pluralistischen, repräsentativen Demokratie zu vertrauen. Ihnen folgend, würde man jene Schwierigkeiten und Interessen ernst nehmen, die Pegida zu thematisieren versucht: die Repräsentationslücke, die Sorge um den Fortbestand vertrauter Kultur, die Zukunftsangst vieler Bürger einer Einwanderungsgesellschaft ohne klare Einwanderungs- und Integrationspolitik. Die Einrichtungen unserer Zivilgesellschaft müssten Foren organisieren, auf denen Pegidisten und No-Pegidianer sich darüber streiten können, was in unserem Land zu tun oder zu lassen wäre. Und die Bundestagsparteien hätten Positionspapiere für oder gegen ein „Bundeseinwanderungs- und Integrationsgesetz“ vorzulegen, damit eine öffentliche Debatte über den ganzen Fächer der Gestaltungsaufgaben unseres Einwanderungslandes zustande käme.

Der gemeinsame Nenner all dessen ist Kommunikation. Die entsteht zwischen Freund und Feind aber nicht von selbst. Man kann sie aber organisieren. Und man muss sie auch herbeiführen, wenn man das Wohl unseres Landes im Sinn hat.

Legitimität entsteht nämlich nur durch Kommunikation und erhält sich anders auch nicht. Auszugrenzen hat nur dann Sinn, wenn es um Extremisten geht, also um die Gegner einer freiheitlichen demokratischen Ordnung. Mit Andersdenkenden sollte man hingegen ins Gespräch kommen – voll guten Willens, höflich und ohne Arroganz. Die steht jenen sogar besonders schlecht, die dem einfachen Volk tatsächlich an Bildung oder Reichtum überlegen sind.

 

Bellarmin an Mephisto

In letzter Zeit erlebte ich zwei- oder vielleicht auch dreimal, daß sich Vertreter unserer Medienlandschaft und sogar Politik ziehen, Fehler gemacht zu haben! So räumte etwa der Intendant des Deutschlandfunks am 10. Januar ein, zwar komme es auch in den Programmen des Deutschlandradios gelegentlich zu inhaltlichen Fehlern, allerdings nicht zu substantiellen. Und die STUTTGARTER NACHRICHTEN legten vier Tage später nach, Journalisten machten Fehler, doch immer finde Selbstbesinnung statt. 1953 hatte Bertolt Brecht ein Gedicht geschrieben mit dem Titel  NICHT  FESTSTELLBARE  FEHLER  DER  KUNSTKOMMISSION:

… Befragt

Welcher Fehler, freilich konnten sie sich

An bestimmte Fehler durchaus nicht erinnern. …

Trotz eifrigsten Nachdenkens

Konnten sie sich nicht bestimmter Fehler erinnern, jedoch

Bestanden sie heftig darauf

Fehler gemacht zu haben – wie es der Brauch ist.

Nur ausgerechnet der auf Biegen und Brechen sich als legerer Privatmensch inszenierende und auffallend unauffällig schlipslos, regenjacke- und pullovercamoufliert zur Pegida-Diskussion schleichende Sigmar Gabriel, dem der NEUE TAG daraufhin nüchternes politisches und wenig ehrlich anmutendes Kalkül unterstellte aus irgend einem Grund, und DIE WELT das Verspielen seiner „ohnehin bescheidenen Glaubwürdigkeit“, äußerte die Idee, wenn das nicht mehr erlaubt sei, müsse man selbst über Political Correctness nachdenken.

Wetten, daß das keine Diskussion gibt? Wetten, daß, wenn überhaupt, keine öffentliche Fehlerdiskussion stattfindet? Wetten, daß das Wesentliche nicht diskutiert wird?

Mephisto an Bellarmin

„Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberstes Gebot der Presse“, so der erste Grundsatz im bundesrepublikanischen Pressekodex.

Ein schöner Zug.

Dennoch ertönen seit einiger Zeit „Lügenpresse“-Rufe derart laut, daß man sich veranlaßt fühlte, jenes Wort als Unwort zu etikettieren. Unter anderem wegen seiner nazipropagandistischen Karriere.

Und weil es pauschalisiere.

Alle Anständigen sind sich einig.

In letzter Zeit malte ich mir aus, Nachrichtenredakteure unserer öffentlich-rechtlichen Medien wären samt ihrer korrekten Anständigkeit unvermittelt versetzt ins Paris des Jahres 1789 und kennten aber genauso wenig wie damalige Zeitgenossen der Welt Zukunft. Und an einem linden Juninachmittag, flanierend auf dem Boulevard Raspail vielleicht, wären sie plötzlich konfrontiert mit einem ungeordneten Haufen „Ça ira, ça ira!“ grölender, teils betrunken anmutender Gestalten. Unsere wackeren Journalisten vernehmen auch entsetzliche „Les aristocrates à la lanterne!“-Rufe. Und sollten das selbstverantwortlich einordnend nun in der abendlichen Tagesschau berichten…

Nein diese tumben, von Haß und Vorurteilen und Abstiegsängsten geplagten und von Kriminellen mit Stammtischparolen aufgehetzten Irregeleiteten aber auch! Also wirklich!

Heiko Maas, unsere geballte Kanone, in diesem Lande zuständig für die Gerechtigkeit, also dem ziemlichen Gegenteil von Pauschalisierung, konnte leider wieder nicht an sich halten und hat unverzüglich nach der grauenhaften Ermordung von Journalisten und Juden und einer Polizistin in Paris vor einer Instrumentalisierung des Verbrechens seitens der Pegida-Demonstranten gewarnt und am Folgetag der die Welt aufwühlenden Trauerkundgebungen in Frankreich dem Deutschlandfunk ein Interview geschenkt, im unschuldigen Morgengrauen des 12. Januar:

Heuer: Wir müssen, Herr Maas, noch über Pegida sprechen, auch weil es einfach immer wieder Freude macht, mit Ihnen darüber zu sprechen, Sie dazu zu hören.

Maas: Mir macht es aber gar keine Freude, über die reden zu müssen, ganz ehrlich gesagt.

Heuer: Ja, ich verstehe das in der Sache. Trotzdem sind Sie – und das hören wir dann gerne – ein Freund klarer Worte. Pegida demonstriert in Dresden heute mit Trauerflor, obwohl Sie aufgerufen haben, die ganze Demonstration sein zu lassen. Was geben Sie den Demonstranten mit auf den Weg?

Maas: Ihr seid alle Heuchler! Denn ehrlich gesagt: Wenn die gleichen Leute, die vor einer Woche die Presse als Lügenpresse beschimpft haben, sich heute einen Trauerflor um den Arm legen, dann ist das an Heuchelei wirklich nicht mehr zu überbieten. Denen kann man wirklich nur sagen: Bleibt besser Zuhause.

Heuer: Der Bundesjustizminister, Heiko Maas, Sozialdemokrat, heut früh im Deutschlandfunk. Herr Maas, danke fürs Gespräch.

Maas: Danke auch.

Damit nun keine Zweifel aufkommen, der’s ehrlich meinende Mann fürs Grobe ist gelernter Jurist und hat 1993 sein Studium mit dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen und 1996 das Zweite Staatsexamen bestanden.

Ich versuche es aufzudröseln, ohne seine Aussagen unzulässig zu simplifizieren. Wenn ich es richtig sehe, sagt unser Justizminister („Justiz“ zu lat. iustitia = Gerechtigkeit, Recht):

1.) Anläßlich der wöchentlichen Demonstration ihrer allgemein bestätigten Angstempfindung vor einer in ihren Augen von der Presse tabuisierten Islamisierung haben in der Vorwoche Demonstranten jene Presse als Lügenpresse tituliert. (Ich glaube, diese Prämisse können wir als wahr, als Beschreibung dessen, was ist, voraussetzen.)

2.) Dieselbigen (unser Jurist verwechselt hier die Gleichen mit denselben) wollten und könnten aber sich heute, eine Woche nach der Ermordung französischer Journalisten, Juden und Polizisten durch sogenannte Islamisten, Trauerflor für die Ermordeten anlegen.

Daraus die Konklusion:

Wenn sie das täten, dann handelte es sich um eine nicht zu überbietende Heuchelei (damit implizierend die vorweggenommene Beschuldigung: „Ihr seid alle Heuchler!“).

Ganz ehrlich ehrlich gesagt. Von unserem amtlich nicht zu überbietenden Gerechten.

Aber warum könnten dieselben Leute, die Angst vor einer Islamisierung ihrer Welt („wie in Berlin-Kreuzberg oder im Ruhrgebiet“) haben, nicht erschüttert, entsetzt und traurig sein, wenn sich auf den Islam berufende Mörder, vor denen sich die Demonstranten erwiesenermaßen ängstigen, ängstebestätigend Menschen umbringen?

Mit seiner Schlußweise müht sich unser vor Instrumentalisierung warnender Minister für Gerechtigkeit gewohntermaßen scharfmacherisch und im Deutschlandfunk wie inszeniert wirkend, den Demonstranten Heuchelei zu unterstellen. Und das bekommt seinen perfiden Sinn, wenn wir aus niederem Volke der ministeriellen Vorverurteilung folgen. Denn dies bedeutete, und nun schließen wir mal, und zwar im Umkehrschluß, während die Demonstranten Trauer trügen, freuten sie sich über die Mordtaten in Frankreich. Also über das, wovor sie sich nach allgemein anerkannter Aussage ängstigen. Vermittels seines angestrengten Syllogismus bezichtigt unser Justizminister die Demonstranten, weil sie die deutsche Presse mit dem sogenannten Unwort „Lügenpresse“ belegten, einverständlich zu stehen auf Seiten der Mörder französischer Journalisten, Juden und Polizisten.

Unwidersprochen, ja nahezu bejubelnd ermuntert, im öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk.

Wir sind weit gekommen in unserem Lande mit der wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit.

Ich bin nicht ganz allein mit meiner Interpretation der Logik des Rechthabers. Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden, ebenfalls im Deutschlandfunk:

Dobovisek: Heute Abend wieder werden wohl Tausende Menschen auf die Straßen gehen, um gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes zu demonstrieren, vor allem in Dresden bei der Kundgebung der Pegida. Herr Patzelt, Sie beobachten die Pegida seit Langem intensiv. Was bedeuten die Anschläge in Paris für die Proteste?

Patzelt: Viele, die heute Abend dabei sein werden, werden das Gefühl haben und auch äußern, schaut her, das, wovor wir die ganze Zeit gewarnt haben, ist nicht einfach die Ausgeburt einer kranken Fantasie, sondern es gibt eine reale Gefährdung unserer freiheitlichen Ordnung durch radikale Islamisten, was kritisiert ihr uns also, wenn wir doch nichts anderes sagen als das, was wir jetzt in Paris vor aller Augen vorgefunden haben. Wir – so würden die Differenzierteren unter ihnen das Argument weiterführen -, wir tun doch nichts anderes, als davor zu warnen, dass eine andere Religion uns vorschreiben will, wie wir über Religion, über öffentliche Positionen nachdenken und schreiben und wie wir unsere freiheitliche Gesellschaft ausgestalten.

Dobovisek: Am Ende also ein Auftrieb für die Proteste?

Patzelt: Das wird ganz gewiss so sein und ich rechne mit mehr Demonstranten heute Abend als beim letzten Mal.

Dobovisek: Hören wir, was der Islamwissenschaftler Bassam Tibi heute Früh bei uns im Deutschlandfunk über die Pegida sagte.

O-Ton Bassam Tibi: „Muslime, die ausgegrenzt werden, sind anfällig für den Islamismus. Dann muss man Pegida dafür verurteilen. Pegida will Sicherheit, aber Pegida unterstützt die Islamisten. Eine größere Unterstützung der Islamisten kann nicht erfolgen ohne das, was Pegida tut.“

Dobovisek: Führt Pegida am Ende, Herr Patzelt, also erst recht zu einer Radikalisierung unter den Muslimen, ein Teufelskreis?

Patzelt: Das Tragische mit Pegida ist, dass die Organisatoren der Bewegung außerordentlich mediokere Gestalten sind und dass sie es zugelassen haben, dass nun Redner von Teils der übelsten Sorte bei den Pegida Veranstaltungen gesprochen haben und in der Tat auch sehr häufig sehr niedrige Gefühle bedient haben. Das haben die Organisatoren auch versäumt, ihre 19 Punkte sozusagen quasi plebiszitär legitimieren zu lassen, die ja im Grunde nichts anderes wollen, als den bundesdeutschen Mehrheitskonsens beim Umgang mit Einwanderern und ihrer Kultur zu beschwören. Kurzum: Hätte die Pegida-Organisatorenschaft nicht ein so jämmerliches Bild abgegeben und so jämmerliche Reden halten lassen, wäre mancher Eindruck dieser Demonstrationen ein anderer gewesen und gäbe es wesentlich weniger Gründe für Muslime, Pegida zu fürchten, als es tatsächlich gibt.

Dobovisek: Trauerflor wollen die Pegida-Demonstranten heute Abend tragen. Justizminister Heiko Maas nennt das heuchlerisch. Wie nennen Sie das?

Patzelt: Na ja, man muss schon die Logik sehr strapazieren, wenn man aus dem Tragen von Trauerflor heute Abend Heuchelei schließen will. Es kritisieren Pegida-Demonstranten zwar auf das Heftigste und inzwischen mehr und mehr sehr ungerecht die Presse als Lügenpresse, aber daraus folgt doch nicht, dass man sich offen oder klammheimlich darüber freut, dass Journalisten ermordet werden. Da muss man schon die Logik sehr verbiegen, um aus der Tatsache, dass man selbst einen Konflikt mit der Presse hat, die Gutheißung von abscheulichen Morden abzuleiten.

Dobovisek: Das heißt, Sie haben Verständnis für die Demonstranten der Pegida, wenn sie heute Abend Trauerflor zeigen, denjenigen gegenüber, die sie bisher als Lügenpresse bezeichnet haben?

Patzelt: Ein jeder mitfühlende Mensch kann, wenn so viele Menschen, bloß weil sie ihren Beruf sachgerecht ausüben, ermordet werden, bloß Empathie, Mitgefühl und Betroffenheit zeigen, und natürlich ist es eine angemessene Verhaltensweise. Und noch einmal: Bloß weil sich Pegida-Teilnehmer von der Presse übel behandelt gefühlt haben, mehr und mehr sich zu Unrecht behandelt fühlen, bloß daraus folgt doch nicht, dass man sich klammheimlich oder offen darüber freut, wenn Journalisten ermordet werden. Und ich müsste mich sehr wundern, wenn ich heute nennenswert viele Pegidisten vorfände auf der Straße, die sagen, das ist diesen Journalisten recht geschehen, lasst es uns in Deutschland auch so versuchen. Das sind hier, scheint mir, Feindbilder, die unser Justizminister kultiviert.

Dobovisek: Französische Karikaturisten sind angewidert vom Pegida-Trauermarsch in Dresden und wehren sich mit Flugblättern und Karikaturen, sagen: „Pegida verschwinde“. Auch CSU-Chef Horst Seehofer fordert einen Stopp der Demonstrationen. Kann und sollte Pegida überhaupt gestoppt werden?

Patzelt: Na ja, es ist doch nicht so, als ob diese Demonstration heute Abend erstmals aufgerufen wäre, um antiislamische Gefühle zu schüren. Der Punkt ist doch eher der, dass in die von Pegida an den Tag gebrachten Besorgnisse von manchen über eine Umprägung unserer Kultur durch eine Einschränkung von Presse und Kritikfreiheit, dass diese Besorgnisse durch den Pariser Anschlag neue Bestätigung gefunden haben, und es braucht wahrhaft absonderliche Lust, Feindbilder zu kultivieren, um sozusagen die Thermometer für die Temperatur verantwortlich zu machen.

Serapion an Mephisto

 

Glückliche Zeiten

 

Welch Glück, es gibt keine Traurigkeit mehr!

Im betonierten Kreuz und Quer,

Da findest du nirgendwo Traurigkeit mehr,

Ist jede Traurigkeit verschwunden!

Nur selten noch wird Wut empfunden,

Doch kaum gerät ein Fall akuter.

Die andern sind häppi und spielen Kompjuter!

 

Bellarmin an Mephisto

In der F.A.Z. vom 26. Juli fand ich einen interessanten Leserbrief von Frau Dr. Juliane Besters-Dilger, Professorin an der Universität Freiburg. Sie schreibt:

Zum Artikel „Es war eine Dummheit, das Russische abzuschaffen“ (F.A.Z. vom 16.Juli): Bei der Rücknahme des Gesetzes „Über die Prinzipien der staatlichen Sprachenpolitik“ geht es nicht um die Abschaffung des Russischen. Das Russische hat auch nach dem alten, vorher geltenden Sprachengesetz und nach der ukrainischen Verfassung eine herausragende Position und wird in weiten Teilen der Ukraine in allen Funktionen verwendet. Die Gründe, warum das Gesetz außer Kraft gesetzt wurde, waren vor allem folgende: Das betreffende Gesetz, eingebracht von Janukowitschs „Partei der Regionen“, war am 3. Juli 2012 unter skandalösen Umständen (Gegner wurden am Betreten des Parlaments gehindert, es kam zu massiven Stimmenfälschungen) verabschiedet worden.

Auch die F.A.Z. berichtete am 5. Juli 2012 darüber. Noch wichtiger: Sowohl der OSZE-Hochkommissar für nationale Minderheiten als auch die Venedig-Kommission des Europarats hatten das Gesetz im Dezember 2011 beziehungsweise Januar 2012 abgelehnt, da es einseitig das Russische fördere und weder die zahlreichen anderen Minderheitensprachen in der Ukraine wirklich berücksichtige noch dem Ukrainischen als Staatssprache den gebührenden Rang einräume. Ohne Zweifel war der Zeitpunkt für die Rücknahme des Gesetzes schlecht gewählt. Man hätte es am besten nach einer angemessenen Frist durch ein neues Gesetz ersetzt, das der Bedeutung des Russischen gerecht wird, diese aber nicht zum Nachteil aller anderen Sprachen überbetont. Nur eine Sprachenpolitik, die gegenüber dem Ukrainischen und Russischen tolerant ist (so wie es der Majdan war), kann in der Ukraine Erfolg haben.

Demnach hatte es sich um die legitime Rücknahme einer typischen Methode der Russifizierung fremder Territorien gehandelt, einer über die Sprachenpolitik gängigen russisch-chauvinistischen Anmaßung gegenüber anderen Völkern. Über die in deutschen öffentlich-rechtlichen Medien erst gar nicht und dann vollkommen im Sinne russischer Greuelpropaganda berichtet worden war. Im mildesten kann man hier mangelnde Sorgfalt unterstellen. Wenn man jedoch bessere Zeiten journalistischer Berichterstattungskompetenz erlebt hat und sich die Mängel häufen, sollte man sich einer Unmilde nicht verschließen.

Heute morgen meldete ein deutscher Berichterstatter die Beobachtung seiner britischen Kollegen, daß russische Grenzer einen russischen Militärkonvoi die ukrainische Grenze passieren „gelassen“ hätten. Es klang,  als hingen die putinschen Militärtransporte für seine Kolonne in der Ukraine ab von der gnädigen Zustimmung des russischen Zolls! Sancta simplicitas! Eine seltsame Ahnung läßt mich vermuten, daß der Bericht über dieselbe Sache bei den angelsächsischen Kollegen realitätsnäher gelautet haben könnte.

Und um noch eins draufzusetzen: Gestern informierte eine Journalistin über die putinsche Rede auf der Krim. Er habe gesagt, daß er alles in seiner Macht stehende tun werde, den Krieg in der Ostukraine schnellstmöglich zu beenden. Die Journalistin äußerte prompt die Hoffnung, daß Putin dieses Versprechen bald umsetzen möge. Mit der üblichen westlichen Naivität hatte sie Putins Worte als zwar überfälliges aber positives Einlenken gedeutet. Und ich als Drohung.

Bellarmin an Mephisto

Nein, man sendet zwei Tage lang als erste Nachricht, daß am dritten Alexander Dobrindt die Pläne für eine Maut vorstellen werde und verbreitet sich in vermeintlicher Objektivität ausführlich über konsequenzlose Sprechblasen xrangiger Politiker jeglicher Couleur zu den noch unvorgestellten Plänen. Die vorhersehbare Halbwertzeit jener Nachrichten über jene Äußerungen über jene noch unvorgestellten Planungen liegt, wenn es hochkommt, im Bereich von Stunden. Alternativ formuliere ich Dir einmal in drei Sätzen eine Meldung, die anstelle des Wieder- und Wiedergekäuten in den öffentlich-rechtlichen Nachrichtenmedien Deutschlands leider keine Erwähnung fand, noch nicht einmal unter „ferner liefen“ vor dem Wetterbericht:

„Die Moskauer Internetzeitung Slon.ru veröffentlichte jetzt einen E-Mail-Verkehr, der belegt, daß in Rußland ein geheimer Stab hoher Regierungsbeamter seit Anfang des Jahres die Annexion der Krim durch russische Sicherheitskräfte vorbereitete. Danach wurden unter anderem über eine Agentur Blogger auf der Krim bezahlt für die Verbreitung von Desinformationen und das Streuen von Gerüchten, beispielsweise zur Diffamierung der europafreundlichen Kiewer Regierung als illegitime faschistische Macht. Der russische Präsident Putin hatte eine Steuerung der Aktionen von russischer Seite geleugnet.“

Das „jetzt“ in der ungemeldeten Meldung meint den wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen.

Die Linsenschleifer der Nation, die öffentlich-rechtlichen Nachrichten- und Berichtserstattungsmedien Deutschlands, die sich vermutlich etwas einbilden auf gediegene Objektivität und Seriosität und Unabhängigkeit, auf Ausgewogenheit und Parteienproporz und, natürlich, auf politische Korrektheit, machen mir Angst. Sie vermitteln ein gefährlich falsches Bild von der Welt, mindestens durch Unterlassung und äußerst fragwürdige Gewichtung. Sie degradieren die Deutschen zu einem Volk, bei dem es tatsächlich als von den Medien(!!!) gefeierte Heldentat gilt, daß einer der zurückgetretenen Verteidigungsminister es „gewagt“ habe, die bereits langjährige „Mission“ der Bundeswehr in Afghanistan als Kampfeinsatz zu bezeichnen… Ein tapferes Kerlchen! Mutige Medien! Kolossal kritisch!

Armes Land! Gefährdetes Land! Denn humorlos hätte man jenes Beispiel ja auch als das werten können, was es in Wahrheit ist, nämlich als ungewolltes (und unbemerktes!) Eingeständnis von Unfähigkeit und einer tendenziösen Nachrichtenberichterstattung mit den Merkmalen: Weglassung, Ausblendung des Wesentlichen, euphemistische Lexik, Nivellierung von Unterschieden oder gar Insuffizienz in ihrem Erkennen, demnach analytisches Unvermögen nebst mangelhafter Durchdringung des Weltgeschehens. Und schließlich und immer wieder: Falschbewertung und -gewichtung mit dem generellen Hang zur teilweise grotesk anmutenden Überbewertung von Nullnachrichten und Nebensächlichkeiten, von Eintagsgeschwätz und von Eintagsfliegen: Tellerrand statt Horizont. Resümee: Verdrängung von Realitäten.

Also sprach Friedrich Nietzsche: Es ist aber nicht unser Los, Fliegenwedel zu sein!

Bellarmin an Mephisto

Selbstverständlich existiert jene Karte aus dem diesjährigen Verfassungsschutzbericht, deren Fehlen Du so vehement bemängeltest in Deinem dritten Ärgernis! In der analogen Welt befindet sie sich kommentarlos im SPIEGEL vom 23 Juni. Quasi versteckt in einer Rubrik für Vermischtes und im Inhaltsverzeichnis, im Gegensatz zu den anderen Beiträgen der Rubrik, nicht erwähnt. Doch fand ich hier beim Blättern auf Seite 16 links unten die im vorigen Jahr verübten Gewalttaten mit rechtem Hintergrund aus dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität“. Für jedes Bundesland ist eingezeichnet ein brauner Kreis, der die entsprechende Anzahl enthält pro einer Million Einwohner. Die Spitzen liegen in Sachsen-Anhalt mit 26, Berlin mit 24 und Thüringen mit 20 Gewaltverbrechen. Die drei niedrigsten Raten gibt es in Bayern mit 5, Baden-Württemberg und Bremen mit jeweils 3 und Hessen und Saarland mit jeweils 2. Mit der Ausnahme Hamburgs verteilen sich alle Höchstwerte auf die ostdeutschen Länder.

Aber an den braunen Kullern finden sich auch die Steigerungs- oder Minderungsraten hinsichtlich des Vorjahres. Wenn Du Dich nun noch verstellst und so tust, als wärst Du ein denkender Mensch, und Du rechnetest einmal unbekümmert, da dies kein anderer getan zu haben scheint, die Durchschnittszahlen jeweils für Ost- und Westdeutschland aus, was sich ja wegen der ins Auge fallenden Differenz anböte als Idee, fändest Du selbst zu Fuß mit Hilfe der vier Grundrechenarten heraus, daß 2012 der Unterschied Ostdeutschlands das knappe Zweieinhalbfache zum westdeutschen Resultat ausmacht. Während sich die Diskrepanz von 2012 zu 2013 inzwischen auf das Dreifache vergrößert hat. Man könnte natürlich auch von Abgrund reden.

Soweit ich es hörte oder sah, wurde von alldem nichts in den öffentlich-rechtlichen Anstalten der Republik verlautbart. Es ist nicht als berichtenswert eingestuft worden von den Redakteuren. Honi soit qui mal y pense!

Deutschland betäubt sich.

Aus irgend einem Grunde kommt mir der Verdacht, es handelt sich um eine kollektive Vermeidungsstrategie. Es soll die Ursachendiskussion umschifft werden, man befürchtet den Aufschrei der üblichen Verdächtigen mit DDR-Wagenburgmentalität.

Das kennzeichnet allerdings eine Kapitulation: Die üblichen Verdächtigen haben es geschafft, ein Klima zu erzeugen, in dem gewisse Tatsachen kritisch nicht mehr diskutiert werden. Und die öffentlich-rechtlichen Medien beteiligen sich an der Tabuisierung. Politische Korrektheit.

Ich könnte schließen mit: Soviel zu den Lehren, die man nach den Verbrechen des NSU gezogen zu haben vorgab. Aber zur Illustration juckt es mich, Dich wenigstens an ein interessantes Beispiel zu erinnern. Du weißt vielleicht noch, im Sommer 2007 kreiste bei einem Altstadtfest im sächsischen Städtchen Mügeln plötzlich eine Horde junger, dunkelgewandeter, kurzgeschorener Männer, bewehrt mit abgebrochenen Flaschenhälsen, mehrere Inder ein, griff sie an, schubste und schlug sie und stach nach ihnen. Als die Inder den Ring durchbrachen, wurden sie über den Marktplatz gehetzt und auf ihrer Flucht in eine nahegelegene Pizzeria verfolgt von etwa fünfzig Männern, zu denen sich noch rund zweihundert Schaulustige gesellten, „Ausländer raus!“ krakelend. Amtlich registriert wurden auch Parolen wie: „Hier regiert der nationale Widerstand!“ und „National befreite Zone!“.

Hinzugerufene Beamte waren von der Menge angegriffen worden, bis endlich Bereitschaftspolizei anrückte. Mehrere der Inder hatten sich in ärztliche Behandlung begeben müssen.

Der SPIEGEL, eine Woche vor der Nummer mit der braunen Deutschlandkullerkarte, zitierte nun aus einer sehr dankenswerten Studie der Politikwissenschaftlerin Britta Schellenberg. Sie weist nach, wie entgegen eindeutiger Zeugenaussagen die Politiker von vornherein versuchten, die Hetzjagd als normale Dorfschlägerei abzutun, rechtsextremistische Zusammenhänge verwischten und direkt abstritten. Der Bürgermeister erklärte, Ausländer-raus-Rufe könnten doch jedem einmal über die Lippen kommen. Und Ministerpräsident Georg Milbradt äußerte, man solle doch nicht jede Auseinandersetzung zwischen Ausländern und Deutschen unter dem Stichwort Ausländerfeindlichkeit verbuchen. Und legte später nach, es wäre unerträglich, wenn ein ganzer Ort und ein ganzer Landstrich stigmatisiert würden.

Prompt wurden einige Tatverdächtige vom Staatsschutz nicht weiter erwähnt und die Staatsanwaltschaft Leipzig stritt jeden fremdenfeindlichen Hintergrund ab. Im sächsischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2007 war der Fall als „politisch motivierte Kriminalität rechts“ nicht verbucht worden.

2008 zog die NPD in den dortigen Kreistag ein.

2009 wurde die indische Pizzeria erneut angegriffen und dabei einem Mitarbeiter das Nasenbein gebrochen. Aber erst 2013 gaben die Sicherheitsbehörden zu, daß 2007 drei der Angreifer tatsächlich der rechtsextremistischen Szene angehörten.

Und jetzt paß auf, jetzt kommt der Satz der Sätze! Die Politikwissenschaftlerin stellt fest: „Eine kritische Thematisierung von extrem rechter Gewalt ist in Mügeln unmöglich geworden.“

Ende eines Beispiels.

Bellarmin an Mephisto

 

Mehr und mehr Ideale werden verdreht, es strebt niemand

Länger nach Bildung, man spottet darüber. Geistigen Reichtum

Kennt man nicht, denn er stellt sich ja nie zu den Schreiern – so pflegt jetzt

Jeder seine Dummheit. Ja, das ist wahrhaft die neue

Ära, in der Unbildung als chic gilt! Welch Stolz der

Leute, Bach nicht zu kennen, Goethe nicht zu ertragen,

Nie hat man etwas von Lessing gehört – und von Gryphius schon gar nicht.

Diese Mühe, wozu, wem sollte sie nützen? Man will sich

Auch in Geschichte nicht auskennen, denn es langweilt. Und wie die

Kinder nimmt man den Film als das Ereignis, und wenn ein

Schauspieler einmal einen Helden mimte, so hält man

Ihn für heldisch, und sein Geschwafel macht ihn dann reich. Man

Hegt eine Pseudobildung über Astrologie und

Film und Sport und Börsenkurse, über das Wetter,

Über esoterische Energien. Die Elite

Weiß Bescheid in Betriebswirtschaft und Jura und liest die

Ratgeberbücher und Managerkurse. Und Popsongs, das sind die

Ewigen Permutationen aus Versatzstücken, kecke

Krämer lassen sie produzieren am laufenden Band in

Ihrem monströsen Trieb, das Geld zu scheffeln, die Popsongs

Also beherrschen alle Kultur, und diejenigen, die

Fähig sind, sich beim Fernsehquiz an ältere Titel

Noch zu erinnern, demnach die Pfiffigeren, die partiell mit

Einem Gedächtnis Begabten, verehrt man als hochmusikalisch.

Und gesungen wird selbst von den Stumpfesten in einer Sprache,

Die sie noch weniger als die eigene Sprache verstehen.

 

Damit beginnt das Reich des Pöbels. Er ist obenauf und

Freut sich dessen in seiner Art. Er trägt Haute Couture und

Sprüht sein Eau de Toilette, er wohnt komfortabel in einem

Haus mit Schwimmbecken und mit Tresor, natürlich besitzt er

Autos und Privatflugzeuge. Sonst fuhr er bei

Einem Kurierdienst, jetzt schickt er andere aus, und er glaubt mit

Diesem Grunde, wichtig zu sein. Er singt Karaoke,

Lädt zu Pressekonferenzen, und die Reporter,

Die ja keinen Konjunktiv mehr kennen, und wenn er

Äußert, er denke dies oder meine jenes, berichten,

Daß er dies denkt oder jenes meint, das Pack von Reportern

Flitzt auch tatsächlich hin und filmt mit Pomp und Gepränge,

Wie er sich spreizt vor seinem Wandschrank mit kantengereihten

Echtgoldverzierten Buchrückenimitaten. Und wenn es

Eine Leifsendung ist, dann flattern die Korrespondenten

Fieberig, heiser, fickerig – leif gilt ihnen als Wert an

Sich, wie vieles erschreckend Bedeutungsloses, sie können

Unwichtiges von Wichtigem nicht mehr scheiden. Und seine

Frau, die früher vierundzwanzig Stunden des Tages

Fernsah und zu dumm ist, auch nur einen von ihren

Sätzen vollständig auszusprechen, prunkt jetzt mit ihrem

Fünfhundertwörterschatz als Moderatorin. Das quatscht aus

Jedem Fernsehsender mit Inbrunst dasselbe und nennt sich

Pluralismus. Und sie behaupten, dies müsse so sein, ihr

Publikum wolle es! Was hieße, das Publikum und das

Fernsehn verblöden sich gegenseitig! Sie normen sich abwärts.

 

Während die Geschmackfreien derart mit einem unsäglich

Zufälligen Allotria, ihrem Verdienst, die Karriere

Machten und reich geworden sind, verlaufen sich schutzlos

Die Gebildeten, obdachlos, zerlumpt und vereinzelt

Unter der Meute, regiert von den Ungebildeten, von den

Ungeduldigen, von den Machern. Was soll das Problem samt

Seinen Gründen? Stolz durchschlagen Pragmatiker jenen

Gordischen Knoten und noch einen Knoten und noch einen Knoten,

Und man wundert sich, warum nichts mehr hält. Doch man denkt nicht

Lange nach und läßt sich darob loben, in seiner

Angst befördert jeder die Parvenüs. Denn das Denken

Koste Zeit, und Zeit wäre Geld, und Nachdenken kennt man

Gar nicht mehr. Man will überhaupt nicht die Information, man

Sendet sich Imels und verlangt die Info. Die Wahrheit

Nervt und dauert zu lange. Man glaubt an Gott nicht, man glaubt an

Höchstgeschwindigkeit und Globalisierung, man glaubt an

Die Geburtenkontrolle. Man merkt nicht, warum es bergab geht.

Fachleute gibt es nicht mehr, und unsere Sprache wird täglich

Unverständlicher. Wer wagt noch, zur Arbeit zu gehen?

Schon die Kinder sind des Lebens müde. Die Menschen

Werden weniger, die Geburtenzahlen vermindern

Sich, und es bleibt nur der Wunsch: So möge sich alles zugrunde

Richten. Das Land wird von vollkommen sinnlosen Leuten beherrscht, von

Schomastern, Rambos und Moddels nach ihrem gesunden Empfinden,

Und vom feiernden Volk auf den „Liebes-Paraden“ der Städte

Werden die Toten der Nacht am Tag in die Flüsse geworfen…

 

Mephisto an Bellarmin

SIEBEN ÄRGERNISSE:

 

ÄRG1)

Immer weniger scheint man sich bei Euch zu fragen, was denn eine Nachricht sei und welche Bedeutung, welcher Wert ihr zukomme. In den öffentlich-rechtlichen Medien beispielsweise werden als Nachrichten ersten Ranges kurzlebigste Äußerungen von Politikern präsentiert. Unbekümmert um die Gefahr, daß der Journalismus sich damit vor den Karren der Parteipropaganda spannen läßt. Politiker eines bestimmten Ranges wissen genau, daß sie nur etwas von sich abzusondern brauchen, schon befördern sie ihre Partei in die Nachrichten. Obwohl man selbst bei mäßiger Begabung sofort erkennt, daß diese Äußerung keine sechs Stunden Bestand haben kann.

Kontrast: Nach den Sportmeldungen wird, als passend empfunden vor dem Wetterbericht, beiläufig erwähnt, daß gerade die irdischen Polkappen weggeschmolzen sind… (Na fein, das gibt ja schönes Wetter!)

Vermutlich wäre heutzutage nach einer Nachrichtensendung es ein durchaus nützlicher und dem Training unseres Denkmuskels zuträglicher Sport, wenn wir uns fragten: Was war denn soeben die wichtigste Meldung gewesen? Und sollte sie nicht auch den ersten Rang in der Berichtsfolge verdient haben?

Doch gegenwärtig kommt die erste Meldung (wenn überhaupt!) oft erst später und besteht, statt aus einer Sprechblase, aus einem meistens nur einmalig gesendeten kostbaren Halbsatz. Über den man sich dann allerdings nicht weiter verbreitet…

Im Deutschladfunk scheint in letzter Zeit zunehmend entscheidend für die Erstrangigkeit einer Nachricht diejenige Meinung zu werden auf dem weiten Erdenrund, die ein zufällig verfügbarer Politiker zufällig auf selbigem Sender, der immerhin der seriöseste Deutschlands ist, im Morgen- oder Mittagsinterview äußert.

Relevanz scheint keine Rolle mehr zu spielen.

Vielleicht verursacht ein derartiges Nachrichtenwertverständnis die gern beklagte Politikverdrossenheit?

 

ÄRG2)

Also, wenn es auch gewiß nicht unwichtig ist, aber es kann nicht anderthalb Wochen lang von morgens bis abends in allen öffentlich-rechtlichen Nachrichten der Kita-Ausbau, pardon, die von Journalisten sogenannte Diskussion hierüber, also die eklektische Zusammenrührung von durchsichtigen Politikeräußerungen über den Kita-Ausbau, erste Meldung sein.

Kontrast: In einem Halbsatz erfährt man am Rande, und dies exakt einmal, daß Griechenland von 300 Sparauflagen 211 nicht erfüllt haben soll…

Man fragt sich, ob man sich verhört habe, aber es kommt nicht ein zweites Mal.

Lieber bringt man von Montag bis Donnerstag von morgens bis abends als erste Meldung, daß in Deutschland Freitag die Steuerschätzung tagen werde. Und daß man davon ausgehe, daß sie ein Plus prognostiziere. Als gäbe es sonst nichts in der Welt! Also Berichte über noch nicht Stattgefundenes tagaus tagein an erster Stelle!

Oder man schaltet zu einer gerade konferierenden Konferenz, über dessen Ergebnisse man noch nichts weiß, und berichtet ausführlich. Der Hörer / Zuschauer ahnt bereits stark, was vom Reporter auch gleich unbekümmert bestätigt wird, nämlich daß es nichts Neues zu berichten gäbe, und wiederkäut stattdessen die Meldungen der letzten drei Tage. Weswegen man dieses gänzlich Vorhergesehene mit einem oder zwei Sätzen auch hätte abtun können statt mit einer zeitfressenden Live-Schaltung, also einer Direktsendung über nichts. Um endlich Raum für NACHrichten zu gewinnen. Vielleicht mit Lehrreichem aus anderen Ländern, wenn Deutschland zu dröge öde ist.

Was ich gar nicht glaube.

Doch das Konferenzende paßte eben nicht mehr in die Sendezeit.

Man kann auch schon darauf gespannt sein, wann in Deutschland dem erstaunten Publikum zum hundertsten Mal von morgens bis abends erklärt wird, was denn eine „kalte“ Steuerprogression sei.

Tagelang von morgens bis abends als erste Meldung!

Nur wußte man die bisherigen neunundneunzig Male bereits, und immer richtig im voraus, daß es sich um eine an erster Stelle gesendete Nullnachricht handele, um eine aufgeblähte Sprechblase, aus der rein gar nichts folgt.

 

ÄRG3)

Interessanter, und vor allem wichtiger, sind da fast immer die ausgeblendeten Nachrichten.

Warum noch nie konkrete Meldungen über die Ergebnisse der bisherigen Troikaberichte aus Griechenland? Nach nicht einem Troikabericht kamen Namen, Fakten, Analysen: Was waren wichtige Auflagen? Wie wurden sie erfüllt oder von wem wie wodurch verwässert?

Aus welchen Gründen war die Troika mehrmals brüskiert abgereist?

Wobei gab es welche Unstimmigkeit?

Zum wievielten Male?

Ist das zu unwichtig?

Liegt es nach alldem nicht im berechtigten öffentlichen Interesse?

Oder darf das niemand berichten?

Was sind die Ängste?

Warum sollen die Menschen, nach dem offenkundigen Betrug und all den bedrohlichen Signalen, nun erneut blind und bedingungslos den Aussagen fragwürdigster Politiker trauen? Heile heile Gänschen, es ist schon alles auf dem guten Weg, schaut die Vögelchen am Himmel und sorget euch nicht und fraget nicht lange!

Warum werden die Öffentlich-Rechtlichen nicht eigenständig aktiv mit Enthüllungsjournalismus über das Versagen des Verfassungsschutzes im Fall des NSU? Insbesondere die Thüringer Verfassungsschutz- und Politiker-Szene gebärdet(e) sich recht eigenartig und damit doch beachtenswert…

Und all die zufälligen Aktenvernichtungen zum richtigen Zeitpunkt…

Apropos Verfassungsschutz. Da wird jüngst der bundesrepublikanische Verfassungsschutzbericht vorgestellt mit der alarmierenden Erkenntnis einer bedeutenden Zunahme rechtsextremistischer Straftaten. Und zwar nach dem Ende des NSU! Warum kommt man nicht auf die journalistisch spannende Idee, eine Deutschlandkarte mit der geographischen Verteilung rechtsextremistischer Gewalttaten zu veröffentlichen und sich an die Brennpunkte zu expedieren?

Mit Analyse und Diskussion über die Ursachen jener Verteilung?

„Das ist so einfach, und ihr kommt nicht drauf!“ könnte man mit Otto Reutter singen. Oder kommen sie drauf und trauen sich nicht?

Wovor klemmt man den Schwanz ein?

Kann es nicht sein, daß augenverschließende Angst einer gefährlichen Beförderung des Unheils dient?

Ihr habt es doch gerade erlebt! Da sollte Euch himmelangst werden vor dem Unterdenteppichgekehrten!

Und welcher Journalist wird denn nun mal anfangen, sich um die Namen derjenigen Verantwortungsträger zu kümmern, die über gefälschte Zahlen Griechenland in die Eurozone bugsierten? Das ist doch nicht von alleine gegangen! Oder ist Bilanzfälschung kein Verbrechen mehr in bürgerlichen Gesellschaften? Zumal mit einer derart grandiosen Auswirkung?

Statt (kommentarlos!) auszublenden, wie die deutsche Kanzlerin in SS-Uniform verunglimpft wird, könnte man die wahren Schuldigen an der Misere endlich vor ein ordentliches Gericht zitieren und überdies bei den ausländischen Kollegen öffentlich gegen die primitive Hetze protestieren. Wehret den Anfängen!

Und der Skandal ist doch bedeutender als die ganze Watergate-Affäre!

Übrigens, welche deutschen Politiker waren denn beteiligt an diesem ungeheuerlichen Betrug?

Müßte doch festzustellen sein, wenn sich ein unabhängig freier Journalismus solches fragte?

Damit man Verantwortung zuweise (vor allem auch vor Wahlen) und Mechanismen offenlege und fürderhin vermeide, sachliche Einsichten durch nationale Begehrlichkeiten und Wunschvorstellungen der in Wirtschaft dilettierenden Politiker (um nichts Schlimmeres anzunehmen als Dilettantismus) beiseite zu schieben.

Oder sind die sich als nüchtern und objektiv gebärdenden öffentlich-rechtlichen Nachrichtenmedien doch nicht ganz frei und unabhängig und aufgeschlossen gegenüber tatsächlichen Tatsachen? Werden sie unter der Flagge eine „Political Correctness“ beherrscht von Opportunismus?

Stören unangenehme Fakten?

 

ÄRG4)

Überhaupt scheint Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien sich heutzutage immer mehr zu erschöpfen mit der bloßen Zusammenstellung von ungewichteten Politikeräußerungen. Wieviel könnte man von dem spätestens in zwei Wochen vorhersehbar vollständig Vergessenen nicht weglassen: Der hat dies gesagt und der hat das gesagt. Rituale moderner Hofberichterstattung. (Fairerweise ließe sich einwenden, daß früher die Minister weniger als unabhängige Herzöge ihrer Ressorts auftraten, und daß Planungen und Entwürfe vorrangig am Kabinettstisch ausgebreitet und diskutiert wurden, wo sie ja hingehören, statt in den Medien.) Als besäße man nicht das Kreuz und / oder das erforderliche Minimum an Hintergrundwissen für eine eigenständige und eigenverantwortliche Berichterstattung in der schönen Wikipediawelt. Nicht umsonst erschüttert der Tod Frank Schirrmachers so sehr. Kaum ein eigenständig kritischer Geist mehr in Sicht. Kein Sebastian Haffner, kein Friedrich Luft, kein Kurt Tucholsky, kein Karl Kraus, nicht zu reden von Lessing, Börne oder Heine.

Man sollte Nachrichtensendungen der sechziger Jahre studieren, aus der Zeit des Kalten Krieges, insbesondere die Rundschau-Magazine des RIAS. Man sollte dieses Senders gedenken!

 

ÄRG5)

Falls es heutzutage schon mal ein Faktum, ein Vorfall an die Spitze einer Nachrichtensendung schafft, wird selbst beim ersten Bericht darüber nicht das Ereignis, sondern zuerst mindestens eine Politikerreaktion auf das noch ungemeldete Ereignis und also über seine politisch „korrekt“ einzuordnende Bewertung berichtet – und dann erst erfährt man, worum es in der Sache geht. Die bevormundende Ursache-Wirkung-Verdrehung zu Reaktion-Aktion wirkt, noch dazu in ihrer monumentalen Ausnahmslosigkeit, abstoßend. Woher diese Angst vor blanken Fakten und natürlichen Kausalketten? Woher diese elitäre Unterschätzung öffentlicher Urteilskraft?

 

ÄRG6)

Und diese furchtbare Angst vor dem treffenden Wort!

Wurden der in Libyen gelynchte US-Botschafter und seine Mitarbeiter und Angestellten durch die Straßen geschleift? Wenn ja, von „Demonstranten“, wie einmalig gemeldet? Oder macht das nicht eher der „Mob“?

Fürchten deutsche Journalisten Wörter wie „lynchen“ und „Mob“?

Wäre es angesichts der „Vorgänge“ in der Ostukraine nicht treffender, nach all den Erfahrungen mit grünen Männchen bei der Krim-Annexion, statt von „Separatisten“ von „angeblichen Separatisten“ zu reden, im mildesten Fall? Aber nein, anstandslos läßt man sich von Putin den Kampfbegriff „Separatist“ auf die Zunge legen und zusätzlich noch den einer „sogenannten Antiterroroffensive der ukrainischen Regierung“! Und man hält sich in der deutschen Berichterstattung immer noch für clever und frei und objektiv und parteilos? Es ist unglaublich!

Wenn man, anscheinend unüberlegt, das Wort „Terroristen“ exklusiv für Islamisten reservieren möchte, aus welchem Grund auch immer, warum spricht man dann nicht beispielsweise von mutmaßlich in russischem Auftrag handelnden Söldnern?

Die deutschen Medien lassen sich beschämend instrumentalisieren von der putinschen Propaganda und ihrer Sprachvorgaben. Sie trauen sich nicht, entgegen offenkundiger Tatsachen, von Söldnern zu reden!

„Söldner“ ist gewiß hundert mal näher an der Realität als „Separatist“! Vor allem wenn sich immer wieder herausstellt, daß Ortsansässige das vorgeblich in ihrem Namen agierende Pack russisch-tschetschenischer Landsknechte vor Ausbruch der „Krise“, also vor der russischen Aggression, überhaupt nicht kannte.

Wenn man die treffenden Wörter wählte, würde auch eher verstehbar, warum die ukrainische Seite es natürlicherweise ablehnt, mit diesen Banditen, wie von Moskau verlangt, zu verhandeln und sie somit als „Separatisten“ anzuerkennen.

Doch wenn „Söldner“ zu fürchterlich klingt in den Ohren deutscher Berichterstatter, ließe sich doch wenigstens von „Agenten“ reden. Nein? Unterstellen die Journalisten ihre Wortwahl lieber der Verklärung russophiler deutscher Politiker? Und bezahlter Agenten der Gasprom?

Putin ist Meister der Agenten und ihrer die öffentliche Meinung im Ausland untergrabenden Manipulation. Als ehemaliger Agent.

Noch etwas auf diesem endlosen Acker: Wenn Menschen umgebracht werden, handelt es sich eher nicht um eine Hinrichtung! Hinrichtungen haben im Allgemeinverständnis zu tun mit Richter und Recht. Sondern wenn Menschen umgebracht werden, auch von in „Kämpfer“ umbenannten Terroristen in Nigeria und durch Massenerschießungen und auf welche Weise und mit welchen Methoden auch immer, handelt es sich um Mord und Massenmord. Und Mord sollten Berichterstatter auch unbedingt Mord nennen. Das Tätigkeitswort für dieses Verbrechen heißt „ermorden“. Man sollte es verwenden.

 

Und ÄRG7)

Vor allem auch wenn die Berichterstattung über einen bloßen Zitathaufen nicht mehr hinausreichen will, ist dringend zu empfehlen eine Wiedereinführung des Konjunktivs I, bisweilen sogar des Konjunktivs II in die deutsche Sprache. Also niemals „Der Politiker Frank-Walter oder Horst will“ oder „denkt“! Die Gedanken sind frei, und gerade ein Journalist sollte wissen, daß man seltener wissen wird, was ein Politiker sich denke.

Überhaupt das syntaktische und seit einiger Zeit sogar artikulatorische (Un-)Vermögen…

Die „Is-“ und „Nich- und die „-ich“-Sager vermehren sich sogar während der Meldungen über den stockenden Vakehr. Vielleicht spekuliert man bei der Abschaffung der Hochsprache auf einen Quotenzugewinn vermittels Volksnähe. Aber dann sollte man auch nich von „Relaunch“ und „Feature“ reden… (Deutschlandfunk: „Fragen, die Sie uns nach dem Relaunch hinterlassen haben“.) Und schon gar nich von „Whistleblowers“!

Wisselwas??

Und mindestens 999 von 1000 „Live“ lassen sich ohne den geringsten Aussageverlust streichen! Insbesondere das wirklich ausgeleierte „Live erleben“! Den Unwortsuchern vor die Brille geklebt: „Live“ is seit Jahrzehnten das exemplarische Unwort!

Ich weiß, der Zug is abgefahren, dennoch sage ich, für Hartwär gibt es das solide Wort „Gerät“. Könnte man doch mal verwenden zur Abwechslung. (Die Franzosen kennen das Wort „Hartwär“ gar nich, die sagen einfach „Matériel“.) Und als Berufssprachler schon mal auf die Idee gekommen, daß Zofftwär Programme sind? Die Franzosen nennen Zofftwär völlich schmerzfrei „Logiciel“. Und statt den von Konrad Zuse erfundenen Rechner Kompjuta zu taufen, sagen unsere Nachbarn schlicht und wunderbar „Ordinateur“.

Für die beständig auf dem Tisch liegenden „Optionen“ hat man im Deutschen die zwanglose Möglichkeit, völlich locker über „Möglichkeiten“ zu sprechen. Von wegen „Transparenz“ und so. Und „transparent“ heißt „durchsichtig“! Ein schönes Wort!

Und auf dem Petersplatz in Rom versammeln sich garantiert mehr Gläubige als Gläubiger zum Gebet!

Und Fallsetzungen nach Präpositionen üben!

Und bei Komparativen das Als!

Und auf „gedenken“ folgt der Genitiv!

(Das jüngste Grauen erst wieder am 13. Juni um 6 Uhr 45 auf HR1 zum Tode Schirrmachers: „Auch auf Twitter gedenkt man ihm…“)

Und „Jenda“-Was? Steht gar nich in meinem Duden von 2001. Muß was ganz Neues sein! Nein, nein, auch nich zwischen „Gendarm“ und „Genealogie“…

Ach so, Ihr traut Euch nich mehr „Geschlecht“ zu sagen im ehemaligen Lande der Dichter und Denker… … … …